Nr. 2: Die Lage in Wagstadt beim Herannahen der Front; Evakuierung der Bevölkerung in den Kreis Hohenstadt; Erlebnisse des Vfs. unter Russen und Tschechen; seine Rückkehr im Fußmarsch über Mährisch Schönberg und Sternberg in den Heimatort.

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Erlebnisbericht des L. R. aus Wagstadt.

Original, 27. März 1955, 9 Seiten, maschinenschriftlich (mschr.). Teilabdruck.

Mein Heimatort Wagstadt, Reg. Bez. Troppau, war bis Ende des Jahres 1944 von besonderen Kriegsereignissen ziemlich verschont geblieben. Deutsche und Tschechen gingen einer geregelten Arbeit nach. Im Januar 1945 wurde die Stimmung in der Bevölkerung aufgeregter, Durchzüge von flüchtenden Zivilisten aus dem Kattowitzer Gebiet beunruhigten die Gemüter. Die Schulen wurden geschlossen, Arbeiter und Angestellte zum Volkssturm gerufen, beim Landratsamt ein permanenter Nachtdienst eingeführt. Angehörige der SA wurden Anfang Februar nach Ratibor geschickt, sie brachten flüchtende Frauen und Kinder mit Kraftwagen aus dem bedrohten Gebiet. Die Turnhalle des Deutschen Turnvereins, auch die Schulen, soweit sie nicht zu Lazarettzwecken gebraucht wurden, waren nun Durchgangslager, die von der NSV und sanitär vom DRK betreut wurden. Auch gebrechliche Wagstädter schickte man nun nach Blauda, Kreis Hohenstadt/Mähren. Mütter und Kinder aus Wagstadt wurden in den Hohenstädter Kreis gebracht. Dies alles ging recht geordnet vor sich, und auch im Aufnahmegebiet war Vorsorge getroffen.

In den Monaten März und April rückte die Front immer näher. Man hörte fernen Geschützdonner, die Nächte waren oft erhellt durch Brände in nördlicher und östlicher Richtung. Die Heeresgruppe Schörner nahm ihr Quartier im Kreise.

Hier gibt der Vf. Gerüchte über das Verhalten des Generalfeldmarschalls Schörner wieder.

Mitte April brach die große Divisions-Schlächterei, die auch ohne Familie dastehende Volkssturmleute verpflegte, neuerdings auf und zog weiter nach Westen. Einige Male hatten in diesen Tagen Flieger russischer Herkunft in den Abendstunden die Stadt heimgesucht, wobei Sachschaden verursacht und Menschen getötet wurden. Am 29. April 1945 kamen sie schon nachmittags, richteten erheblichen Schaden an und töteten und verwundeten eine Anzahl Männer und Frauen.

Jetzt war es mit der Ruhe vorbei. Mit Kraftwagen, auch mit der Bahn, evakuierte man die restlichen Frauen und Kinder. Aufnahmegebiet war Stadt Liebau1. Die Bauern treckten mit bespannten Fuhrwerken auf der Straße. Zahlreiche Männer, auch Dienstgrade des Volkssturmes, verließen die Stadt, denn sie wollten wissen, daß ihre Familien auch richtig unterkämen. Eine ziemliche Anzahl von ihnen stellte sich später in Stadt Liebau


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wieder bei ihren Einheiten ein. Ich möchte betonen, daß der Volkssturm keine kämpferischen Aufgaben erfüllen konnte, da er mangelhaft ausgerüstet und nur mit einer Anzahl von Gewehren verschiedener Systeme bewaffnet war. Ich war als Bataillonsführer mit einer Pistole bewaffnet, die mir Frau H. geschenkt hatte. Die letzten Männer rückten am Morgen des 30. April ab. Über Auftrag einer Parteidienststelle mußten sie das wertvolle Vieh aus den Orten Wagstadt, Bielau, Klantendorf und Seitendorf, das in den Ställen hungerte, abtreiben. Es ging alles zu Fuß bis Stadt Liebau, zwei Tage hatten wir tüchtigen Schneefall. Am 5. Mai tauchten auch dort russische Flieger auf, die durch Bombenwürfe viel Verwirrung hervorriefen, und es gab wieder Tote und Verwundete. Abgehetzt und halb irr erschien Frau T., die in Wagstadt geblieben war und die Russen erlebt hatte, verschärfte die Stimmung mit ihren Schilderungen von Vergewaltigungen der zurückgebliebenen Frauen.

In Stadt Liebau ist der Großteil der Wagstädter Bevölkerung mit ihrem Pfarrer geblieben und wurde von der Roten Armee überrollt. Was dabei geschah, kann ich aus Augenschein nicht schildern. Ich war mit einem Rest von Volkssturm-Männern nach Sternberg weitergezogen. Am Nachmittag des 6. Mai gab ich den Männern Entlassungspapiere, und sie trachteten in den Hohenstädter Kreis zu ihren Familien zu kommen. Auch ich traf mich dort mit Frau und Tochter, aber schon in den Morgenstunden des 7. Mai kam der Befehl, daß alle Deutschen weiter müssen. Jetzt ging es schon sehr ungeordnet zu, jeder mußte selbst sehen, wie er weiterkomme. Wir zogen zu Fuß über den Hambalek mit einem Handwägelchen, auf dem wir die letzten Habseligkeiten aufgeladen hatten. In Mähr. Rothwasser sah ich zum letzten Male Landrat Dr. Chmel mit Frau und Tochter, auch Förster Schmidt aus Waldheim, mit ihren Autos vorüberfahren. Sie sind in diesen aufgeregten Tagen spurlos verschwunden. Noch einmal brachen wir auf, kamen nach Grulich, aber die Straßen waren restlos verstopft, und auf den Feldern rechts und links lagerten Leute, Vieh zwischen den Fuhrwerken. Neuerdings sammelte die Wehrmachtsstelle Männer zu einem letzten Kampf. Ich ging mit einem Angehörigen zurück nach Mähr. Rothwasser, wo uns die Russen in der Nacht vom 9. zum 10. Mai einholten.

Am Morgen des 10. Mai erhielten wir den ersten Besuch. Russen kamen in die Wohnungen, verlangten nach Alkohol, und einer ließ den gesamten Schmuck von einigen Familien, die dort beisammen waren, mitgehen. Unsere Wohnung lag gegenüber den Kasernen, in welche die Russen eingezogen waren. Am Vormittag wurde ich von den Tschechen verhaftet und in der Kaserne festgesetzt. Im Laufe des Nachmittags wurden noch andere Männer aus Mähr. Rothwasser, Weißwasser und Mähr. Karlsdorf eingebracht. Zwei Tage saßen wir ohne Nahrung, aber als die Russen weitergezogen waren, brachte uns eine tschechische Wache nach Schreibendorf. Wir wurden dort verhört, verprügelt und entlassen.

Die Nähe der Kasernen, wo immer wieder neue Russen einzogen und abzogen, war für die Frauen sehr gefährlich. Noch vor meiner Entlassung in Schreibendorf waren Frau und Tochter nach Mähr. Karlsdorf geflüchtet, das abseits der großen Heerstraße lag. Die Sachen, die wir unter großen


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Anstrengungen bis hierher gebracht, blieben in einem Versteck in Mähr. Rothwasser. Im Karlsdorfer Gemeindehaus fanden sie Unterschlupf. Dort traf ich sie. Wir schliefen zu 9 in einer Bodenkammer auf blankem Fußboden. Im Erdgeschoß des Hauses war die Gemeindekanzlei, im 1. Stock wohnten zwei Mietparteien, bei denen sich allabendlich durch lange Zeit hindurch 20 bis 30 Frauen zum Übernachten einfanden. Jede Nacht kamen die Russen von Rothwasser ins Dorf, suchten nach Frauen, und das gellende Schreien der verfolgten und bedrängten Frauen hallte durch die Nacht. Meine Frau kannte persönlich die mehr als 70jährige Frau, die durch einen jungen Mongolen vergewaltigt und so zerbissen und mißhandelt wurde, daß sie lange Zeit krank war. Im Gemeindehaus war nachtsüber eine tschechische Wache, die sich gegen die deutschen Frauen sehr anständig benahm. Zu dieser Einstellung mögen kleine Zigaretten-Spenden — diese waren damals sehr rar — das ihrige getan haben. Einige Male waren die Russen im Hause, aber diese wurden von der Wache abgefertigt mit der Bemerkung „im Hause wären nur Kanzleien.” Im Orte war das Verhältnis zwischen den einheimischen Tschechen und Deutschen so, daß man nie hörte, daß tschechische Männer sich an deutschen Frauen vergingen. Wenn es zu Brutalitäten kam, waren es gewöhnlich Tschechen, die aus anderen Orten zugezogen waren.

Inzwischen waren wir um alles das mühsam bis hierher geschleppte Hab und Gut gekommen. Als wir unsere Sachen bergen wollten, fanden wir nur noch klägliche Überreste, zerrissene Koffer, zertretene und beschmutzte Fetzen unserer Kleider, einige Wäschestücke im Haus und auf der Wiese verstreut. Damals plünderte oder stahl fast jeder.

Die deutschen Männer und Frauen wurden jetzt zur Arbeit eingesetzt. Ich hatte mit anderen deutschen Männern unter einem tschechischen Aufseher Straßensperren zu räumen. Es war eine schwere Arbeit, die Klötzer aus der Erde zu holen. Essen mußten wir uns mitbringen. Ich lebte damals zumeist von dem, was ich von den einheimischen Männern geschenkt bekam, denn Flüchtlinge hatten keine Vorräte, und zu kaufen gab es vorerst nichts. Ich staune heute noch über die Findigkeit der Frauen. Meine wußte zum Abendessen doch etwas aufzutreiben. Geld hatten wir noch. Die Russen schlachteten auf den Wiesen viele Rinder ab. Blut, Köpfe, Innereien und Knochen überließen sie dem heimischen Metzger, der die Arbeit tat. Man mußte dann immer zur rechten Zeit da sein, um davon etwas zu bekommen. Später wurden auch verwundete Pferde, welche die Wehrmacht zurückgelassen hatte, geschlachtet und das Fleisch an Deutsche verkauft. Appetitlich war es ja nicht, wenn die Fliegenschwärme auf den Fleischstücken saßen — verkauft wurde ja immer im Freien —, aber eine tüchtige Waschung im Dorfbach spülte alle Bedenken mit hinweg. Brot und Kartoffeln waren für Flüchtlinge vorerst nicht zu haben. Sehr übel waren Leute mit kleinen Kindern dran, denn offiziell war Milch nicht zu haben. Es stand im Dorf viel Rindvieh auf den Weiden, das die Russen zum Abtransport zusammengetrieben hatten. Von den Frauen, die das Vieh hüten und melken mußten, konnte man ab und zu etwas Milch haben. Nur durfte man sich nicht von den Russen erwischen lassen.


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Die erste Panzersperre, die ich mit wegräumte, stand bei der Schule in Schreibendorf. — An diesem Tage wurde die tschechische Schule festlich eröffnet. Als kurz vor 12 Uhr das „Kde domov muj”1 erklang, dachte ich wehmütig daran, ob ich wohl auch noch einmal meinen Beruf werde ausüben können. Als die Kinder aus der Schule strömten, bimmelte es auf der Dorfstraße. Ein sonderbarer Zug kam heran. Vorn der Gemeindeausrufer mit einer Glocke, dahinter ein deutscher Gendarm in tadelloser Uniform mit allen Dienstgradabzeichen und Auszeichnungen. Die Hände hatte er am Rücken gefesselt, eine Kuhkette reichte von den Hand- zu den Fußfesseln, die ihm nur kleine Schritte erlaubten. Begleitet war der Gefesselte von bewaffneten Tschechen, die ihn vor ein nettes Einfamilienhaus führten. Ein Tscheche ging hinein, und die Frau des Gendarms, angeblich eine einheimische Tschechin, stellte einen Napf mit Essen auf die Stufen, die zur Haustüre hinaufführten. Knieend beugte sich der Gefesselte über die Schüssel und mußte buchstäblich wie ein Tier fressen. Da er bestimmt seit längerer Zeit nicht rasiert war und die Essenreste ihm nachher an den Bartstoppeln hingen, war der Mensch erbärmlich anzusehen. Die Schuljugend begleitete den Zug auf dem Rückwege zum Arrest. — Später gab es angenehmere Arbeiten im Wald. Eine größere Partie von Männern schälte im Walde gefällte Baumstämme und stapelte diese auf für den Abtransport. Der tschechische Aufseher R. war menschlich und kein brutaler Treiber.

Dann kam der Pfingstsamstag. Im Dorf erschien ein Partisanenkommando, angeblich Studenten aus Königgrätz, in roten Hosen, bewaffnet mit Ochsenziemern und Gummischläuchen. Der Bürgermeister des Ortes, ein Deutscher mit Namen W., bestellte alle deutschen Männer von 16 bis 60 Jahren zur Schule. Dort standen sie mit erhobenen Armen, wurde einer müde und ließ die Arme sinken, knallte ein Schuß über die Köpfe. Gruppenweise wurden wir in ein Schulzimmer hineingelassen. Die Partisanen vertrieben sich die Wartezeit mit Spaßen. Hitlerjungen mußten am Fußboden robben, Männer den deutschen Gruß leisten und sich dann gegenseitig ohrfeigen. Fielen die Schläge nicht nach dem Wunsche der Tschechen aus, zeigten sie dem Rücksichtsvollen am eigenen Körper, wie man zuschlagen müsse. Einzeln kamen wir dann in ein anderes Zimmer. Der Bürgermeister verlas Namen und Herkunft. Wir wurden kurz verhört. Ein Kommissionsmitglied schrieb mit Kreide eine Zahl auf den Rücken des Opfers. Trat es dann aus der Türe, flog es dann von Fausthieben getrieben in ein anderes Zimmer. Dort standen die Schulbänke in zwei langen Reihen. Jeder wurde über die Bänke gezerrt, und zwei bis vier Mann hieben los. Das Opfer mußte laut zählen, kam aber kaum mit. Mit 25 Hieben war ich noch gut dran, trotzdem konnte ich mehrere Tage nicht am Rücken liegen. Schlechter war mein Kamerad H. mit 40 daran, denn man schlug ihm die Krampfadern an den Beinen durch, daß er stark blutete. Der alte Oberlehrer des Dorfes U., der fast 70 Jahre alt war und dem Aufruf irrtümlich Folge leistete, bekam auch seine Schläge, so daß er längere Zeit an einer Nierenerkrankung laborierte. Die Pfingstfeiertage über arbeitete das gleiche Kommando in Mähr. Rothwasser und Grulich.


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Mein Kamerad H. wollte zurück nach Wagstadt. Auf dem Wege wollte er die Orte aufsuchen, in die er Gedeka-Vorräte verlagert hatte1. Meine Frau hatte Hausbesitz, und wir beide wollten sehen, was davon noch da war. Die Frau des Finanzrates R. aus Troppau schloß sich uns an. Beim tschechischen Kommissar baten wir um einen Geleitschein für den Hin- und Rückweg. Er gab sie uns, warnte uns aber vor dem Unternehmen. Er betonte einige Male, wir sollten lieber hierbleiben.

Die tschechischen Kommissare hatten unter den Angebereien der eigenen Volksgenossen zu leiden. Der erste Kommissar P. war schon nach einigen Tagen seines Amtes entsetzt, weil er im Reiche gearbeitet hatte. Der zweite Kommissar war vielen Tschechen zu human.

Am 3. Juni verließen wir drei Mähr. Karlsdorf. Es ging nur zu Fuß. Deutsche durften nicht mit der Bahn fahren, durften kein Fahrrad benützen. Schon im Orte hinter Schreibendorf griff uns eine Straßenwache auf. Wir waren der Wache schon wegen unserer Körpergröße verdächtig. Der Geleitschein mit dem Namen des ihnen bekannten Tschechen öffnete uns nach längeren Verhandlungen — H. sprach ein ausgezeichnetes Tschechisch — wieder den Weg. In Hermesdorf vor Mähr. Schönberg erlebte H. die erste Enttäuschung. Alle Waren in den Magazinräumen, die einem dortigen Kaufmann gehörten, auch die verlagerten meines Freundes, waren verschleppt oder vernichtet. Am nächsten Morgen durchschritten wir Mähr. Schönberg. Die Einwohner fegten die Straßen und Plätze. Der dortige russische Kommandant hielt auf gute Ordnung. Es soll dort auch zu geringeren Ausschreitungen gekommen sein als in anderen mährischen Orten. Am Abend kamen wir nach Mähr. Neustadt. Eine gebürtige Wagstädterin, die Witwe eines Amtsrichters, nahm uns auf. Das Haus, in dem sie wohnte, war, wie fast alle in der Umgebung, ausgeplündert. Die Haustüren waren gewaltsam erbrochen, die Fenster eingeschlagen, die Vorräte aus den Häusern geholt, die Möbel vielfach verschleppt. Am nächsten Morgen trafen wir auf dem Wege nach Sternberg ein Mädchen. Sie war noch nicht 20 Jahre, hatte weder Hut noch Mantel, ging barfuß, und ihre Füße bluteten. Sie war aus der Gegend von Ratibor. Aus ihrem Wohnort war sie nach Westen geflüchtet, aber bald von den Russen überholt worden. Als sie in ihren Wohnort zurückmarschierte, lockten sie Russen mit dem Versprechen in ihr Auto, sie in ihrem Wohnorte abzusetzen. Sie wurde aber bis nach Böhmen verschleppt und von den Russen oft mißbraucht, wie sie Frau R. mitteilte. Endlich konnte sie entfliehen und war nun auf dem Weg nach Hause. Sie bat uns, eich uns anschließen zu dürfen, weil sie große Angst vor den Russen hatte, die noch immer in ihren Autos die Landstraßen unsicher machten.

In Sternberg ging es drunter und drüber. Die Schwägerin meines Kameraden, bei der wir für die Nacht bleiben wollten, riet uns, den Ort zu verlassen. Die Russen feierten ein Siegesfest. Sie selbst und viele Frauen der Nachbarschaft rüsteten sich für einen Aufenthalt im Wald, sie konnten in dieser Nacht nicht in ihren Häusern bleiben. Am Bahnhof lag ein Berg von Hunderten Fahrrädern, die man den Deutschen abgenommen hatte. Ein


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Russe kletterte in dem Räderberg umher, er suchte sich ein heiles Rad. Wie viele Räder er bei dem Suchen zertrampelte, das weiß ich nicht. An der Beute werden die Russen wenig Freude gehabt haben. Wir übernachteten in einem abseits gelegenen Gehöfte. Dann marschierten wir nach Bautsch1 weiter. Auf halbem Wege kamen wir durch ein Dorf, es war wohl Lodenitz oder Barn, ich weiß es nicht mehr. Aus der großen Schule klang deutsches Gespräch, selbst ein deutsches Lied. Da mußte ich hinein. Auf dem Gang traf ich die Lehrerin G. aus Troppau, die hierher evakuiert worden war. Schon wenige Tage nach der russischen Besetzung hatte der russische Ortskommandant Schüler, Lehrer und Lehrerinnen zusammengerufen und ihnen zwei Tage Frist gegeben, die Schule zu säubern. Nachher mußte der Unterricht sofort aufgenommen werden. Er wurde in deutscher Sprache erteilt. Schulaufseher war ein tschechischer Gendarmerie-Aufseher, der auch täglich in die Schule kam. In Bautsch übernachtete ich mit den anderen bei Fräulein B. Das Städtchen hatte schwere Tage durchgemacht, und es war wieder in heller Aufregung. Die Haushalte mußten Geschirr, Besteck, Wäsche, Lampen und dgl. zu einer Sammelstelle bringen. Nur den unbedingt nötigsten Bedarf durfte man behalten. Gesprächsthema war auch der Freitod von zwei Troppauer Lehrersfrauen und die Niedermetzelung einer Oberlehrersfamilie aus Schwansdorf. Die Leichen waren in einem Schieferbruch an der Mohra gefunden worden. Am nächsten Tag wurden -wir von einer tschechischen Straßenkontrolle in Tschirm bei Wigstadtl2 gestellt. Das Gepäck wurde durchsucht, wir wurden um manches wieder erleichtert, und erst nach langen Verhandlungen durften wir weiter, denn einer der Tschechen glaubte in mir einen Wigstadtler erkannt zu haben. Die Sprachkenntnisse meines Begleiters waren wieder von großem Vorteil. In Wigstadtl suchte ich die Frau meines Bruders auf, die erst am Tage vorher aus Böhmen zurückgekehrt war und eine verwüstete Wohnung vorgefunden hatte. Von ihrem Manne, meinem Bruder, wußte sie nichts, der war bei der Wehrmacht. Nach kurzem Aufenthalt ging's weiter. Und in Gerlsdorf vor Fulnek3 wurden wir wieder einmal verhaftet und für die Nacht eingesperrt. Am nächsten Morgen durften wir aber doch weiter, umgingen die niedergebrannte Stadt Fulnek auf Umwegen. Wir waren von den deutschen Einwohnern gewarnt worden und kamen unbehelligt nach Klantendorf. Dort blieb mein Wandergenosse bei Verwandten, und ich ging auf Feldwegen nach Brawin4. Dort übernachtete ich beim deutschen Bauern S., dessen Gehöft durch Beschüß teilweise zerstört war.

Endlich, am Sonntag, dem 9. Juni, kam ich verstohlen in unser Wohnhaus in Wagstadt. Das Haus war ausgeraubt. Die meisten Möbel, auch die zwei Klaviere, waren weggeschafft. In einem Schlafzimmer standen noch die Möbel, aber Matratzen, Wäsche, Betten, Teppiche, Kleider und Geschirr waren weg. Meine Bücher lagen zerrissen und angefault im Hofe. Im Hause war, wie ich hörte, eine russische Dienststelle einquartiert. Nachher hatten Tschechen aus den umliegenden Dörfern das Beste weggeholt,


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einzelne Kleidungsstücke und Geschirr sah ich auch bei deutschen Nachbarn. Sie haben sich damit kaum bereichert, sondern sie nahmen die Dinge aus Not. Das Bekleidungswerk uns gegenüber soll erst einige Tage nach den Kampfhandlungen einem gelegten Brand zum Opfer gefallen sein. Nach gehörten Meinungen soll dieser zur Verschleierung von Räubereien gelegt worden sein. Am Nachmittag feierten die Tschechen die Befreiung Wagstadts durch einen Festzug und ein Fest in der deutschen Turnhalle. Eine Nacht noch schlief ich bei Bekannten in Freiheit.

Im folgenden berichtet der Vf. über seine Verhaftung durch die Tschechen, den Aufenthalt im Wagstadter Gefängnis, seine Verschleppung in die Sowjetunion und die Ereignisse in Wagstadt bis zur Ausweisung int Herbst 1946 1.