Nr. 4: Vorbereitung und Durchführung der Evakuierung von deutschen Betriebsangehörigen aus dem Ostrau-Karwiner Industrierevier ins Altreich und nach Innerböhmen.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Bericht des Dipl.-Ing. Otto Höher aus Mährisch Ostrau.

Original, 2. April 1955, 11 Seiten, msdir, Teilabdruck.

Nach einer allgemeinen Betrachtung über die militärische Lage zu Beginn des Jahres 1945 und über die Bedeutung des Ostrau-Karwiner Industriegebiets für die deutsche Kriegswirtschaft berichtet der Vf. kurz über die Eroberung des oberschlesischen Industriereviers durch die Rote Armee und fährt dann fort:

Wenige Tage vor dieser Katastrophe war mit der tschechischen Leitung der oberschlesischen Eisenwerke und Organen des Ostrau-Karwiner Reviers abgesprochen worden, daß nach Ostrau telefonisch Nachricht durchgegeben


15

würde, falls seitens der dortigen Werksleitung es zu Sprengungen oder wenigstens Lähmungsaktionen kommen sollte. Letztere hatten den Zweck, durch planmäßigen Ausbau einzelner Maschinenteile eine Weiterproduktion der Werke in Feindeshand durch ca. drei Monate unmöglich zu machen. Unmittelbar vor der Besetzung des Reviers kam das Telefongespräch durch und meldete, daß weder Sprengungen noch Lähmungsaktionen möglich waren, da alles hastig flüchtete.

Sofort nach dem Durchbruch bei Krakau waren bei den Industrieanlagen des Ostrau-Karwiner Reviers aus eigener Initiative Vorbereitungen getroffen worden, falls eine planmäßige Räumung des Reviers notwendig würde. Erst nach Wochen, als die deutsche Front sich bei Rybnik und Schwarzwasser stabilisiert hatte1, schalteten sich auch die militärischen Stäbe ein und verlangten von den Werksleitungen, daß alles vorbereitet würde, um im Falle der Notwendigkeit die wichtigsten Maschinenanlagen lahmzulegen. Bei einer Besprechung mit den militärischen Stellen mußte aber festgestellt werden, daß weder Pionierabteilungen noch die nötigen Sicherungstruppen zur Durchführung der Lähmungsaktionen beigestellt werden konnten und daher die ganze Aktion gegen den zu erwartenden Widerstand der tschechischen Arbeiterschaft illusorisch bleiben würde. So mußte dieser Plan als undurchführbar fallengelassen werden, und die Vorbereitungen mußten sich darauf beschränken, nur jene leitenden Angestellten, die nicht vom Volkssturm erfaßt wurden, im letzten Augenblick zu evakuieren.

Alle deutschen Frauen und Kinder waren über Aufforderung der Partei nach Lagern in Mähren, Böhmen und Österreich verbracht worden; diese Aktion verlief aber nicht reibungsfrei, da sich widersprechende Befehle erteilt wurden und alles im letzten Augenblick überhastet wurde.

Im Laufe der Monate März und April stießen die russischen Linien langsam gegen Westen vor, Troppau mußte geräumt werden, und in den letzten Tagen des April war das Revier von drei Seiten eingeschlossen, der Feind bei Schönbrunn nurmehr 5 km von Ostrau entfernt. Nurmehr zwei Straßen und eine Eisenbahnlinie standen für den Rückzug über Friedeck nach Süden zur Verfügung. Da wegen des Waggonmangels eine Verschickung der geförderten Kohle nicht mehr möglich war, der Russe binnen weniger Stunden die letzten Verbindungswege abschneiden konnte, wurde am 30. April um 22 Uhr das vereinbarte Losungswort für die Räumung durchgegeben.

Ungehindert durch die überwiegend tschechische Bevölkerung trafen innerhalb kürzester Zeit alle für den Rückzug namentlich bestimmten Angestellten an den vereinbarten Sammelstellen ein, und in den Nachtstunden rollten die Wagenkolonnen nach Süden, unbehelligt durch russische Flieger. In den Mittagsstunden sammelten sich die verschiedenen Gruppen in einem vereinbarten Städtchen in der Nähe von Neu Titschein, Treibgas und Benzol wurde an die Fahrzeuge ausgegeben, und dann strebten die einzelnen Kolonnen über Olmütz, in welchem bereits Panzersperren auf die Nähe der Front hinwiesen, über Mährisch Schönberg nach Zwittau.


16

Einige Gruppen, denen hauptsächlich reichsdeutsche Herren angehörten, strebten rasch über Böhmen hinaus und erreichten ohne Verluste ihre Heimat. Der übrige Teil machte im Erzgebirge bei Falkenau halt, der Rest verweilte einige Tage in Zwittau und kam erst unmittelbar vor dem Zusammenbruch in Prag an — dieser hatte das schwerste Los gezogen!

Im folgenden berichtet der Vf. über seine Erlebnisse in Prag während des tschechischen Aufstandes und seiner Internierung, über die Zustände im Zuchthaus Pankrác und den Zwangsarbeitseinsatz in Mährisch Ostrau1.