Nr. 7: Der Einmarsch der Roten Armee in Mährisch Ostrau.

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Erlebnisbericht des A. H. aus Mährisch Ostrau.

Original, August 1955, 6 Seiten, mschr. Teilabdruck.

Wochenlang vor Ostern (2. 4. 1945) und auch nach den damals so traurigen Osterfeiertagen vernahmen wir Daheimgebliebenen aus der Hultschiner Gegend dumpfen Kanonendonner, nebenbei meldete der Rundfunk immer wieder Anflug feindlicher Bomber auf Mähr. Ostrau, dies vorwiegend in den Abendstunden, so daß wir praktisch jeden Abend im Luftschutzkeller saßen; gemütlich war es dort bestimmt nicht, da wir bei den Einschlägen in den Nachbarhäusern doch immer damit rechnen mußten, daß wir nun dran kamen; die Kellerwände erzitterten, oft wurden wir hin- und hergewirbelt. Frauen und Kinder weinten vor Angst, die Männer versuchten immer wieder ins Freie zu treten, um die unheimlichen Vögel zu beobachten, doch der Luftschutzwart trieb uns immer wieder zurück. Oft mußten wir bis 12 Uhr nachts im Keller sitzen. Am Morgen, übernächtigt, hungrig ins Freie tretend, sahen wir die Bescherung: Ruinen da und dort, noch rauchend. Die Bewohner mit einigen geretteten Habseligkeiten warteten auf die Kommandos, welche den Obdachlosen eine vorübergehende Schlafstelle zu verschaffen hatten. Manche dieser Familien wurden bis dreimal bombardiert.

Erst gegen Ende April, als alle Volkssturmmänner an der sich nahenden Front eingesetzt wurden (nur wenige kamen gesund zurück), hörten die Luftangriffe auf, dafür vernahmen wir von der Hultschiner Seite verstärkten Kanonendonner, und es begann nun die Beschießung von Ostrau mit Artillerie, oft flog so ein Geschoß durch 8 Wände, wie ich selbst an meiner Fabrik erleben durfte. Schon am 21. April 1945 sind die Russen in Troppau einmaschiert1. Unsere Truppen leisteten immer wieder Widerstand, leider vergeblich.

Vormittag, am 30. April wurde es in der Stadt unheimlich ruhig, wir waren dies seit Monaten nicht gewöhnt, ahnten aber nichts Gutes, selten sah man einen Menschen auf der Straße, man ahnte, daß es dem Ende zugehe. Mit der weiteren Umgebung hatten wir keine Verbindung mehr, auch die Presse brachte nichts mehr zur Lage, viele Ämter flüchteten mit ihren Akten nach West- und Südmähren und anderen Orten. Auch das war vergeblich, wie es sich bald herausstellte.

Kurz vor 5 Uhr nachmittags marschierten die Russen von Petershofen kommend in Oderfurt ein, in geordneten Kolonnen, an der Spitze grün


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uniformierte Soldaten mit vielen Orden behängt, nach ihnen dann normale Soldaten in ihren erdfarbenen Uniformen, man sah es ihnen an, daß sie lange Märsche hinter sich hatten und vielleicht Monate nicht anständig geschlafen haben. Die Begrüßung durch die tschechischen Mitbewohner war nicht besonders enthusiastisch, man sah zu, sonst nichts, kein Blumenwerfen oder Hochrufe. Von den Deutschen sah man überhaupt niemand auf der Straße, denn obwohl noch vor Stunden auf Waffenbesitz die Todesstrafe angedroht war, erschienen auf einmal junge Leute mit leichten Gewehren bewaffnet, marschierten entlang den russischen Kolonnen und schossen auf jeden, der nach Deutschtum aussah; so sah ich bald einige Tote oder Verwundete an der Breslauer Straße liegen.

Wir hängten rasch weiße Tücher aus den Fenstern, aber gar bald fanden sich Verräter, welche den Russen die Wohnungen der Deutschen zeigten. Um die Leichen kümmerte sich niemand, selbe blieben tagelang liegen, nur den Kopf mit einem Fetzen zugedeckt. Die Russen kamen etwas verspätet an, Grund? Sie mußten vorerst die von deutschen Truppen in die Luft gesprengte Brücke über die Oder bei Petershofen neu bauen, Holzkonstruktion; der Kanonendonner aber flackerte wieder auf, man schoß nun auf die sich zurückziehenden deutschen Truppen, welche gegen Hrabová, Kuntschitz zogen. Zweimal kamen deutsche Soldaten zu mir, ich möge ihnen einen Raum als Verbandslokal für Verwundete bereitstellen, doch kaum angefangen, flüchteten sie weiter; ein Kraftfahrer wollte noch eine Kanne Benzin haben, ich mußte ablehnen, da beide Autos im Hof seit Wochen staubtrocken waren, und so flitzten die Kübelwagen und sonstigen Kraftfahrzeuge durch Oderfurt gegen Ostrau—Witkowitz, um der Gefangenschaft oder dem sicheren Tod zu entgehen; aber alles war vergeblich, denn der Russe kam von allen Seiten nach Ostrau, und so kamen fast alle Deutschen in Gefangenschaft, so selbe nicht noch in den letzten Kriegsstunden abgeschossen wurden.

Den ersten Tag benützten die Russen, sich erstens einmal auszuschlafen, meist in Wohnungen; so bekam auch ich 5 Mann ins Quartier. Sie frugen nicht viel, warfen die Rucksäcke ab und legten sich auf den nackten Fußboden nieder, vorher [hatten sie] mir gezeigt, wie ihre in Fetzen gehüllten Füße rochen oder stanken, dabei immer wieder das Fenster schließend, wenn ich es wiederholt wegen des Gestankes öffnete.

Am zeitigen Morgen trotteten sie sich davon, nahmen mit, was ihnen nehmenswert war, was ich absolut nicht zu hindern versuchte. Fahrrad, Wecker, Taschenmesser, einer nahm auch den weißen Fetzen vom Fenster mit, wohl als Fußfetzen.

Es war der traurigste 1. Mai, den ich je erlebte. Zu Mittag erschienen zwei Russen mit ihren fast 2 m langen Gewehren und [sagten] kurz: „Du mitkommen, Du Deutscher!” Als alter Feldwebel wußte ich, daß hier keine Widerrede half, und marschierten wir nun 18 Mann stark in das Beamtenhaus der Witkowitzer Gruben auf der Troppauer Str. Nr. 55. Dort zwängte man uns in die Waschküche, nasser Betonfußboden; und so gingen wir die ganze Nacht auf und ab, ohne etwas gegessen zu haben, die letzte Zigarette wurde so geraucht, daß jeder Herr einen Zug rauchen durfte.


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Wer die Herren waren, weiß ich nicht mehr, wir haben uns nicht vorgestellt. Es war auch kein Animo dazu vorhanden, denn jeder dachte daran, was mit ihm geschehen werde. In der Früh holte mich ein Kalmücke zum improvisierten Gerichtshof in der Wohnung eines der Grubenbeamten, und nach kurzer Verhandlung bzw. Frage und Antwort ließ mich der russische Oberstleutnant laufen.

Das war am 2. Mai 1945; nun sah ich beim Nachhausegehen schon mehr Leichen auf den Straßen, aber auch viele Russen tot, für welche man direkt am Rathausplatz Gräber grub und dort also mitten in der Stadt bestattete. Monate blieben sie dort begraben.

Die Stadt glich nun einem Hexenkessel, überall sah man Männer und Frauen in Kolonnen streng bewacht in die Arreste ziehen, brutal aus den Wohnungen gerissen; die Wohnungen wurden nun geplündert, überall sah ich Hausrat auf den Straßen liegen, so bei Dr. von Uhle, bei Baumeister Hertel lagen kostbare Bücher, Briefmarkensammlungen im Regen, auch die schönen Villen in [der] Parkstraße dasselbe Bild. Haufenweise deutsche Bücher, ja ganze Lexikons, Fotografien, Bilder und in jeder deutschen Wohnung ein Soldat, welcher das Übriggebliebene bewachte, aber Zeit fand, sich aus kostbaren Zimmerkredenzen die Mahagonibrettchen herauszuschneiden und ein Kofferle zu machen! Die Plünderung war den Soldaten drei Tage erlaubt, doch einige Unternehmungslustige plünderten noch viele Tage später, auch mich, besonders des Nachts, vier Anzüge und fast alle Wäsche gab ich her.

Mancher Soldat hatte bis 12 Armbanduhren auf der Hand und war so gutmütig, 3 bis 4 Uhren zu geben, wenn er dafür eine größere, meist Wecker, bekam! Über das Schicksal vieler Frauen und Mädchen aus allen Kreisen will ich nicht schreiben, es war für die Betroffenen entsetzlich.

Anschließend berichtet der Vf. in einem kurzen Überblick von tschechischen Maßnahmen gegenüber der deutschen Bevölkerung bis Mitte 1946.