Nr. 16: Vorgänge in Hainspach bei der Besetzung durch polnische Einheiten der Roten Armee.

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Erlebnisbericht des Gemeindeangestellten Josef Petrich ans Hainspach, Kreis Schluckenall.

Original, ohne Datum, 12 Seiten, hschr. Teilabdruck.

Bereits Anfang April 1945 wurden Gerüchte verbreitet, daß russische Panzer bereits vor Bautzen stünden. Als dann gegen Mitte April die ersten Flüchtlinge aus der Umgebung von Bautzen in Hainspach eintrafen, erhielten diese Gerüchte ihre Bestätigung. Schon über ein Jahrzehnt hatten wir einige Familien alle Montage abends ein gemütliches Beisammensein im Gasthause unseres Freundes P. H. in X., jenseits der Grenze. Von dort hörten wir eines Abends die Abschüsse und Einschläge von dort stehenden Panzern. Es handelte sich hierbei um die schweren Kämpfe um Bautzen, besonders der Ortenburg. Nun nahten der unheilvolle 8. und 9. Mai 1945. Gerüchte, die sich nachher bewahrheiteten, besagten, daß die Russen bereits über Putzkau nach Ober- und Nieder-Neukirch vorgestoßen wären und weiter nach Ringenhain und Steinigtwolmsdorf vordringen. Um mir Gewißheit zu verschaffen, fuhr ich am 8. Mai, nachmittags gegen 3 Uhr, von meiner an der Schiendstraße gelegenen Wohnung nach X. zu unserem Freunde P. H. Dieser erschrak und sagte: „Sieh ock, daß de suh geschwind wie möglich hejm kimmst, denn de Russen warden wull schun ei Röhrschdorf sein.” Ich fuhr in schnellem Tempo zurück, und als ich gegen den Ort zu kam, sah ich bereits in den ersten Häusern weiße Fahnen flattern. Der Volkssturm hatte bereits vormittags seine Uniformen ausgezogen und seinen Dienst eingestellt.

Da ich am Bürgermeisteramt Hainspach seit fast 22 Jahren als Angestellter das Meldeamt innehatte, begab ich mich sofort dorthin und meldete mich beim Bürgermeister, wo wir alle Angestellten versammelt waren. Da im Hainspacher Schlosse Waffen-SS stationiert war, die Widerstand zu leisten versuchte, der jedoch völlig aussichtslos war, konnte sich die Lage äußerst kritisch gestalten, da der Bürgermeister den Befehl zur Hissung der weißen Fahne am Bürgermeisteramte gegeben hatte.

Unterdessen eröffneten zwei Geschütze der deutschen Wehrmacht, ein Geschütz stand in Niederhainspach, das andere gegen Groß Schönau zu, das Feuer gegen die in Oberhainspach anrückenden russischen Truppen. Auch ein Pakgeschütz war neben der Kirche eingebaut und begann zu feuern. Während dieser Schießereien gingen die Angestellten einer nach dem ändern nach Hause zu ihren Familien, und der Bürgermeister und ich waren allein am Amte. Obwohl mir das Bürgermeisteramt, Hainspach Nr. 125, als äußerst massives Gebäude vollkommen sicher schien und ich dem Bürgermeister versicherte, bei ihm zu bleiben, komme was wolle, so bat er mich, mit ihm in das danebenstehende Wohnhaus des Rudolf Schneider Nr. 124 zu gehen, wo wir die Nacht verbrachten. Bevor wir gingen, stieg ich zum Dachboden hinauf und sah bereits die auf den Höhenrücken der Sohlander Seite in


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Schwarmlinie vorstoßenden Russen. Die Nacht verlief bis auf Schießereien ohne weitere Vorkommnisse. Gegen 5 Uhr früh fielen Schüsse von den sich über Neuhainspach und den Wachsberg zurückziehenden deutschen Soldaten. Der Bürgermeister, welcher in Niederhainspach Nr. 314 wohnte, sagte zu mir: „Ich gehe jetzt einmal nach Hause, bin aber sofort im Gasthause ,Gerberseff zu erreichen.” Somit war ich mutterseelenallein am Bürgermeisteramte und harrte der kommenden Dinge. Gegen 6.15 Uhr des 9. Mai 1945 machte eine Kompanie polnischer Soldaten vor dem Amte halt. Der Kompanieführer, scheinbar ein Hauptmann, verlangte den Bürgermeister. Als ich ihm zu verdolmetschen versuchte, daß der Bürgermeister im Gasthause „Gerberseff” sei, mußte ich an seiner Seite an der Spitze der Kompanie bis zum Marktplatze mitmarschieren und erhielt einen Soldaten als Begleiter, und wir machten uns auf, den Bürgermeister zu holen. Ich unterrichtete ihn, daß ihn der Hauptmann sofort zu sprechen wünsche, und unter Eskorte gingen wir zurück zum Marktplatze, wo gerade ein Gefangener der Waffen-SS eingebracht wurde. Der Hauptmann übergab dem Bürgermeister das Manifest zum sofortigen Anschlage an allen öffentlichen Plätzen, und wir wurden entlassen.

Unterdessen wurde meiner Familie, welche die ganze Nacht infolge der in nächster Nähe einschlagenden Granaten im Keller verbrachte, die Nachricht zugetragen, ich sei von den polnischen Truppen mitgenommen worden. Als ich dann gegen 9 Uhr vormittag nach Hause kam, atmeten meine Frau und Tochter erleichtert auf. Folgende Wohnhäuser in Oberhainspach wurden von Granaten getroffen: Haus Nr. 82 des Josef Rämisch (Christel Bauer), Nr. 83 des Karl Gotthard (Felsenkeller), Nr. 102 des Josef Frind (Grohmenbauer), Nr. 104 des Karl Kettrier, ferner fielen Granaten in die Gärten Nr. 28 des Josef Meyer und Nr. 23 der Anna Gotthard. Der Bauer Josef Frind und seine Schwester Mathilde Frind, welche sich im Schweinestall versteckt hatten, wo eine Granate einschlug, waren die einzigen Todesopfer des Beschüsses. Nach einigen Tagen fand der Totengräber Josef Riedel am Waldrande von Toni Bauers Gute einen erschossenen polnischen Soldaten, welcher am hiesigen Friedhofe beerdigt wurde. Die polnischen Soldaten sagten: „Warum fürchten? Wir gut, aber was nachkommen, nicht gut.” Sie verhielten sich im Verhältnis zu den nachrückenden sowjetrussischen Besatzungstruppen ziemlich ruhig, und waren im besonderen keine schwere Gewalttätigkeiten zu verzeichnen. Alle hofften, nun das Schlimmste überwunden zu haben, aber es war nur eine kurze Ruhepause vor dem Sturm. Was dann folgte, war ein endloses Kapitel von Demütigungen, Gewalttätigkeiten und Ungerechtigkeiten.

Bevor ich auf die weiteren Ereignisse eingehe, möchte ich noch kurz eine Auseinandersetzung schildern, welche weittragende Folgen hätte haben können. Am letzten Sonntage vor dem Einmarsch hatte es sich der Ortsleiter der NSDAP in den Kopf gesetzt, die gesamte Bewohnerschaft von Hainspach, ca. 3000 Personen, für Montag, den 7. Mai 1945 zur allgemeinen Flucht aufzurufen. Da ich als stellvertretender Leiter der NS-Volkswohlfahrt darüber mit zu entscheiden hatte, machte ich ihm klar, daß eine Massenflucht der helle Wahnsinn sei, da wir ja kein Fluchtziel mehr haben und die Bevölkerung den größten Strapazen und Entbehrungen ausgesetzt


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würde, was wir niemals verantworten können. Der Ortsleiter jedoch vertrat Starr die Ansicht, wir erreichen noch die Elbe, und dort stehen bereits die Amerikaner. Diese Auseinandersetzung spielte sich am Bürgermeisteramt unter Teilnahme des Bürgermeisters ab. Da der Ortsleiter von seiner sinnlosen Idee nicht abzubringen war, sagte ich ihm folgendes: „W., wenn Du willst, konnst Du ja flüchten, ober doß de Bevölkerung ne met flucht, dou wardo ich drfür sorgen.” Der Bürgermeister war der gleichen Ansicht, und so unterblieb die Flucht. Es stellte sich erst später heraus, daß unsere Ansicht richtig war, denn die Flüchtenden von umliegenden Ortschaften, welche auf den Straßen dicht gedrängt vorwärts zu kommen suchten, wurden von Tieffliegern angegriffen und mußten umkehren.

Am Bürgermeisteramte wurden sofort tiefgreifende Personalveränderungen vollzogen. Vorsitzender des Národní Výbor wurde Anton Hubert, Gerichtsbeamter, und, soviel ich mich erinnere, Stellvertreter Franz Bubenik. Von den früheren Angestellten verblieben nur Frau Marianne König und meine Wenigkeit, da wir einigermaßen die tschechische Sprache beherrschten. Unterdessen wurden Kundmachungen erlassen, alle Waffen und Munition, Feldstecher, Photoapparate sowie alle Radios und Musikinstrumente binnen 48 Stunden abzugeben.

Noch war es verhältnismäßig ruhig. Als dann aber die sowjetischen Besatzungstruppen einrückten, begannen die Plünderungen und Gewalttaten. Der unglückliche Umstand, daß in der Firma Britze und Söhne immense Mengen Wein und in Gärung befindliche Fruchtsäfte lagerten, welche die Russen in unbeschreiblichen Mengen verkonsumierten und sich bis zur Bewußtlosigkeit betranken, brachte es mit sich, daß nach solchen Zechgelagen dann zahlreiche Gewalttaten einsetzten. Unterdessen begann die Verhaftungswelle.

Im folgenden schildert der Vf. die Ereignisse nach der Wiedererrichtung der tschechischen Verwaltung und die Austreibung im Juni 1945.1.