Nr. 17: Geschehnisse in Königswald, Kreis Tetschen, nach dem Einzug sowjetischer Truppen.

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Erlebnisbericht der Maria Hübner aus Riegersdorf, Kreis Tetschen.

Original, 26. Oktober 1955. 3 Seiten, mschr. Teilabdruck.

Als am 8. Mai 1945 nachmittags das russische Heer auf der Teplitzer Straße von Königswald und von Eulau kommend nach Leukersdorf marschierte, war alles in heller Aufregung. Ich wohnte zu dieser Zeit mit


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meinen Kindern, 8 und l Jahr alt, bei meinen Eltern in Königswald, während in meiner eigenen Wohnung in Riegersdorf, bei Flegel-Schellmann, eine Flüchtlingsfamilie wohnte. Während des Durchmarsches ging alles gut. Die Männer des Hauses standen bereit, wasserverlangenden Russen dasselbe zu reichen. Als es dunkelte, verhielten wir uns ruhig und still. Familie Hampe ging nach Steinsdorf schlafen. Frau Baum geb. Schiller und ich versteckten uns auf den Boden. Von da beobachteten wir.

Sehr viele Russen gingen zu Rotsch, welche hinter Schillers Haus ihr Häuschen hatten, sogar ein Reiter. Bei Kühnel Bauer brannten sämtliche elektrischen Birnen, und Gejohle und Geschrei drang bis zu uns herauf. Auch in den anderen Häusern geisterten Lichter durch das ganze Haus, und manchmal war ein Gepolter, als ob Möbel umgeworfen würden. Hilfsschreie von Frauen und Mädchen, Kinderweinen hörten wir, und immerzu wurde geschossen. Wir zitterten bis ins Herz hinein. Ob auch die Russen hier hereinkommen? Der Gedanke daran ließ uns erschauern, und immer wieder schrie jemand um Hilfe, und keiner konnte diesen armen Menschen helfen. Als Mitternacht vorüber war und der Durchmarsch beendet, schlichen wir uns nach unten. Ich mußte Gewißheit haben, ob meine Eltern in Gefahr waren. Die Kinder schliefen, alles war still. Da schlug ein Gewehrkolben an die Tür. Wir hörten russische Laute. Entsetzt eilten wir nach oben. Doch hatte ich keine Ruh und schlich bald nach unten. Nichts rührte sich. Mein Vater murmelte immer wieder: „Das ist die Blutnacht von Königswald.” Es war schrecklich. Meine Mutter und ich beteten zu Gott um Hilfe. So graute der Morgen. Allmählich wurde es draußen still.

Als wir mit Nachbarn zusammenkamen, erzählte Frau Rost, sie war mit ihrer 15jährigen Tochter aus dem Fenster gesprungen, um so den Russen zu entgehen. Bei Kessler Bäcker waren Scheiben eingeschlagen und die Wohnung verwüstet. In Lehrer Pauls Haus hatte man sämtliche Flüchtlingsfrauen vergewaltigt. Vom Walter Bauer schleppten viele Leute Kisten. Sie lagerten in der Scheune. Auch ich ging und holte mir zwei, das wimmelte nur so von Menschen. Auch Russen kamen und holten welche, doch halfen sie auch alten Leuten solche wegtragen. Es war Schweinefleisch in kleinen Dosen, das uns noch sehr nützen sollte. Manche ergatterten 8 bis 10 solcher Kisten und schleppten sie auf einem Wagen weg. Nachmittag gab uns Noak Bretter, und wir schufen einen Versteck ganz unter dem Dach. Dahin brachten Kesslers ihre geretteten Betten, und alle Frauen und Mädchen aus der näheren Nachbarschaft schliefen fortan dort oben. Die dazu benötigte Leiter wurde mit hinaufgezogen, und keiner fand uns.

So lebten wir 14 Tage. Nur die zweite Nacht ging ich zu meinem Bruder nach Steinsdorf schlafen, denn ich redete fortwährend laut und gestikulierte dauernd mit den Händen herum. Unterdessen räumten Polen meinen Kleiderschrank aus. Meiner Mutter drohten sie mit einem langen Messer. Sie mußte sich ganz ruhig verhalten. Die übrige Wäsche verstaute ich nun in einer Kiste im Schuppen. Auch sämtliche Fahrräder und Handwagen waren aus der Scheune gestohlen worden. Wir getrauten uns nicht auf die Straße. Nur an dem Apfelbaum, der zum Küchenfenster hereinwinkte, merkten wir, daß es draußen schön sein mußte, er blühte wie noch nie zuvor, doch mir war


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jegliches Gefühl dafür abhanden gekommen. Oftmals wurden Herden von Rindern oder Pferden auf der Straße von den Russen getrieben.

Nach 14 Tagen besetzten die Tschechen alle Ämter. „Jede nicht bewohnte Wohnung wird beschlagnahmt”, hieß es. So machte ich mich auf, weil auch die Straßen nicht mehr so vollgestopft waren, in der meinen nach dem Rechten zu sehen. Bei Schellmanns lebten 8 Franzosen. Sonst keiner zu sehen. Meine Wohnung stand offen, doch vermißte ich nichts. Acht mir unbekannte Decken lagen im Schlafzimmer. Sie gehörten der NSV, wie sich herausstellte, und gab sie später an Sogasser, der 12 Stück an meine Flüchtlingsfrauen abgegeben hatte. Er war verzweifelt, denn er sollte alles abliefern, was er nun nicht konnte, denn auch andere Flüchtlingsfrauen nahmen welche mit. Sie waren im letzten Moment zum Ami gemacht.

Im folgenden schildert die Vfn. die Austreibung aus Riegersdorf nach Sachsen, Ende Juni 1945.