Nr. 13: Flucht der Vfn. vor den alliierten Bombenangriffen auf Brünn nach Wischau; ihre Erlebnisse in den Tagen vor und nach der Besetzung von Wischau durch sowjetische Truppen.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Erlebnisbericht der Stenotypistin Steffi Gritzmann aus Mährisch Ostrau.

Original, 17. Juli 1947, 20 Seiten, mschr. Teilabdruck.

Seitens meiner Firma (Fliegerhorstkommandanten) wurde ich am 11. April 1944 von Königgrätz nach Brünn abkommandiert. Dort verblieb ich bis Ende März 1945. Meine Mutter schrieb mir aus Mährisch Ostrau, wo ich zu Hause war, daß sie mich besuchen will, nachdem jetzt Mährisch Ostrau stark bombardiert wird und wer weiß, ob wir uns jemals wiedersehen werden. Sie kam bald darauf zu mir und wollte bei mir nur eine Woche bleiben. Als sie dann zurückfahren wollte, ging es nicht mehr, die Bahnstrecke wurde unterbrochen, ist zum Teil zerstört worden durch die Bombenflieger. In Brünn fing es auch schon an mit den Fliegerangriffen. Da blieb der Mutter nichts anderes übrig, als bei mir zu bleiben. Die Fliegerangriffe wurden immer stärker und stärker. Da wir nicht einen richtigen Bunker hatten, schliefen wir schon die Nächte durch im Keller. Kein Auge konnte in der Nacht geschlossen werden. Immerzu hörte man die Einschläge und die Tiefflieger. In der Nähe von unserer Wohnung war der Fliegerhorst, und da war unser Haus der Gefahr ausgesetzt, einen Treffer zu bekommen.

Zufällig kam eines Tages der Sohn von meiner Hausfrau mit einem Militär-Lastauto zu Besuch. Er hatte den Befehl, mit dem Auto nach Wischau zu fahren. Dies war ca. 25 km von Brünn entfernt. Er sah die Gefahr, in der wir schwebten und riet uns zu, mit ihm nach Wischau zu fahren. Wir haben uns nur die notwendigsten Sachen mitgenommen, da wir annahmen, daß es nicht lange dauern wird und wir wieder zurückkommen werden. Die Fahrt ist geglückt, ohne welche Hindernisse zu haben. In Wischau angekommen, übernachteten wir bei einer tschechischen Familie, die mit meiner Hausfrau sehr gut bekannt war. Bei dieser verblieben wir zwei Nächte. Daraufhin bekamen wir eine Wohnung vom Wohnungsamt zugeteilt, und zwar ebenfalls zu einer tschechischen Familie. Es waren dies ältere Eheleute, die hatten zwei Söhne. Der Vater dieser Söhne war vollständig blind. Zuerst war die Familie sehr unfreundlich zu uns, denn sie wollten niemanden aufnehmen. Nachdem wir es aber amtlich bestätigt gehabt hatten, so mußten sie uns die Wohnung überlassen, und zwar bestehend aus l Küche und l Zimmer. Meine Hausfrau ist mit ihren Angehörigen weitergefahren. Sie flohen vor Furcht vor den Russen. Meine Mutter drängte auch auf Weiterfahrt, aber ich war nicht dazu zu bewegen, da ich mir sagte, daß dies gar keinen Sinn mehr hat, da oder weiter werden uns sowieso die Russen mit ihrem Vormarsch überrumpeln, und vielleicht kann es für uns wo anders viel ärger ausfallen. Wir hatten außerdem noch einen kleinen Hund mit (Zwergrasse), namens Scholi. Also waren wir zu dritt an der Zahl und überließen alles dem Schicksal. So blieben wir da bis zum Einmarsch der Russen.


50

Auch in Wischau fing es an zu prasseln und zu knattern, Bomben sind ziellos geflogen, kein Alarm konnte gegeben werden, da die Front schon sehr nahe war. Die deutschen Truppen wußten gar nicht mehr, wo sich der Russe aufhält, denn die tschechischen Partisanen hatten die Telefonleitungen der Deutschen durchgeschnitten und so dem Feind zum Vormarsch geholfen. Die Familie, bei der wir wohnten, hatte einen sehr guten Luftschutzkeller, sah wie eine Grotte aus, so daß es darin nicht gefährlich war. In diesem Luftschutzkeller mußten wir Tage und Nächte verbringen, ohne auf die Straße zu kommen, da ständig bombardiert wurde. Die letzten zwei Nächte, das war zwischen dem 28. April und 30. April 1945, waren am schrecklichsten. Am 28. 4. 1945 fiel eine Bombe in unseren Hof und zerschmetterte den ganzen Kaninchen- und Hühnerstall, und von der Küche fiel das Dach herunter. Das war ein gewaltiger Krach. Wir dachten, wir kämen aus dem Keller nicht mehr heraus, da der Eingang bestimmt verschüttet sein wird. Als es dann etwas ruhiger wurde, versuchten wir herauszukriechen, um nachzusehen, was geschehen sei. Als wir oben waren, hatten wir zunächst den Eindruck, daß das ganze Haus eingestürzt ist. Aber dann sahen wir, daß nur die Küche einen Schaden erlitten hat. Wir wollten aber dann nicht mehr im Keller bleiben, und wir flüchteten in das nahegelegene Krankenhaus, in welchem wir, nachdem kein anderer Platz frei war, im Badezimmer vorläufig Schutz genommen hatten. Die Kranken waren alle in den Kellerräumen untergebracht, die Krankenzimmer in den oberen Stockwerken waren alle leer. Die Front war schon ganz nahe herangerückt; ich wußte schon, daß wir den Krieg nicht mehr gewonnen hatten und riet jedem deutschen Soldaten zu, er solle nicht mehr kämpfen, da es sinnlos ist. Manche hielten es für ratsam, sich zu verstecken, manche aber gingen nach vorne. Die russische Artillerie schoß auf das Krankenhaus, da von diesem aus deutsche Soldaten aus den Fenstern mit MG-Geschützen schossen. Meiner Ansicht nach war es nicht am Platze, von einem Krankenhaus zu schießen und eine Festung daraus zu machen. Das ist dann selbstverständlich, daß der Feind zurückschießen muß, und so war das Krankenhaus gefährdet. Da aber später die deutschen Soldaten gesehen haben, es bestehe keine Aussicht weiterzukämpfen, flüchteten welche aus dem Krankenhaus und liefen zurück.

Zirka 5 Minuten nach dieser Flucht hörte ich im Hause dunkle, wilde Männerstimmen durcheinanderschreien und schaute aus dem Fenster hinaus, und da sah ich den ersten russischen Soldaten, der mit wilden Augen und mit vorgehobenem Gewehr überall Ausschau hielt. Bald darauf kamen weitere russische Soldaten. Das waren lauter Mongolen mit schief geschlitzten Augen und wulstigen Lippen. Wie ich das sah, pochte mir das Herz vor Angst. Dann kamen noch immer mehr Russen, gingen von einem Raum zum ändern, durchstöberten alles und wo was zu klauen war, da klauten sie. Die Kanonenschüsse haben nachgelassen, nur Revolverschüsse hörte man noch von allen Richtungen. Auch zu uns kamen Russen, sie schauten uns an und glaubten, wir seien Kranke. Deshalb hatten sie uns nichts getan. Im Gegenteil reichten sie uns die Hände und grüßten mit den russischen Worten „Zdrazd”1. Die zwei Söhne der Hausfrau, bei der wir


51

gewohnt haben, gingen hinaus, um Ausschau zu halten, was da eigentlich los ist. Als sie zurückkamen, berichteten sie, es solle draußen fürchterlich zugehen, man habe ihnen die Uhren abgenommen und in der Wohnung soll es wüst aussehen. Außerdem fragen sie nach deutschen Frauen. Ich zitterte vor lauter Angst, daß mich die tschechische Familie verraten wird. Aber es geschah nichts dergleichen. Wir einigten uns später, daß wir vorläufig nicht hinausgehen werden, bis es ein bißchen stiller wird. Nach einer geraumen Weile kam zu uns ein russischer Offizier, gab sich mit uns ins Gespräch, und da ich gut Tschechisch konnte, verstand ich manches, was er erzählte. Er zeigte uns vor allem Fotos von sich und seinen Angehörigen. Er erzählte, er käme direkt aus Wien, er sei Kompanieführer; Wien sei schon in russischer Hand. Außerdem zeigte er mir ein deutsches Bajonett mit der Aufschrift „Alles für Deutschland”, welches er an sich genommen hat, als er den deutschen Offizier erschossen hat. So ist es jedem deutschen Soldaten ergangen, der in die Klauen der Russen kam. Er zeigte auch mitunter, er habe sehr viel Zigaretten, Revolver von deutschen Soldaten abgenommen, welche er erschossen und welche schon tot waren; er hatte auch Schnaps, und so rühmte er sich, daß es ihm doch gut ginge, er habe doch alles. Ich aber dachte mir meines. Schließlich hat er [es] auf mich abgesehen gehabt, ließ mich nicht aus den Augen und meinte, ich solle mit ihm hinausgehen, er wolle mir im obersten Stockwerk tote deutsche Soldaten zeigen, die sie erschossen haben. Ich dachte, er meinte es ernst, aber man deutete mir an, daß er auf etwas ausgehen will. So weigerte ich mich. Meine Mutter bat auch ihn, er solle von mir ablassen, ich sei krank. Er ließ sich nicht so leicht abschütteln. Aber schließlich kam mir meine Hausfrau zu Hilfe, indem sie mir sagte, ich solle ihren Mann, da er doch blind war, nach Hause führen; so gingen wir alle mit. Ich war froh über diese Wendung und habe ihrer Bitte natürlich gleich Folge geleistet. Beim Vorübergehen an dem russischen Offizier zupfte mich dieser an meinem Rockzipfel und zeigte mir mit der Hand, ich solle mit ihm gehen. Ich sagte ihm, daß es doch nicht ginge, er sehe doch, ich muß den alten Mann nach Hause führen. So ist es mir gelungen, ihm zu entschlüpfen. Von anderen habe ich gehört, daß er mich später noch überall gesucht habe. In der Wohnung angekommen, hatte diese furchtbar ausgesehen. Alles durcheinander, vieles weggestohlen, meine Papiere waren alle zerrissen, welche ich am Tisch liegen hatte.

Dann gingen wir in den Luftschutzkeller und stellten fest, daß auch da die Russen waren, hatten alles durchgewühlt. Aber das erste war, daß uns der Hund entgegengelaufen kam in aller Frische. Ich freute mich, daß er noch lebte, denn ins Krankenhaus konnten wir ihn nicht mitnehmen. Wo wir hinsahen, war überall Grauen zu sehen. Wir brauchten zwar nicht mehr im Luftschutzkeller schlafen, sondern in unserer Wohnung mit der ganzen Familie, da sie ihre Zimmer an russische Soldaten abgeben mußte. Da wenig Platz war, schlief ich in einer Wiege; und nachts, da pochten die Russen an der Tür und an den Fenstern und wollten Einlaß. Die russischen Offiziere, die nebenan bei uns wohnten, verjagten diese. Bei Tag war es noch viel schlimmer, da gingen die Russen ein und aus; ich habe mich von diesen ferngehalten, offen gesagt, sie ekelten mich an, und hatte große Furcht. Ich sah, wie viele mit gierigen Augen nach mir blickten, wie Tiere kamen


52

sie mir vor. Ich war ständig in der Wohnung und ließ mich gar nicht blicken.

Als unsere russischen Offiziere wegzogen, kamen gleich danach andere ältere Soldaten in die Wohnung und schliefen dort. Diese waren auch anständig, sie verlangten, daß ich ihnen Kuchen backen solle, stellten natürlich Mehl und alles zur Verfügung. Ich habe es auch getan und hatten Freude darüber. So ging es eine Woche hin und her mit der Besatzung. Dann war es ziemlich still.

Anschließend schildert die Vfn. ihre Internierung durch die Tschechen, die Lebensverhältnisse im Internierungslager und ihre Erlebnisse nach der Freilassung bis zur Ausweisung im Juni 19461 .