Nr. 15: Verhandlungen tschechischer Bevollmächtigter der Kaschauer Regierung mit den deutschen Behörden von Trautenau über die Übergabe der Verwaltung in tschechische Hände vor dem Einmarsch der Roten Armee.

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Bericht des Wirtschaftsprüfers Dr. D. R. aus Trautenau.

Original, 24. Februar 1953, 8 Seiten (Din A 5), hschr.

Ich war von 1944 bis Mai 1945 zur Notdienstleistung dem Landrate in Trautenau zugeteilt und wurde als ehemaliger Offizier und Akademiker mit juristischer Vorbildung beim Leiter der Gendarmerieabteilung als Referent und Sachbearbeiter des Luftschutzes verwendet.

In dieser Eigenschaft bekam ich Einblick in die Verhandlungen, welche zwischen dem Landrat und seinen Beratern und den Abgesandten der


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tschechischen Revolutions-Regierung in Kaschau Anfang Mai 1945 geführt wurden.

Zum besseren Verständnis der damaligen Situation möchte ich bemerken, daß bereits seit längerer Zeit Unstimmigkeiten zwischen den militärischen und zivilen Befehlsstellen offenbar wurden. Nur der immer stärker werdende Druck der vorgesetzten Dienststellen verhinderte einen offenen Widerstand. Insgeheim war es allen verantwortungsbewußten Dienststellenleitern klar geworden, daß der Zusammenbruch nicht mehr aufzuhalten ist und es nur kurze Zeit noch dauern kann. Aber kein Funktionär konnte es wagen, irgendwelche Maßnahmen zur Abwendung von Katastrophen vorzubereiten.

Für uns bedeutete es eine wirkliche Erlösung von einem auf uns lastenden unerträglichen Druck, als am ersten Montag im Mai 1945 Landrat und Bürgermeister die Bevölkerung von Trautenau in einer öffentlichen Kundgebung am Marktplatze von den inzwischen eingetretenen Ereignissen in Kenntnis setzten und öffentlich empfahlen, Frauen und Kinder sowie alte und kranke Leute in westlicher Richtung in Marsch zu setzen. Zweifellos erfolgte dieses erste öffentliche Eingeständnis der Aussichtslosigkeit weiteren Widerstandes zumindest auf höhere Weisung, obwohl feierlich erklärt wurde, daß der militärische Widerstand fortgesetzt wird.

Kurz darauf erschienen Abgesandte der tschechischen Revolutions-Regierung mit Vollmachten aus Prag zu dem Zwecke, zunächst durch Verhandlungen mit den örtlichen Zivilbehörden die militärische und zivile Macht auf Basis des freiwilligen Verzichtes der bisherigen Dienstleiter zu erreichen. Letztere verlangten natürlich Garantien für den Schutz und das Eigentum der Bevölkerung und der lebenswichtigen öffentlichen Einrichtungen. Die Abgesandten erwiesen sich als sehr gut informiert über die wirkliche Lage und waren lediglich bereit, im Falle einer freiwilligen Amtsübergabe für eine ungestörte Fortführung der Amtsgeschäfte unter tschechischer Leitung sorgen zu wollen. Gleichzeitig erklärten sie aber, daß nur unter dieser Voraussetzung die Besetzung der Stadt durch die Russen vermieden werden könnte. Die Verantwortlichen waren natürlich bemüht, von den vorgesetzten Dienststellen strikte Weisungen zu erlangen, aber weder telefonische Anrufe in Reichenberg, Aussig noch in Prag vermochten die Lage zu klären. Die militärischen örtlichen Kommandostellen versuchten diese Verhandlungen zu stören. Als aber zwei Tage später das Militär ohne Hinterlassung von Sicherungstruppen zum Schütze der Stadt abgezogen war, wußten dies auch bereits die tschechischen Abgeordneten und veränderten sofort ihre Taktik, indem sie mit Drohungen unternahmen, den Verzicht und die Übergabe zu erzwingen.

In dieser aussichtslosen Lage mußte sich die Zivilverwaltung auf eigene Verantwortung zum Handeln entschließen. Die reichsdeutschen Funktionäre, mit Ausnahme einiger weniger Funktionäre, verließen in den zeitigen Morgenstunden des auf den Abzug des Militärs folgenden Tages die Stadt. Am selben Tage nachmittags traf unter Führung eines Majors der tschechischen Armee eine Übernahmekommission ein und nahm von der Stadt und dem Bezirk Besitz.


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Es wurde ein tschechisch-deutsches Zirkular verfaßt und am Stadtplatz unter Hissung der tschechischen Fahnen und Absingung der tschechischen Staatshymne die Besitzergreifung öffentlich verkündet1.

Diese Ankündigung und die nächsten Amtshandlungen ließen aber sofort erkennen, daß von dem versprochenen Schutz der deutschen Zivilbevölkerung und deutschen Eigentums keine Rede sein konnte. Tschechisches Militär kam erst viel später, nachdem die Russen die Stadt und den Bezirk bereits wieder verlassen hatten. Es waren das die berüchtigten SNB-Verbände, die das deutsche Volk systematisch ausraubten und die Austreibung durch viele Monate mit Waffengewalt fortsetzten.

Als am 9. Mai die Russen in die Stadt einrückten, fehlte nicht nur die erwartete Intervention der Tschechen, um die Russen an den gefürchteten Gewalttaten zu hindern. Sowohl die Russen als auch die mit ihnen eindringenden polnischen und anderen Plünderer drangen rücksichtslos in die deutschen Wohnungen ein, raubten und plünderten auch viele Geschäfte und schreckten nicht zurück, wehrlose Frauen zu schänden und deutsche Bewohner rücksichtslos zu töten. Es ist sogar erwiesen, daß die Tschechen den Plünderern deutsche Wohnungen namhaft machten und sie dorthin führten und sie damit dem Verderben auslieferten.

Wenn die tschechischen Abgesandten bei Beginn der Verhandlungen noch darauf hingewiesen hatten, daß den Deutschen seinerzeit im Oktober 1913 bei der Besetzung sudetendeutscher Städte kein Leid zugefügt wurde und sie auch am Eigentum keinen Schaden erlitten, und wenn wir diesen Versprechungen auch jetzt geglaubt hatten, so sind wir einem Volksbetrug zum Opfer gefallen, wie er schlimmer nicht sein konnte. Leider waren die Tschechen viel besser orientiert über die Verhandlungen in Jalta und das Programm und die Absichten der tschechischen Revolutions-Regierung als wir selbst. Die Austreibung der Deutschen war schon viel früher beschlossen worden2.

Jetzt war auch uns, die wir zum Teil bei den Verhandlungen anwesend waren, klar geworden, warum die Tschechen jeder klaren Formulierung des Übergabeabkommens ausgewichen waren3.


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