Nr. 20: Bemühungen der deutschen Behörden von Karlsbad, eine kampflose Besetzung der Stadt durch amerikanische Truppen zu erreichen.

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Erlebnisbericht des ehemaligen Beigeordneten Karl L. Lippert aus Karlsbad.

Original, ohne Datum, 2 Seiten, mschr.

Bereits um den 20. April 1945 herum hatte Kreisleiter Tschörner zu mir geäußert, daß ja jetzt alles keinen Sinn mehr habe und man irgendwie Fühlung mit den von Westen her vorrückenden Amerikanern nehmen müßte. In den letzten Apriltagen, nach dem letzten großen Bombenangriff auf den Oberen Bahnhof, fragte er mich in Gegenwart des Standortältesten General Stimmel ganz offiziell, ob ich es wagen würde, zu den inzwischen in Elbogen eingetroffenen Amerikanern zu fahren. Wenn ich mitmachte, so wäre Herr Generaldirektor Meisel bereit, mitzufahren. — Herr Meisel war bekanntlich vor dem Kriege belgischer Konsul in Karlsbad, was die Aufgabe, glaubte man, etwas erleichtern würde. — Ich sagte zu, und wir vereinbarten, den genauen Tag festzusetzen, sobald der Kreisleiter die Lage für reif hielt. Am Mittwoch, den 2. Mai 1945, war es so weit.

Wir fuhren mit dem städtischen Mercedes 170V, auf dem wir eine weiße Serviette gehißt hatten, um 9 Uhr früh von Karlsbad weg. Außer Herrn Meisel und mir war nur noch der städtische Fahrer, ich glaube Schmidt


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hieß er, mit. Bis nach Horn begegneten wir noch hie und da deutschen Truppenteilen und einzelnen Soldaten; amerikanische Tiefflieger kreuzten über uns. Die deutschen Zivilisten, die wir sahen, machten einen niedergeschlagenen Eindruck. Einzelne winkten uns zu.

Gerade vor der letzten großen Kehre der Elbogener Serpentine kam uns der erste amerikanische Panzer entgegen, der anhielt und seine Kanone ausschwenkte. Ich stieg aus und fragte den Soldaten, der dem Turm entstieg, wo ich in Elbogen das Kommando treffen könne. Er wies mich an den CIC1, bei dem ich zuerst vorsprechen müsse. Wir fuhren weiter, fragten am Ortseingang nochmals und wurden zum Bahnhofsgebäude verwiesen. Dort war tatsächlich der CIC untergebracht. Als ich eintrat, kam mir ein Mann entgegen, der offensichtlich ein Emigrant aus Deutschland war. Er sprach mich deutsch an, wollte wissen, ob ich bei der Partei sei und anderes mehr. Ich antwortete auf englisch, damit die anwesenden Amerikaner alles verstehen konnten, daß ich nicht gekommen sei, mich mit ihm über Politik zu unterhalten. Ich käme in militärischen Angelegenheiten und müßte den Kommandierenden General sprechen. Nach einigem Hin und Her konnte ich zum Komando der amerikanischen Besatzungstruppen im „Weißen Roß” in Elbogen weiterfahren. Dort angekommen, ersuchte mich Herr Meisel, weiterhin als Sprecher aufzutreten. Wir wurden in Gegenwart mehrerer Offiziere von einem Major der Kavallerie empfangen, der mir nach einigen einleitenden Worten sagte, daß sich der kommandierende General in Eger befinde. Man werde ihn anrufen, und wir sollten uns solange gedulden. Wir setzten uns wieder in unseren Wagen und warteten ca. zwei Stunden vor dem „Weißen Roß”. Schließlich kam ein Wagen mit mehreren höheren Offizieren an, und wir wurden gerufen.

Der General begrüßte uns freundlicher, als das damals bei den Amerikanern üblich war und fragte nach unserem Begehr. Ich stellte mich als Beauftragter des Kreisleiters, des Standortältesten und der Stadt Karlsbad vor, der gekommen sei, erstens um die Behandlung Karlsbads als offene und Lazarettstadt zu bitten; die Tausende von Verwundeten der Wehrmacht und Kranken der hierher verlagerten Berliner Krankenhäuser rechtfertigten diese Bitte vollauf. Vor allem bat ich um Einstellung der Luftangriffe, welche sich bei dieser Zusamenballung von hilflosen Menschen verheerend auswirken mußten. Zweitens fragte ich, ob und wann wir mit einer Besetzung Karlsbads durch die Amerikaner rechnen müßten.

Der General fragte mich, ob ich mein Ehrenwort geben könne, daß Karlsbad nicht verteidigt würde. Ich antwortete, daß mir dies nicht möglich sei, weil ich diese Frage ja nicht entscheiden könne. Ich könne jedoch auf Ehrenwort erklären, daß mir der Kreisleiter versichert habe, eine Verteidigung komme nicht in Frage und es seien auch keine Vorbereitungen für eine solche getroffen.

Der Amerikaner erklärte mir, daß er Karlsbad von früher her kenne und es bedauern würde, wenn die Stadt zerstört würde. Auf Grund meiner Versicherungen wolle er sein Bestes tun, um die Stadt zu schonen. Die Luftangriffe würden eingestellt. Die zweite Frage betreffend, so würde er


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gern nach Karlsbad kommen. Diese Angelegenheit würde jedoch noch höheren Orts (higher headquarters) entschieden. Er hoffe zuversichtlich, daß er kommen könne.

Herr Meisel, den der General offensichtlich als belgischen Konsul respektierte, bestätigte meine Ausführungen. Die Unterredung dauerte eine knappe Stunde. Sodann bekam ich einen von dem Kavallerie-Major ausgestellten Passierschein, der mich berechtigte, jederzeit die amerikanischen Linien zu überschreiten.

Wieder in Karlsbad angekommen, berichtete ich dem Kreisleiter in obigem Sinne. Er erwähnte dann abends im Drahtfunk das Ergebnis unserer Verhandlungen und fügte hinzu, daß „wahrscheinlich in den nächsten Tagen die Amerikaner Karlsbad besetzen” würden.

Am nächsten Tag erfuhr ich durch General Stimmel, daß inzwischen die Wehrmacht Verbindung mit einer amerikanischen Stelle im Raum von Johanngeorgenstadt aufgenommen habe, die gleichfalls die wahrscheinliche Besetzung für die nächsten Tage ankündigte. Trotzdem kamen die Amerikaner nicht, abgesehen von einzelnen Jeeps, die die Stadt durchführen. Wie wir heute wissen, war höheren Orts eine Demarkationslinie vereinbart worden, welche Karlsbad den Russen überließ1.

Meine Mission war insofern erfolgreich, als tatsächlich die amerikanischen Luftangriffe, auch Tieffliegerangriffe, auf Karlsbad sofort aufhörten. Auch sonstige kriegerische Handlungen wurden nicht mehr vorgenommen, und Tausende deutscher Soldaten kamen über das „Loch im Westen” zwischen Meierhöfen und Horn in amerikanische statt russische Gefangenschaft. Ich war tags darauf nochmals mit meinem Wagen bis in Horn. Die große Kaiserstraße war mit deutschen Wehrmachtsfahrzeugen so verstopft, daß man kaum vorwärts konnte. Alle umliegenden Wiesen lagen voll deutscher Waffen und Munition. Es war ein trostloser Anblick. Innerhalb 24 Stunden war der Zusammenbruch vollständig geworden.

Tief beeindruckt hatte mich in Elbogen eine Bemerkung des uns zuerst begegnenden Kavallerie-Majors, daß die Amerikaner eine tschechische Kommission bei sich hätten, welche bei allen Fragen, das Sudetenland betreffend, gefragt wurde. Eger kannten sie als „Cheb” usw.

Der Marktplatz in Elbogen war voll von deutschen Zivilisten, welche aus ihren Häusern geworfen worden waren, da man ihre Wohnungen für die Amerikaner beschlagnahmt hatte. Deutsche Kinder standen herum und schauten mit hungrigen Augen auf das Weißbrot, welches in Unmengen vorbeigetragen wurde. Überall ein Bild des Überflusses, welches sich von unserer Notlage umso krasser abhob. Herr Meisel hatte wohl recht, als er sagte: „Mit Amerika fängt man sich keinen Krieg an!"2


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