Nr. 34: Internierung von Deutschen der Wischauer Sprachinsel; Lebensverhältnisse im Internierungslager; Erlebnisse der Vfn. in Mährisch Ostrau nach ihrer Freilassung.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Erlebnisbericht der Steffi Gritzmann aus Mährisch Ostrau.

Original, 17. Juli 1947, 20 Seiten, mschr. Teilabdruck.

Nach der Schilderung ihrer Erlebnisse bei der Besetzung von Wischau durch die sowjetischen Truppen am 1. Mai 19451 fährt die Vfn. fort:

So vergingen nach dem 1. Mai 1945 (Befreiung) vierzehn Tage. Gleich darauf wurden am Rathaus Kundmachungen angeschlagen, daß sämtliche Deutschen sich binnen 24 Stunden im Rathaus melden sollen. So ging ich ordnungshalber auch hin. Dort angekommen, verlangte man von mir alle Daten, bekam dann eine gelbe Binde auf den linken Arm mit der Aufschrift „Deutsche” und habe warten müssen, bis wir alle Deutschen beisammen waren. Dann gingen wir in Reih und Glied in ein altes Gebäude, das früher ein Schloß war. Dieses Gebäude war als Schulgebäude eingerichtet. Man sagte uns, wir werden dort nur 3 Tage und 3 Nächte bleiben. Wir konnten uns noch eine Decke von zu Hause nehmen. Als ich zu Hause um die Decke war, sagte ich der Mutter, daß ich wiederkommen werde in 3 Tagen, sie brauche sich vorläufig nicht melden. So ging ich mit dem gelben Streifen am Arm wieder zurück ins Lager unter Aufsicht. Dort waren schon Betten aufgestellt. In den oberen Stockwerken lagen nur Strohsäcke am Boden. Aber von den 3 Tagen sind 9 Monate geworden.

Die Mutter kam dann in zwei Tagen nach. Es kamen immer mehr und mehr Deutsche auf Lastwägen von der deutschen Siedlung, lauter Bauern und Bäuerinnen, welche ihr Haus und Hof haben stehenlassen müssen. Das war ein Weinen und ein Klagen, das durch Mark und Bein ging. Dann kamen die Nächte, und die waren die schrecklichsten vom ganzen Lagerleben. Nämlich die tschechische Zivilwache, welche eingesetzt war, uns zu bewachen, hat sich von russischen Soldaten bestechen lassen mit Schnaps, Zigaretten, Speck u. dgl. und ließen alle russischen Soldaten in dieses Lager


198

hinein. Diese suchten junge Mädchen. Das war furchtbar. Es war ein Gejage und ein Hetzen von einem Zimmer ins andere. Ich hatte insofern Glück, von keiner dieser Bestien erwischt zu werden, indem ich mich ständig versteckt hielt, und zwar teils in den Schränken, ganz zusammengekauert, teils unter der Steppdecke, wo meine Mutter lag, und teils unter dem Strohsack, und zwar so, daß ich am blanken Boden angezogen gelegen bin und der Strohsack über mich gelegt wurde, auf welchem meine Mutter lag. Diese hat sich, um mich zu schützen, ganz entstellt, indem sie ihre Brille aufsetzte, ihr Gebiß herausnahm und ihren Kopf mit einem schwarzen Wolltuch einhüllte, so daß sie abscheulich aussah. Die Russen, welche sie sahen, liefen davon mit der Bemerkung „Stará baba”, d. h. altes Weib; von der wollten sie nichts wissen. Ich aber schwitzte vor Angst und Hitze. Einerseits durfte in der Stube niemand wissen, wo jede versteckt ist, denn die Mädchen oder Frauen haben die eine oder die andere verraten, um sich z« schützen. Ich hörte die Vergewaltigungen in den einzelnen Räumen, Frauen schrieen, Kinder weinten um ihre Mütter, das war furchtbar anzuhören. So ging es fortlaufend 14 Tage durch, von 9 Uhr abends bis 3 Uhr früh, ohne ein Auge zu schließen und ohne sich auszuziehen. In anderen Räumen, in welchen man die Mädchen vergewaltigte, fand man die Strohsäcke mit Blut verschmiert, als Zeichen nach vergangener Brutalität. Wenn keine Mädchen zu finden waren, da sich alle versteckten, so gingen sie auf die älteren Frauen; besonders wenn sie angeheitert waren, da waren sie grob und rücksichtslos, also ganze Bestien.

Nach Ablauf von 14 Tagen wurde die tschechische Gendarmerie eingesetzt, welche Ordnung schaffte und keinen einzigen Russen hereinließ. Man hörte die erste Zeit noch unten vor dem Tor Schüsse, die aber nach und nach ausblieben. Ich will noch bemerken, daß außer den furchtbaren Nächten wir über den Tag schwer arbeiten mußten, wie die Sklaven. Wir mußten den Tschechen die Straßen kehren, Schutt abladen u. dgl. Dabei \vurde man von allen Seiten beschimpft, bespottet und ausgelacht. Die täglichen Schimpfworte lauteten wie „deutsche Schweine”, „Huren” usw. Was war das für eine Schmach! Die gelben Binden mußten wir stets sichtbar tragen, besonders bei der Arbeit wurde streng darauf geachtet. Zum Essen bekamen wir sehr wenig, wie zum Frühstück schwarzen Kaffee und ein ganz kleines Stückchen Brot, zum Mittagessen anfangs war nur Suppe, später Rüben mit Kartoffeln, aber ganz wenig, abends nur wieder schwarzen bitteren Kaffee und ganz kleines Stückchen Brot.

Die Tschechen sagten uns stets, sie haben in den Konzentrationslagern mehr mitmachen müssen, bekamen Prügel von allen Seiten und wenig zu essen und mußten außerdem noch sehr schwer arbeiten. Wir sollen auch spüren, wie das wohl tut. Meiner Ansicht nach konnten wir doch nichts dafür; das sollten sie mit denen ausmachen, die dabei waren. Ich habe damals von einem Konzentrationslager überhaupt keine Ahnung gehabt.

Weckruf war um 1/2 6 Uhr, und um 6 Uhr war Antreten zur Arbeit. Wir mußten stramm in den Reihen stehen zu dritt und wehe, wenn man nicht zu dritt stand, dann gab es gleich eine Ohrfeige und die gröbsten Beschimpfungen. Krank durfte niemand sein. Die erste Zeit jagten sie die Leute auch im Fieber zur Arbeit, bis sie zusammenbrachen. Später war nur


199

der krank, der Fieber hatte. Alle anderen mußten zur Arbeit. Zur Verteilung der Arbeit kam es so, daß vor dem Zaun schon die Tschechen standen und Arbeitskräfte verlangten. Manche kamen aufs Feld, manche in Privathäuser zum Gründlichmachen der Wohnungen, manche zu den Maurern zum Kalkrühren, Ziegelschleppen und Mörtelmachen. Dafür bekamen wir nichts gezahlt, nur ganz wenig zum Essen, das war die ganze Entlohnung. Hierdurch wurden wir sehr geschwächt. Kein Arzt war zu sehen in dem Lager. Hie und da starben Leute. Diese wurden nicht am Friedhof begraben, sondern irgendwo draußen im Freien verscharrt. Kein Sarg, sondern nackt wurde er in die Erde vergraben.

Ich bin einmal bei den Maurerarbeiten vor Schwäche zusammengebrochen. Angeblich führte man mich auf einem Wägelchen ins Lager. Erst im Lager kam ich zum Bewußtsein. Seit dieser Zeit gab mich der Lagerverwalter, der an und für sich sehr grob war, zu den Russen arbeiten. Ich kam in die Offiziersabteilung. Zu den russischen Soldaten wurden nur im ganzen 10—14 Frauen bestimmt, die täglich zu diesen arbeiten gingen. Das Arbeiten bei denen war viel besser, sie gaben wenigstens einem zu essen. Als ich da ankam, sagte mir der Offizier, erst essen und dann arbeiten. Ich bekam gleich in der Früh, als ich ankam, vollen Teller Fleischsuppe, die fett war, dazu viel Brot. Die nachherigen Speisen waren auch sehr ausgiebig und gut. Als das die anderen Frauen erfuhren im Lager, daß es doch bei den Russen besser zu arbeiten ist als bei den Tschechen, rissen sich viele darum. Aber der Verwalter setzte solche ein, welche er wollte. Vor allem anständige Frauen, die sich nicht mit den Russen einließen. Denn an und für sich war es bei der Mannschaft gefährlich. Man hat stets abweisend wirken müssen, sich überhaupt mit den Russen nicht einlassen. Dagegen die Offiziere hatten sich doch zurückhaltend benommen, bei denen ich beschäftigt war. Meine Arbeit bestand zunächst aus Zimmer aufräumen, dann in den Offiziersspeisesälen saubermachen, in der Küche ausgeholfen beim Kartoffelschälen, dann auch Waffen reinigen, Heuernte, Wäsche gewaschen, bügeln und die Wäsche ausgebessert. Dabei bekam ich immer gutes Essen. Ich fühlte mich schon kräftiger. Vier Monate dauerte die Arbeit bei den Russen. An und für sich haben die Russen verschwenderisch gelebt. Sie warfen viel Brot und auch so andere Speisen weg. Als ich das sah, habe ich das Brot gesammelt und zu den alten Leuten im Lager getragen. Die freuten sich unsagbar darüber, denn die hatten Hunger, da sie doch nichts bekamen so zu essen.

Solchen Frauen, die sich geweigert haben, bei den Russen zu arbeiten und nur zum Unterhalten hingingen oder außerhalb schwänzten, denen wurden die Haare gänzlich abgeschoren, wie es manchen im Lager passiert ist.

Am meisten haben die Männer viel ausgestanden, die wurden wie die Hunde geprügelt. Manche wurden im Lager so geprügelt, daß sie eine Woche lang arbeitsunfähig waren. Wieviele Männer haben vor meinen Augen von der Zivilwache oder vom Verwalter selbst Fußtritte und mit dem Gummiknüppel Schläge bekommen, daß sogar manchmal das Blut herausspritzte! Das war furchtbar anzusehen. Außerdem quälte man uns am Abend nach der Arbeit mit verschiedenen Kontrollen. Man ließ uns


200

unten im Hof anstellen, und oben in den Räumen wurde nach Nadeln, Scheren und Messer gesucht. Niemand durfte von diesen Gegenständen etwas bei sich haben. Ich hatte meine Schere im Ofen in der Asche versteckt gehabt, so daß niemand darauf kam. Einmal an einem Abend bei einer Kontrolle, bei der immer abgezählt wurde, ob alle da waren (dies wurde alltäglich gemacht), ging auch plötzlich die Tür auf, wir waren alle schon in den Nachthemden, da schrie meine Mutter auf, da kam der tschechische Aufseher auf sie zu und gab ihr eine Ohrfeige, so daß sie noch heute auf das eine Ohr schlecht hört. Er war nämlich besoffen. Sie taten mit uns, was sie wollten. Wie oft hörte man abends die Männer schreien; die suchten sich immer einzelne heraus, nahmen sie in eine Kammer und schlugen auf sie los. Schrecklich war das anzuhören.

Viele von unseren Frauen sind schwanger geworden durch die Russen, die anfangs ins Lager kamen. Die Kinder aber kamen alle tot zur Welt. Welch ein Glück für die Frau. Sogar hat eine im Lager gebären müssen, da man sie nicht früher weggeschafft hat. Auch dieses Kind war tot.

Da das Schloß, in dem wir gehaust haben, zu Schulzwecken verwendet hat werden müssen, wurde es geräumt, und wir kamen in ein nicht ganz vollendetes Haus, das „Rote Haus” genannt, welches damals hätte das „Deutsche Haus” sein sollen und infolge des Krieges nicht fertig geworden ist. So sind wir in die halbrohen Räume gekommen; keine Öfen waren darinnen, die Fenster waren nur mit Glaspapier angeschlagen. Im Winter war es furchtbar kalt. Wir mußten angezogen schlafen, denn man bekam nur eine dünne Decke zum Zudecken. Da schlief man zwar schon auf Luftschutzbetten aufeinander. Das war wenigstens schon ein Vorteil, daß man nicht mehr auf der Erde schlief. Die Männer haben das weitere an dem Hause beenden müssen. Das war jetzt das eigentliche Lager. Wir wurden mit Stacheldraht umzäunt und wurden wie die Kriegsgefangenen gehalten. Heraus durfte man nicht, nur zur Arbeit, und dies nur unter Aufsicht. Sonntags mußten wir manchmal auch arbeiten gehen. Die gelben Binden wurden dann abgeschafft, und wir bekamen ein „N" (d. h. tschechisch Němec, und auf deutsch heißt es Deutsche), und dieses „N" mußten wir auf der linken Seite groß angenäht tragen. Wer es nicht hatte, bekam Arrest oder Prügel oder hatte man schwere Arbeit verrichten müssen. Ich hätte mich zwar nicht schämen brauchen, das „N" zu tragen, aber wenn man so gekennzeichnet auf der Straße ging, da mußte man sich so manches gefallen lassen, wie grobe Beschimpfungen oder hatten die Kinder nach einem mit Steinen geworfen. So habe ich es meistens versteckt getragen.

Wenn mehrere gemeinsam zur Arbeit gingen, so ging man unter Aufsicht, welche die Zivilwache führte. Diese war stets mit langem geladenem Gewehr bewaffnet. Da ging einer vorne und einer rückwärts. Ich kam mir wie ein Schwerverbrecher vor. Wenn man zu Räumungsarbeiten herangezogen wurde, da wurden mehrere Zivilwachen aufgestellt, und diese standen hinter einem und jagten uns zur Arbeit, ohne ausschnaufen zu dürfen. Bevor ich zu den Russen auf Arbeit kam, wurde ich auch zur Feldarbeit herangezogen, und zwar zu Rüben jäten. Das war eine mühselige Arbeit, ellenlange Felder in der großen Hitze zu jäten; wir durften nicht einmal 2 Minuten uns aufrichten, da stand schon der Aufseher hinter einem


201

und meldete es sofort der Verwaltung, wer langsam gearbeitet hat. Man konnte manchmal nicht so schnell nachkommen, da man solche Arbeiten noch nicht gemacht hat und war auch körperlich nicht dazu eingestellt. Auf Tagesordnung war das Schimpfwort „deutsches Schwein, rühr dich”. Auf das hat man sich schon so gewöhnen müssen wie auf das tägliche Brot.

Die Vfn. schildert anschließend einige Erlebnisse mit russischen Soldaten und berichtet dann weiter:

Wie oft reichte ich Gesuche bei der Lagerverwaltung ein und bat um Entlassung. Denn ich wollte nach Hause nach Mähr. Ostrau, wollte wissen, was mit meiner Wohnung geschehen ist. Doch alles blieb erfolglos.

Erst als ich durch Anraten direkt zum Volksausschuß ging und danach fragte, wo meine Gesuche hingekommen sind, ob sie sie überhaupt erhalten haben, sagte dieser mir zu, ich solle nochmals ein Gesuch machen und direkt bringen. Ich tat, und dies war im Monat Dezember 1945. Und erst am 19. Januar 1946 bekam ich vom Verwalter die Nachricht, daß ich entlassen sei.

In der Zwischenzeit, also im September, kam ich von den Russen fort und kam zu einer Familie außerhalb Wischau zum Dienen. Dort mußte ich Fußböden reiben, Holz hacken, düngern, alles zusammen halt die ganzen häuslichen Arbeiten, da die Frau schon alt war und die Tochter nicht die Zeit hatte, zu Hause zu helfen, da sie angestellt war. Es war eine Professorsfamilie. Die Leute waren ganz nett, nur spürte man innerlich den Rassenhaß. Hie und da mußte ich mir so manches anhören. Dort blieb ich bis Mitte November. Es war im Feld und Garten nichts mehr zu tun, und da sie für mich viel Geld bezahlen mußten — ohne daß ich davon einen Pfennig bekam —, entließen sie mich. So kam ich wieder ins Lager, und zwar wieder zu den Russen. Diese zogen Anfang Dezember von der Tschechei aus1, so daß ich bei denen nicht mehr arbeiten brauchte. Aber da wurde ich wieder in die Schulen eingesetzt zum Fensterputzen und die Klassenräume in Ordnung zu bringen. Da in der einen Schule der Schuldiener mit mir zufrieden war, so behielt man mich dort, und da mußte ich vormittags die Klassenräume fegen und Staub wischen, und nachmittags mußte ich im Keller Koks kleinschlagen. Dort war es so kalt, daß ich den Hammer in der Hand nicht spürte und oft daneben schlug, so daß ich die Hände ganz zerschlagen hatte. War das aber furchtbar. Und das war meine letzte Arbeit in der Schule bis 18. 1. 46.

Am 19. 1. 46 rief mich der Verwalter aus den Reihen heraus und sagte mir, ich solle auf mein Zimmer gehen. Ich wußte aber noch nicht ganz, was geschehen wird, ich dachte, vielleicht komme ich wieder wo zum Dienen. Im Lager selbst waren nicht mehr viel Deutsche. Im ganzen mit Männer und Frauen 50. Denn die Männer wurden auswärts transportiert zu Bergbauarbeiten, egal, ob sie Familie hatten oder nicht, wurden einfach entrissen.

Ich will noch hinzufügen, daß ich inzwischen noch zu den tschechischen Soldaten in die Kaserne kam, bei denen ich auch schwer arbeiten mußte.


202

Dies war in der Zeit, als ich von der Familie, bei der ich diente, zurückkam. Der Weg bis zur Kaserne dauerte ca. l Stunde. Wir waren nur zwei Mädchen, die immer hinaus mußten. Wir wurden schon um 1/2 6 Uhr geweckt, bekamen eine kleine Tasse Kaffee und mußten eine Stunde lang im hohen Schnee marschieren. Ich hatte kein richtiges Schuhwerk, mit meinen Holzschuhen bin ich immer steckengeblieben. Dort haben wir sämtliche Büroräume reinigen müssen wie sämtliche Öfen ausputzen und Feuer machen, Kohle und Holz aus dem Keller schleppen. Um 7 Uhr mußten wir schon an Ort und Stelle sein und trachten, daß überall eingeheizt wird, damit die Herren Offiziere, wenn sie kommen, warm haben. Um 1/2 8 Uhr war Bürobeginn. Ich hatte 8 Räume in Ordnung zu bringen, und in allen mußte schon bis zu dieser Zeit eingeheizt sein. Diese habe ich täglich aufwaschen müssen, dazu kam noch das lange Vorhaus und die Toilettenanlagen. Wir bekamen dort nur das Mittagessen, sonst nichts. Ich habe viel gelitten, schon durch den weiten Anmarschweg im Winter, da ich mangels Bekleidungsstücken gefroren habe. Da ich es nicht aushallen konnte, ging ich zum Verwalter und zeigte ihm meine Schuhe, daß es weiter nicht ginge. Er war damit einverstanden, daß ich dablieb. So bekam ich dann die Schulen zu reinigen.

So vergingen Weihnachten, die an und für sich sehr traurig waren. Man bekam nur ein kleines Weihnachtsstriezel und Tee am Heiligen Abend. Über die Weihnachtsfeiertage gingen wir nicht zur Arbeit, da konnten wir uns so tüchtig ausruhen. Nur Hunger hatten wir stets. Neujahr verging auch still und traurig. Nach Neujahr wurden die restlichen deutschen Männer, die noch im Lager waren, zu Ausgrabungen von russischen Soldaten herangezogen. Die Leichen wurden nach Rußland abtransportiert. Die Leichen haben angeblich schon so nach Verwesung gerochen, und die Männer mußten diese Arbeiten verrichten. Die Frauen dagegen mußten, da die Männer nicht frei waren, am Bahnhof Kohle, Koks und Holz abladen in dem kalten Winter. Mich hatte der Verwalter von solchen Arbeiten verschont. Er wollte mich eigentlich im Büro haben, da ich perfekt Tschechisch konnte. Ich wollte aber davon nichts wissen, ich wollte nach Hause.

Endlich, am 19. Januar 1946, kam für mich der Tag in die Freiheit. Der Verwalter rief mich aus den Reihen heraus und befahl mir, aufs Zimmer zu gehen. Dort wartete ich mit Spannung aufs weitere. Bis endlich das Bürofräulein zu mir kam und mir heimlich anvertraute, daß ich nach Hause komme, aber ich soll mir nichts anmerken lassen, daß ich es weiß. So habe ich langsam meine paar Sachen, die ich noch hatte, vor lauter Freude eingepackt. Dann kam der Verwalter zu mir und sagte, ich solle sofort mein Ränzlein packen, ich komme nach Hause, d. h. ich werde nach Mähr. Ostrau entlassen; bis ich fertig bin, soll ich aufs Büro kommen, und dort erhalte ich meinen Entlassungsschein. Ich solle mich nur beeilen, denn in einer Stunde geht mein Zug, mit dem ich Anschluß haben werde. Als ich ins Büro kam, da sagte mir der Verwalter: „Ich wollte Dich im Büro haben, und jetzt laufst Du mir davon.” Mir war das so egal, was er sagte, ich war so glücklich darüber, daß ich endlich frei sein werde. Man hatte mir weiters noch angedeutet, ich solle nicht mit dem „N" fahren, sonst käme ich nicht durch. Denn Deutsche dürfen nicht mit der Eisenbahn fahren.


203

Als sich hinter mir die Tore des Lagers schlossen, da atmete ich so richtig auf, endlich frei zu sein. Aber dann machte ich mir wieder Gedanken: Wie wird es denn eigentlich da draußen sein? Ich wußte gar nicht, wie sich das Leben der Deutschen da draußen gestaltet.

Mit einem Rucksack am Rücken und einer großen Tasche in der Hand, trabte ich zum Bahnhof. Ich hatte große Hemmungen, da ich immerzu dachte, man wird mich vielleicht erkennen, daß ich eine Deutsche bin und daß man mir Schwierigkeiten machen wird. Aber als ich die Fahrkarte löste, war mir schon leichter. So wartete ich auf den Schnellzug. In Böhm. Trübau habe ich umsteigen müssen, und da erlebte ich etwas Furchtbares. Es war l Stunde Aufenthalt, bis der andere Schnellzug kam. Inzwischen wollte ich im Bahnhofrestaurant eine Suppe essen, denn ich habe noch nichts gegessen gehabt, und es war schon in der Mittagsstunde. Im Restaurant war es ziemlich voll. Ich fand aber trotzdem noch ein Plätzchen und wartete bis der Kellner kam. Aber es hat sich ganz was anderes ereignet. Plötzlich erschienen im Restaurant 4 Polizisten, die sich nach allen Richtungen verteilten und die Anwesenden kontrollierten. Jeder mußte seinen Ausweis zeigen. Ich erschrak sehr, denn ich hatte keine Papiere, außer dem Entlassungsschein mit der Bemerkung, daß mir Lebensmittelkarten ausgefolgt werden sollen, und zwar solche nur für Deutsche, so wie früher die Juden hatten. Der Polizist kam auch zu mir, und ich legte ihm meinen Entlassungsschein vor. Er sah mich an und dann den Schein und fragte mich, ob ich wirklich eine Deutsche sei. Ich bejahte es natürlich. Da schrie er mich vor allen Leuten an, wies mir die Tür, ich solle sofort den Raum verlassen, ich gehöre nicht da hinein, ich habe nichts da zu suchen. Alle Leute schauten mich an, was denn eigentlich passiert sei. Ich schämte mich aufs tiefste. Ich hätte mich in ein Loch verkriechen können vor Scham. Wie eine Aussätzige kam ich mir vor. Ich verließ natürlich stillschweigend den Raum. Ich habe mich weit weg vom Restaurant auf eine Bank gesetzt, damit man mich nicht sieht und habe geweint und dachte mir, so fängt es an, da kann ich noch so manches erleben. — Als der Schnellzug dann endlich einfuhr, stieg ich ein und blieb auf der Plattform stehen, damit ich keinen Anstand habe, falls wieder so eine Kontrolle käme. Im Zug selbst und auch weiterhin hatte ich Unangenehmes nicht mehr erlebt.

Ich kam um 8 Uhr abends in Mähr. Ostrau an. Ich ging dann direkt auf mein Haus zu, wo ich früher wohnte. Denn ich hoffte noch, daß ich meine Wohnung leer auffinden werde. Aber leider war sie schon bewohnt von einer tschechischen Familie, Die Frau, als ich mich ihr vorstellte, ließ mich hinein und zeigte mir die Möbel. Ich erkannte alle meine Sachen, leider waren die schon abgenützt und verwahrlost. Sie öffnete mir sämtliche Schränke und sagte mir, daß, als sie einzog, alle leer waren. Sie hat dafür einen großen Betrag bezahlen müssen. Sie konnte mich aber nicht über Nacht behalten, weil sie keinen Platz hatte. Es war eine große Familie mit Kindern.

Ich ging dann zu einer Bekannten im Hause und frug sie, ob ich bei ihr nicht übernachten könnte, wenigstens nur die eine Nacht, daß ich mir schon für die anderen Tage etwas suchen werde. Sie war ganz überrascht, mich


204

zu sehen, denn alle im Hause waren der Meinung, daß ich nicht mehr am Leben bin. Sie gab mir Kuchen und Kaffee, aber übernachten könnte sie mich nicht, obzwar sie genügend Platz hätte. Sie hat nämlich Angst wegen der anderen Leute — sie hätten sie sonst angezeigt, daß sie Deutsche aufnehmen. Nämlich, von den Tschechen durfte niemand Deutsche aufnehmen. Sie riet mir zu, ich solle nebenan im Hause zu einer Deutschen gehen, die im Keller wohnt, und die wird mich bestimmt über Nacht nehmen. Unter anderem erzählte sie mir, daß die Russen unsere Wohnung ausgeräumt hätten und im Keller auch. Deshalb sei nichts da als nur die leeren Möbel, die die tschechische Familie bekommen hat. Meine Enttäuschungen waren so groß, daß ich dachte, Schwereres nicht mehr erleben zu können. Ständig sehnte ich mich zu sterben. Ich habe der Frau erzählen müssen, was ich alles erlebt habe. Sie hat kühl zugehört.

Ich ging dann zu dieser deutschen alten Frau nebenan. Sie war leider nicht zu Hause. Da ich müde war, setzte ich mich vor ihrer Wohnung auf die Schwelle, und da hörte ich das Ticken der Uhr in ihrem Zimmer. Da überkam mich so eine Sehnsucht nach zu Hause. Ich weinte bitterlich. Nach ca. 1/4 Stunde kam sie. Als sie mich erblickte, blieb sie vor Überraschung stehen und fragte mich, wie ich denn hierher kam, umarmte mich und weinte. Sie erzählte, daß man ihr auch die ganze Wohnung weggenommen hat und daß sie jetzt von Almosen lebt. Sie wollte mir auch Kaffee geben, ich lehnte es ab, denn ich war nicht mehr so hungrig wie vordem, als ich von der Bahn kam. Als ich ihr meinen Wunsch äußerte, sagte sie mir, sie könne mich nicht über Nacht nehmen, da sie unterschreiben hat müssen, daß sie niemanden zu sich nehmen darf, sonst werde man ihr die Wohnung wegnehmen. Sie hätte mich gerne genommen, aber sie hatte Angst. Weiters sagte sie mir, ob ich nicht vielleicht zu meiner Freundin gehen würde, die ist doch hier, und man hat ihr die Wohnung gelassen, da sie eine Halbjüdin ist. Natürlich ließ ich mir dies nicht zweimal sagen und lief vor Freude hin. Denn ich habe ihr in der Nazizeit auch sehr viel geholfen, habe sie versteckt gehalten bei mir in der Wohnung. Und so wußte ich genau, daß sie mich nicht abweisen wird. Und es war auch so, wie ich es erhoffte. Sie wohnte eine Straße weiter, so daß ich nicht weit hatte zu laufen. Dort angekommen, war auch sie überrascht, umarmte mich und weinte. Sie lebte mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Söhnchen zusammen. Obzwar sie schon eine alte Frau haben aufnehmen müssen, konnte ich bei ihnen bleiben; und [sie] sagten mir, ich muß mich nur am nächsten Tag bei der Polizei anmelden. Die Anmeldung ist auch ohne Anstand vor sich gegangen. Ihre Mutter hat mich verköstigt, und so blieb ich bei ihnen bis zur Ausreise nach Deutschland.

Ich wollte auch gleich Geld verdienen, denn meine Freundin hatte damals auch nicht viel. Da ging ich zum Arbeitsamt. Dort gab man mir eine Anstellung bei der Repatriierung. Das war eine Baracke, in der die Fremden Essen bekamen. Die Verwaltung hatte das Rote Kreuz. Diese Räume habe ich sauber machen müssen. Es waren 5—6 Zimmer und die Küche, die ich in Ordnung halten mußte. Es waren Frauen darunter, die mich arg schikanierten. Einmal kam auch Kohle, die ich ganz allein habe schaufeln müssen. Ein Lastauto brachte die Kohle. Ganzen Tag habe ich gebraucht dazu, bis


205

ich die Kohle im Keller hatte. Dann gegen Abend kam noch einer der Gendarmerie, die immer dort auch Wache hielt, und schrie mich an, ich solle mich beeilen, es wird dunkel, wieso ich so lange dazu brauche. Ich war schon so geschwächt, in der Kälte zu schaufeln. Ich kam mit Weinen und todmüde nach Hause. Ich ging einfach nicht mehr den nächsten Tag hin.

Wie ich mich erholt habe, ging ich zu meinen bekannten Rechtsanwälten und versuchte bei denen unterzukommen, weil ich von vielen hörte, daß Deutsche aufgenommen werden, die gut Tschechisch können, im Büro. So meldete ich mich bei vielen. Manche hatten schon genügend Kräfte, manche wollten mich nicht, da ich eine Deutsche war; und schließlich, bei einem gut bekannten Rechtsanwalt bekam ich eine Anstellung. Als er mich sah, erkannte er mich sofort, denn ich war vor dem Kriege 8 Jahre lang bei einem Rechtsanwalt tätig. Ich zeigte ihm noch meine Zeugnisse. Er hat mich noch geprüft, ob ich gut Tschechisch konnte. Und da ich die Prüfung gut bestanden habe (nur die Schreibmaschine konnte ich noch nicht so gut beherrschen, da ich schon so lange nicht geschrieben habe), wollte er mich gleich behalten, nur mußte er noch die Genehmigung vom Arbeitsamt einholen. Offiziell galt ich als tschechische Kraft. Nur bei den Ämtern war ich als Deutsche eingestellt. Ich bekam nicht so viel wie eine Tschechin, aber immerhin besser gezahlt, als wenn ich dienen ging. Mein Chef schenkte mir sofortiges Vertrauen, indem er mir die ganzen Sachen zur Erledigung und die ganze Verwaltung des Büros überließ. Ich hatte ein Büro für mich, welches er neu herrichten ließ.

Ich hatte an der Arbeit Freude, nach so schwer Durchgemachtem wieder wie ein Mensch zu leben. Obzwar man sich in der Öffentlichkeit als Deutsche nicht so bewegen durfte, war es doch lange nicht so schrecklich wie im Lager. Wir Deutsche haben stets den Buchstaben „N" tragen und außerdem nur tschechisch sprechen müssen. Außerdem durften wir kein Kino, kein Theater, keine Restaurants und keine Parkanlagen besuchen. Um 8 Uhr abends mußte man schon zu Hause sein. Wer nach 8 Uhr auf der Straße angetroffen wurde, wurde er sofort eingesperrt. Wir hatten Lebensmittelkarten, und zwar solche, wie früher die Juden hatten. Davon konnte man nicht leben. Aber hie und da fanden sich tschechische Familien, die mich schon von klein auf kannten, die mich mit Lebensmitteln unterstützten, da ich ihnen leid tat.

Einmal, am Abend um 10 Uhr, kam Kontrolle, welche aus drei Mann bestand. Wir mußten ihnen unsere Papiere vorzeigen und außerdem auch die Mäntel, ob eigentlich das „N" aufgenäht sei. Ich hatte das „N" immer vorschriftsmäßig aufgenäht gehabt. Aber damals hatte meine Freundin, bei der ich wohnte, großen Durst und ersuchte mich, in eine Wirtschaft zu gehen und Bier zu holen; dabei trennte sie mir das „N" herunter, und zwar sicherheitshalber, damit ich evtl. keine Schwierigkeiten habe. Denn als Deutsche durfte man sich nicht in der Wirtschaft aufhalten. Ich ging immer in so eine Wirtschaft, in der man mich nicht kannte. Als ich mit dem Bier nach Hause kam, wollte ich mir das „N" nicht gleich auf den Mantel annähen, weil ich noch zu tun hatte, ich wollte meine Leibwäsche fertig machen. So habe ich das „N" nur mit einer Nadel angesteckt. Gerade an dem Abend hatte ich aber Pech. Der Herr öffnete den Schrank, in dem mein Mantel hing und sah gleich, daß mein „N" nur mit einer Nadel aufgesteckt


206

ist. Er fragte, wem der Mantel gehöre. Ich meldete mich sofort und sagte ihm, daß es nur vorübergehend angesteckt ist und heute noch annähen wollte. Er glaubte mir natürlich kein Wort, schrie mit mir herum, ob ich denn die Gesetze nicht kenne, die für uns Deutsche gelten. Er schrieb mich sofort in sein Büchlein auf, fragte mich aus, wo ich beschäftigt sei, und als ich ihm sagte, daß ich bei einem Rechtsanwalt im Büro bin, sagte er darauf, den werde er sich noch ausborgen.

Sie haben tatsächlich am nächsten Tag meinen Rechtsanwalt aufgesucht. Ich habe aber schon vorher meinen Chef aufgeklärt, was vorgefallen ist. Sie haben aber nichts ausgerichtet. Nur habe ich gleich darauf eine Vorladung zur Polizeidirektion bekommen. Dort hat man mich auch recht fertig gemacht und eine Geldstrafe von 20 Kronen auferlegt bekommen, die ich zu 5 Kronen (5 RM) monatlich abgezahlt habe; und jedesmal hat mich der Polizeibeamte, bei dem ich die Strafe abzahlte, kontrolliert, ob das „N" richtig aufgenäht sei.

Dann, wenn man auf der Straße ging, wich so mancher bekannte Tscheche einem aus, nur nicht mit einem sprechen zu müssen, weil es an und für sich verboten war, sich mit den Deutschen zu unterhalten. Sie wurden gleich angezeigt. Das tat einem weh, wenn man sah, wie sie einem ausweichen. Ich kam mir manchmal vor wie eine Aussätzige. Ich wollte eigentlich einmal auch nach Brünn fahren, ob dort noch von meinen Sachen etwas zu finden ist. Aber die Geldmittel reichten nicht aus.

Eines Tages bekam meine Freundin und ihre Mutter den Ausreisebefehl nach Deutschland, und zwar für den 10. Juni 1946. Ich schloß mich der Ausreise an. Mein Chef war natürlich nicht begeistert von meinem Vorhaben und sagte mir, er werde es durchsetzen, daß ich als Tschechin angesehen werde, nur daß ich noch Geduld haben müsse. Er wird da zusehen, daß ich die tschechische Staatsbürgerschaft erhalte. Er hat mir auch verraten, daß schon diesbezüglich von ihm aus Gesuche laufen. Da ich aber daran zweifelte, daß er dies alles durchsetzen wird, habe ich mich doch zur Ausreise entschlossen.

Abschließend schildert die Vfn. den Transport von Mährisch Ostrau über Furth i. Wald nach Westdeutschland.


207