Nr. 25: Verhinderung der weiteren Flucht des Vfs. vor der Roten Armee durch den Ausbruch des Prager Aufstands; seine Internierung in der Strafanstalt Pankrác; Arbeitseinsätze der Internierten in Prag und in den Witkowitzer Eisenwerken.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Erlebnisbericht des Dipl.-Ing. Otto Höher aus Mährisch Ostrau,

Original, 2. April 1955, 11 Seiten, mschr. Teilabdruck.

Der Vf. schildert eingangs die Evakuierung der deutschen Werksangehörigen aus dem Ostrau-Karwiner Revier, von denen sich eine Gruppe nach Prag wandte1.

Am 5. Mai 1945 rollte die Autokolonne der Witkowitzer Gruben, aus Zwittau kommend, gegen 23 Uhr in Prag ein; dort empfing uns der vorausgefahrene Dr. P. mit der wenig erfreulichen Nachricht, daß in Prag dicke Luft herrsche, es am Wenzelplatz schon zu Schießereien gekommen wäre. Alles war verdunkelt, SS-Wachen kontrollierten die Straßen. Im Hotel eröffnete mir der Direktor Gh., daß für uns weder in Prag noch im Falkenauer Revier eine Verwendung sei. Meine Entgegnung war: Ja, warum seid Ihr uns nicht entgegen gefahren, so daß wir sogleich gegen Süden — Richtung Linz — abgeschwenkt wären, wo wir bei den Göring-Werken Verwendung finden konnten. Seine Antwort war: Morgen gehen wir noch rasch zum Generaldirektor W. und holen uns Weisungen, dann könnten wir gegen Mittag losfahren.

Nächsten Morgen begann Prag sein Bild zu ändern; deutsche Geschäftsaufschriften wurden überstrichen, die Straßenbahnen waren mit tschechischen Fähnchen geschmückt, in der Verkaufszentrale der Witkowitzer Bergbau- und Eisenhüttengewerkschaft nahm ein tschechischer Betriebsrat seine Tätigkeit auf. Überall Unruhe und Unsicherheit! Unser Entschluß war sofort gefaßt: So rasch als möglich fort von Prag in das Sudetenland!

Wir gingen in unser Hotel „Carlton” gegenüber dem Hauptbahnhof und vereinbarten, daß die Kolonne um 14 Uhr gestellt sein müsse. Doch war alles um 12 Stunden zu spät! Um die Mittagsstunde gab es auf der Straße eine Schießerei, SS-Mannschaften räumten die Straßen, Sperren wurden errichtet, vom Hauptbahnhof eröffneten tschechische Aufständische das Feuer, das bis zum Waffenstillstand nicht mehr erlosch. Neben unserem Hotel war im ehemaligen Petschekpalais das Hauptquartier der Gestapo, die über genügend starke Abwehrkräfte verfügte, um alle Angriffe abzuschlagen. Mit leichten Geschützen wurde die Zugangsstraße zum Wenzelsplatz beherrscht. Den Verlauf der Kämpfe konnten wir nur in dem kleinen Abschnitt vor dem Hotel selbst beobachten, einen besseren Überblick erhielten wir über das Radio. Dieses sandte in vier Sprachen Hilferufe an die alliierten Verbände, da gegen Abend die Aufständischen jeweils zurückgedrängt wurden. In der Nacht erhielten sie Zuzug und errichteten neue Sperren, die den Einsatz von Panzern fast unmöglich machten.


133

Den Abschluß des Waffenstillstandes hörten wir noch im Radio, die SS-Wachen wurden durch Partisanen ersetzt, vom Nachbarhaus kam ein Funktionär der sozialistischen Druckerei in das Hotel, forderte die sofortige Abgabe der Waffen und versicherte uns seines Schutzes bis zu unserer Überstellung an die Behörde.

Am nächsten Morgen marschierten die Hotelgäste, von Partisanen flankiert, in die von den Kämpfen stark mitgenommene Bredauerstraße, wo wir, nach Abtrennung der Militärpersonen, im Keller der Post bis 23 Uhr festgehalten wurden. Verhalten der Wachen einwandfrei. Hierauf Anmarsch durch die stillen Straßen zur Polizeidirektion. Während des Marsches forderte ein russischer Soldat die Abgabe der Uhren. In der Direktion war Hochbetrieb, im Saal wurden die Personalien aufgenommen, größere Geldbeträge erpreßt und viele der Verhafteten geschlagen.

In den Morgenstunden kamen wir in den Hof, wo bereits einige Hunderte von Deutschen zusammengetrieben waren, viele davon durch Verprügelungen verletzt. Nun begann der Abtransport, wie verlautbart, nach dem Zuchthaus in Prag-Pankrác. Vorher wurden mein Schwiegersohn Dr. Z., ein Fahrer und ich in den Nachbarhof beordert, wo wir zwei Erschlagene auf ein Lastauto betten mußten. Ein russischer Soldat wollte dem Fahrer hierbei den Lederrock rauben, auf meine Intervention, daß es sich um einen Arbeiter handle, ließ er ab. Wir sausten wieder zu unseren Gefährten, mein Schwiegersohn jedoch wurde zurückgehalten, und wir sahen uns erst einige Stunden später, von seinen Schuhen erleichtert.

Endlich waren wir daran, in einem Autobus verfrachtet zu werden; die Fahrt war nicht ungefährlich, da bei aufgerissenen Straßenstellen die tschechische Bevölkerung (besonders die Weiber) uns angriffen. Russische Panzer hingegen wurden bejubelt. Wir fuhren tatsächlich nach Pankrác; vor dem Zuchthaus mußten wir mehrere Stunden mit hochgehobenen Armen warten, die Frauen bereits von den Männern getrennt. Endlich konnten wir eintreten, im Korridor mußten wir über ein Hitlerbild am Boden gehen und bekamen dabei mit Gummiknüppeln Hiebe auf Kopf und Rücken. Wieder Warten, neuerliche Registrierung, Abgabe aller Sachen bis auf die Kleider, einschließlich des Mantels, eines Handtuches und Reinigungssachen. Dann endlich schloß sich nach der Aufteilung auf einzelne Zellen die Türe mit dem Guckloch und dem Eisenriegel: wir waren endgültig eingekerkert!

Meine Zelle, 2,3 X 4 m groß, hatte bereits zwei Insassen, einen Hochschulprofessor der TH von Prag, Dipl.-Ing. N. und einen pensionierten Sparkassendirektor. Mit beiden Herren habe ich mich vom ersten Augenblick gut vertragen, mit dem Professor durch Monate unseren gemeinsamen Strohsack geteilt. In der Zelle wurden wir nicht belästigt, als Verpflegung des ersten Tages gab es Suppe. — Die Nacht verlief ruhig, der Betrieb im Gefängnis lief sich ein.

In der zweiten Nacht wurden wir durch Schüsse, Schreie auf den Gängen, Türenschlagen, Salven und neue Schreie aufgeschreckt. Dieser nervenzermürbende Lärm dauerte einige Stunden, dann wieder Ruhe, nur ein Lastauto fuhr ab. In der nächsten Nacht die Fortsetzung der Exekutionen. Von einem Kalfakter erfuhr ich, daß die Erschießungen nicht deutsche Inhaf-


134

tierte, sondern verhaftete Vertrauensleute betrafen, die vorher für die Gestapo gearbeitet hatten. Dann schritten die Russen ein und stellten diese gesetzlosen Exekutionen ein.

Zehn Tage später wurden wir in dem Bezirk Nusle bei der Instandsetzung der Straßen eingesetzt. Prügelszenen, keine Verpflegung. Die Verköstigung im Gefängnis war vollkommen unzureichend, sie bestand aus Kaffeebrühe, 120 g Brot und wenig Gemüse und Kartoffeln, in Sa. nur ca. 700 Kalorien, wie ein Arzt in der Zelle errechnete. Bereits geschwächt, wurden wir paar Tage später wieder in einer Ziegelei zur Arbeit bestimmt, wüste Prügeleien, jedoch etwas zusätzliches Essen. Beim nächsten Einsatz, vor dem wir uns schon fürchteten, war die Behandlung durch Partisanen gut, es gab auch reichlich zu essen. Jetzt, wo sich scheinbar das Leben in Prag normalisiert hatte, wurde die Außenarbeit durch 6 Wochen eingestellt. Ohne Beschäftigung saßen wir in der Zelle und hungerten.

Mittlerweile hatte unsere Zelle Zuwachs bekommen, ein Bergdirektor aus Mähr. Ostrau und der Personalreferent für deutsche Kulturangelegenheiten vom Ministerium Frank. Letzterer, ein Reichsdeutscher aus Magdeburg, Dr. jur., konnte sehr interessant von seiner Tätigkeit berichten, da er alle maßgebenden Persönlichkeiten kannte. Dann verließ uns der Sparkassendirektor, der zu Feldarbeiten abkommandiert wurde; dafür kamen in unsere Zelle zwei Tschechen, ein Hausmeister, der wohl Spitzeldienste geleistet hatte und ein Gemeindediener aus einem Dorf, der kein Wort Deutsch kannte und nun eine Stinkwut auf seine Landsleute hatte.

Nach sieben Wochen wurden wir alle kahlgeschoren, bekamen Anstaltswäsche, sogar ein Leintuch, behielten aber unsere Zivilkleidung. Durch diese Maßnahme sank aber unsere Hoffnung auf eine baldige Freilassung. Durch die dauernde Unterernährung verloren wir durchschnittlich 10 kg im Monat, und bei einigen Kameraden zeigten sich bereits Ende Juni die ersten Zeichen von Hungerödem. Außerdem neigten alle Verletzungen zu Entzündungen, oft traten Phlegmonen auf. Da der Besitz des kleinsten Bleistiftes oder eines Zeitungsblattes Prügelstrafen zur Folge hatte, bestand für uns alle die Gefahr eines geistigen Todes. Nur bei dem bei gutem Wetter erlaubten Gang in den Gefängnishof bestand eine geflüsterte Unterredungsmöglichkeit mit den Kameraden aus anderen Zellen. Hierdurch erhielten wir bei Neueinlieferungen verläßliche Nachrichten über das Zeitgeschehen.

Im Juli erhielten Firmen die Erlaubnis, für ihre Unternehmen Gefangene in Gruppen sich auszusuchen. Um 7 Uhr früh wurden alle Zellentüren geöffnet und Arbeitswillige aufgefordert, anzutreten. Im Hof fand dann eine Art Sklavenmarkt statt, wobei wir uns natürlich nur zu jenen Unternehmen drängten, die gute Zusatzverpflegung gaben. Pech hatten alle die, die zu dem Russenkommando kamen. Denn bei diesem gab es sehr lange Arbeitszeit und keine Zusatzkost, für uns also ein klares Verlustgeschäft. Da die Russen für ihr Warenlager meist 80 Mann brauchten, kam man doch öfter dran. Der einzige Trost war nur der, daß wir uns manchmal Strümpfe und andere Sachen organisieren konnten. Natürlich war dies mit sehr großer Gefahr verbunden.


135

Aber auch die Tschechen verloren in kurzer Zeit ihre Begeisterung für die Befreier! Während wir in den ersten Tagen in Geschäften russische Fähnchen und Stalinbilder sahen, die Wachen in Pankrác den Sowjetstern an ihren Umformen trugen, verschwand dies alles langsam, besonders, als die Befreier in den Abendstunden tschechische Frauen zum Mitkommen zwangen. Als die russischen Truppen aus Prag abgezogen wurden, waren lediglich noch wenige Spruchbänder der kommunistischen Partei zu sehen, die Bevölkerung kümmerte sich nicht mehr um ihre slawischen Brüder.

Bei der Behandlung während der Arbeit bemerkten wir rasch den Umschwung: wir wurden nicht mehr zur Arbeit angetrieben; zusätzliches Essen wurde gespendet. Nur kommunistische Arbeiter behandelten uns schlecht. Wenn die Tschechen den Russen bei der Sicherstellung von deutschem Heeresgut zuvorkommen konnten, dann forderten sie uns auf, feste zuzugreifen. Wir taten es gern, denn da gab es Freßprämien!

Auch bei den Tschechen zeigte sich die alte Erfahrung, daß es bei allen Völkern anständige und sadistisch gemeine Elemente gibt.

Im Juli kamen die mit uns eingekerkerten Kollaboranten, deren Zahl infolge gegenseitiger Anzeigen die Zahl der Deutschen überstieg, in eigene Stockwerke und erhielten bessere Verpflegung. Durch deren Abgang kamen neue Inhaftierte in meine Zelle, ein Arzt, ein Betriebsleiter aus dem Sudetenland und ein Oberlandesgerichtsrat aus Karlsbad. Beide wurden bei ihrer Einlieferung im Juli furchtbar mit Gummiknüppeln geprügelt. Sie kamen später in eine separate Zelle und durften wegen Fluchtgefahr nicht zur Arbeit gehen. Dies bedeutete natürlich langsames Verhungern, wenn wir ihnen nicht durch die Kalfakter öfters ersparte Lebensmittel hätten zustecken können.

Der Abgang war durch den dauernden Hunger sehr groß, es starben täglich gegen 8 Inhaftierte bei einer Gesamtzahl von 4000. Alte Leute vor allem, aber auch Tuberkulöse, schwanden dahin. Das Lazarett konnte — nur 16 Betten — die Zahlen der Kranken nicht fassen, so daß die Ärzte gezwungen waren, frisch Operierte nach Phlegmone wieder sofort in die Zelle zu schicken.

Die Bewachung im Gefängnis und die Körperdurchsuchung war immer sehr strenge, bei der Arbeit hingegen war die Aufsicht rein formal. Es verdufteten daher monatlich gegen 20 Mann, hauptsächlich Tschechen, die durch ihre Angehörigen mit Geld und Lebensmitteln versorgt wurden. Ein Pan Armbruster, der bei unserer Arbeitsgruppe war, machte sich mit einem Gefährten auf die Socken, kam gut nach Österreich, kehrte aber allein, da ihm dort die Verhältnisse nicht behagten, zurück und meldete sich im Gefängnis wieder. Strafe erhielt er keine und durfte weiter zur Arbeit.

So vergingen die Monate, manchmal wurde einer der Inhaftierten von einem Unternehmen der Heimat angefordert, von uns sehr beneidet, da unsere Phantasie uns vorspiegelte, daß sie vielleicht wieder in einer entsprechenden Stelle untergebracht seien. Der November kam heran, die Arbeit im Freien wurde langsam eine Qual, Angst beschlich uns vor dem Winter. Eines Abends, als ich von einem Arbeitseinsatz erst gegen 20 Uhr


136

vor meine Zellentür kam, wurde mir von den verriegelten Zellengenossen zugerufen, daß ich mich sofort beim Stockwerksaufseher zu melden habe. Ich sauste, ihn zu suchen, er war aber bereits fort. Eine Ungewisse Nacht; nächsten Tag hieß es, ich ginge nicht mehr zur Arbeit, am Vormittag mußte ich antreten, erhielt meinen im Mai abgegebenen Rucksack mit meinen Sachen — das Geld war natürlich fort — und ein Detektiv brachte mich zur mir nun schon bekannten Polizeidirektion, nächsten Tag ging es nach Ostrau!

Bei voller Dunkelheit stiefelte unsere kleine Gruppe, eskortiert von den begleitenden Agenten, vom Bahnhof Ostrau-Oderfurt dem nahen Lager Mexiko zu. Hierbei riet ich dem in der Gruppe befindlichen ehemaligen Chef des Sicherheitsdienstes des Eisenwerkes Witkowitz, Ingenieur R., diese letzte Gelegenheit zu benützen und abzuhauen. Aus Gesprächen mit dem Detektiv während der Fahrt schloß ich, daß sie nur die Aufgabe hatten, R. nach Ostrau zu bringen, während die übrigen nur mitgenommen wurden.

In der Hauptbaracke des Lagers wurden wir übergeben, von vielen Bekannten begrüßt, mit Essen versorgt und dann zum deutschen Arzt Dr. P. zur Untersuchung gebracht. Wegen einer seit August noch nicht verheilten Beinphlegmone erhielt ich die Gruppe V — nur sehr leichte Arbeit — und sollte ehest in das Lager Groß Kunzendorf übersteìít werden. Wieder in der Hauptbaracke, wurde bekannt, daß Ing. R. verhaftet und von der Begleitung in das Kreisgericht verbracht wurde.

Das Leben im Lager war für uns, die wir 7 Monate im Zuchthaus in Pankrác gelebt hatten, geradezu gemütlich. Man konnte Bekannte im Lager besuchen, erhielt auf Wunsch Ausgang, konnte lesen, an Sprachkursen teilnehmen und vor allem, es gab genügend zu essen! Bis zur Überstellung betätigte ich mich freiwillig beim Kartoffelschälkommando, wobei viele Neuigkeiten ausgetauscht wurden.

Nach drei Tagen brachte eine Wache mich nach Kuntschitz, in dessen großem Lager gerade 80 Mann angelangt waren, die man als „Ehemalige” aus den übrigen Lägern herausgesucht hatte, um sie dort besonders zu zwiebeln. Aus ihrer Reihe kam eine Gestalt in altem Militärmantel und Kaiser-Wilhelm-Bart, den ich zuerst nicht erkannte und der sich dann als mein bester Freund K. entpuppte. Noch viele andere Genossen einstiger froher Tage tauchten auf, und, wenn auch die Disziplin in diesem Lager etwas schärfer war, so konnte dies unserer meist guten Laune nicht schaden.

Früh zogen die einzelnen Gruppen an ihre Arbeitsstätten, wobei jene mit Arbeitsfähigkeit I oder II die anstrengende Tätigkeit bei der Werksbahn oder beim Hochofen hatten1. Ich selbst hatte mit Berginspektor D. die Abfuhr der Asche vor das Lager zu besorgen, eine Arbeit, die ich, wenn ich sie allein hätte schaffen müssen, in längstens drei Stunden fertiggebracht hätte, während wir gemeinsam fünf Stunden brauchten, also keine Schinderei! Nachmittags durfte ich faulenzen oder ging baden, ein Luxus, den wir in Pankrác nur zweimal genossen hatten. Bald erhielt ich eine vernünftigere Arbeit, ich hatte neun Öfen des Krankenreviers zu heizen und den


137

Brennstoff heranzubringen. Einmal meldete ich mich zum Abtransport eines verstorbenen Kameraden nach der Leichenhalle von Witkowitz. Die nackte Leiche kam in einen Sarg, den wir aber nachher wieder zurückzubringen hatten, der Sarg auf einen Karren, und so zogen wir los, ohne Bewachung. Am Friedhof übergaben wir die Leiche, brauchten das Grab nicht zu schaufeln, sondern halfen dem Verwalter bei Planierungsarbeiten am Friedhof. In seiner Küche bekamen wir dann ein gutes Mittagessen und konnten dann abziehen. Am Rückweg stellte ich mich am Louisschacht unserer Gewerkschaft ein und rief vom Torwart den Kassier unserer Direktion an und erkundigte mich, ob für mich nicht ein alter Gagenrest anstehe. Sein Erstaunen über diese Frechheit konnte ich durch das Telefon gut hören!

Mitte Jänner wurde ich in das gemütlichere Lager bei der Ziegelei verlegt und arbeitete bei verschiedenen Kommandos, Abtragung des Deutschen Hauses und beim Möbeltransport von geraubten Zimmereinrichtungen. Die ersten Möbel, die ich verladen mußte, war die Einrichtung meiner verheirateten Tochter. — Im März kam ich als Strafe für mein obenerwähntes Telefongespräch wieder nach Kunzendorf zurück und arbeitete nun als Gesunder bei der Herrichtung einer gesprengten Eisenbrücke. Die Arbeit war schwer, der Geist der Kameraden gut, da die Plage in der frischen Luft uns gut bekam.

Dann kam eine zweite Brücke dran und schließlich Reparaturen an einer Straßendecke, einschließlich der Teerung. Da die Behandlung gut war, schafften wir rüstig und erzielten bei der Ausmessung das 2,8fache des Normalen. Allgemein konnte ich feststellen, daß die Kameraden freiwillig, bei guter Behandlung, wesentlich mehr leisteten als die tschechischen Arbeitsbrigaden. Ende Mai wurde unsere Gruppe aufgelöst, ein Teil kam zu Straßenarbeiten ins Gebirge, angeblich wurden die Wege rasch für einen Besuch des Präsidenten vorbereitet, der Rest mußte beim Hochofen Schlacke brechen für die Schottergewinnung. Diese Arbeit fiel uns wegen der Hitze sehr schwer, da es aber eine Geldprämie und sogar drei Zigaretten pro Tag gab, hielten wir stramm durch.

Bei den letzten freien Wahlen der Tschechei im Mai 1946 erhielten die Kommunisten 38 % der Mandate1. Für mich hieß es, nun möglichst rasch aus dem Lande herauszukommen, denn nach den Erfahrungen in den Randstaaten genügt eine so starke Minderheit, um eine bürgerliche Mehrheit an die Wand zu drücken. Im Mai hatte im Sudetenland eine durch amerikanische Organe kontrollierte Vertreibung der deutschen Bevölkerung begonnen2, einige unserer Kameraden erhielten den Befehl, sich in ihre Heimatorte zu begeben, um mit ihrer Familie gemeinsam ihre Heimat zu verlassen. Nun kam Unruhe und Ungeduld unter die Lagerinsassen, jeder fürchtete zu spät zu kommen, jeder hoffte bei der Rückkehr von der Arbeit einen Befehl zum Aufbruch vorzufinden.


138

Mitte Juni kam an mich die Reihe; mit einem Rucksack und einer Pappschachtel verließ ich das Lager und tippelte nach Ostrau. Bei Bekannten fand ich eine Unterkunft für wenige Tage, verabschiedete mich von unserem früheren Stadtarzt und Gefährten vieler schöner Bridgestunden und meldete mich dann zur Gepäckkontrolle. Der mitzunehmende Besitz war mit 50 kg begrenzt worden, Wertsachen, wenn nicht schon vorher geraubt, wurden nun amtlich abgenommen, wichtige Dokumente beschlagnahmt. Dann warteten wir noch drei Tage im Aussiedlungslager, erhielten 500 RM Kopfgeld, Reiseverpflegung, und am Mittwoch nach Pfingsten erfolgte die Einwaggonierung, je 20 Personen in einem Güterwagen. Dann rollten wir aus Ostrau hinaus, jenem Gebiet, daß für viele die Heimat, für alle aber die Stätte fleißiger Arbeit gewesen war.

In sehr laugsamem Tempo kamen wir über Olmütz, Prag nach Pilsen, auf dessen Bahnhof ein amerikanischer Offizier den Transport noch kontrollierte. Dann setzte sich die lange Wagenreihe wieder in Bewegung, am letzten tschechischen Grenzort verließ die Bewachung den Zug, und wir atmeten frei auf, als wir an einem Verhau längs der Strecke bemerkten, daß wir uns nun in Bayern, in der Freiheit befänden.

Der Bericht endet mit einigen Reflexionen über die schwierigen Lebensumstände der Vertriebenen in Deutschland.