Nr. 30: Vorgänge bei der Internierung der Pilsener Deutschen; die Verhältnisse in der Strafanstalt Bory bei Pilsen und im Lager Třemošná.

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Erlebnisbericht des Dipl.-Ing. D. R. aus Pilsen.

Original, 5. Dezember 1946, 8 Seiten, mschr.

Eingangs gibt der Vf. einen kurzen Überblick über seinen Lebenslauf und seine Tätigkeit im Skoda-Werk; er berichtet dann:

Als am 5. Mai 1945 die amerikanischen Truppen herannahten und die tschechische Bevölkerung von Pilsen die Macht übernahm, riet mir mein Chef, zu meiner Familie in die Wohnung zu gehen. Ich wollte dann mit einem deutschen Kollegen das Werk verlassen, wurde aber beim Ausgang von bewaffneten Arbeitern angehalten und in einen Luftschutzkeller gebracht, wo ich dann in kurzer Zeit mit fast allen anderen deutschen Beamten des Werkes zusammentraf. Es erschien dann ein tschechischer Direktor und erklärte, man hätte uns nur zu unserem Schütze verhaftet. Wir würden in das Kreisgerichtsgefängnis gebracht und von dort nach wenigen Tagen entlassen werden, nachdem sich die Lage geklärt und wieder Ruhe eingetreten sei.

Als wir dann herausgeführt und zwecks Transport zum Kreisgericht auf ein Lastauto verladen wurden, sah die Lage etwas anders aus. Wir wurden von halbwüchsigen, mit Gewehren und Maschinenpistolen bewaffneten Jünglingen mit Kolbenstößen traktiert und auf das gemeinste beschimpft. Im Kreisgericht selbst wurden viele von uns von bereitstehenden Zivilisten aus besseren Kreisen geohrfeigt, wobei uns das Erschießen angedroht wurde. Wir mußten uns dann mit dem Gesicht zur Wand stellen und wurden einzeln in die Aufnahmekanzlei von den uniformierten Gefängniswärtern mit roher Gewalt gestoßen, wo jeder namentlich eingetragen wurde. Hernach wurden wir in ein oberes Stockwerk geführt, wo wir uns splitternackt ausziehen mußten. Unsere Kleider wurden dann untersucht und uns alles fortgenommen, was wir in den Taschen hatten. Mantel und Hut wurden beschlagnahmt, Geldbeträge, Uhren, Ringe und sonstige Wertgegenstände vom uniformierten Personal vielfach eingesteckt. Wäsche und Kleider durften wir dann wieder anziehen und wurden zu acht Mann in eine für vier Mann bestimmte Zelle eingeschlossen, wo es eben nur vier Strohsäcke gab. Hier erlebte ich dann die grauenvollsten Tage meines Lebens. Wir acht Mann waren zwar den ärgsten Mißhandlungen entgangen, weil wir die ersten waren und man offenbar für den richtigen Empfang noch nicht vorbereitet war. Als aber später weitere Transporte von Gefangenen eintrafen, hörten wir durch mehrere Tage und Nächte die Schmerzensschreie der mit Gummiknütteln und Lederpeitschen Geprügelten, dann auch Schüsse, worauf es meistens still wurde. Wie wir dann später von Augenzeugen erfuhren, hat man diese Armen entkleidet auf eine Bank gelegt und solange geschlagen, bis sie ohnmächtig wurden. Dann schüttete man ihnen kaltes Wasser über den Kopf und setzte dann die Tortur weiter fort, wenn sie wieder zu sich gekommen waren. Es wurden dann auch alle Frauen und


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Kinder der deutschen Familien in Pilsen eingeliefert, darunter 80jährige Greise und Mütter mit Säuglingen . . .

Im Laufe der folgenden Tage kamen einzelne Zivilisten in das Gefängnis, ließen sich von den Wärtern einzelne Gefangene herausrufen und verprügelten sie dann unter Aufsicht der Wärter mit allen erdenklichen Marterinstrumenten, meist solange, bis sie blutüberströmt ohnmächtig liegenblieben. Dann wurden sie mit Fußtritten wieder in die Zelle befördert. Wir haben diese Unglücklichen dann gepflegt, so gut es ging. Viele hatten nach Tagen eitrige Wunden, in denen mangels eines ordentlichen Verbandes die Maden herumkrochen. Sie starben dann unter unsäglichen Schmerzen, ohne daß sich irgend jemand oder gar ein Arzt um sie gekümmert hätte. An diesen Prügeleien beteiligten sich neben den uniformierten Wärtern auch aus den Zellen ausgelassene Sträflinge (Raubmörder und dergleichen). Einmal erschien auch der Gefängnisdirektor und erklärte uns höhnisch lächelnd, daß das Prügeln der Gefangenen streng verboten sei. So wartete jeder von uns Tage und Nächte lang darauf, bis an ihn die Reihe käme. Die ersten zwei Tage bekamen wir überhaupt nichts zu essen und zu trinken. Dann bestand die Verpflegung etwa sechs Monate lang aus 125 g Brot im Tag, einem schwarzen, ungezuckerten Kaffee früh und abends und einem Mittagessen, bestehend aus zwei halb verfaulten Kartoffeln und etwas angeschimmeltem Sauerkraut. Die ersten Tage hat mancher dieses Zeug weggeschüttet, aber dann zwang uns der quälende Hunger, alles wahllos zu verschlingen. Das ging so bis zum 24. Mai. An diesem Tage wurden etwa 300 Mann, darunter auch ich, auf Lastautos verladen und in das Strafgefängnis Bory bei Pilsen gebracht. Der Transport vollzog sich in der Weise, daß wir zuerst alle Effekten zurückerhielten, d. h. es fehlten vielfach gerade die wertvollsten Wertgegenstände, wie Ringe und Uhren und größere Geldbeträge, die einzelne Kameraden bei sich gehabt hatten. Wenn einer es wagte, eine diesbezügliche Bemerkung zu machen, gab es bestenfalls Achselzucken, meist schallende Ohrfeigen. Dann standen wir etwa zwei Stunden mit dem Gesicht zur Wand, bis wir in Lastautos verladen und nach Bory gefahren wurden. Dort wurden wir mit Kolbenstößen in den großen Gang des Haupttraktes befördert und standen dort wiederum, manche bis 9 Uhr abends mit dem Gesicht zur Wand. Wir wurden nämlich einzeln in die Kanzlei gerufen und wurde dort ein Fragebogen ausgefüllt. Diese Prozedur dauerte eben so lange. Dann wurden einzelne Gruppen zu 30—40 Mann zusammengestellt und von alten Wärtern unter wüsten Beschimpfungen in die Zellen abgeführt. Die praktische staatsbürgerliche Erziehung begann damit, daß man namentlich den vielen reichsdeutschen Flüchtlingen aus Schlesien, die ebenfalls in Pilsen verhaftet worden waren — darunter waren vielfach über 70 Jahre alte Männer — die tschechische Sprache beibringen wollte. Man rief ihre Namen. Wenn sich einer mit „hier” meldete, erhielt er zwei schallende Ohrfeigen. Das wurde solange fortgesetzt, bis der Betreffende mit „zde" antwortete. Vor der Einlieferung in die Zellen wurden uns wieder alle Effekten abgenommen, aber diesmal in ein Buch eingetragen. Ich bemerke schon hier, daß das meiste trotzdem bei der Entlassung unauffindbar blieb.

Ich kam mit 29 Kameraden in eine Zelle, die für 15 Mann bestimmt war. Wir hatten für drei Mann zwei Strohsäcke und keine


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Decken, einen Tisch und zwei Bänke. In einem Eck befand sich ein Holzverschlag mit einem Kübel, wo man seine Notdurft verrichten konnte. Dieser Kübel wurde von uns zweimal im Tag geleert. Dazu gab es eine Waschschüssel und zwei Kübel mit Wasser zum Waschen, also etwa l Liter pro Mann. An dem Tage der Übersiedlung hatten wir gar nichts gegessen. Viele unter uns, namentlich die Greise, waren schon so schwach, daß sie bei der langen Warterei zusammenbrachen. Man ließ sie unbeachtet liegen, bis die Reihe an sie kam, und half ihnen dann mit Fußtritten weiter. Die folgenden Monate war unsere Verpflegung nicht besser als schon oben geschildert. Wir hungerten nach allen Regeln der Kunst. Vorstellungen wurden mit Hohngelächter beantwortet. Wie wir dann erfuhren, waren die winzigen Rationen von der Polizeidirektion augeordnet. Wir erhielten aber nicht einmal das, weil alle besseren Dinge, wie Hülsenfrüchte, Fett, Zucker in der Küche von den Wärtern entwendet oder vom Küchenpersonal an Protektionskinder verteilt und gegen Wäschestücke und andere gesuchte Dinge eingehandelt wurden. Wer sich beim Prügeln der „deutschen Schweine” besonders hervortat, wurde besonders berücksichtigt.

Die ersten Wochen kamen wir nicht aus der Zelle. Einmal in der Woche wurden wir einzeln auf den Gang gelassen und wurden uns die Haare kahlgeschoren und der Bart abrasiert. Im übrigen versuchten die Wärter, meist ganz junge Burschen, ausgesuchte Kommunisten und ehemalige Insassen deutscher Konzentrationslager, uns das Leben so sauer als möglich zu machen. Am Strohsack liegen oder sitzen durften wir nur von 9 Uhr abends bis 6 Uhr früh. Beinahe jeden Tag wurde die Zelle untersucht nach Zeitungen, Spielkarten, Bleistiften und Papier. Alles, was geeignet gewesen wäre, uns ein wenig die Zeit zu vertreiben, war verboten, wurde bei diesen Untersuchungen weggenommen und die Besitzer mit Ohrfeigen bedacht. Es gab unter ihnen Rohlinge, die nur darauf ausgingen, möglichst viele Ohrfeigen anzubringen. Das geschah z. B. in der Weise, daß er alle Mann in einer Reihe mit den Eßnäpfen antreten ließ, diese einzeln untersuchte und jedes gefundene Stäubchen mit zwei kräftigen Ohrfeigen quittierte. Die Einleitung dazu lautete gewöhnlich: Stellen sie sich gerade und nehmen sie die Brille herunter! Mit der Zeit waren wir alle gegen diese Rohheiten ganz abgestumpft und kamen uns nicht mehr wie Menschen, sondern eher wie eingesperrte Raubtiere vor. Am Dienstag und Donnerstag jeder Woche war es gestattet, sich krank zu melden. Meist geschah darauf überhaupt nichts. Etwa alle 14 Tage einmal erschien der Gefängnisarzt, besah ganz flüchtig die Krankgemeldeten und verschwand. Fast nie erhielten sie Medikamente oder sonst eine Betreuung. Verletzte wurden auch alle 14 Tage in einen anderen Raum gerufen, wo Notverbände angelegt wurden. Doch kam diese Hilfe fast immer zu spät, d. h. die Wunden waren längst gänzlich vereitert und, wie schon erwähnt, von Maden bevölkert. Es ist klar, daß nur Roßnaturen dieses Leben längere Zeit aushalten konnten. Infolge der Unterernährung stellte sich bald Hungertyphus und Ruhr ein, ohne daß der Arzt davon die geringste Notiz genommen hätte. Als ich einmal als Zimmerältester dem Wärter meldete, daß mehrere Kameraden an argem Durchfall erkrankt seien, erklärte er lächelnd, daß wir solange kein Brot erhalten würden, bis diese gesund gemeldet wären.


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Ungefähr nach vierwöchentlichem Aufenthalt erhielten wir pro Mann eine Decke. Es waren dies offenbar aus von der Wehrmacht weggeworfenen Dingen ausgesuchte Decken. Denn sie enthielten zahlreiche Läuse, was wir sehr bald merkten. Dazu gesellte sich eine Unzahl von Flöhen, die nach kurzer Zeit zu Tausenden unsere Strohsäcke bevölkerten. Unsere Bemühungen, durch andauernde Jagden dieser Plage Herr zu werden, mußten scheitern, schon aus dem Grunde, weil unsere Wäsche nicht gewechselt wurde. Wir konnten lediglich hier und da unsere Wäsche im kalten Wasser ohne Seife waschen, mußten aber den Tag über ohne Wäsche herumlaufen, bis sie wieder trocken war.

Erst im Juli erhielten wir die Erlaubnis, vorgedruckte Karten an Angehörige zu schreiben und uns Wäsche und 3 kg Lebensmittel per Woche schicken zu lassen. Manchen Kameraden hat dies geholfen, namentlich die aus den umliegenden Ortschaften stammenden bekamen regelmäßig diese Pakete und konnten so Wäsche wechseln und auch etwas ihre Ernährung verbessern. — Meine an meine Frau gerichtete Karte kam als unbestellbar zurück, wie bei fast allen Pilsenern, da sie, wie ich später erfuhr, ebenfalls interniert war, und das trotz ihrer Schwangerschaft. Daß sie und ihre dann zur Welt gekommene Tochter am Leben blieb, ist nur dem Umstände zu verdanken, daß es ihr gelang, im amerikanischen Spital des Roten Kreuzes Aufnahme zu finden, von wo sie dann nach dem Wochenbett nach Bayern abgeschoben wurde.

Die Folgen dieser sanitären Zustände blieben nicht aus. An Durchfall und Erschöpfung starben nach und nach alle älteren oder nicht ganz gesunden Kameraden. Als in den Sommermonaten wir hie und da im Gefängnishof etwa eine halbe Stunde herumgeführt wurden, konnte mancher kaum mehr über die Stiege. Die allgemeine Schwäche wurde dann zu neuen Quälereien ausgenützt. Man befahl Laufschritt, tiefe Kniebeugen und andere Übungen, bis einer liegen blieb, dann gab es Fußtritte und Ohrfeigen. So kam es, daß uns diese Spaziergänge keineswegs zur Erholung dienten. Es wurden dann auch Kameraden zu Arbeiten kommandiert. Manche unter ihnen trafen es gut, wenn sie z. B. in der Küche oder dem Gemüsegarten arbeiteten. Da fiel doch hie und da etwas zum Essen ab, und konnten sie dann auch den anderen Kameraden hie und da etwas hereinschmuggeln. Auch erhielten andere Kameraden, die dann später zu Arbeiten in der Stadt eingesetzt wurden, dort zusätzliche Verpflegung in der Gestalt von Suppe und Brot, weil sie sonst vor Erschöpfung doch nichts geleistet hätten, und konnten so etwas zur Verbesserung unserer Rationen beitragen. Es gelang auch, besonders einigen im Militärkrankenhaus Arbeitenden, einige Medikamente hereinzuschmuggeln, womit kranke Kameraden beteilt wurden. Manchmal wurden sie allerdings bei ihrer Rückkehr von der Arbeit gründlich visitiert und ihnen alles unter Ohrfeigen weggenommen. Es entwickelte sich aber bei manchen eine Virtuosität im Verstecken und Schmuggeln. Trotzdem gelang es nicht, vielen kranken Kameraden zu helfen. Sie starben ohne ärztliche Pflege. Wir mußten dann an die Zellentür klopfen, bis ein Wärter erschien. Nach einiger Zeit kamen dann zwei Sträflinge mit einer Tragbahre, warfen den Leichnam darauf und trugen ihn hinaus. Die wenigen Habseligkeiten mußten abgegeben werden und verschwanden dann meist spurlos. Ein Totenschein wurde nicht ausgestellt. Wie wir später erfuhren, teilten sich


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meist die Sträflinge die Beute, wobei auch die Goldzähne herausgebrochen wurden und mancher Wärter mit beteilt wurde. Die Leichen wurden dann dem Krankenhaus zur Sektion zur Verfügung gestellt und nachher verbrannt.

Im August 1945 wurde auch ich zur Arbeit geholt. Ich kam in die Taschnerei, wo aus Lederabfällen geflochtene Handtaschen verfertigt wurden. Hier war ein alter Wärter maßgebend, der sich mir bald als aus meiner Heimat gebürtig zu erkennen gab und nun alles tat, um mir zu helfen. Ich erhielt fast täglich etwas Nahrhaftes zugesteckt. Der Meister, ein verurteilter Mörder, erhielt den Auftrag, mich in jeder Weise zu begünstigen. Er sprach auch mit seinen übrigen Kollegen und sagte ihnen, daß ich eben niemals ein Feind des tschechischen Volkes gewesen sei, und so wurde ich dann auch von den anderen rücksichtsvoller behandelt. Er veranlaßte auch in der Küche, daß alle bei ihm beschäftigten Kameraden größere Portionen erhielten. Seinem Eingreifen habe ich wohl mein Leben zu verdanken.

Mitte Oktober hatte ich eines Abends hohes Fieber. Ich legte mich angezogen nieder und schwitzte so die ganze Nacht. Es wurde aber nicht besser. Den anderen Tag hatte ich starke Kopfschmerzen mit denselben Erscheinungen und war sehr schwach. Es legten sich dann auch andere Kameraden mit denselben Erscheinungen. Etwa acht Tage später wurde uns mitgeteilt, daß niemand die Zelle verlassen dürfe. Der diensthabende Wärter wurde nicht mehr abgelöst und mußte dauernd Dienst machen und in seinem Dienstraum übernachten. Dann erschien ein tschechischer Arzt, Herr Dr. X., gewesener Amtsarzt des Pilsener Arbeitsamtes und deshalb ebenfalls eingesperrt, und übernahm unsere Behandlung. Alle gesunden Leute wurden in andere Zellen geschafft, und zu uns kamen andere Kranke. In kurzer Zeit war der ganze Gang, etwa 170 Mann in 8 Zellen zum Krankenrevier erhoben. Dann erschienen andere Ärzte und entnahmen uns allen Blutproben. Die Untersuchung ergab Flecktyphus, bei mir im allerstärksten Grade. Ich hatte dann täglich bis zu 41 Fieber, konnte beinahe nichts essen und verfiel bald in dauernde Bewußtlosigkeit. Da bewährte sich nun die Menschlichkeit und Kameradschaft des Herrn Dr. X. Er war unermüdlich bestrebt, uns in jeder Weise zu helfen, erkämpfte die verschiedensten Medikamente, Kostzulagen usw. Wir erhielten dann auch auf einmal die Kost der tschechischen Sträflinge, die ausgiebig und gut war. Trotzdem starben die Kameraden um mich herum wie die Fliegen. Ich erwachte nur hie und da aus meiner Bewußtlosigkeit und sah wieder neue Kranke in meiner Umgebung und wieder andere nicht mehr. Einmal war mein Bettnachbar gestorben, und es erschienen die Leichenträger, um ihn fortzuschaffen. Da ich wie tot dalag, packten sie mich und sagten dann, als man sie auf den Irrtum aufmerksam machte: Den nehmen wir gleich auch mit, er ist ja schon im Verrecken. Aber meine gute Natur und Dr. X. Fürsorge erreichten doch, daß ich nach etwa drei Wochen fieberfrei war und begann wieder zu essen und mich langsam zu erholen. Ich konnte zwar nicht den Löffel zum Munde führen und mußte auf den Kübel getragen werden, aber es ging doch langsam vorwärts. Es starben dann noch immer viele Kameraden, die noch paar Tage vorher mich gepflegt hatten. Wir waren zum Schluß alle derart abgestumpft, daß dieses Elend auf uns fast keinen Eindruck mehr machte. Als die Seuche abgeklungen war, waren von den 30 Mann meiner ursprüng-


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liehen Zellenbesatzung 24 gestorben. Im ganzen Bory-Gefängnis starben so an Ruhr, Flecktyphus und Hunger 1800—2000 Mann bei einer Belegschaft von etwa 2500. Die genaue Zahl wird sich nie feststellen lassen. Später erfuhren wir von Dr. X., daß die Einrichtung der Quarantäne und die bessere Verpflegung und Behandlung auf Einschreiten des Prager Gesundheitsministeriums erfolgte, als nämlich bereits vier tschechische Gefängniswärter der Seuche erlegen waren und bereits einige Zivilisten in Pilsen erkrankten. Es erschien dann auch eine Desinfektionskolonne. Wir und unsere Sachen wurden mit einem amerikanischen Entlausungspulver eingestaubt, und das zweimal mit einer Pause von 14 Tagen. Das Ergebnis war ein restloses Verschwinden aller Läuse und Flöhe. Warum hat man das nicht vorher getan?

Den Weihnachtsabend verlebten wir in dieser Krankenzelle ohne besondere Feier. Die Kameraden, die noch mit ihren Angehörigen in Verbindung standen, erhielten allerlei gute Sachen, die sie auch mit uns anderen teilten. Dem Dr. X. veranstalteten wir eine kleine Feier und dankten ihm für seine Fürsorge. Von der Gefängnisverwaltung erhielten wir keinerlei Aufbesserung. Ebenso verging Neujahr ohne besondere Ereignisse. Im Jänner 1946 wurde dann die Quarantäne aufgehoben und unsere Krankenabteilung aufgelöst. Die bereits Gesunden kamen in einen anderen Trakt des Gefängnisses. Die noch Erholungsbedürftigen, darunter auch ich, in eine neu errichtete kleinere Krankenabteilung. Man trug mich damals auf der Tragbahre dorthin, da ich nicht gehen konnte.

Dort sammelten sich alle Kranken des Gefängnisses, etwa 160 Mann, alle unterernährt, erschöpft, dem Tode nahe. Auch hier starben noch viele und wurden so von allen Leiden erlöst. Die Behandlung hatte hier Herr Dr. Haas, der als deutscher Arzt in Pilsen ebenfalls eingesperrt war. Er war früher mein Hausarzt gewesen, und so tat er auch für mich, was er nur konnte. Bei mir bildete sich eine Zellengewebe-Entzündung im rechten Knie infolge der Unterernährung und dem vollkommenen Vitaminmangel. Als endlich nichts half und die Schmerzen unerträglich wurden, führte man mich eines Tages in das Bory-Krankenhaus, und wurde die Sache rasch aufgeschnitten und verbunden. Dann kam ich wieder in meine Zelle. Da der Verband anfangs nur alle acht Tage gewechselt werden konnte, es fehlte nämlich an Verbandstoff, übertrug sich die Eiterung auf die ganze Wade. Dr. Haas riet mir dann Freiluftbehandlung, und so ließ ich denn täglich die Sonne auf die Wunde scheinen, falls es eine gab. Sie drang ein wenig durch das Zellenfenster, immer nur von 4—6 nachmittags. Dann hatte ich zwei Binden. Die eine schlang ich nach der Bestrahlung um das Knie, die andere wusch ich aus. Eine antiseptische Behandlung war dies natürlich nicht, und so besserte sich mein Knie auch nicht im geringsten.

Im April 1946 wurde ich dann eines Tages zum Verhör geholt. Ein Herr in Zivil fragte nach meinen Personaldaten und nach dem Verhältnis zur Partei. Dann beschuldigte er mich, ich wäre ein Konfident1 der Gestapo gewesen, was ich widerlegte und als Zeugen meinen ehemaligen Chef und noch einen tschechischen Kameraden bei Skoda nannte. Es wurde ein Pro-


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tokoll aufgesetzt und von mir unterschrieben. Dann kam ich wieder in meine Zelle1.

Am 27. Mai, d. i. also nach ungefähr einjährigem Aufenthalt im Gefängnis, erhielten wir plötzlich den Befehl zu packen und wurden dann auf ein Lastauto verladen und in das Internierungslager in Třemošná bei Pilsen gebracht. Dies rettete uns noch Überlebende vor dem Untergange. Ich wurde dort gleich von einigen Pilsener Kameraden und Bekannten empfangen und mit Brot und anderen Speisen bewirtet. Da die ärztliche Untersuchung bei der Aufnahme Arbeitsunfähigkeit ergab, wurde ich gleich in das Krankenrevier aufgenommen. Hier konnte man endlich aufatmen. Es gab zwar auch nur Kartoffel und Brot, aber dies in ausreichender Menge. Auch erhielt ich von den gesunden und in der Umgebung arbeitenden Kameraden ihre Portionen, da sie an der Arbeitsstätte besser und ausreichend verpflegt waren. Ich habe auch in 14 Tagen von 55 auf 65 kg zugenommen. Es gab alle erdenklichen Medikamente und die beste ärztliche Behandlung, da einige ebenfalls internierte Ärzte dort tätig waren. Später wirkten hier wiederum Dr. X und Dr. Haas. Sie haben nun alles getan, um mich wieder auf die Beine zu bringen. Mein Knie wurde noch zweimal geschnitten und jeden zweiten Tag behandelt. Es gab Höhensonne, Lebertran und Vitamin-Injektionen. Auch machte ich eine Arsenkur. Als Kranker konnte ich liegen, wann ich wollte, hatte meinen eigenen Strohsack mit Leintuch und gute Decken. Die Wäsche wurde uns von ebenfalls internierten Frauen gewaschen und geflickt. Bei Tage und schönem Wetter konnte ich mich im Freien und in der Sonne aufhalten und genoß so die gute Luft — das Lager liegt mitten im Walde — aus vollen Zügen. Einmal wöchentlich konnten wir baden. Es gab da schöne Wannen mit warmem Wasser und auch gefaßte Seife. Der das Lager umgebende Stacheldrahtzaun wurde von Polizei bewacht, die sich aber um uns fast nicht kümmerte. Nur der Lagerverwalter, ein überzeugter Kommunist und ehemaliger Insasse von Buchenwald, versuchte uns durch kleinliche Schikanen das Leben sauer zu machen. Sein Stellvertreter war der Pilsener Henker, der ihm dabei half. Trotzdem kam uns dort das Leben wie im Paradies vor, nach allem, was wir im Bory-Gefängnis erduldet hatten. Es gab auch Bücher zum Lesen, eine Kantine, wo man manchen Leckerbissen kaufen konnte, und hie und da von den draußen arbeitenden Kameraden eingeschmuggelte Zeitungen. Im Lager waren auch Tschechen interniert. So traf ich auch mehrere ehemalige Arbeiter meiner Abteilung bei Skoda, die als unzuverlässig und als Kollaboranten interniert waren. Sie erhielten von ihren in Freiheit lebenden Angehörigen regelmäßig Sendungen von allerlei Lebensmitteln und haben mir jedesmal einen Teil davon überlassen, offenbar aus Dankbarkeit dafür, daß sie von mir während des Kriegs so gut behandelt wurden. Von hier aus durften wir auch endlich einmal in der Woche an unsere Angehörigen schreiben und von ihnen Post empfangen, was natürlich ausgenutzt wurde. So erfuhr ich erst jetzt das Schicksal meines Vaters, meiner Frau und meiner


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Kinder, die schon ein Jahr lang bei meinem Schwager in Bayern aufgenommen waren.

Im August 1946 begannen die Gerichtsbehörden endlich, uns zu verhören. Auch wurden unbelastete Kameraden in das entsprechende Aussiedlungslager geschafft und dann ausgesiedelt. Jeder von uns hoffte nun bald an die Reihe zu kommen. Einige wurden allerdings auch ins Kreisgericht geschafft und dort, wie wir dann der Zeitung entnahmen, verurteilt. Es gab da auch hie und da Hinrichtungen. Ich selbst wurde am 27. August in das Kreisgericht zum Verhör gebracht. Dort befragte man mich vor dem Untersuchungsrichter wieder nach meiner Parteitätigkeit und warf mir neuerdings vor, ich wäre Spitzel der Gestapo gewesen. Ich konnte nur wieder meine Unschuld beteuern und meine Zeugen nennen, die da immer noch nicht vernommen waren. Der Untersuchungsrichter machte mir den Eindruck, als wäre ihm seine Tätigkeit äußerst unangenehm, und er stilisierte auch das Protokoll ganz nach meinen Wünschen, das ich dann unterzeichnete. Am selben Tage wurde ich ins Lager zurückgeschafft und mir dort eröffnet, daß das Gericht über mich die ordentliche Untersuchungshaft verhängt habe. Ich frage nun: Was war das nun bisher mit all den Mißhandlungen und Entbehrungen gewesen?

Mitte September erschien der Kreisgerichtspräsident von Pilsen bei uns zur Inspizierung des Lagers. Er kam auch in unser Krankenzimmer und fragte nach Personen, deren Fall vom Gericht noch nicht erledigt wäre. Ich meldete mich, und schlug er die Hände über dem Kopf zusammen, als er erfuhr, daß ich nun schon 16 Monaten eingesperrt war, ohne daß mein Fall so oder so erledigt worden wäre. Er notierte sich meinen Namen. Am 1. Oktober erhielt ich die Mitteilung, ich solle mich zur Übersiedlung in das Aussiedlungslager Karlov bei Pilsen bereit machen. Am 4. Oktober 1946 wurde ich dann von einem Polizeiauto dorthin gebracht. Der Untersuchungsrichter hatte offenbar inzwischen meine Zeugen verhört und auf Grund ihrer günstigen Aussagen das Verfahren gegen mich eingestellt. Auch dürfte der Kreisgerichtspräsident beschleunigend gewirkt haben. Einen mündlichen oder schriftlichen Bescheid vom Gericht erhielt ich nicht. Es war das alles offenbar nur ein Vergnügen gewesen.

Im Lager Karlov ließ ich mich gleich in den nächsten Transport in die russische Zone aufnehmen, da der für die amerikanische Zone vorgesehene schon besetzt war. So wurde ich mit etwa 1200 Männern, Frauen und Kindern am 8. Oktober 1946 am Pilsener Bahnhof zu 30 Personen in einem Viehwagen verladen. Vorher hatten wir alle 50 kg Gepäck und 500 RM erhalten. Die gefaßten Sachen waren zwar ausnahmslos alte unbrauchbare Hadern, aber wir waren froh, diesem ungastlichen Lande den Rücken kehren zu dürfen.

So fuhren wir über Eger bis Altenburg, wo wir von den deutschen Behörden in Empfang genommen wurden. Nach zwei Tagen wurden wir dann in das Quarantänelager in Obermaßfeld bei Meiningen überführt, wo wir bis zum 24. Oktober verblieben. Von dort wurde ich dann in eine Privatwohnung nach Meiningen gewiesen, wo ich bis zum Tage verblieb, an dem ich die Zuzugsgenehmigung nach Bayern zu meiner Familie erhielt. Die Reise dorthin vollzog sich ohne Zwischenfälle.


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