Nr. 35: Die Zwangsmaßnahmen gegen die deutsche Bevölkerung im Raum von Troppau in den Jahren 1945/46.

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Bericht des Pfarrers Franz Wanke aus Troppau-Jaktar.

Original, 16. September 1946, 2 Seiten, mschr.

Der Vf. gibt einleitend einen kurzen Überblick über die Zahl der Deutschen und Tschechen im Troppauer Gebiet und das Verhältnis der beiden Nationalitäten.

Gegen Kriegsende wurde die Bevölkerung unter Androhung standrechtlichen Erschießens mehrmals aufgefordert, die Stadt vor der herannahenden Front zu verlassen. Die Deutschen leisteten den Befehlen Folge; die Tschechen in den Vororten warteten auf die Russen als auf ihre Befreier.

Ich als Pfarrer in Troppau-Jaktar (zu meinem Pfarrsprengel gehörten die Orte Jaktar, Milostowitz, Wlastowitz, Jarkowitz, Wawrowitz und Palhanetz mit etwa 3800 Katholiken) blieb in meiner Pfarrgemeinde gemäß der Weisung des Generalvikariates Branitz, daß jeder Seelsorger so lange zu bleiben hat, so lange die Bevölkerung bleibt.

Am 22. April 1945 zog sich die deutsche Front aus Troppau in die Bunkerlinie zurück, welche die Tschechen vor 1938 gegen die reichsdeutsche Grenze dicht hinter Jaktar erbaut hatten. In Jaktar lag vom 22. April bis zum 6. Mai die russische Front. Die russischen „Befreier” raubten, plünderten und schändeten. Die Besitze und Wohnungen der Deutschen wurden ganz ausgeplündert. Am 6. Mai zog sich die deutsche Front weiter zurück, der Russe stieß schnell nach. Zu den durchziehenden Russen, die in den deutschen Häusern raubten und plünderten, gesellte sich auch die tschechische Bevölkerung, die ohne Bedenken dasselbe tat.

Allmählich kehrten die Evakuierten unter unsagbaren Entbehrungen und Mißhandlungen durch Russen und Tschechen zurück, wurden von der tschechischen Miliz aufgefangen, der letzten Habseligkeiten und dürftigen Nahrungsmittel beraubt und in Massenlager mit dem Elend des Hungerns und Sterbens gebracht. Alles deutsche Vermögen wurde als beschlagnahmt erklärt. Bis Jänner 1946 waren selbst Kinder in diesen Lagern voll Elend und Ungeziefer. Wurden manche aus dem Lager entlassen, so durften sie nur Kellerwohnungen, Mansarden oder Behelfsheime gegen Mietzins als Wohnung erhalten. Russische Soldaten wurden von tschechischen Leuten zu diesen Wohnungen geführt, damit diese die deutschen Frauen vergewaltigen.


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Die aus dem Lager entlassenen Deutschen mußten sich wöchentlich zwei- oder dreimal polizeilich melden. Sie durften ohne schriftliche Bewilligung den Ort nicht verlassen. Sie durften kein Fahrzeug, weder Rad, noch Autobus, noch Eisenbahn benützen. Sie durften öffentliche Plätze und Lokale nicht besuchen. Sie mußten ein großes N (Němec = Deutscher) tragen. Sie durften keinen Gehsteig benützen, sondern nur die Straße. Bei einer Kost, wie sie den Juden in der Hitlerzeit gegeben wurde, mußten sie 12 bis 14 Stunden täglich arbeiten, selbst an Sonntagen, auf den Feldern Minen entsichern und herausholen. Die ersten Monate gab es für die Arbeiten keine Bezahlung. Später wurden den Deutschen von dem Lohn 20 % für den Aufbau des Staates abgezogen1. Im Troppauer Lager wurden Männer und Frauen schwer mißhandelt, einige zu Tode geprügelt und verscharrt2. Die Deutschen erhielten keine Milch, kein Fleisch, keine Kleider- oder Raucherkarten, keine Bezugscheine.

Alle deutschen Schulen wurden geschlossen, obwohl den Tschechen in der Hitlerzeit tschechische Schulen belassen wurden. Deutsche Kinder durften überhaupt in keine Schule gehen. Es durfte kein deutscher Gottesdienst gehalten werden. In Jaktar war den Deutschen eine Zeitlang auch der Besuch der Kirche polizeilich verboten, weil die Kirche ein „öffentliches Lokal” sei. Mein tschechischer Kaplan vertrat voll und ganz diesen Standpunkt. — Den Tschechen war vordem der Gottesdienst gar nicht gekürzt worden. — Die Lagerleute in Troppau hatten erst ab November 1945 einen eigenen Lagergottesdienst an Sonn- und Feiertagen, zu dem sie unter Bewachung geführt wurden; die Kirche wurde abgesperrt; niemand anderer hatte Zutritt. Die deutschen Priester durften in der Schule nicht unterrichten und erhielten kein Gehalt.

Meine Aussiedlung erfolgte auf Befehl der Kriminalpolizei Troppau, obwohl ohne mein Zutun in meiner ganzen Pfarrgemeinde von den tschechischen Katholiken von Haus zu Haus Unterschriften gesammelt wurden, daß ich dort bleiben soll und somit auch die čsl. Staatsbürgerschaft erhalten soll. Ein Kriminalbeamter erklärte mir, die Unterschreiber seien alle straffällig, weil sie für einen Deutschen intervenierten. Die Deutschen sind rechtlos.


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