Nr. 48: Gewalttaten sowjetischer Soldaten und tschechischer Partisanen in Landskron; die Vorgänge vom 17./18. Mai 1945: Razzia eines Partisanenkommandos auf die männliche Bevölkerung, Mißhandlung und Ermordung deutscher Männer durch ein improvisiertes Revolutionsgericht.

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Bericht des Notars Dr. Leopold Pfitzner aus Oderberg.

Abdruck aus: „Landskroner Heimatbrief”, 9. Jahrgang, Folge l u. 2 (Juni/Juli 1955).

Als der russische Angriff im März 1945 bis in den Raum Teschen—Oderberg vorgetrieben worden war, setzten sich die Behörden nach Evakuierung der Zivilbevölkerung von Oderberg, wo ich seit 1922 als Rechtsanwalt und seit 1939 auch als Notar tätig war, nach Westen ab. Die Bahnverbindungen waren unterbrochen, meinen PKW hatte der Kampfkommandant im März 1945 beschlagnahmt. Ich bestieg mein Fahrrad und fuhr am 4. April 1945 über Neutitschein, Olmütz in meine Heimatstadt Landskron, wohin sich meine Familie schon am 19. 1. 1945 geflüchtet hatte.

Bis zum Kriegsende fluteten durch Landskron Wehrmachtsteile, Belegschaften von Behörden und größeren Unternehmungen und die Elendszüge der Heimatvertriebenen. Am 8. Mai 1945 konnten wir von den Höhen des Landskroner Talkessels noch den Kampflärm vernehmen. Desorganisierte deutsche Truppen zogen sich fluchtartig zurück. In ihrem Gefolge sah man auf hochbeladenen LKW Zivilisten, Kraftfahrzeuge wurden mangels Betriebsstoff allenthalben in Brand gesteckt. In diese Szenerie des Feuers, der Verzweiflung und der Auflösung jeglicher Ordnung drangen die beutegierigen russischen Horden mit tschechischen Partisanen und feierten von da an durch Wochen hindurch Orgien von Haß, Grausamkeiten, Gewalttätigkeiten, plünderten und mordeten mit satanischer Gier. Türen und Fenster der Häuser wurden erbrochen, das Vieh aus den Ställen getrieben, viele Einwohner eingekerkert oder verschleppt, Frauen und Mädchen ohne Wahl und ohne Rücksicht auf das Alter vergewaltigt.

Die männliche Bevölkerung von Landskron wurde zu Aufräumungsarbeiten kommandiert. Ich wurde einem Arbeitskommando zugeteilt, das in der Ringofenziegelei Wehrmachtsausrüstungen zu ordnen und zu verladen hatte. Am 17. Mai 1945, gegen 11.30 Uhr ging ich mit einigen Landsleuten von der Arbeit nach Hause und hörte an einer Wegkreuzung, wie ein bewaffneter tschechischer Partisane einem tschechischen Zivilisten in tschechischer Sprache sagte, „daß heute das große Gericht beginnen würde”. Knapp vor meiner Wohnung wurde ich von wild herumschießenden Partisanen abgefangen und mit ungefähr 50 bis 60 Deutschen, die inzwischen zusammengetrieben worden waren, im Laufschritt auf den Marktplatz gepeitscht, wobei die tschechische Begleitmannschaft unablässig auf das Straßenpflaster schoß. Dadurch erlitten mehrere deutsche Männer Gellerverletzungen. Ich selbst wurde durch ein abprellendes Geschoß an der rechten äußeren Fußkante erheblich verletzt. Auf dem Marktplatz meiner Heimatstadt Landskron waren inzwischen etliche Hundert deutsche Männer zusammengetrie-


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ben worden, die in Reihen formiert wurden. Bis 7 Uhr abends am 17. Mai und den ganzen 18. Mai 1945 haben bewaffnete Tschechen und Russen an uns ein furchtbares Blutgericht gehalten. In meinem Heimatstädtchen mit seinen zirka 6500 Einwohnern wurden an den beiden Tagen gegen 40 Männer hingemordet; an 100 Landsleute gaben sich den Freitod.

Wir mußten am 17. 5. 1945 über sechs Stunden ununterbrochen beide Arme hochhalten. Jede Reihe war von patrouillierenden Partisanen flankiert. Wer die Hände auch nur sekundenweise sinken ließ, wurde mit dem Gummiknüppel über den Kopf oder die Arme geschlagen. Ununterbrochen Schossen die Partisanen knapp über unsere Köpfe hinweg. An den Fenstern, die geschlossen bleiben mußten, durfte sich niemand zeigen. Geschah dies trotzdem, schossen die Partisanen in die Wohnungen.

Plötzlich brüllte ein Partisane durch Lautsprecher: „Alles zusammen und nieder!” Die Hunderte von Männern drängten sich wie ein Bienenklumpen zusammen und versuchten vergeblich, sich auf die Erde zu legen. Es entstand ein wildes Durcheinander, über welches hinweggeschossen wurde. Ob und wer dabei verletzt wurde, konnte ich in der begreiflichen Aufregung nicht feststellen. Mit größter Schnelligkeit mußte sodann die Reihenordnung wieder hergestellt werden. Dies wiederholte sich einige Male.

Ein vom Schreien heiser gewordener Partisane veranstaltete mit uns Sprechchöre, indem er uns zu „Heil Hitler!” kommandierte, anschließend sogleich auf Tschechisch: „Es lebe Präsident Benesch, es lebe Generalissimus Stalin!” Zivilisten gingen die Reihen ab und suchten sich entweder besondere Opfer aus, die sogleich vor den unter freiem Himmel aufgestellten „Richtertisch” geschleppt wurden, um sofort gehängt oder erschossen zu werden, oder aber sie zogen ihnen bekannte Sozialdemokraten und Kommunisten heraus, die sich abseits vor dem Rathaus hinsetzen und die Massaker den ganzen Tag mit ansehen mußten.

Jeder angehaltene Deutsche mußte vor den „Richtertisch”, bis die Reihe an ihn kam, die letzten Schritte auf den Knien rutschen. Jeweils der erste rechte Mann in der Reihe trug mit erhobenen Händen ein Hitlerbild, das die Partisanen mit aufgezogenem Schleim bespuckten. Der Nebenmann mußte diesen Answurf jedesmal ablecken und hinunterschlucken.

An dem „Partisanenrichtertisch” saßen der Vorsitzende, namens Hrabáček, vier weitere Zivilisten, ein Gendarm, ferner stand dabei ein Partisanenweib, welches einige Deutsche, darunter auch mich, mit einem Gummistempel im Gesicht viermal abstempelte, bis ein Tscheche aus dem ersten Stockwerk des Landratsamtes ihr dies verbot. Andere Tschechen in Zivil, die die Mißhandlungen an den Verurteilten zu vollstrecken hatten, standen um das Partisanengericht herum1.

Dieses Blutgericht „verurteilte” die herangeschleppten Deutschen entweder zu Prügelstrafen zwischen 10 bis 100 Schlägen oder zum Tod durch Erschießen oder Erhängen. Die zu Prügeln Verurteilten wurden an jenen zwei Tagen in die Toreinfahrt des Gemeindehauses geschleppt, dort auf ein


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vorbereitetes neues breites Brett geworfen und, ohne daß einer der Henker zählte, mit Gummiknüppeln, Ochsenziemern, Gewehrkolben und Stöcken über den ganzen Körper, auch über den Kopf und Hals, geschlagen und mit Füßen getreten. Vor mir erhielt Brauereidirektor Lm. Gustav Zimmermann zehn Schläge zudiktiert. Die gellenden Schmerzensschreie der Geprügelten waren den ganzen Tag über in grauenerregender Stärke zu hören. Damit vermengten sich ununterbrochen die Gewehr- und Maschinenpistolensalven.

Ein Kandelaber vor dem Gasthaus Schmeiser diente als Galgen. Ich sah, wie der Installateur Josef Jurenka gehängt wurde. Er eilte selbst auf den Galgen zu, legte sich die Schlinge um den Hals, ein Partisane stieß den Hocker weg. Der Gehängte blieb, solange ich auf dem Ringplatz war, am Galgen, nachdem vor ihm ein anderer Deutscher gehängt worden war. Ferner sah ich, wie der Leiter des Amtsgerichts, Lm. Dr. Josef Meixner, schon unter dem Galgen angetreten war, nach kurzer Umfrage durch Lautsprecher aber wieder in meine Reihe zurückgetrieben wurde. Meixner hatte viele blutende Wunden auf dem Kopf und war sehr benommen. Er wurde nach Sibirien abtransportiert und kehrte von dort krank zurück.

Links vor dem Aufgang zum Rathaus (Amtsgericht) befand sich ein Luftschutzwasserbassin, in das mehrere Deutsche hineingeworfen wurden, worauf die Partisanen auf sie schossen1. Die am Leben Gebliebenen wurden herausgezogen, über das Geländer geworfen, aus Feuerwehrschläuchen angestrahlt, so daß sie umfielen, sodann wurden die meisten von ihnen an die Mauer gestellt und von Partisanen durch Feuerstöße aus Maschinenpistolen niedergestreckt. Die Ermordeten lagen dort auf einem Haufen, wurden gegen Abend auf einen Plateauwagen des Fuhrwerkers Stransky geworfen, auf den Friedhof geführt und, wie ich später erfuhr, in einem Massengrab begraben.

Fast nach jedem Mord trat ein Partisane an den Toten heran und gab ihm aus der Pistole einen Fangschuß mit der zynischen tschechischen Bemerkung: „Ted má dost!” (jetzt hat er genug!). Der Ziegeleibesitzer Lm. Ing. Josef Neugebauer wurde von drei Partisanen aus Richtung Kaufmann Heider anscheinend aus dem Gefängnis im Laufschritt über den Marktplatz gejagt, wobei ihn drei mitlaufende bewaffnete Tschechen unablässig mit Gummiknüppeln über den Kopf und den Rücken schlugen. Bei der Rathausmauer angelangt, stellte er sich auf Kommando mit erhobenen Armen mit dem Gesicht zur Mauer, Maschinenpistolen traten in Tätigkeit, Neugebauer fiel lautlos auf den Haufen der dort liegenden Gemordeten, ein Partisane gab auch ihm den Fangschuß. Auf ähnliche Weise, aber ohne Spießrutenlaufen, sah ich Lm. lug. Otto Dieterich an der Richtstätte enden.

Angesichts der Wasserkastenbestialitäten, der dichtanliegenden Toten, unter dem Schmerzensgebrüll der Gegeißelten, unter fortwährendem Schießen und den anderen schon beschriebenen Scheußlichkeiten suchten die Tschechen zwei starke deutsche Männer aus, befahlen ihnen, den Oberkörper zu entblößen und einen Boxkampf aufzuführen. Offenbar in der — allerdings irrigen — Hoffnung, sich das Leben zu erkämpfen, schlugen die


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Kämpfenden mit bloßen Fäusten aufeinander los, bis sich der eine von ihnen im Staube wälzte. Was weiter mit ihnen geschehen ist, konnte ich nicht beobachten. Den Bauer Richter aus Lußdorf habe ich in der darauffolgenden Nacht in meiner Zelle getroffen, er war durch die erlittenen Mißhandlungen völlig apathisch und wurde am nächsten Tag abtransportiert.

Mir wurden am 17. 5. 1945 gegen 18 Uhr dreißig Schläge vom Blutgericht zudiktiert. Bei dieser unmenschlichen Mißhandlung wurde ich zweimal ohnmächtig. Nach der Exekution wurde ich zu dem Eckhaus des Kaufmanns Heider geschleppt und dort sitzend an die Mauer gelehnt.

Gegen 19 Uhr wurden wir ungefähr 40 Männer in das Gerichtsgefängnis abgeführt, nachdem schon tagsüber einige Trupps dorthin eingeliefert worden waren. Vor dem Gefängnis brach ich wieder zusammen und wurde von meinen Leidensgenossen in die Zelle geschleppt. Die Schießereien hörten wir noch bis spät in die Nacht. An Schlaf war nicht zu denken, denn in einer bloß für drei Häftlinge bestimmten Zelle wurden 19 Männer zusammengepfercht, die alle schwer angeschlagen waren. Ich spürte, wie mich eine Lähmung beider Arme anschlich, am nächsten Tag hing mein rechter Arm schlaff herunter. Dieser Zustand dauerte einige Wochen. Bis heute sind eine teilweise Lähmung des rechten Ellbogennerven und die Folgen eines Bruches des rechten Kiefergelenks zurückgeblieben, die laut ärztlichem Befund nicht mehr zu heilen sind. Außerdem erlitt ich einen Bruch des linken Ellbogenknochens, Verletzung der Nieren, Blutunterlaufungen am ganzen Körper und eine Gehirnerschütterung.

Am 18. Mai 1945 wurden wir aus dem Gefängnis abermals auf den Marktplatz getrieben, wo die Tschechen ähnliche Greueltaten wie am Vortage verübten. Geschlagen wurde ich aber nicht mehr, auch die Arme mußten wir nicht mehr hochhalten, doch wurden wir wieder vor das Partisanengericht befohlen, nochmals untersucht und in das Gefängnis zurückgeführt. Der Massenmörder Hrabáček unterbrach, als ich vor dem Blutgericht stand, die „Sitzung” mit der Bemerkung, er müsse feststellen, ob „mich die Russen suchen”. Er ging in das Landratsamt, kam mit einem größeren Notizbuch zurück und sagte, er könne mich nicht in den Listen finden. 13 Tage wurde ich im Gerichtsgefängnis zurückgehalten. Die Verpflegung bestand in schwarzem Kaffee morgens, einer Gemüsewassersuppe mittags und abends wieder schwarzem Kaffee. Einmal täglich wurden 200 Gramm Brot ausgegeben. Ununterbrochen, tags und nachts, kamen kleinere Kommissionen der Russen, Partisanen und Zivilisten, auch Polen, in die Zellen, urn nach Deutschen zu fahnden, die anscheinend auf besonderer Liste standen. Einige Zellengenossen wurden sofort abgeführt. Welches Los ihnen beschieden war, haben wir nicht erfahren. In meiner Zelle waren u. a. Otto Sponner, Dr. Josef Meixner, Josef Janda aus Michelsdorf, aber auch ein Spitzel, dessen Name ich nicht kenne.

In der Zelle nebenan lag die Frau eines deutschen Gendarmen, die schwer mißhandelt worden war, mit ihrem kleinen Sohn. Sie wurde in das Krankenhaus nach Wildenschwert übergeführt.

In anderen Zellen waren Dr. Haus Rieß, der Gastwirt Franz Mottl und der Schneidermeister Hans Blesel.


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Auf dem Flur vor den Zellen mußten verschiedene Deutsche, ein Gendarm, ein in Landskron wohnhafter Holländer, der Spediteur Karl Nagl und andere, mir nicht namentlich Bekannte, tagelang mit zur Wand gekehrtem Gesicht, an Händen und Füßen mit starken Seilen oder schweren Eisenketten gefesselt, stehen und wurden dann, mir unbekannt wohin, fortgebracht.

Nach meiner Entlassung aus dem Gefängnis lag ich einige Wochen teilweise gelähmt und an inneren Verletzungen krank in meiner Wohnung.

Mitte Juni wurde anläßlich der Registrierung der männlichen Bevölkerung von Landskron wiederum ein großer Teil der Männer in verschiedenen Gebäuden eingesperrt; ich selbst, obwohl kaum gehfähig, wurde mit etlichen 20 auf dem Dachboden der sogenannten ''Beseda”1 eingesperrt. In der Nacht wurden einige der Inhaftierten zur Leibesexekution in einen Nebenraum gebracht, aus dem dann Schmerzensschreie zu hören waren. Mit schweren Mißhandlungen kamen in jener Nacht zu uns stumpfsinnig Wartenden zurück: der Gefangenenaufseher Wondra, der bis vor wenigen Tagen noch Dienst gemacht hatte, und ein gewisser Groß aus Troppau. Beide stöhnten vor Schmerzen die ganze Nacht. Am nächsten Morgen wurde ich wieder entlassen. Auch in dieser Nacht wurden wir von Fahndungstrupps besucht.

In der Nähe des Badhauses hatte ein betrunkener russischer Soldat einen anderen russischen Soldaten erschossen. Eine russische Patrouille erschoß daraufhin den ersten ihr aus jenem Hause entgegenkommenden deutschen Mann, der gar nicht zu Wort gekommen war. In jenen Tagen des 17. und 18. Mai 1945 wurden auf der Straße Rudolf Gerth und Forstdirektor Theodor Benesch von Partisanen umgebracht. Deutsche Frauen wurden wiederholt von Russen vergewaltigt. Die minderjährige Tochter eines Bekannten wurde von den Russen vergewaltigt, der Vater wurde gefesselt und mußte diesem Verbrechen zusehen.

Ein Mädchen sprang aus dem Fenster des ersten Stockes, um der Vergewaltigung zu entgehen, und brach sich das Bein. Durch Wochen, bis zu meiner Vertreibung, schlief die Bevölkerung kaum, da sie sich vor den die ganze Nacht plündernden Russen und Partisanen rechtzeitig sichern wollte, um besonders die Frauen zu verbergen.

In der Zeit vom Kriegsende bis zu meiner Vertreibung am 5. Juli 1945 erhielten wir die deutschen Hungerkarten. Ich mußte mich täglich bei der Polizei melden, alle Deutschen mußten die weiße Armbinde bei sonst schwerer Strafe tragen. Die deutsche Bevölkerung der umliegenden Dorfgemeinden wurde in das inzwischen von den Polen besetzte benachbarte Preußisch-Schlesien ausgetrieben, von wo einige zurückkehrten.

Im folgenden berichtet der Vf. über die Austreibungsaktion Anfang Juli 1945 und über seine weiteren Erlebnisse2.


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