Nr. 49: Zwangsarbeitseinsatz in den Kohlengruben des Ostrauer Reviers; Hilfsbereitschaft der tschechischen Bevölkerung.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Erlebnisbericht des Bauern Hans Hanel aus Freihermersdorf, Kreis Freudentha1.

Original, 19. Februar 1953, 4 Seiten, hschr.

Am 25. 8. 45 wurden wir verständigt, daß wir am 27. 8. um 7 Uhr früh bei der Gemeindekanzlei gestellt sein müssen. Mitzubringen sind: Essen für drei Tage, Rucksack, Eßnapf, eine Decke. Keiner wußte wohin es geht, und viele wußten nicht, daß sie nicht mehr zurückkommen werden. Am 27. früh erwartete uns ein Aufgebot von Gendarmerie und Partisanen. Nach Feststellung der Anwesenheit wurden wir zum Bahnhof getrieben, im Wartesaal eingeperrt, trotz großer Hitze durfte kein Fenster geöffnet werden, auch durfte keiner austreten. Als der Zug einfuhr, raus im Laufschritt in die Waggons. In der Bezirksstadt Benisch waren aus dem ganzen Kreis Freudenthal Kinder von 14 Jahren bis 65jährige Männer zusammengetrieben. Die ärztliche Untersuchung ergab wenig Geeignete für Grubenarbeit. Da das Kontingent nicht aufgebracht wurde, wurden wir ohne Rücksicht auf Eignung in offene Kohlenwaggons hineingepfercht und wie Vieh abtransportiert. Was ins Ostrauer Revier ging, wurde von Polizei, was nach Prag kam, von tschechischem Militär eskortiert. .. .

Der Vf. wurde ins Zwangsarbeitslager Radwanitz bei Mährisch Ostrau geschafft.

Wir waren zirka 500 Zivilisten im Lager. Am 1. November kamen 200 SS-[Leute] und am 26. Dezember 1945 800 Mann Wehrmacht, die vom Russen entlassen, von den Tschechen aber zur Zwangsarbeit verschleppt wurden. Die 200 Mann SS waren Jungen von 17 bis 18 Jahren, die zum Schluß zur SS gemustert wurden. Sie kamen vom Arbeitseinsatz bei tschechischen Bauern und waren gut beisammen. Auf sie stürzten sich die Wachen wie die Aasgeier, sie wurden splitternackt ausgezogen, und blutige Wäsche und blutige Uniformen von der deutschen Wehrmacht und ein paar Holzschuhe war ihre Kleidung. Von ihnen starben die meisten an Hunger, der Großteil stammte aus dem Altreich. Die Verpflegung bestand durch Monate hindurch aus täglich: 150 g Brot, Rübenschnitzel, früh bitterer schwarzer Kaffee, abends fast leere Suppe. Dafür täglich acht Stunden unter Tage und drei bis vier Stunden ober Tage schwer arbeiten. Mit eigenen Augen habe ich gesehen, wie die Jungen Kartoffelschalen aus der Latrine mit den Händen herausfischten, abwuschen und kochten, weil sie der Hunger so quälte. Wurden sie von der Wache erwischt, schlug man sie, bis sie bewußtlos waren. Von ihnen starben die meisten. In der Totenkammer lagen oft fünf bis sechs nackt übereinander geworfen. In der Nacht wurden sie fortgefahren, ob verbrannt oder wo verscharrt, niemand weiß es.

Vom Ungeziefer wurden wir fürchterlich geplagt. Zweimal kamen wir nach Ostrau zur Entlausung. Dort waren deutsche Frauen und Mädel als Helferinnen, und wir standen nackt unter ihnen und sprachen uns Trostes-


262

worte zu. Die sanitären Einrichtungen waren geradezu fürchterlich. Auf der Marotka1 war ein tschechischer Sanitäter, ein Rohling ohnegleichen. Ihm augeteilt war ein deutscher Medizinstudent, er tat alles Menschenmögliche, um uns zu helfen, doch waren ihm beide Hände gebunden und lief er Gefahr, erschlagen zu werden. Mit Brüllen und Ohrfeigen begann die Untersuchung, und mit einem Fußtritt wurde sie meistens beendet. Der Lagerführer Pawelek war nicht der Schlechteste, er konnte sich aber nicht durchsetzen. Der Küchenchef Watzlawick hat uns bestohlen wie noch nie. Er hat viele, die an Hunger starben, am Gewissen.

Die Wache und ihre Familien lebten auf unsere Kosten gute Tage. Kanjae hieß der Hauptschläger. Jeder zitterte, wenn er ihn sah. Er hat seine eigene Frau so geschlagen, daß sie daran starb. Anfangs 1946 durften uns unsere Angehörigen Packerl schicken. Sie wurden von der Wache geöffnet, was ihnen gefiel, nahmen sie heraus, für den Rest mußten wir 5 Kč bezahlen. Das Ärgste waren die Schikanen im Lager. Nur eines. Wenn wir von Nachtschicht kamen, schnell Kaffee holen, dann alles heraus zum Morgensport. Laufen, Kriechen, Froschhüpfen, auf—nieder, begleitet von Fußtritten und Kolbenschlägen. Der Arbeitsleistung nach waren wir in drei Gruppen l, 2, 3 eingeteilt. Wenn der erste Sturm vorbei war, konnten wir Einser abtreten in eine Baracke ohne Fenster, nach einer halben Stunde kamen die Zweier. Der Schluß bei den Dreiern war der Wassertümpel im Lager. Dort wurden sie mehrere Male durch das eiskalte Wasser gejagt, war er zugefroren, soweit belastet, bis sie einbrachen, dann am Hof solange still stehen, bis die Kleider zugefroren waren; abends wieder auf Schicht. Die Zweier und Dreier waren nicht faul oder arbeitsscheu, es waren jene, die infolge Unterernährung nicht mehr konnten. Über unsere Entlohnung und die Abrechnung im Lager lege ich ein Original bei, aus dem zu ersehen ist, daß der tschechische Unternehmer bezahlen mußte, aber die von dem damals demokratischen Benesch-Regime ins Leben gerufenen Einrichtungen um vieles teuflischer waren, als die von den Kommunisten unterhaltenen. Wir konnten arbeiten und verdienen, was wir wollten, wir bekamen pro Schicht nur 5 Kč ausbezahlt, obwohl der Schacht für uns pro Schicht rund 91 Kč bezahlen mußte. Seife, eventuell eine alte Hose, Schuhreparatur wurde uns außerdem abgerechnet. Für eine Postkarte, amtlicher Tarif 1,20 Kč, mußten wir 2 Kč bezahlen. Die Abzüge unter „fond” wurden jedem auf ein Konto bei einer Bank in Ostrau eingelegt, und sollten wir bei der Entlassung das Geld bekommen. Als ich am 8. Mai 46 zwecks Aussiedlung freigelassen wurde und wegen meinem Geld, das zirka auf 6000 Kč angewachsen sein mußte, [fragte], sagte man mir, daß es an den Národní Výbor meiner Heimatgemeinde überwiesen wird. Da es sich als Betrug herausstellte, schrieb ich an die Schachtverwaltung und erhielt ich postwendend Bescheid, daß ich an die Sčivnosta Banka Mähr. Ostrau schreiben soll, sie verständigen die Bank, daß ich aus dem Lager freigelassen wurde, zweimal schrieb ich, keine Antwort, der Národní Výbor erklärte sich als nicht zuständig, die 60 km bis Ostrau konnte ich zu Fuß nicht zurücklegen, da mein Körpergewicht von 75 auf 54 kg abgesunken war. Mit der Bahn


263

durften die Deutschen nicht fahren, die Räder hatte man uns geraubt. So waren für mich die 6000 Kč, für die ich mir so manches hätte kaufen können, weg. So erging es allen: 44 Schächte im Ostrauer Revier, auf jedem Schacht 600 Deutsche1.

Um der Wahrheit gerecht zu werden, will ich noch kurz folgendes berichten: Der erste Monat im Schacht war für uns Lehrzeit. Wir wurden tschechischen Arbeitern zugeteilt. Der meine hieß N. und begrüßte mich folgend: „Ich Kommunist, du jetzt mein Bruder. Ich 2 1/2 Jahre strafweise in Sachsen in einem Bergwerk. Hitler-Deutschland ganz prima, fest arbeiten, viel Essen, Zigaretti, Schnaps und viel Geld. Du gut bei mir haben.” Er lehrte mich alle Arbeiten, war gut zu mir. Ich wurde nach einen Monat als Häuer eingesetzt, obwohl ich das erstemal in einer Kohlengrube und 51 Jahre alt war. Steiger und Obersteiger waren anständige Menschen. Der Betriebsingenieur kam alle 8—10 Tage einmal durchs Flöz. Er sprach jedesmal bis zu einer halben Stunde mit mir über vieles, besonders interessierte er sich für die Verhältnisse im Lager. Da ich mich sehr zurückhaltend darüber äußerte, sagte er zu mir: „Haben Sie keine Angst, ich verrate Sie nicht, alle Tschechen sind nicht schlecht.” Er hielt Wort. Wenn wir vom Lager zum Schacht marschierten, so reichten uns tschechische Frauen manche Schnitte Brot, die wir untereinander teilten. An zwei Sonntagen mußten wir die Fußwege mit Schlacke bestreuen, da kamen tschechische Frauen und ließen beim Vorübergehen Brotschnitten fallen, damit es die Wache nicht sah.

Es gibt also keine Kollektivschuld für ein Volk, ganz gleich welche Sprache es spricht.

Der Vf. beschließt seinen Bericht mit einer allgemeinen politischen Betrachtung.


264