Nr. 50: Kirchlichreligiöse Verhältnisse in Trautenau und Umgebung; Internierung der deutschen Geistlichen und ihr Zwangsarbeitseinsatz in Eipel.

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Bericht des Pfarrers Hermann Schubert ans T r a u t o n a u.

Beglaubigte Abschrift, (1. Dezember 1952), 9 Seiten, mschr. Teilabdruck. Der Bericht stützt sich auf Tagebuchnotizen.

9. Mai 1945. Um 18 Uhr rollen die ersten russischen Panzer in Trautenau ein. Es herrscht Ruhe und Ordnung, kein Schuß fällt. Trautenau wird unter tschechische Verwaltung gestellt. Um 19.00 Uhr halten wir in der Erzdekanalkirche wie üblich die Marienandacht. Die Kirche ist fast leer.

Die nun folgenden Tage sind gekennzeichnet durch Plünderungen, Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen von 14 bis 70 Jahren. Selbstmorde häufen sich. Abends ist das Pfarrhaus überfüllt mit verängstigten Frauen und Mädchen, die hier übernachten wollen. Die Russen haben Kirche und Pfarrhaus tatsächlich in Ruhe gelassen. Der Gottesdienst kann regelmäßig gehalten werden. Tschechische „Soldaten” beginnen aber bald damit, deutsche Männer und Frauen, Burschen und Mädchen auf dem Weg zum Sonntagsgottesdienst aufzuhalten und sie zu Zwangsarbeit während des Sonntags in die Kasernen zu schaffen. Dadurch wagen es viele Leute nicht, am Sonntag das Haus zu verlassen.

13. Mai. Unsere Erzdekanalkirche wird von tschechischen Polizisten nach Waffen und versteckten Soldaten untersucht. Selbstverständlich ergebnislos.

17. Mai. Nach einer Anordnung der tschechischen Behörden müssen alle Reichsdeutschen innerhalb von 48 Stunden das Gebiet des Trautenauer Bezirkes verlassen. Viele Flüchtlinge aus dem Rheinland und anderen Gebieten werden davon betroffen. Den Leuten wird fast alles weggenommen. Nur in wenigen Fällen wird ein längerer Aufenthalt bewilligt.

23. Mai. Alle Deutschen, mit Ausnahme der deutschen Bolschewiken, müssen ihren Radioapparat, Photoapparat, Vervielfältigungsapparat, Feldstecher usw. abliefern. Kein Deutscher darf mit der Eisenbahn fahren.

25. Mai. Frau Elfriede Jarolimek, mein Geschwisterkind, muß innerhalb von drei Stunden ihre Wohnung — Schuldienerwohnung in der Lehrerbildungsanstalt — räumen. Sie ist Kriegswitwe mit drei kleinen Kindern. Wenn sie nicht fristgerecht geräumt hat, wird ihr alles, was sie noch in der Wohnung hat, weggenommen.

27. Mai. Um 11 Uhr ist in unserer Kirche der erste tschechische Gottesdienst. Knapp 200 Menschen waren gekommen, darunter viele Neugierige.

2. Juni. Prälat Dr. Doskočil ist zu Besprechungen wegen Übernahme der kirchlichen Vermögenswerte in Trautenau eingetroffen. Wir erhalten Augenzeugenberichte über die unmenschliche grausame Behandlung deutscher Verwundeter durch die Tschechen; besonders im Lager in Jungbuch geschehen furchtbare Grausamkeiten.

8. Juni. Jeder Deutscher muß eine weiße Armbinde mit dem schwarzen „N" am linken Unterarm tragen (N = Němec, Deutscher).


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10. Juni. Erstkommunionfeier mit 60 Kindern. Den Unterricht haben wir während der ganzen Revolutionszeit in der Sakristei gehalten. Einige russische Soldaten waren bei der Feier in der Kirche. Sie benahmen sich sehr anständig.

15. Juni. Viele Frauen und Männer aus Trautenau werden von der tschechischen Polizei auf Autobusse verladen und weggeschafft; angeblich zu Arbeiten aufs Land. Die Leute dürfen fast nichts mitnehmen. Man erklärt ihnen, daß sie nach wenigen Tagen wieder in die Heimat dürfen. Das war eine gemeine Lüge. Viele durften nie mehr in ihre Wohnungen zurück. Die Wohnungen wurden ausgeraubt. Täglich kommen Leute zu uns, die über die Schandtaten der tschechischen Räuber berichten und in der Aussprache mit dem Seelsorger etwas Trost suchen. Von den Zwangsaussiedlungen werden oft unsere besten katholischen Familien betroffen, die politisch durchaus einwandfrei sind. Interventionen sind aussichtslos. Nur ehemalige Sozialdemokraten und vor allem Kommunisten genießen einen gewissen Schutz. Sie dürfen eine rote Armbinde tragen und erhalten die gleichen Lebensmittelzuteilungen wie die Tschechen. Die übrigen Deutschen bekommen die sog. „Judenrationen”. Fleisch gibt es für Deutsche überhaupt nicht.

23. Juni. Viele Trautenauer werden in ein Barackenlager nach Ober Altstadt geschafft, wo ein regelrechter Sklavenmarkt aufgezogen wird. Tschechische Bauern und Fabrikanten suchen die arbeitsfähigen Menschen heraus und nehmen sie mit. Familien werden rücksichtslos zerrissen. Wer sich von seinen Angehörigen nicht trennen will, wird geschlagen und roh mißhandelt.

30. Juni. Wir erfahren, daß Pfarrer Anton Rührich aus Gießhübel im Adlergebirge von tschechischen Soldaten ermordet wurde. Die näheren Umstände dieses Verbrechens sind uns bis heute nicht bekannt.

9. Juli. Kanonikus Skeřik von Königgrätz übernimmt im Auftrage des Bischofs die Vermögenswerte des bischhöflichen Generalvikariats in Trautenau.

13. Juli. Die SNB (sbor národní bezpečnosti) rückt in Trautenau ein. Diese tschechische Polizeiformation entpuppt sich nach und nach als typische SS-Mannscîiaft des tschechischen Bolschewismus. Gerade diese Truppe ist berüchtigt geworden durch Raubgier, Vergewaltigungen, Roheiten und Morde. Zumeist sind es junge Burschen, auch uniformierte Mädchen sind dabei.

14. Juli. Alle Zugänge zur Stadt sind durch die SNB gesperrt. In der Filialgemeinde Weigelsdorf ist Kinderbeicht angesetzt. Die Beicht muß ausfallen, da ich die Stadt nicht verlassen darf. Hausdurchsuchungen sind an vielen Stellen der Stadt im Gange. Den SNB-Männern geht es hauptsächlich darum, möglichst viele Wertsachen für die eigene Privatkasse zu rauben. Das große Fabrikgebäude der AEG und die sog. „Kluge-Villa” sind als Konzentrationslager eingerichtet worden. — Diese beiden Gebäude haben furchtbare Grausamkeiten gesehen. Dort sind Morde geschehen, die derzeit noch nicht aufgeklärt werden können. Hoffentlich bietet die Zu-


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kunft Gelegenheit zu einem „Friedensverbrecherkongreß”, der auch diese gemeinen Morde einer gerechten Sühne zuführt.

29. Juli. Im Sklavenlager in Ober Altstadt, das eigentlich für 500 Menschen eingerichtet ist, sind jetzt 2000 Deutsche untergebracht. Die Hitze und die Wanzenplage sind furchtbar.

30. Juli. In offenen Kohlenwagen wurden heut über tausend Deutsche aus dem Lager Ober Altstadt fortgeschafft. Niemand weiß, wohin der Zug fährt. — Später erfuhren wir, daß diese Armen an die sächsische Grenze gebracht und dort ihrem Schicksal überlassen wurden. Ich habe hier in Bayern bereits Briefe von Trautenauern erhalten, die diesen Leidensweg mitgemacht haben. Grauenhaftes Elend war das Los der Ausgewiesenen1.

7. August. Das erste Ordinariatsblatt des bischöflichen Ordinariates in Königgrätz kommt an mit einem Hirtenbrief des tschechischen Diözesanbischofs Dr. Mauritius Picha. Vielleicht wird dieses Blatt einmal als amtliches Dokument für das Versagen des tschechischen Katholizismus in der Zeit größter Not gelten. Ein überspannter Nationalismus hat bis in die höchsten kirchlichen Kreise das tschechische Volk erfaßt.

Es ist niederdrückend, daß gerade katholische Priester und katholische Laien das Treiben der tschechischen Bolschewiken mitmachen und billigen. Der tschechische Katechet Janeček in Eipel gehört z. B. zum Aussiedlungskomitee der Stadt Eipel. Zeitungen (Lidová demokracie2) und Zeitschriften (Nový národ3), die der christlichen Richtung angehören wollen, sind stolz darauf, in der Hetze gegen alles Deutsche an der Spitze zu stehen. Es ist eine himmelschreiende Schande, daß zwei katholische Priester als Minister in der bolschewistischen tschechischen Regierung sitzen4 und die Regierungsmaßnahmen gegen die Deutschen voll und ganz mitverantworten. — Msgr. Šrámek ist stellvertretender Ministerpräsident, Msgr. Hála ist Postminister. — Die Maßnahmen gegen die Deutschen sind klar und eindeutig gegen das Naturgesetz, gegen die göttlichen Gesetze, gegen jede Menschlichkeit und Kultur. Die Tatsache, daß tschechische Priester in führender Stellung die furchtbaren Rohheiten und Gemeinheiten der bolschewistischen tschechischen Revolution billigen, gehört zu den traurigsten Erscheinungen der tschechischen Geschichte.

7. August. Meine Mutter, Frau Maria Schubert aus dem kleinen Dorf Hintermasting, ist ausgesiedelt worden. 38 Jahre lang hat sie als Fabrikarbeiterin schlicht und treu ihre Pflicht getan; durch 31 Jahre hat sie als Kriegswitwe in schwerer Arbeit unser kleines bescheidenes Elternhaus für ihre drei Kinder erhalten und betreut. Sie war bekannt als offene Gegnerin des Hitlerismus. Nie ist ein Hitlerbild in unser Haus gekommen. Die tschechische Raubgier machte auch vor dieser armen Arbeiterin keinen


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Halt. Mit etwa 500 anderen Deutschen, meist Fabrikarbeiterinnen und alten Leuten, mußte sie den Marsch ins Lager antreten. Von den wenigen Habseligkeiten, die sie in einem alten Koffer und einem selbstgemachten Rucksack mitschleppen konnte — sie ist 58 Jahre alt — wurden ihr im Lager Arneu durch die tschechische SNB in der Nacht einige Kleidungsstücke gestohlen.

8. August. Die Mutter ist mit den anderen Deutschen in das Lager nach Hohenelbe gekommen. Ich fahre mit dem Rad hin und verhandle mit den dortigen tschechischen Behörden. Eine ganz junge Beamtin schreit mich tschechisch an: „Alle Deutschen gehören in die Gaskammer; alle Deutschen sind Mörder” usw. Endlich erreiche ich bei einem Bekannten die Entlassung meiner Mutter aus dem Lager. Ich darf sie zu mir nach Trautenau nehmen. Meine 72jährige, kranke und vollständig blinde Tante muß ich im Lager lassen. Ich bekomme sie nicht frei. Der tschechische Amtsarzt, den ich um Unterbringung meiner Tante im Hohenelbener Altersheim bitte, ist wenigstens höflich. Er sagt mir im Lauf einer kurzen Unterhaltung: „Sie werden als katholischer Priester bei uns Tschechen wenig Arbeit haben. Das tschechische Volk ist grundsätzlich gottlos.”

9. August. Heut bin ich mit der Mutter nach Trautenau gegangen. Koffer und Rucksack hatte ich aufs Rad gebunden. 35 km war der Weg lang; leere Personenzüge fuhren an uns vorüber, aber der Deutsche darf nicht mit dem Zug fahren. Meine Mutter wohnt nun mit mir in meinem Kaplanzimmer.

14. August. Unser tschechischer „Kommissar” ist angekommen: Kaplan Josef Novak, etwa 27 Jahre alt, bisher als Kaplan in Eipel tätig. Er hatte schon in der letzten Zeit die tschechischen Gottesdienste gehalten. Wir haben bald gemerkt, daß dieser junge Priester seinen Mangel an Anstand und Bildung durch Aufgeblasenheit zu ersetzen suchte. Er mag vielleicht Psychopath sein. Bisweilen macht er wirklich einen guten Eindruck; plötzlich packt ihn aber der tschechische Fanatismus wieder, und er vergißt sein Amt und seine Würde. Der hochwürdigste Herr Erzdechant, Prälat Richard Popp, hatte den Bischof von Königgrätz dringendst gebeten, im Interesse der Seelsorge nicht den Kaplan Novak, sondern einen anderen tschechischen Seelsorgepriester als Kaplan nach Trautenau zu senden. Der Bischof und sein Konsistorium kannten den Kaplan Novak, es standen ihnen fähige Priester zur Verfügung; trotzdem haben sie gerade diesen Mann mit der Seelsorge für die Tschechen der Stadt Trautenau betraut. Die bischöflichen Behörden von Königgrätz haben dadurch bewußt mitgeholfen, die blühende Trautenauer Seelsorgsgemeinde zu zerstören.

18. August. Das bischöfliche Konsistorium von Königgrätz schickt uns die neue Gottesdienstordnung für die Erzdekanalseelsorge Trautenau. Es sind in unserer Pfarrgemeinde immerhin noch wenigstens 8000—10 000 deutsche Katholiken und etwa tausend tschechische Katholiken. Von den Tschechen gehen an Sonntagen knapp 100 in die Kirche, an Wochentagen etwa zehn bis fünfzehn. Trotzdem soll jetzt bevorzugt tschechischer Gottesdienst gehalten werden. Der Gottesdienst für die deutschen Katholiken ist gerade noch geduldet.


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24. August. Konsistorialrat Karl Ezer, Bürgerschulkatechet i. R., 70 Jahre alt, ist in Trautenau ausgesiedelt worden und kam in das Massenlager nach Ober Altstadt. — Später wurde er als Hilfsarbeiter in einer tschechischen Fabrik in Schwadonitz beschäftigt. Knapp vor Weihnachten durfte er wieder nach Trautenau zurück. Am 27. August ist seine Wohnung ausgestohlen worden. Der tschechische Kaplan hat einige Sachen „gerettet”.

25. August. Morgen ist ein tschechisches Fest in der Stadt. Der tschechische Kaplan will die Staatsfahne und die Sowjetfahne auf der Kirche hissen. Ich habe eine erregte Auseinandersetzung mit ihm. Die Sowjetfahne bleibt unten. Einige Tage vorher war in der Stadt ein tschechischer „Sommerkarneval”. In der Nacht zog der Pöbel gröhlend durch die Straßen und sang alt-tschechische Wallfahrtslieder.

27. August. Dechant Cölestin Baier, Pfarrer von Merkelsdorf, ist, wie wir jetzt erfahren, vor einiger Zeit von tschechischen Soldaten erschossen worden. Angeblich mußte er sein Grab selbst schaufeln. Als seine Wirtschafterin und zwei andere Personen, die ebenfalls erschossen wurden, weinten und nicht mitgehen wollten, sagte er: „Kommt nur, wir gehen ja heim!” - Erst später erfahren wir, daß am 24. August abends zwei Patres des Benediktinerklosters Braunau von tschechischen Soldaten ermordet wurden: P. Ansgard OSB und P. Alban OSB. Sie wurden aus der Schönauer Pfarrei in den Wald geführt, erschossen und verscharrt.

31. August. Zeitig in der Früh wird unsere Nachbarschaft ausgesiedelt. Ich verabschiede mich von den Leuten und gehe zur hl. Messe. Nach dem Gottesdienst kommt die SNB ins Erzdekanalamt und verkündet uns, daß wir alle um 10 Uhr in der AEG gestellt sein sollen. Damit haben wir den Aussiedlungsbefehl. Schnell packen wir unter SNB-Aufsicht unsere schon vorbereiteten Sachen zusammen. Der hochwürdigste Herr Prälat spricht einige Abschiedsworte und erinnert daran, daß er 35 Jahre lang in der Seelsorge in Trautenau gearbeitet hat und nun wie ein Hund aus dem Pfarrhaus gejagt wird. Wir empfehlen uns in einem gemeinsam gesprochenen Gebet dem Schutz Gottes und der Gottesmutter. Weinende Kirchkinder begleiten uns zur AEG. Dort ist die erste flüchtige Leibesvisitation und Gepäckkontrolle; einige Sachen bleiben an den tschechischen Fingern kleben.

Hier werden vom Vf. die Namen der drei Geistlichen und acht ihnen nahestehender Personen angeführt, die von dieser Maßnahme betroffen wurden.

Im überfüllten Autobus fahren wir auf den Sklavenmarkt nach Ober Altstadt. Spöttische Bemerkungen der Wache empfangen uns. Wieder wird unser Gepäck untersucht, und einzelne SNB-Führer werden etwas reicher. Vor dem eigentlichen Lager ist eine Wiese; dort stehen oder sitzen die Neueingelieferten: tschechische Bauern und Fabrikanten betrachten prüfend das frische Material. Allgemeines Aufsehen erregt es, als der Lagerführer den hochwürd. Herrn Prälaten wie einen Schulbuben anbrüllt. Ein deutscher Bauer hat eine schwere Mittelohrentzündung. Sein Kind, ein etwa 12jähriges Mädchen, ist bei ihm. Es sind Flüchtlinge aus dem Schönhengstgau. Ein Tscheche will den Mann haben, aber nicht das Kind. Schreiend hängt sich das Kind an den Vater. Der Lagerführer schlägt wütend beide


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ins Gesicht. Mit uns Priestern weiß man noch nicht richtig, was man anfangen soll. Nach längerem Hin und Her werden wir einer kleinen tschechischen Firma in Eipel zugesprochen. Der Ort ist 11 km von Trautenau entfernt im ehemaligen Protektorat. Die Firma Josef Těmin übernimmt alle Ausgesiedelten aus der Erzdechantei, dazu noch sechs Personen aus Trautenau. Am späten Nachmittag werden wir auf ein altes Lastauto verladen und nach Eipel geschafft.

Wenn ein Bauer ein Stück Vieh kauft, hat er den Stall dazu vorbereitet. Der Betriebsausschuß der Firma Těmin hat Menschen als Arbeitssklaven übernommen und hatte überhaupt nichts vorbereitet. Wir kamen gegen Abend nach Eipel. Im städtischen Sammellager war kein Platz, also mußte die Firma selbst etwas schaffen. Das ging sehr flink. Nicht weit von der Fabrik war ein altes Magazin; ein ziemlich großer Raum, angefüllt mit alten Farbenfässern, verrosteten Maschinenteilen, Bienenstöcken und anderen Sachen. Die Fenster waren zum Teil zerschlagen, die elektrischen Lichtleitungen abmontiert. In einer Ecke war ein Gänsestall für 6 wohlgenährte Gänse eingerichtet. Dieses Magazin wurde nun unser Lager. Der Gänsestall wurde herausgeräumt; zwischen den Fässern und Maschinen versuchten wir, die uns von der Firma zugewiesenen schwach gestopften Strohsäcke auf dem Betonfußboden unterzubringen. Die Frau des nebenan wohnenden Fabrikschlossers duldete es nicht, daß wir aus der Wasserleitung Trinkwasser holten; wir mußten in der Nachbarschaft um Wasser betteln. Wie das Magazin, so war auch das einzige Klosett in einem äußerst verwahrlosten Zustand. Wir nannten das Lager „Villa Rattenheim”.

1. September. Es ist Samstag. Wir haben frei. Die Bestimmungen für das Lager sind noch nicht eingetroffen, Lagerwache ist auch keine, so können wir ausgehen. Unser erster Weg führt uns in die Kirche. Wir feiern das hl. Meßopfer. Der Pfarrer, ein lieber, älterer Herr, nimmt uns gütig auf, voll Entsetzen über das Schicksal, das der tschechische Bolschewismus uns bereitet hat. Ein Neupriester ist Kaplan im Ort als Nachfolger des berüchtigten Novak. Auch der Kaplan ist voll Güte und priesterlicher Hilfsbereitschaft. — Später müssen beide Priester auf Grund verschärfter Bestimmungen notgedrungen Abstand halten.

3. September. Erster Arbeitstag. Die Firma hat zwei kleine Fabriken, nämlich eine Garnbleicherei mit Färberei und eine Mangel mit Appretur. Die Belegschaft hat eben ihren Urlaub, so sind wir Deutschen fast allein im Betrieb. Wir erhalten verschiedene Hilfsarbeiten: Holz schlichten, Maschinen putzen usw. Später werden wir in bestimmte Abteilungen eingesetzt. Der Herr Prälat wird Hilfsarbeiter in der Mangel, ebenso Kaplan Neumann; ich komme als Hilfsarbeiter in die Garnbleicherei.

10. September. Wir lernen die tschechische Belegschaft kennen. Meist sind es Nichtkatholiken, entweder gehören sie zur tschechischen Nationalkirche oder sind überhaupt konfessionslos. Politisch sind zwei größere Gruppen: Kommunisten und Nationalsozialisten. — Es gibt später manche interessante Aussprache. Der einfache Arbeiter ist durchaus nicht so gehässig wie der kommunistische Bonze. Viele, besonders ältere Arbeiter, verurteilen das Vorgehen gegen uns Priester. Doch darf niemand dazu


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laut seine Meinung sagen. Der Tscheche hat heut nicht viel mehr Meinungsfreiheit wie der Deutsche in der Gestapozeit. Überall sind Spitzel. Die Arbeiter haben auch Anweisungen erhalten, wie sie sich uns Deutschen gegenüber zu verhalten haben.

Wir erhalten nun unser Mittagessen in der Werkküche, die in einem Gasthaus untergebracht ist. Frühstück und Abendessen haben wir im Lager. Das Essen ist verhältnismäßig gut und reichlich. Wir haben die Schwerarbeiterzulage. Gegenüber den großen Lagern haben wir den Vorteil, daß wir die Karten in die Hand bekommen und selbst kochen können. So werden wir nicht betrogen.

12. September. Wir übersiedeln aus der „Villa Rattenheim” in die ‚.Villa Mäuseloch”. Gleich neben der Fabrik steht ein altes kleines Haus aus Stein. Ein Wohnraum ist vorhanden mit einem Küchenofen. Die Wände sind sehr dick und durch und durch feucht. In der Wohnküche wird eine große Pritsche aufgeschlagen als Nachtlager für die Frauen. Wir Männer schlafen am Dachboden. — Einige Zeit später werden der Ziegenstall und der Pferdestall etwas hergerichtet. Wir räumen den Mist heraus, und an die Stelle der Dielen kommt ein Betonboden. So entsteht aus dem Ziegenstall eine Art Waschküche und aus dem Pferdestall ein Schlafzimmer für die Männer. Im Winter sind wir in dieses Schlafzimmer übersiedelt, da es beheizbar war.

16. September. Ein herrlicher Sonntag. Wir erhalten viele Besuche aus Trautenau. — Schon in der folgenden Woche kamen aber sehr strenge Bestimmungen für alle Internierungslager in Eipel. Wir erhielten einen Lagerführer in der Person des Fabrikpförtners. Es war ein verbissener Kommunist und Deutschenhasser. Besuche durften nur mehr in Gegenwart des Lagerführers bei höchstens 15 Minuten Sprechzeit empfangen werden. In unserem Lager wurden nur 5 Minuten Sprechzeit gewährt. Am Sonntag darf niemand das Lager verlassen.

23. September. Der erste Sonntag ohne hl. Messe, da niemand das Lager verlassen darf. In der Stube haben wir gemeinsam die hl. Messe deutsch gebetet. Zwei Kerzen brannten, ein Kreuz stand am Tisch und Blumen schmückten den armseligen Notaltar. — Bis zum 18. November hatten wir keine Möglichkeit, am Sonntag die hl. Messe zu feiern. Am 18. November konnten wir zum ersten Mal im Lager selbst in einer kleinen neuen Baracke zelebrieren.

28. September. Die Tschechen hatten Feiertag — St. Wenzelsfest. P. Neumann und ich müssen im Fabrikhof ein Lastauto Kleinholz abladen und das Holz aufräumen. Post kommt jetzt sehr wenig. Sie muß durch die Zensur. Auch wir müssen unsere Post durch die Zensur leiten. Alles muß tschechisch geschrieben sein. In einem Brief vom 14. Oktober, den ich durch die Zensur gegeben habe, hatte ich den Satz geschrieben: „Heute früh hatten wir wieder eine schöne Andacht, da wir nicht in die Kirche zur hl. Messe gehen konnten. Es ist das zwar schwer für uns, daß wir nicht einmal am Sonntag die hl. Messe haben, aber der Herrgott weiß, warum er das zugelassen hat.” Dieser Satz mißfiel dem obersten Führer der Eipeler Internierungslager, dem ehem. Hilfsarbeiter Josef Podzimek. Er bemühte


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sich persönlich in unseren Betrieb und gab mir eine scharfe Zurechtweisung. Ich habe von der Zeit an keinen Brief mehr durch die Zensur gehen lassen; aber geschrieben habe ich noch sehr viel.

Wie ich auf Umwegen erfahren habe, hat der tschechische Kaplan von Trautenau Briefe, die noch an mich nach Trautenau kamen, unterschlagen.

2. Oktober. Zwei Damen aus Trautenau, Fräulein Annalene Kluge und Fräulein Helene Thamm, wollten uns besuchen. Da sie keine vorschriftsmäßige Erlaubnis hatten, wurden sie von unserem Lagerführer bei der Polizei angezeigt. Acht Wochen wurden diese beiden Damen im Gefängnis in Eipel eingesperrt.

23. Oktober. Wir haben Zuwachs ins Lager bekommen. Ein Schlosser aus Eipel — ein Deutscher — darf nicht in seinem eigenen Haus bei seiner schwer kranken tschechischen Frau bleiben, sondern muß während der Nacht ins Lager. Etwa 200 m vom Lager entfernt steht sein Haus.

1. November. Es wird uns mitgeteilt, daß wir von nun an pro Kopf monatlich 200 Kč Lagermiete zu zahlen haben. So kommt die Miete des Hauses auf monatlich über 3000 Kčs.

4. November. Sonntag. Auf Befehl der Kommunisten wird im ganzen Staat in allen Betrieben „zum Dank für die Verstaatlichung der Großbetriebe” gearbeitet. Dafür bekommen in unserer Werkküche die Tschechen zum Mittagessen Gänsefleisch.

28. November. Zwangsweise müssen wir Deutschen abends nach der Arbeit ins Kino, wo uns ein russischer Propagandafilm über einen Prozeß gegen deutsche Soldaten vorgeführt wird. Der Film macht als gar zu deutliches tendenziöses Machwerk überhaupt keinen Eindruck. Wir freuen uns nur, daß wir auch die anderen in Eipel internierten Deutschen — es sind einige Hundert — wieder einmal sehen können.

23. Dezember. Sonntag vor Weihnachten. Wir haben früh in der kleinen Baracke die hl. Messe gefeiert. Eben sind wir fertig, da kommt der Befehl: „Alle Männer und jungen Frauen nach Schwadonitz zum Bahnhof; es muß ein Schotterzug ausgeladen werden.” Herr Prälat darf daheimbleiben, P. Neumann und ich müssen mit. Den ganzen Tag schinden wir uns auf der Strecke. Wir tragen das Collare1, jeder kann sehen, daß deutsche Priester am Sonntag vor Weihnachten zum Schotterschaufeln eingesetzt werden. Es hat böses Blut sogar unter den tschechischen Katholiken gemacht. Wir bekamen kein Mittagessen, nur nachmittags um 1/2 3 Uhr eine fast leere Suppe.

25. Dezember. Wir durften in die Kirche gehen und haben dort unsere hl. Messe gefeiert. Eine große Krippe steht in der Kirche. Über der Krippe ist eine Stadt aufgebaut mit einer Burg, und vor der Burg wehen — die Fahnen der Alliierten, auch die Sowjetfahne. Das haben wir als die tiefste Erniedrigung empfunden, die je einer Krippe zugefügt wurde. Die Fahne Sowjetrußlands auf der Krippe des Heilands in einer katholischen Pfarrkirche. So tief ist der tschechische Nationalismus gesunken.


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26. Dezember. Wir erfahren, daß in Trautenau deutsche Menschen auf dem Weg zum Weihnachtsgottesdienst von SNB-Männern geschlagen wurden.

4. Jänner 1946. Kaplan Neumann wird aus dem Lager entlassen und kommt als Administrator nach Kleinaupa.

4. Feber. Unser Lager wird aufgelöst. Zwei Tage zuvor hatten wir es erfahren. Um 8 Uhr kommt unverhofft die Polizei und führt eine gründliche Revision unseres Gepäcks durch. Der Abschied von den Arbeitern war herzlich.

Im folgenden schildert der Vf. den Aufenthalt im Ausweisungslager Jungbuch, Kreis Trautenau, und den Transport nach Deutschland1-