Nr. 52: Lebensverhältnisse in Tetschen unter sowjetischer Besatzung und tschechischer Verwaltung, Austreibung der deutschen Bevölkerung Ende Juni 1945; Erlebnisse des Vfs. in Gefängnissen und Konzentrationslagern bis zu seiner Ausweisung Ende 1946.

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Bericht des Professors Dr. Emil Hanke aus Tetschen.

Original, 27. Januar 1955, 3 Seiten, mschr.

Wegen eines Herzleidens war ich vom 1. bis 12. Mai im Tetschner Krankenhaus. Am 7. Mai 1945 hörte man aus Richtung Schneeberg starken Geschützdonner. Am 8. Mai, kurz nach Mittag, erlebte Tetschen den ersten verlustreichen Fliegerangriff, der sich abends wiederholte. Schreckliche Szenen spielten sich da im Keller des Krankenhauses ab, da die vielen Verwundeten alle ins Krankenhaus gebracht wurden. In Tetschen und Bodenbach brannte es an vielen Orten. Am 9. Mai erfolgten früh noch Sprengungen in der Bensner Gasse. Nun sah man, erst zaghaft, dann allgemein die Häuser weiß beflaggt. Tetschen war mit schlesischen Flüchtlingen vollgepfropft. Auch in unserer Wohnung in der Lausitzer Straße waren bis 20 Flüchtlinge untergebracht.

Am 8. Mai erschien in Tetschen vorerst eine polnische Brigade, die in den Häusern hauste und plünderte. Uns gegenüber in Behmels Garten war das Plünderungsgut an Kleidern, Wäsche, Radios, Betten, Schreibmaschinen


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hoch aufgetürmt. Am 10. 5. kam die russische Soldateska. Diese setzte die Plünderungen fort, die Wohnungen, in denen sie hauste, waren hernach verwüstet und beschmutzt, es war ein Grausen, dies zu sehen. Die Russen suchten vor allem Schnaps und Weiber, letztere waren ihr Freiwild. In der Nacht hörte man die Hilferufe der Mädchen und Frauen, die vergewaltigt wurden. Es getraute sich niemand auf die Straße, doch die Frauen suchten über Nacht sichere Verstecke. Magazine und Eibkähne wurden geplündert, auch die Bevölkerung versorgte sich mit Fett, Schokolade, Suppenwürfeln, Tabak usw. Zivilisten, die man auf der Straße sah, wurden zu Arbeiten kommandiert, ohne daß die Familie von ihren Arbeitsplätzen Kenntnis hatte. Der Nachbar unseres Grundstückes, Schlossermeister Gahlert, wurde von den Russen erschossen. In unserer Wohnung übernachteten Frauen und Mädchen, um sich vor den Russen zu schützen, denn in unserer Schule befand sich ebenerdig ein Reserve-Lazarett. Unsere Lehrerinnen im anderen Gebäude flüchteten auf den Schulboden. Dort stand ein Pferdeskelett. Vor diesem hatten sich die Russen, die den Boden mit einer Taschenlampe ableuchteten, offenbar gefürchtet, und die Lehrerinnen waren gerettet. In einem Haus nahe von dem unsrigen hatten die Russen zwei 15jährige Mädchen vergewaltigt. Besonderes Interesse hatten die Russen auch für Uhren, und deshalb machten sie ständig Kleidervisite auf der Straße.

Am 19. 5. kam das sehnlichst erwünschte tschechische Militär. Nun wird Ordnung werden, so hofften wir alle. Aber welche Enttäuschung, sie brachten erst die Hölle. Oft mußten selbst die Russen gegen die Tschechen um Hilfe gebeten werden, die sie oft erfüllten, insofern es sich nicht um Jagd auf Frauen handelte. Nun gab's Plünderungen, die Tschechen nannten es Kommissionen, die angeblich nach Waffen suchten. Am 22. Mai mußten alle Schieß- und Stichwaffen abgeliefert werden. Auch ich trug meine Jagdgewehre aufs Polizeiamt. Der Besitz von Waffen wurde mit Erschießen bedroht. Am 4. Juni mußten die Radio-Apparate abgeliefert werden. Jetzt waren wir von der Welt abgeschlossen und nur auf Gerüchte angewiesen.

Nun begannen auch die Verhaftungen. Der Národní Výbor amtierte, eine přihláška1 folgte der anderen. Schon ahnten wir, was mit uns geschehen würde. Doch die Latrinengerüchte nährten noch immer bald Hoffnung, bald Verzweiflung. Es hieß, daß die Amis bis zur Elbe besetzen. Das war freilich ein trügerischer Trost. In meinem Hause in der Jahnstraße hatten sich zwei tschechische Partisanen einquartiert, ihre Frauen kamen nach zum Plündern. Am 18. 6. wurde die Nachbarin, Frau Richter, aus ihrem Hause gewiesen, ein Los, das nun allen bevorstand. Am 19. 6. hatte ich die erste Hausdurchsuchung in meinem Hause. „Hinauf, Du deutsches Schwein”, „deutsche Hure”, und ähnliche Ausdrücke gab's jetzt zu hören. Nun wußten wir Bescheid. Die Tschechen kamen ohne alles, schwer bepackt zogen sie mit Koffern und Taschen durch die Straßen. Die Häuser durften nicht verschlossen werden, und so gab es ein Beutemachen nach Herzenslust für unsere Befreier.

Am 21. Juni begannen in Tetschen straßenweise die Vertreibungen. Am 23.6. saß auch meine 76jährige Schwiegermutter, die in meinem Hause wohnte, auf der Straße mit Richtung zum Schützenhaus. Auf Umwegen brachte ich


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sie in unsere Wohnung in der Lausitzer Straße und von da abends nach Bünauburg zur Schwägerin in der Nadelfabrik, dort beschützten gefangene Franzosen die Familie in der ersten Zeit nach dem 8. Mai. Am 25. Juni folgte die Ausweisung der Dr. Hibsch-Straße, am 26. Juni war wieder Altstadt daran. Im Schützenhausgarten war Gepäckrevision, man beließ den Armen fast nichts. Was schön oder wertvoll schien, mußte dableiben. Die Ausgeplünderten wurden auf die Straße nach Herrnskretschen getrieben und dort nochmals ausgeplündert. Das war ein trauriger Zug, zum Weinen. Wie Verbrecher wurden sie, „die deutschen Schweine”, aus der Heimat verjagt. In Sachsen staute sich die Menschenflut. Am 28. Juni begannen die Antifaschisten mit ihrer Aktion. Es gab wenig Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft, manche Radikale zeigten Rachgefühle und Schadenfreude. Die Vertreibungen gingen schonungslos weiter. Die wenigen Deutschen, die einen roten Schein hatten und als unentbehrlich noch bleiben konnten1, wurden aus dem Haus getrieben oder bei Tag und Nacht von Wohnungskommissionen heimgesucht. Viele Familien gingen freiwillig und warteten die Evakuierung gar nicht mehr ab.

Trotzdem ich in der Centra-Fabrik beschäftigt war, mußte ich jeden Tag mit der Evakuierung rechnen. Seit 16. 7. war ich mit meiner Familie reisefertig. Am 22. 7. wurde Dr. Kohoušek, der sich parterre eingenistet hatte, Správce meines Hauses, am 25. 7. wurde mir das Betreten des Gartens verboten. Die Tschechen pflückten Weichsein2, Johannisbeeren, und ernteten im Garten. Wir mußten das durch das Fenster alles ansehen. Die Straßen waren ständig mit Vertriebenen besetzt. Am 25. 7. kamen Tichlowitzer auf der Straße gezogen. Alle Deutsche müssen hinaus, das war uns bekannt.

Wir hatten Sperrstunden, mußten weiße Binde tragen, durften den Gehsteig nicht benützen. Auf den deutschen Lebensmittelkarten war nur ein Viertel soviel zu haben wie auf den tschechischen, die Einkaufszeiten waren für Deutsche auf 3—5 Uhr festgesetzt, aber auch dann mußten die Tschechen bevorzugt bedient werden. Sonntag war für die Deutschen Ausgangssperre, da schafften die Tschechen gern ihre Plünderware ins Tschechische.

Am 21. August war meine Hausverweisung und Verhaftung. Schon vormittags hatte mich ein gewisser Ingenieur Fort in der Centra ausgehorcht. Ich kam gegen 1/2 3 Uhr nach Hause und wollte gerade essen. Da kam eine Wohnungskommission, die meine rote Karte, nach der ich vorläufig in der Wohnung verbleiben durfte, für ungültig erklärte und mich mit Familie aus dem Haus verwies. Nur das Wichtigste durften wir zusamenraffen, es gab keine Zeit zum Einpacken.

Als ich noch verhandelte, kamen zwei Gendarmen, die mich angeblich zu einem kurzen Verhör holten. Ich fuhr mit ihnen ohne Hut und Mantel zur Centra, dort hatte man meinen Sohn zurückbehalten, damit er mich ja nicht informieren konnte, hernach auf das Gendarmerie-Kommando nach Politz. Gegen 6 Uhr abends war ich schon mit Gesicht zur Wand auf dem Korridor des Tetschner Gefängnisses. Meine Familie (Frau, Sohn, Tochter mit dem


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3 Monate alten Kind und Schwiegermutter) lag auf der Straße. Die erste Nacht verbrachten sie in einem Gasthaus „Zur Hölle”, wo sich noch Herr Arlt befand, in der Gaststube. Mich brachte ein Partisan, „Balbo” genannt, in Bewegung. Er jagte mich über den Gefängnishof, und mit einem Fußtritt flog ich die Stiegen im Hofgebäude hinauf. Mit Hände hoch und Gesicht zur Wand stand ich auf der Stiege, die schon übervölkert war. Unerwartet flog ich mit der Nase an die Wand, daß sie blutete. Die ganze Wand war schon mit Blut beschmiert. Zwei Schläger, darunter der Balbo, bearbeiteten mich. Ich wurde niedergeschlagen und bekam Fußtritte. Gesicht und Augen waren verschwollen und blutunterlaufen, als ich mich wiederfand.

Die erste Nacht mußte ich auf den Stiegen stehen mit Gesicht zur Wand. Die folgende Woche lag ich ohne Decke, Mantel und Brett auf der kalten Kellerstiege. Der Chlorkalk aus den Latrinenkübeln verursachte eine tränende Augenentzündung. Nach 8 Tagen kam ich in eine Zelle mit ca. 19 m2, in der wir 28 Mann auf dem blanken Boden lagen, der von Flöhen wimmelte. Die tägliche Verpflegung bestand aus 135 g Brot und Kartoffelsuppen oft mit den Kartoffelschalen. Nach 8 Tagen hatte ich bereits geschwollene Beine (Ödeme). Meine Familie wußte die ersten Tage meinen Aufenthaltsort nicht.

Das Gefängnis war überfüllt. Es hatte normalerweise Platz für ca. 40 Häftlinge, nun waren mehr als 600 Personen hineingepfercht. Eine Entlastung erfolgte nur durch Abtransporte ins KZ Rabstein bei B. Kamnitz. Viele Landsleute waren vor Hunger wieder über die Grenze zurückgekommen, sie wurden geschnappt und kamen auch ins Gefängnis, hernach in Lager oder als Arbeitssklaven ins Innere von Böhmen, wobei meist die Familien zerrissen wurden. Immer kamen neue Verhaftete zu uns, darunter Otto Pohl aus Bensen und Rudolf Grunert aus Ober-Wellhotten1. Die Schläger hatten beide besonders zugerichtet.

Früh wurden im kleinen Gefängnishof die Arbeitspartien zusammengestellt. Nach 10 Tagen durfte auch ich mit auf Arbeit gehen. Nun bekam ich auch Verbindung mit meiner Familie, die in der Fleischgasse eine Notwohnung gefunden hatte. Ich kam zum Abräumen der Panzersperren bei der Nordbahnbrücke, zum Barackenbau am Quaderberg und in Altstadt, zum Ausräumen der Lehrkanzeln an der Hochschule in Liebwerd, zum Distelstechen in Liebwerd und unter Führung unseres Dr. Kreibich (Bensen) zum Sortieren der geplünderten Textilien bei Pekarek und Müller. Am 29. September brachte mich ein Gendarm nach Friedland. Er war sehr human, denn er gab mir zu rauchen und kaufte mir am Bahnhof in Böhm. Leipa ein Mittagessen. Er versprach mir, meine Familie zu verständigen, daß ich mich in Friedland befinde. Er hielt auch Wort! Bei meiner Einlieferung ins Friedländer Gefängnis, wo bereits 19 Kameraden erschlagen wurden, bekam ich aber keinen Schlag. Auch das verdankte ich meinem humanen tschechischen Gendarmen. Etliche Wochen lag ich mit vielen Friedländern im Keller auf muffigem Stroh. Später kam ich in eine trockene Zelle auf einen Strohsack, eine wirkliche Flohkiste. In unserer Kaserne herrschte eine


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große Kameradschaft, besonders denke ich an unsere Ärzte Dr. Markowac und Dr. Hoffmann (Rückersdorf). Die ersten 14 Tage in Friedland hatte ich drei Verhöre zu überstehen. Es ging aber bei mir ohne Schläge ab.

Am 13. Oktober kam ich mit Furunkulose ins Krankenhaus — Gefangenenabteilung —, wo ich 14 Tage verblieb. Gegen die Verpflegung im Gefängnis war das Essen sehr gut, nur zu wenig. Ein Kamerad hatte einen zerschlagenen Fuß, der andere eine abgeschlagene Gesäßhälfte. Der fauligsüßliche Geruch zwang uns, tags und nachts zu lüften. Die beiden Kameraden waren aus Arnsdorf und hießen Tschiedel und Lammel (?). Am 29. 10. kam ich zurück ins Gefängnis und am 5. 11. in das KZ Reichenau bei Gablonz. Ich bekam einen Zebra-Anzug. Mit Ingenieur Walter Riedel baute ich Wege. Wir lagen in Baracken mit drei Stockwerken, die Verpflegung war ganz ungenügend. Der Velitel Vostřák machte uns das Leben schwer. Unsere Kartoffeln bekamen die vielen Schweine, die er füttern ließ. Den Schweinen stahl ich gelegentlich die heißen Kartoffeln, wenn sie auch in der Hosentasche brannten. Der Velitel nannte uns nur die Himmelhunde. Einmal ließ er uns fast 3 Stunden im Regen auf dem kotigen Platz zwischen den Baracken marschieren. Er war ein Sadist. Er ließ uns nationalsozialistische Lieder und tschechische Spottlieder auf uns selbst singen. Am 17. 11. kam ich wieder zurück ins Friedländer Gefängnis, wo ich bis zum 20. 12. verblieb. Am 17. 11. hatte ich ein kurzes Verhör, am 28. und 29. aber schwere Verhöre mit viel Prügel mit Fäusten und Händen von dem Gendarmen Cimerman und einem mir aus der Zeit vor 1938 bekannten Gendarmen. Gegen 4 Wochen hatte ich heftige Schmerzen in der Brust, die durch innere Blutergüsse verursacht wurden. Gefängnisleiter war ein Herr Dlouhý, der zu meiner Zeit schon etwas gemäßigter war. Ich arbeitete nur leicht, denn ich bekam öfters starke Herzanfälle. Vor allem war ich beim Straßenkommando, einige Tage auch in der Infektionsabteilung im Krankenhaus. Eine tschechische Krankenschwester überließ mir ihr gutes Mittagessen, und ich vermittelte ihr die Übersetzung ihrer Liebesbriefe ins Französische. Am 20. 12. kam ich wieder nach Reichenau in das Internierungslager, wie es nun hieß. Am 22. 12. kam ich mit einem Transport ins Arbeitslager bei der Fa. Schovanek nach Albrechtsdorf bei Tannwald. Velitel M. war ein sehr vornehmer Mensch, was von unserem deutschen Lagerleiter nicht gesagt werden konnte. Ich fing als Clo-Aufsicht an, wurde Kartoffelschäler, später sogar Kommandant der Verwaltungsbaracke. Von Anfang Mai 1946 bis 9. Oktober war ich wieder im Internierten-Lager Friedland, von wo ich nach Mecklenburg ausgesiedelt wurde. Mein heutiges Leiden, eine beiderseitige Lähmung der Beine durch ein Hämangiom am Rückenmark, führe ich auf die Mißhandlungen im Jahre 1945 zurück.


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