Nr. 54: Zustände und Ereignisse in Leitmeritz nach der deutschen Kapitulation; Erlebnisse des Vfs, in tschechischer Haft; seine Anklage vor einem tschechischen Volksgerichtshof im Jahre 1947, seine Entlassung nach 21monatiger Untersuchungshaft und seine Ausweisung.

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Bericht des Oberlandesgerichtsrats a. D. Alfred Böhm aus Leitmeritz.

Original, 25. Februar 1949, 11 Seiten, hschr.

Ich war von 1939—1945 Mitglied des Strafsenats des sudetendeutschen Oberlandesgerichts in Leitmeritz a. E., Bezirk Aussig a. E., und wohnte in Leitmeritz. Nach Proklamierung des Waffenstillstandes wurde Leitmeritz bombardiert (von den Russen?), wobei auch der rückwärtige Teil des Landgerichtsgebäudes, in dem das Oberlandesgericht untergebracht war, beschädigt wurde und die Gefängniskapelle einen Treffer erhielt. Nach dem Einmarsch der Russen in Leitmeritz wurden die Insassen des KZ-Lagers, die Juden des Ghettos in Theresienstadt und die Häftlinge freigelassen, die dann drei Tage lang mit den Partisanen in der Stadt plünderten, gewaltsam


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in verschlossene Räume eindrangen, wobei sich auch eine große Anzahl Frauen beteiligte, und alles mitnahmen, was ihnen begehrenswert erschien. Hierauf folgten wiederholte Haussuchungen durch Russen, Partisanen und tschechisches Militär nach angeblich verborgenen Waffen und deutschen Soldaten, wobei wiederum viele Wertgegenstände, Schmuck, Uhren und dergl. verschwanden. Unterdessen begann aus allen Gegenden der ČSR die Invasion der sogenannten tschechischen Goldgräber (Zlatokopci), die mit Koffern, Aktentaschen, Schachteln, Kisten und Rucksäcken ankamen und sich an dem Eigentum der Sudetendeutschen, die nun vogelfrei waren, bereicherten. Täglich mußten die Sudetendeutschen um 7 Uhr früh auf dem Marktplätze gestellt sein, wo sie in Arbeitstrupps eingeteilt wurden und dann von Tschechen wie Sklaven zur Arbeit geführt wurden. Die niedrigsten und schwersten Arbeiten mußten die Deutschen verrichten, wobei es sehr oft zu schweren Mißhandlungen durch die aufsichtführenden Personen kam. Auch sämtliche Richter, Beamte und Angestellte des Ober-Landes- und Amtsgerichts Leitmeritz mußten täglich zur Arbeit antreten und Aufräumungsarbeiten im Gerichtsgebäude leisten. Zunächst mußten die Glassplitter weggeräumt werden, die nach der Bombardierung zentimeterhoch in den Gängen und Kanzleien umherlagen, die Türen und Einrichtungsgegenstände repariert und die Fenster nach Entfernung der Glasreste neu verglast werden. Von der tschechischen Verwaltung, die nach der Kapitulation eingesetzt worden war, wurde uns versichert, daß es wahrscheinlich wieder zur Übernahme der Deutschen kommen werde, wenn die Verhältnisse einigermaßen sich beruhigt haben würden. Auf diese Weise wiegte man uns in Sicherheit. Doch es sollte bald anders kommen.

Etwa Mitte Mai 1945 wurden der Generalstaatsanwalt v. Stein, der Oberstaatsanwalt Dr. Willomitzer und der Oberlandesgerichtsrat Dr. Werner verhaftet, v. Stein und Dr. Willomitzer wurden nach Theresienstadt gebracht.

Am 11. Juni 1945 ging ich, wie täglich, nachmittags gegen 14 Uhr zum Gericht. Beim Eingang saß immer ein tschechisches Kontrollorgan, der Ein- und Ausgang der deutschen Richter und Angestellten notierte. Etwa eine halbe Stunde später wurde ich mit dem Senatspräsidenten des Strafsenats, Richard Piesche, in die Präsidialkanzlei gerufen. Dort wartete ein Mitglied der SNB in Zivil, mit Revolver bewaffnet, der uns sofort nach Betreten der Kanzlei „Hände hoch!” zurief und uns nach erfolgter Leibesvisitation aufforderte, ihm zu folgen. Er brachte uns zu einem Polizeibeamten, der im Hause des Kaffee Corso in Leitmeritz amtierte. Wir mußten uns dort zunächst in einem Vorraum, mit dem Gesicht gegen die Wand gewendet, eng an die Wand anstellen und warten, bis wir zum Verhör gerufen wurden. Inzwischen kam der SNB-Mann wiederholt an uns heran, packte uns bei den Haaren und schlug uns den Kopf wiederholt so heftig an die Wand, daß uns buchstäblich „Hören und Sehen” vergingen. Dann folgte ein kurzes Verhör, worauf wir wieder an die Wand gestellt wurden und sich die oben geschilderten Mißhandlungen wiederholten. Dann wurden wir in das Gerichtsgefängnis geführt. Nach Erledigung der Aufnahmeformalitäten sperrte man uns gesondert je in eine Zelle im dritten Stock des Gefängnisses. Etwa eine halbe Stunde später holte uns ein Gefangenenaufseher, der uns in den


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Baderaum des Gefängnisses führte und auf dem Wege dahin wiederholt mit dem Gummiknüppel ohne jeden Grund auf uns einschlug. Im Baderaume, der im Erdgeschoß liegt, mußten wir uns vollkommen entkleiden und dann jeder in eine Badewanne steigen, die hierauf bis zum Rande mit eiskaltem Wasser gefüllt wurde. Unterdessen waren weitere vier Aufseher mit Gummiknüppeln erschienen. Einer tauchte mir den Kopf solange unter das Wasser, bis mir der Atem ausging und ich Wasser zu schlucken begann, während die anderen vier unterdessen mit ihren Gummiknüppeln wahllos auf den nackten Körper und besonders auch auf die Fußsohlen einschlugen, da die Füße durch das Niederdrücken des Kopfes aus dem Wasser herausragten. Dann wurde ich gewaltsam herumgedreht, der Kopf wurde wieder niedergedrückt und Rücken, Gesäß und Waden mit den Gummiknüppeln bearbeitet. Hierauf mußte ich mich etwa eine Viertelstunde unter die kalte Brause stellen, worauf es wieder in die Badewanne ging, wo ich in dem kalten Wasser liegenbleiben mußte, bis die geschilderte Mißhandlung in der Badewanne auch an dem Senatspräsidenten Piesche beendet war. Hierauf mußten wir beide aus der Wanne steigen, uns gegenüberstellen und uns gegenseitig ohrfeigen. Hinter jedem von uns stand ein Aufseher, der mit dem Gummiknüppel auf uns losschlug oder uns schallende Ohrfeigen oder Faustschläge ins Gesicht versetzte, wenn wir ihrer Meinung nach nicht kräftig genug auf einander einschlugen, was nach der vorangegangenen Mißhandlung und der fast der Ohnmacht nahen Erschöpfung fast immer der Fall war. Außerdem hatte ein jeder auch eine selbstverständliche Hemmung, mit aller Wucht gegen den anderen loszuschlagen. Der Ohnmacht nahe und vor Kälte zitternd durften wir uns dann endlich wieder ankleiden. Das ging natürlich bei unserem Zustande nicht so rasch, wie es die Aufseher verlangten, so daß wieder die Gummiknüppel in Tätigkeit traten. Dann mußten wir den Rückweg nach der im dritten Stock befindlichen Zelle antreten. Das war ein neuer Leidensweg.

Da die Körperkräfte und die Füße infolge der vorangegangenen Mißhandlungen versagten und wir die vielen Stufen zum dritten Stock mehr krochen als gingen, regnete es wieder Hiebe mit dem Gummiknüppel, um unseren Gang zu beschleunigen. Mit einem Fußtritt wurden wir schließlich in unsere Zellen befördert. Ich hatte dann eine schlaflose Nacht, da infolge der vorangegangenen Mißhandlungen die Füße und der ganze Körper, der sich grün und blau verfärbte, anschwollen, so daß ich weder stehen noch sitzen noch liegen konnte und die Nacht in hockender Stellung verbringen mußte. Am nächsten Tage erschien wieder ein Aufseher, führte mich in eine leere Zelle und forderte mich auf, hundertmal die tiefe Kniebeuge zu machen und dabei selbst laut zu zählen. Das gelang natürlich bei meinem Zustande und der Entkräftung des Körpers nicht mehr ordentlich. Dauernde Schläge mit dem Gummiknüppel erzwangen auch die hundertste Kniebeuge. Damit noch nicht genug, mußte ich jetzt noch eine Zeitlang den Liegestütz machen, bei dem mich aber die Kräfte verließen und ich vollkommen erschöpft liegenblieb, worauf der Aufseher wie rasend wieder mit dem Gummiknüppel auf meinen Körper wahllos losschlug. Mit einem Fußtritt und einem Schlage mit dem Gummiknüppel wurde ich dann wieder in meine Zelle zurückbefördert. Um weiteren Mißhandlungen zu entgehen,


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meldete ich mich dann freiwillig zur Außenarbeit, die bei den Russen, tschechischen Privatleuten und in der tschechischen Kaserne verrichtet werden mußte. Auch da ging es nicht ohne Mißhandlungen ab, je nach der Art der Person, die die Aufsicht hatte. Immer wieder mußten wir uns von den Tschechen anhören, daß wir bald auf dem Galgen baumeln werden und daß sie sich schon auf diesen Augenblick freuen. Die Verpflegung im Gefängnis war anfangs sehr schlecht und unzureichend. Zum Frühstück gab es schwarzen Kaffee, mittags einen dünnen, fettlosen sogenannten Eintopf, drei bis vier Kartoffeln, von denen meist die Hälfte ungenießbar war, zum Abendbrot entweder eine ganz dünne Suppe oder schwarzen Kaffee, pro Tag 166 g Brot. Das Essen war meist kalt, besonders Suppe oder Kaffee am Nachmittag, da das Abendessen meist schon um 16 Uhr ausgeteilt wurde und stehen blieb, da wir erst gegen 18 oder 19 Uhr, manchmal noch später von der Arbeit zurückkamen. Wir erhielten auch im Winter 1945/46 nur leichte Sträflingskleidung und selbst für die Außenarbeit keine Mäntel1.

Anfang Jänner wurde uns Richtern die Anklage zugestellt. Die Hauptverhandlung vor dem tschechischen Volksgericht fand am 21. und 22. März 1947 statt, bei welcher gegen alle drei Mitglieder des Strafsenats gleichzeitig verhandelt wurde.

... Die Anklage, die uns Anfang Jänner 1957 zugestellt wurde, legte uns das Verbrechen nach § 7, Abs. l und 3 des Ges. Nr. 22/462, strafbar nach § 7, Abs. 3 cit. Ges. (Todesstrafe) zur Last, und zwar daß ich v. J. 1939 bis 1945 in Leitmeritz, demnach in einer Zeit erhöhter Bedrohung der Republik, im Dienste und im Interesse Deutschlands im Zusammenwirken mit anderen Richtern


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1. als Beisitzer des Strafsenats des Oberlandesgerichts durch richterliche Urteile den Tod nachstehender Bewohner der Republik (es folgen 6 Namen von verurteilten Tschechen),

2. den Freiheitsverlust einer großen Anzahl von Angehörigen der Republik (es folgen 42 Namen von Verurteilten),

3. als Mitglied des Sondergerichts den Freiheitsverlust von 5 Personen (es folgen die Namen), meistens mit schweren Folgen und bei dem Verurteilten P. K. schließlich mit Todesfolgen verbunden,

verschuldet habe.

Nach § 7 cit. Ges. war die Todesstrafe für denjenigen festgesetzt, der den Tod eines Angehörigen der Republik verschuldet hat. Nach einer weiteren Bestimmung sollte diese Strafe auch auf Richter Anwendung finden, die durch Urteil, Beschluß oder eine andere Entscheidung den Tod eines Angehörigen der Republik herbeigeführt haben, wenn sie bei ihren Entscheidungen einen besonderen Eifer (jednalili ze zvláštní horlivosti) bekundet haben.

(Die Übersetzung „besonderer Eifer” für zvláštní horlivost trifft eigentlich den Sinn dieses Wortes nicht genau, gemeint ist das voreingenommene Bestreben, ohne Rücksicht darauf, ob das Verschulden in subjektiver Richtung gegeben ist, eine Verurteilung des Angeklagten herbeizuführen.)

Dies zvláštní horlivost konnte uns natürlich nicht nachgewiesen werden, obwohl man sich sehr bemühte, diesen Nachweis zu erbringen. Wiederholt erfolgten im Prager Sender, im örtlichen Lautsprecher Aufforderung an die tschechische Bevölkerung unter Nennung unserer Namen, Zeugen und solche Umstände bekanntzugeben, die gegen uns sprechen. Bei der am 21. und 22. März 1947 gegen uns durchgeführten Hauptverhandlung des tschechischen Volksgerichtes, zu der über 20 Zeugen erschienen, erklärten einige Zeugen über Befragen des Vorsitzenden, welchen Eindruck sie bei der gegen sie durchgeführten Hauptverhandlung gehabt hätten — manche sogar, ohne daß sie vorher darum gefragt wurden, alle mit fast demselben Wortlaut (anscheinend eingelernt) —, die ganze Hauptverhandlung sei nur eine Komödie gewesen und ihre Verurteilung sei zu Unrecht erfolgt, da sie vollkommen schuldlos (unschuldig) gewesen wären. Über Befragen der Verteidiger brüsteten sich aber diese Zeugen unüberlegt mit ihren großen Leistungen in der tschechischen Widerstandsbewegung, wodurch sie natürlich ihre Behauptung, daß sie unschuldig verurteilt worden wären, selbst widerlegten. Behauptet wurde von einigen Zeugen, daß wir mehr als 70 Todesurteile gegen Männer und über 30 Todesurteile gegen tschechische Frauen gefällt hätten. Die Unrichtigkeit dieser Aussagen erhellt schon daraus, daß wir nicht eine einzige Frau zum Tode verurteilt hatten. Solche Aussagen sprachen natürlich eher für als gegen uns.

Anerkennenswert war das Verhalten unserer ex offo Verteidiger, die sich aufrichtig für uns eingesetzt haben. Mein Verteidiger war der tschechische Advokat Dr. Klima aus Leitmeritz. Sehr eindrucksvoll war auch die


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Verteidigungsrede des Senatspräsidenten Piesche, der diese mit den folgenden Worten einleitete: „Meine Herren Richter! Wolle es Gott verhüten, daß sich die politischen Verhältnisse in mehr oder weniger als zehn Jahren so ändern, daß dann Sie anstelle der heutigen Angeklagten sitzen!”

Die Verantwortung und Verteidigung und selbstverständlich die Durchführung der ganzen Verhandlung erfolgte in tschechischer Sprache, doch wurde uns das Schlußwort in deutscher Sprache erlaubt. Vorsitzender des Senats war der Stellvertreter des Vorsitzenden des Volksgerichtes, der sich offensichtlich bemühte, objektiv zu sein, was ihm allerdings manchmal durch die Einstellung der meisten Zeugen, einiger Beisitzer und durch Zurufe aus dem Zuhörerkreise (wie „Justizmorde!” und dergl.) nicht leicht gemacht wurde.

Das dritte Mitglied des Senats war Oberlandesgerichtsrat Hubert Krontil. Viertes Mitglied des Strafsenats war Dr. Franz Werner, gegen den aber damals mit uns nicht verhandelt wurde, weil augeblich die Erhebungen gegen ihn noch nicht abgeschlossen waren. Nach zweitägiger Verhandlung gegen uns wurde am Abend des zweiten Tages das Urteil nach ungefähr einstündiger Beratung verkündet, mit dem Krontil und ich gänzlich freigesprochen wurden, während der Senatspräsident Piesche zwar hinsichtlich der richterlichen Tätigkeit gleichfalls freigesprochen, aber wegen angeblicher Hitlerpropaganda bei der Begründung seiner Urteile und Beschimpfung von tschechischen Angeklagten mit „Benešbande” zu fünfzehn Jahren schwerem Kerker verurteilt wurde1.

Auf Grund dieses Urteils wurde ich allerdings erst zwei Tage später, am 24. März 1947, aus der Haft entlassen, in der ich somit über 21 Monate schuldlos festgehalten worden war. Wir wurden dann in die kleine Festung nach Theresienstadt gebracht, wo wir uns auch nur beschränkt bewegen durften. Bevor wir in das Sammellager kamen, mußten wir alle antreten, um die für jeden Ausgewiesenen bestimmten Spinnstoffe im Gewichte von 70 kg zu übernehmen. Ich freute mich riesig, denn ich hatte nur das, was ich bei meiner Verhaftung im Juni 1945 am Leibe hatte, nämlich einen leichten Sommeranzug und Sandalen, weder Hut noch Mantel und nur schadhafte Wäsche. Wie aber sahen die 70 kg Spinnstoffe aus? Ein altes Oberbett mit einem ganz schadhaften Überzug, eine zerrissene Pferdedecke, eine ebenso schadhafte Wattadecke, 40—50 ungleiche, zerrissene Damenstrümpfe, eine gebrauchte Arbeitshose eines Zimmermalers, an der alle Farben klebten, einige dunkle und 9 weiße Frackwesten, 7 schadhafte Herrenhüte aller Größen, etwas gebrauchte, schadhafte Wäsche, 14—15 weiße Herrenleinenkragen und ein abgetragener, vielfach geflickter Lodenmantel. Um das Gewicht von 70 kg zu erreichen, wurden dann Fleischklopfer, eiserne und Tontöpfe, Stielpfannen, verrostete Bestecke und etwas schadhaftes Geschirr auf die Waage gelegt.


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So kamen die Tschechen ihrer Verpflichtung, jedem Ausgewiesenen 70 kg Spinnstoffe mitzugeben, nach1, und so ausgestattet kam ich in das Sammellager in Alt Habendorf b. Reichenberg (Sudetenland).

Im Anschluß beschreibt der Vf. noch, wie seine Frau bereits am 7. Juli 1945 aus der ČSR (in einem Sammeltransport von Leitmeritz nach Teplitz und von dort im Fußmarsch zur Grenze) nach Sachsen vertrieben wurde.