Nr. 55: Die Internierung der männlichen Bevölkerung von Komotau am 9. Juni 1945 durch Formationen der Svoboda-Armee; Ermordung mehrerer Männer auf dem Jahnturnplatz.

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Erlebnisbericht des Reichsbahnoberinspektors Eduard Kraus aus K o m o t a u.

Original, April 1953, 5 Seiten, hschr.

Am Morgen des 9.6. 1945 — es war ein Samstag — waren in der 35 000 Einwohner zählenden Stadt Komotau rot gedruckte Plakate ausgehängt, in denen die gesamte männliche Bevölkerung der Stadt vom 13. bis 65. Lebensjahr aufgefordert wurde, um 10 Uhr vormittags am Jahnturnplatze sich zu versammeln. Mitzubringen sei: eine Decke und Mundvorrat für 3 Tage, jedoch kein Fett und keine Butter. Nichtbefolgen dieser Anordnung würde mit dem Tode bestraft.

Als ich mit zwei bekannten Männern um 1/2 10 Uhr am Jahnturnplatz ankam, waren schon einige Tausend versammelt. Aus den großen Betrieben, wie Mannesmannwerken, Poldihütte, Heinrich Franck Söhne usw. wurden die Arbeiter von Polizei und Militär eskortiert zum Jahnturnplatz getrieben. Der Platz selbst war von tschechischem Militär — die sogenannte rudá armada generála Svobody2 — mit zahlreichen Maschinengewehren bewacht, die zum Teile auf Lastautos aufgestellt waren. Die ankommenden Deutschen mußten sich in Dreierreihen formieren. An einer Stelle wurde ihr Gepäck revidiert, wobei alles außer der Decke und dem Brote weggenommen wurde. Auch die Taschen wurden untersucht und die Rauchwaren und vor allem die Taschenmesser weggenommen, die in großen Körben gesammelt und in die Turnhalle geschafft wurden. War etwas besonders Schönes dabei, holten es sich russische Soldaten blitzschnell hinter den Zaun, wo sie unbewaffnet diesem Treiben zusahen. Die so bestohlenen Deutschen mußten sich dann in Reih und Glied mit dem Gesicht zur Jahnturnhalle aufstellen. Vor der Turnhalle leitete ein mir unbekannter tschechischer Zivilist das ganze Werk, wobei er sich mit den um ihn herum-


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stehenden tschechischen Zivilisten — es waren auch Frauen darunter — und Soldaten, Gendarmen und Staatspolizisten lustig unterhielt. Nur einen von den Zivilpersonen kannte ich dem Namen nach. Es war ein Ingenieur namens Kovářík, ein Beamter der ČSD1.

Über die noch aus der Reichszeit stammenden Lautsprecher wurde wiederholt gegen die Deutschen gehetzt, wobei auch der Vorfall von Lidice2 erwähnt wurde. Dann wurden einige Namen von Männern verlesen, die in lebenswichtigen Betrieben beschäftigt waren. Sie mußten sich auf einem etwas tiefer gelegenen Platz hinter der Turnhalle aufstellen. Es waren ihrer ungefähr 100—120 Mann. Die Namen wurden so schnell verlesen, daß wohl mancher von ihnen es nicht hörte. Ich selbst wurde zwar nicht verlesen, stellte mich jedoch zu ihnen, weil ich sah, daß eine weitere Kontrolle nicht stattfand und weil ich ahnte, daß man den Deutschen etwas Schreckliches zugedacht hatte.

Als alle aufgestellt und gesiebt waren, erscholl durch die Lautsprecher das Kommando: „Oberkörper entblößen!” Auf dieses Kommando mußten die vor der Turnhalle stehenden Deutschen Rock, Weste und Hemd ausziehen. Hierauf mußten sie das Deutschlandlied anstimmen, was bei den Tschechen schallende Heiterkeit auslöste. Hierauf mußten die Deutschen rufen: „Wir danken unserm Führer.” Als den lachenden Tschechen dieser Ruf nicht laut genug erschien, mußten ihn die Deutschen wiederholen.

Dann erscholl das Kommando: „Hände hoch!” Hierauf gingen tschechische Soldaten, Gendarmen und Staatspolizisten unter Führung eines Offiziers die erste Reihe der deutschen Männer und Knaben ab. Plötzlich packten sie einen deutschen Mann, zwei Soldaten drehten ihm die Arme seitwärts und rissen ihn aus der Reihe. Die übrigen Soldaten schlugen mit Gewehrkolben und Knuten mit Bleikugeln auf den wehrlosen Mann ein. So wurde er auf einen freigelassenen Platz getrieben und geschlagen, bis er tot zusammenbrach. Hierauf wiederholte sich der eben geschilderte Vorgang noch mehrmals. Unter den auf so viehische Weise zu Tode geprügelten Deutschen befand sich auch ein Kriegsinvalide, dem beide Vorderarme fehlten. War einer nach dem Zusammenbrechen noch nicht tot, schütteten die tschechischen Henker zwei Kübel kaltes Wasser auf ihn, worauf sie ihn vollends totprügelten. Auch traten sie den am Boden liegenden Opfern in die Geschlechtsteile. Während mir noch heute die Schmerzensschreie der so bestialisch Gemarterten in den Ohren gellen, konnten sich tschechische Frauen, die bei der Turnhalle diesem Abschlachten von Wehrlosen zusahen, nicht genug darüber freuen. Sie klatschten mit den Händen, lachten und riefen: „Už zase jednoho maji” — „sie haben schon wieder einen” —, wenn die Soldaten des Generals Svoboda ein neues Opfer aus den aufgestellten Reihen der Deutschen rissen.

Nachdem auf diese schreckliche Weise 14 (nach Angaben anderer Augenzeugen auch 16)3 wehrlose deutsche Männer abgeschlachtet waren, durften


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wir abseits stehenden 100—120 Männer heimgehen. Unsere weißen Armbinden wurden zuvor mit zwei roten Stempeln versehen. Während der Abstempelung warf ich noch einen Blick auf den Leichenhaufen — besser gesagt auf den Haufen blutigen Fleisches, um den die Henker herumstanden, während ein Tscheche auf den Leibern stand, mit einer Knute auf den oben liegenden Körper einhieb und dabei brüllte: „Obrátiš se, obrátiš se!” („Drehst Du Dich um!”) Anscheinend war dieser Mann noch nicht ganz tot.

Nach unserem Weggehen mußten sich die zurückbleibenden Deutschen wieder ankleiden. Sie wurden vom tschechischen Militär über Görkau und Ober Georgenthal nach dem ca. 5—6 Stunden von Komotau liegenden Grenzort Katharinaberg getrieben.

Abschließend erwähnt der Vf. noch, daß die Grenzwache der sowjetischen Besatzung den Abschub der aus Komotau ausgetriebenen deutschen Männer nach Sachsen nicht gestattete und daß man diese dann nach Mattheuern b. Brüx in ein Lager führte1.