Nr. 56: Zwangsarbeitseinsatz deutscher Frauen aus Komotau auf einem Gutshof bei Kladno.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Erlebnisbericht der Kontoristin M. M. aus Komotau.

Original, 23. Januar 1956, 2 Seiten, mschr.

Am 22. Juni 1945 versetzten überall im Stadtgebiet angeklebte Plakate die deutsche Bevölkerung von Komotau in Schrecken. Alle Frauen und Mädchen im Alter von 15 bis 45 Jahren wurden durch die erwähnten Plakate unter Androhung strengster Bestrafung im Falle der Weigerung aufgefordert, sich zu einer mir nicht mehr bekannten Zeit am Nachmittag des gleichen Tages auf dem „Jahnspielplatz” einzufinden und Verpflegung für einen Tag mitzubringen. Während ein Teil der Mädchen und Frauen, die in gewissen Betrieben beschäftigt waren, wieder umkehren konnten, wurde der andere Teil — darunter auch meine damals 15- und 17jährigen Schwestern und ich selbst — in Marschkolonne zum Bahnhof geführt, eskortiert von bewaffneten tschechischen und russischen Uniformierten. Der Marsch zum Bahnhof, die anschließende Verladung in Viehwaggons und der Transport zum bis dahin unbekannten Ziel verliefen ohne nennenswerte Zwischenfälle. Auf jeden Waggon waren meines Wissens mindestens 4 bewaffnete Wachposten verteilt. Wir kamen gegen 19 Uhr am Bahnhof an. Etwa um 22 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung, ohne daß uns Ziel


295

und Zweck der Fahrt bekannt waren. Gegen 6 Uhr früh hielt der Zug, und wir konnten an verschiedenen Schildern feststellen, daß wir uns in Kladno befanden. Von hier aus wurden alle Angehörigen des Transportes auf einen mir nicht bekannten großen, freien, umzäunten Platz geführt, auf dem sich auch ein Internierungslager für deutsche „politische Häftlinge” befand. Nach genauer Registierung wurde der Transport in Gruppen von 20 bis 30 Frauen und Mädchen aufgeteilt. Ich selbst wurde mit meinen beiden Schwestern und etwa 20 weiteren Personen auf Lastwagen geladen und zur Schule des Dorfes Unhošt bei Kladno gefahren.

Ein Klassenzimmer dieser Schule, in dem Strohsäcke am Boden ausgelegt waren, wurde uns als Aufenthalts- und Schlafraum angewiesen. In der Schule, in der als Lagerleiter ein deutscher Internierter fungierte, befanden sich bereits etwa 50 Internierte — darunter auch Kinder und alte Leute —, die auf der Flucht vor den anrückenden Russen aufgegriffen worden waren. Wir wurden bereits am nächsten Morgen und dann die ganze fernere Zeit auf einem nahegelegenen Gutshof zu Feldarbeiten (Rüben hacken, Getreide ernten) eingesetzt, wobei wir stets von bewaffneten Uniformierten bewacht wurden. Die Verpflegung war nicht gut und oft auch nicht ausreichend. Der größere Teil der Frauen litt schon bald unter starkem Durchfall und schweren Hauterkrankungen vor allem an den Beinen. Ich selbst blieb von beiden Mangelerscheinungen nicht verschont, ebenso wenig vor den rasch im Lager verbreiteten Läusen. Die ärztliche Betreuung durch einen tschechischen Arzt war ordentlich; die sanitären Anlagen waren sauber und im allgemeinen ausreichend. Zu arbeiten hatten wir täglich 11 bis 14 Stunden.

Die Behandlung war im großen und ganzen den Verhältnissen entsprechend erträglich. Schwerste seelische Belastungen brachten jedoch die Ungewißheit über das fernere Schicksal und die ständige Angst vor Übergriffen betrunkener russischer Soldaten, die selbst die tschechischen Wachposten bedrohten. Mir ist bekannt, daß mindestens 3 Frauen von Russen vergewaltigt wurden. Das Bewachungspersonal brachte diese Frauen sofort zum Arzt.

Meine Schwestern und ich befanden uns von Juni bis Mitte Oktober im Lager Unhošt. Durch Vermittlung eines mit meinem Vater seit vielen Jahren bekannten Tschechen wurden wir vorzeitig entlassen und konnten zu den Eltern nach Komotau zurückkehren. Es war uns gelungen, über eine Österreicherin den Eltern unseren Aufenthaltsort mitzuteilen. Über das Schicksal der übrigen Lagerinsassen ist mir nichts bekannt.


296