Nr. 57: Zustände und Ereignisse im Krankenhaus von Komotau und im Konzentrationslager Glashütte im Jahre 1945.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Bericht des Arztes Dr. W. K. aus Komotau.

Original, 22. Januar 1947, 3 Seiten, mschr.

Der Bericht beginnt mit einem Überblick über die tschechischen Maßnahmen gegen die deutsche Bevölkerung nach dem Waffenstillstand.

Ich war am 10. 5. 45 aus dem Felde zurückgekehrt und stellte mich dem Krankenhaus in Komotau zur Verfügung als Arzt. Da zur Zeit ein fühlbarer Ärztemangel herrschte, wurde ich ohne Vergütung gegen Verpflegung eingestellt. Das Krankenhaus bildete immerhin in diesen etwas turbulenten Zeiten einen einigermaßen ruhigen Pol, da die ärztliche Versorgung vorerst mit deutschen Ärzten sichergestellt werden mußte. Im Verlaufe der Zeit wurden die deutschen Ärzte durch Tschechen ersetzt (meist erfolgte kurz vorher die Verhaftung eines deutschen Arztes). Der Unterschied in den Verpflegssätzen bestand im gleichen Maße wie draußen. Zur Zeit war ein Teil des Krankenhauses noch mit verwundeten Soldaten belegt, da es vorher zum Teil Lazarett gewesen war. Eines Tages wurden die Soldaten von der tschechischen Verwaltung ohne Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand auf die Straße gesetzt. Die gleiche Aktion führte man später an deutschen Zivilkranken durch. Als Krankenhausarzt war ich einer Aktion am 9. 6. 45 entgangen, bei der sämtliche Männer, von geringen Ausnahmen abgesehen, in ein Arbeitsverpflichtungslager verschleppt wurden1.

Am 10. 6. 45 wurde ich am Vormittag verhaftet ohne Angabe des Grundes. Bei meiner Einlieferung ins Polizeigefängnis wurde mir alles, was ich bei mir trug, abgenommen (Brieftasche mit 300 RM, Ausweise, Zigarettendose, Füllhalter, Uhr, Trauring usw.). Ich sollte die Sachen nie wiedersehen. Nachdem ich 3 Tage in einer Zelle des Polizeigefängnisses zugebracht hatte (ich teilte den 2,5 X 2,5 m großen Raum zeitweilig mit 15 anderen Häftlingen und nachts erschienen öfters tschechische Zivilisten und Uniformierte, um wahllos mit Peitschen und Knüppeln in die Häftlinge einzuschlagen), wurde ich mit 10 anderen Häftlingen, darunter 2 Frauen, in das Konzentrationslager Komotau-Glashütte übergeführt. Schon der Empfang dort war sehr niederdrückend.

Wir mußten uns alle splitternackt ausziehen und die Taschen entleeren. Wer nur ein Papierfetzchen vergaß, wurde unbarmherzig ausgepeitscht. Ein Teil meiner Leidensgenossen war bereits von den Nächten vorher arg zerschlagen. Wer Striemen aufwies, wurde gleich neuerlich verprügelt. Als wir wieder angezogen waren, wurden wir in einen Raum 6 X 10 m gejagt. Dieser Raum sollte für die nächsten 3 Monate etwa 80—100 Mann als Unterkunft dienen.

Mit mir wurde ein ehemals Angehöriger der Waffen-SS eingeliefert. Man sagte ihm gleich, daß er den nächsten Tag nicht mehr erleben werde. Er


297

wurde später dann in einen Nebenraum geführt und gepeitscht. Man hörte die Schläge und sein Wimmern und Schreien noch einige Stunden. Dann knallte es ein paarmal, und dann war Ruhe. Wiedergesehen haben wir ihn nicht mehr.

Als erster mußte sich der Fleischermeister Mittelbach aus Komotau entkleiden. Er wurde solange auf den Rücken gepeischt, bis dieser nur noch ein blutiger Fleischklumpen war, dann mußte er sich auf den Rücken legen, und er wurde über Brust, Bauch und Hoden geschlagen. Als er ohnmächtig geworden war, wurde ein mit Benzin getränkter Papierknäuel unter seinen Hoden entzündet, und als er wieder hochkam, wurde er mit Wasser begossen. Anschließend wurde er wieder zu Boden geworfen, und ein tschechischer Zivilist schnitt mit einem Taschenmesser ein Hakenkreuz in seinen Rücken und streute Salz darein. Bisher mußten die Häftlinge alle zusehen. Nun wurde ihnen befohlen, das Blut aus dieser salzigen Wunde zu lecken. Dabei wurde mit Peitschen auf sie eingeschlagen. Der M. lebte noch etwa eine Woche. Ähnliche Prügelszenen wiederholten sich bei ihm täglich. Im Verlaufe meiner Haft wurden noch mehrmals Leute eingeliefert, die die Blutgruppe unter dem linken Arm eintätowiert hatten. Mit geringen Modifikationen gingen sie denselben Weg wie der erste, den ich erlebte.

Die geringsten Vergehen wurden mit Prügelstrafe geahndet. Auch auf Frauen wurde nicht Rücksicht genommen. Nekrosen von Handgroße am Rücken und Gesäß waren keine Seltenheit. Weiteres erinnere ich mich an eine Gruppe von etwa 20 Jungen im Alter von 12—18 Jahren, die als werwolfverdächtig verhaftet worden waren. Um irgendwelche Geständnisse aus ihnen zu erpressen, wurden sie unmenschlich geschlagen und gefoltert (mit glühenden Schüreisen gebrannt und Nadeln unter die Fingernägel getrieben).

Kenntnis von all diesen Dingen erhielt ich, weil die betroffenen Personen infolge ihrer Verletzungen meine ärztliche Hilfe in Anspruch nahmen.

Die Wachmannschaft bestand aus uniformierten Tschechen, die sich als Partisanen bezeichneten. Verantwortlich für dieses Lager zeichnete in dieser Zeit ein Gendarmeriewachtmeister Pruha.

Die Verpflegung bestand in den ersten drei Monaten aus 100 g Brot und 1/2 Liter Suppe. Wer sich nicht auf der Arbeitsstelle etwas Eßbares versorgen konnte und dabei eben täglich 25 Peitschenhiebe riskierte, mußte verhungern.

Im August 1945 vor Gericht gestellt, erwies sich meine Verhaftung als Folge einer üblen Denunziation, die auf der Stelle geklärt werden konnte. Ich sollte sofort auf freien Fuß gesetzt werden und mit dem nächsten Transport nach Deutschland fahren. Der Lagerkommandant vernichtete meine Entlassungspapiere, und es gelang mir erst nach fast drei Monaten nachdem die Lagerführung gewechselt hatte, meine Freilassung zu erreichen, da sich das Gericht auf den Standpunkt stellte, daß ich schon längst in Deutschland sei.

Die Zahl der Toten im Lager betrug nach vorsichtiger Schätzung etwa 200, vier oder fünf starben eines natürlichen Todes, da sie den


298

Strapazen nicht gewachsen waren (genauere Zahlen hierzu fehlen mir). Im September 1945 übernahm die Staatspolizei das Lager, und seither trat eine Besserung der Behandlung ein.

Vorgänge aus dem Lager, die mir nur dem Hörensagen nach bekannt wurden, möchte ich der Objektivität halber weglassen.

Die hygienischen Verhältnisse im Lager waren kurz folgende: Gearbeitet wurde 12—14 Stunden täglich (Aufräumungsarbeiten, Erdarbeiten, Erntearbeiten). Waschen war infolge Seifenmangels fast unmöglich. Die Angehörigen, wer noch welche dort hatte, durften nach 4 Wochen erstmalig frische Wäsche bringen. Die Sachen kamen nur zum Teil an. Eine Besserung trat ebenfalls mit dem Wechsel der Lagerleitung ein. In diese Zeit fällt: bessere Verpflegung, bessere Unterbringung, wöchentlicher Wäschewechsel, die Möglichkeit, alle 14 Tage ein Brausebad zu nehmen, und richtiggehende ärztliche Betreuung. Wie sich die Verhältnisse im Winter entwickelten, entzieht sich meiner Kenntnis, da ich am 13. 11. 45 das Lager verließ.