Nr. 58: Die Internierungsaktionen am 3. und 13. Juni in Saaz; Ausschreitungen und Gewalttaten; die Lebensverhältnisse der deutschen Bevölkerung in den Jahren 1945/46.

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Bericht des Studienrats Dr. rer. nat. Hans Enders aus Saaz.

Original, 15. November 1946, 10 Seiten, hschr.

Einleitend erklärt der Vf., daß nach seiner Erfahrung die Hauptschuld an den Ausschreitungen gegenüber den Sudetendeutschen bei einer kommunistisch oder extrem nationalistisch gesinnten Gruppe der tschechischen Nachkriegsbehörden liegt, die ihre von Haß diktierten und berechnend gelenkten Aktionen im Jahre 1945/46 mit stillschweigendem Einverständnis der oberen Staatsbehörden durchführen konnte.

Saaz: Am 3. Juni 1945 wurden wir, alle männlichen Personen (auch Jungen von 12—13 Jahren und ältere) der Stadt, am Vormittag dieses Sonntags von den in Gruppen (3—4 Mann) gegliederten, durch die Straßen der Stadt ziehenden, mit Gewehr und Peitschen ausgerüsteten Svoboda-Soldaten (so hieß die Soldat. Truppe nach ihrem General) am Ringplatz unter der Drohung, wenn wir uns nicht im Laufschritt dort versammelten, erschossen zu werden, zusammengetrieben und in Reih und Glied aufgestellt. Bald darauf marschierten wir geschlossen nach Postelberg (13 km entfernt).

Von den schätzungsweise rund 3000—4000 Mann wurden nach dem Abmarsch außerhalb der Stadtgrenze ein Teil der ältesten Männer und die kriegsbeschädigten Heimkehrer zur Umkehr aufgefordert und geschlossen


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in die Baracken der SS-Kaserne zurückgeführt, wo sie vorläufig untergebracht wurden. An diesem Sonntagvormittag marschierten wir, sommerlich leicht bekleidet, ohne jede Proviantmitnahme (war doch diese Straßenaktion von den Tschechen streng geheim von langer Hand vorbereitet worden), in einem ununterbrochenen Reisemarsch nach Postelberg in die alte Kavalleriekaserne. — Die Oberleitung der ganzen Aktion hatte ein tschechischer Polizist namens Marek, der, da er vielfach unter Mißbrauch der ihm übertragenen Amtsgewalt seine von sadistischen Anwandlungen und persönlichen Rachegefühlen diktierten, oft rein willkürlichen Anordnungen gegen die ihm ausgelieferten deutschen Männer, Frauen und Kinder erließ, in den kommenden Monaten eine traurige Berühmtheit erlangte.— Drei Tage waren wir in den Kasernengebäuden oder tagsüber auf dem Hof ohne feste Nahrung (nur Wasser durften wir uns holen). Die erste Nacht schliefen wir mitten auf dem Kasernweg, die folgenden Nächte wurden wir wahllos in die einzelnen Stallräume getrieben und so zusammengepfercht, daß nur der mit angezogenen Beinen am Stallpflaster sitzen konnte, der sich beim Betreten sofort irgendwo niederließ; denen es nicht gelang, die verbrachten stehend in der stickigen Stalluft die Nacht. Frühmorgens wurden wir von bewaffneten Posten wieder herausgetrieben, wobei, wenn es nicht rasch genug ging, von letzteren in die aus den Ställen eilenden Männer geschossen wurde. Dabei gab es Verwundete, die, auf den Kasernhof geschleift, sich selbst überlassen blieben, wo sie früher oder später daran zugrunde gingen. In der ersten Nacht mußten wir uns, wie wir am Hof in Reih und Glied angetreten waren, auf die Erde niederlassen, mit dem Befehl, den Kopf nicht zu erheben, sonst würde der Betreffende sofort erschossen werden. In den folgenden Nächten hörten wir von Zeit zu Zeit die ganze Nacht hindurch Gewehrschüsse von den an den Stalltüren stehenden Wachtposten, die wahrscheinlich, das konnten wir nicht feststellen, nur willkürlich als Alarmschüsse in die Nacht abgefeuert wurden, oder, wie ich von anderer Seite gehört habe, gegen Deutsche gerichtet waren, die sich von ihrer Schlafstelle zur Latrine begaben.

Tagsüber war die Methode der Behandlung die folgende: In Gruppen von je 200—300 Mann zu zwei Reihen angetreten, mußten wir tagsüber stehen oder abwechselnd auf der Erde sitzen. Jetzt begann die sogenannte Sichtung. An jedem der folgenden Tage wurden Gruppen von stark oder minder belasteten Deutschen zusammengestellt (dabei war der Vorgang der Sichtung ein rein willkürlicher, da der tschechischen Sichtungskommission unter dem Vorsitz des bekannten Marek ein geringer Bruchteil der anwesenden Deutschen [und] nur vom Hörensagen bekannt war), indem aufgerufen wurde: „Wer bei der Wehrmacht war, oder bei dieser oder jener Gliederung, hat sich hier aufzustellen!” Dabei wurden Kalenderdaten rein willkürlich angegeben, die die an sich ganz verschüchterten Deutschen in vollkommene Verwirrung setzten, da sich die meisten unter ihnen, die sie plötzlich vernahmen, kaum mehr genau erinnern konnten, inwieweit diese Zeitangaben für sie Geltung hatten. Daß dabei viele der anwesenden Deutschen ganz verwirrt von der einen Gruppe zur ändern liefen, weil sie oft nicht wußten, wie es gemeint war, war einzusehen. Die jeweils zusammengestellte Gruppe wurde dann vom Platz weg entweder für einen Trans-


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port in das Straf- und Arbeitslager nach Brüx1 oder in die Bergwerke nach Kladno oder anderwärts bereitgestellt.

Am dritten Tage wurden wir durch Svoboda-Soldaten und kommunistische Partisanen gezwungen, unsere sämtlichen Barmittel an Geld, sämtliche Wertsachen, wie Uhren, Ringe, Zigarettenspitzen und Etuis aus Silber oder Bernstein (selbst goldene Brillen wurden ihren Trägern von den Nasen genommen), kurz sämtliche einen Wert darstellende Gegenstände abzugeben, die in aufgestellte Körbe und Schachteln geworfen wurden. Viele der abgegebenen (geraubten) Sachen wurden bei den Wachmannschaften beliebte Feilschobjekte.

Fünf Burschen im Alter von 14—16 Jahren, die man beschuldigte, Gemüse aus dem nahen Kasernengarten gestohlen zu haben, bekamen vor unseren Augen 25 Peitschenhiebe auf nacktem Körper; nach einer Viertelstunde wurden sie an einer Mauer, 100 Schritte vor uns, erschossen. Während der folgenden Tage wurde z. B. aus einer Gruppe ehemaliger Wehrmachtsangehöriger immer jeder Zehnte an die Wand gestellt und auf diese durch einige Zeit hindurch Anschlagübungen mit geladenem Gewehr gemacht. Einige von den ehemaligen Wehrmachtsangehörigen, darunter ein Hauptmann, der gegen die Behandlung protestierte, wurde vor unseren Augen von Marek selbst erschossen. Bestattungskommandos zu je vier Mann hatten die Ermordeten am Kasernenhof in Müllhaufen zu verscharren. — In einem Stall, wo so viele hineingepfercht wurden, daß die meisten von ihnen stehend die Nacht verbringen mußten, kam es bei vielen zu organischen Erkrankungen und nervösen Störungen infolge Frischluftmangels (das eine kleine Fenster, das vergittert war, durfte nicht geöffnet werden). Die Türe zu diesem Stall zu öffnen, war den Eingeschlossenen verboten, da der davorstehende Posten nur bei dem geringsten Versuch zu öffnen schoß.

Während die übrigen teils in Straflager und Bergwerke, teils zur Bauernarbeit abtransportiert wurden, marschierte meine Gruppe (am 9. Juni) geschlossen denselben Weg nach Saaz zurück. Nur die Schwächsten wurden auf einem Lastauto nach Saaz gebracht. Wer auf dem Rückweg nicht mitkonnte, blieb im Straßengraben liegen. Unter den letzteren war auch der Pater Guardian des Kapuzinerklosters in Saaz, der infolge eines Herzleidens die Strapazen des Marsches nicht aushielt und sich, aus der Reihe tretend, in einem Straßengraben niederließ. Bei unserer Ankunft in Saaz erfuhren wir, daß er erschossen wurde.

Wir wurden in drei Lager aufgeteilt und zum Teil schwerster manueller Arbeit zugewiesen. Ich war im Lager Schwimmschule untergebracht. Wir bekamen zu Mittag fast täglich nur Kartoffelsuppe mit kleinen Brotrationen. Die Eintönigkeit des Lageressens verursachte Magen- und Darmerkrankungen. Man wollte an uns den Betrieb eines KZ-Lagers ausprobieren und schikanierte uns neben schwerer Tagesarbeit mit oft mehrmals am Abend durchgeführten Appellen, bei denen sich neben dem Lagerkommandanten, einer Person höchst zweifelhafter Herkunft, auch ein Kommissar der Saazer Kriminalpolizei, einst ein Deutscher namens Ströbel, jetzt eifriger Kommunist, hervortat. Er erschien fast täglich bei den Appel-


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len, nahm sich Leute, die er angeblich von früher her kannte, heraus, warf ihnen ihre Vergangenheit vor und traktierte sie vor uns (wir mußten in strammer Haltung stehen) mit Schlägen ins Gesicht, mit Kostentzug und ließ sie einsperren. Ständig wurden wir nach angeblich versteckten Waffen durchsucht; wurden bei diesen des öfteren durchgeführten Leibesvisitationen oft nur ein Bleistift oder ein Taschenmesser gefunden, so wurde der Besitz dieser Dinge vom Lagerkommandanten mit ein oder mehreren Ohrfeigen unter gleichzeitiger Beschlagnahme derselben bestraft. Hatte der Betreffende einen Brief oder eine beschriebene Postkarte bei sich, so bezahlte er diese Tatsache mit Faustschlägen in den Magen oder mit den beliebten Fußtritten in die Aftergegend.

Ich sah Gerichtshäftlinge, die als Parteiangehörige besonderen Haßorgien der Tschechen ausgesetzt waren, wie sie halbverhungert im Laufschritt zur Arbeit getrieben wurden; von ihnen persönlich, wenn sie in unserer Nähe waren, erhielt ich Berichte über eine grausame, sadistische Behandlung in den Strafzellen. Am ganzen Körper voll Schlagwunden, durch nächtliche Verhöre seelisch vollständig zermürbt, erbettelten sie oft von uns etwas Brot.

Ich habe meine Wohnung, die ich am 3. Juni 1945 früh verlassen hatte, nie wieder mehr betreten. Meine Frau und Tochter verließen diese endgültig am 13. Juni, nur mit dem notwendigsten Handgepäck, das kaum wenige Kilogramm betrug. Der Abzug der letzteren erfolgte keineswegs freiwillig, sondern wurde von den tschechischen Organen auf folgende Weise erzwungen. An diesem 13. Juni, zeitig früh, wurden die bisher noch in den Wohnungen verbliebenen Frauen und Kinder durch in den Häusern verteilte Flugzettel aufgefordert, sich, mit dem notwendigsten Gepäck und mit Proviant auf 3 Tage versehen, zwecks Arbeitszuweisung in die ehemalige SS-Kaserne zu begeben und dort zu melden1. Außerdem war angeordnet worden, neben Geld, Schmuck und anderen Wertgegenständen auch die Wohnungsschlüssel, mit genauer Adresse versehen, mitzunehmen. Letztere wurden den Familien in der Kaserne abgenommen und bald darauf allen jenen Tschechen, die aus den verschiedensten Teilen des Landesinnern nach Saaz als sogenannte Neusiedler kamen, ausgehändigt. Diese bezogen dann im Einvernehmen mit dem Národní Výbor (Nationalausschuß — die revolutionäre Oberbehörde der Stadt) die ehemals deutschen Wohnungen der Stadt. Paßte einem der tschechischen Neusiedler die Wohnung nicht mehr, so trug er die in ihr von den Deutschen zurückgelassenen Kleider, Wäschestücke, Bedarfsartikel jeglicher Art, die ihm passend und geeignet schienen, in schweren Koffern verpackt aus dem Haus und ließ sich eine ihm geeignet erscheinende neue zuweisen. Auf diese Art und Weise brachte man den deutschen Besitz (Wohnungen, Häuser, Liegenschaften Kapitalien und Wertgegenstände jeglicher Art), ohne an eine Entschädigung auch nur zu denken, mit einem Schlag in tschechische Hände.

Die deutschen Frauen und Kinder saßen als Bettler in den sogenannten Arbeitslagern, von ihren männlichen Angehörigen getrennt, die teils in den


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drei ändern Lagern der Stadt untergebracht waren, teils in Brüx oder Kladno als billigste Arbeitskulis buchstäblich ihr nacktes Leben bei elender Kost zu erhalten suchten. Das war die eine der üblichen Arten der Plünderung. Viele Wohnungen und die in ihnen verbliebenen Frauen und Kinder, deren Männer ja schon in den Lagern arbeiteten, waren aber schon vor dem 13. Juni d. J. Plünderungen bzw. persönlichen Behandlungsweisen ausgesetzt, die vielfach an die barbarischen Methoden früherer Jahrhunderte erinnerten. So erschienen schon am 3. Juni das erstemal in meiner und in vielen anderen Wohnungen unserer Straße (Jahnstraße) Gruppen von plündernden Svoboda-Soldaten unter dem Vorwand, noch eventuell versteckte männliche Personen aufspüren und mitnehmen zu müssen. Dabei wurden die meisten weiblichen Inwohner in der gemeinsten Weise mit Waffen bedroht — wurde die Türe nicht sogleich von den geängstigten Frauen geöffnet, so feuerte diese Soldateska mit ihren Handwaffen einfach durch die Türe; so wurde die Augenärztin Frau Dr. Herzig beim etwas verspäteten Öffnen ihrer Haustür durch einen Lungenschuß ernstlich verletzt — in Ärgernis erregender Weise leibesvisitiert und sonstigen Drangsalierungen ausgesetzt. In unserer Wohnung erschienen nicht nur am 3. Juni, sondern auch an den folgenden Tagen des öfteren kleine Gruppen dieser Marodeure und Plünderer, die die Räumlichkeiten in Anwesenheit meiner Frau und meiner 15jährigen Tochter nach Wertgegenständen, Kleidern und noch vorhandenem Schmuck durchstöberten, mit einer Holzhacke verschlossene Körbe und versperrte Koffer gewaltsam öffneten, durch wüste Drohungen und anzügliche Redensarten meine Frau (sie versteht die tschechische Sprache) teils einzuschüchtern, teils gefügig zu macheu versuchten und schließlich durch ihr rüdes Benehmen nicht nur meine Frau und Tochter, sondern auch die übrigen Frauen im Hause zur Flucht aus diesem zwangen. Völlig verängstigt und mit ihren Nerven vollständig fertig, kehrten nach längerer Zeit die Frauen nur zögernd in ihre Wohnungen zurück und warteten in banger Furcht und mit angespannten Nerven auf das mögliche Kommen neuer Plünderertrupps.

Das Lagerleben der in der ehemaligen SS-Kaserne untergebrachten weiblichen Insassen, deren Zahl anfänglich wohl einige Tausend betrug, bot keineswegs auch nur halbwegs geordnete Lebensbedingungen. Unzulänglich in seinen hygienischen Einrichtungen, weil keine ausreichenden Latrinenanlagen für so viele Menschen vorhanden waren; es kam vor, daß Personen beiderlei Geschlechts die halbverfallenen Latrinen der Wehrmachtszeit benützen mußten. Manche nicht ausgebaute und daher unbewohnbare Baracke konnte vor üblem Geruch kaum in der Nähe umgangen werden. Dabei die sommerliche Hitze, Scharen lästiger Insekten und Fliegen quälten die Menschen, besonders bei der Einnahme der Mahlzeiten. Infolge der unzureichenden Kost — es gab meist flüssige Nahrung und schlechtes Brot in kleinen Rationen — bereiteten die Frauen über improvisierten Koch- und Feuerstellen mannigfache Kartoffelspeisen zu (die Kartoffeln wurden tagsüber von den auf den Feldern arbeitenden Frauen mit ins Lager gebracht). Manche verkochten auch noch die spärlichen Reste ihrer Nahrungsmittel, die sie beim Abzug aus ihrer Wohnung noch gerade mitnehmen konnten. In den folgenden Wochen, besonders zur beginnenden Erntezeit, wurden


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immer mehr Frauen mit ihren halbwegs zur Arbeit tauglichen Kindern in Gruppen zusammengefaßt und zur täglichen Arbeitsleistung von früh 7 Uhr bis abends 18 Uhr bei den Bauern der umliegenden Dörfer eingesetzt. Nur wer vom Arzt als krank anerkannt war, durfte tagsüber in der Baracke zurückbleiben.

In den Baracken hausten die Familien oft mit mehreren Kindern in großen Räumen, die meistens keine Fensterscheiben besaßen, so daß bei eintretender kühler Witterung die dort Liegenden vor Kälte und Zug kaum schlafen konnten. Bettstellen gab es nur in einzelnen Baracken, der Großteil schlief oft nur auf blankem Ziegel- oder Betonboden. Auch hier fanden tägliche Appelle meist in den Abendstunden statt, die, oft ohne dringenden Grund rein willkürlich angeordnet, als eine absichtliche Belästigung der Lagerinsassen angesehen werden mußten. Auch tauchte nach Wochen der berüchtigte Kommandant des Lagers Postelberg namens Marek auf, der auch hier unter den weiblichen Insassen bald als der bestgehaßteste Mann galt. Jeden Tag zitterten die Frauen, was für den nächsten Tag an kleineren oder größeren Quälereien auf der Tagesordnung stand. Die Folge davon war, daß sich viele freiwillig zur Abkommandierung aufs Land hinaus meldeten, um diesem Alpdruck des Ungewissen Schicksals zu entgehen, der auf der Seele jedes einzelnen lastete.

Der Drang, aus dem Lager herauszukommen, verstärkte sich noch, als eines Tages früh folgendes Vorkommnis bekannt wurde. Bewaffnete Tschechen und Russen erschienen des Nachts in dieser oder jener Baracke, suchten sich unter den dort schlafenden Frauen beim Schein der Taschenlampen ein Opfer aus, das sie dann coram publico vergewaltigten. Eines dieser Opfer ist eine gewisse H. P. aus Saaz, im 16. Lebensjahr stehend, gewesen; das können alle Frauen bezeugen, die zwangsläufig Zeugen dieses Vorganges waren.

Um nur eine oder die andere Tagesszene aus diesem äußerlich scheinbar eintönigen, aber doch so nervenzerrüttenden Lagerdasein herauszuheben, sei hier folgendes angeführt: Die Lagerleitung war auf den Gedanken gekommen, die Kinder von den Frauen zu trennen. Man begründete diese Absicht damit, daß jetzt auch alle Mütter zur Arbeit herangezogen werden müßten und die Kinder deshalb, um sie besser beaufsichtigen zu können, von ihren Müttern getrennt in besonderen Baracken allein untergebracht werden sollten. Diese fadenscheinige Begründung sollte nur als Beruhigungspille wirken, die Wahrheit war, die Kinder unter diesem Vorwand wegzulocken und sie anderwärts zu deportieren. Schon wollten tschechische Soldaten dieses Vorhaben ausführen, hatten bereits die den Müttern geraubten Kinder zu einer gesonderten Gruppe zusammengetrieben, als unter dem Entrüstungssturm der standhaften deutschen Mütter und dem geängstigten Aufschreien ihrer bereits von ihnen getrennten Kinder das wahnwitzige Vorhaben des berüchtigten Lagerkommandanten ein vorschnelles Ende fand. Denn einige Mütter hatten sich bereiterklärt, eher [sich] selbst erschießen zu lassen, als diesem grausamen Verlangen stattzugeben.


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Ein anderes Ereignis, das in seinen Auswirkungen weiter über Saaz hinausging, als es seinen Urhebern lieb war, sei hier vermerkt. Die Art und Weise seines Verlaufes übertraf selbst in dieser Zeit der sogenannten „Revolution” alles bisherige, was ein abnormales Gehirn an Widerwärtigem ersinnen mochte. An einem Sonntagmorgen Ende Juni 1945 wurden sämtliche weiblichen Lagerinsassen mit ihrem noch vorhandenen Gepäck zum Appell befohlen. Ohne Frühstück eingenommen zu haben, warteten die in Sechserreihen Angetretenen auf weitere Anordnungen. Bald wurde bekannt, daß immer Frauengruppen von 60—70 Personen mit den Kindern in den großen Küchenraum beordert wurden, wo sie von einer aus 8 Mann bestehenden, stark angeheiterten (es wurde aus Biergläsern Sekt getrunken) Soldatengruppe unter Führung eines Leutnants namens Farkas und des übelbekannten Marek einer Leibesvisitation unterzogen wurden, um ihrer noch vorhandenen Geldmittel, Schmuck oder Wertgegenstände, die noch verborgen gehalten wurden, beraubt zu werden. Die Frauen mußten sich dabei in Anwesenheit ihrer Kinder bis an die Grenze des Möglichen entkleiden (selbst die Unterwäsche wurde von den visitierenden Soldaten genauestens untersucht), während die Soldaten ohne Rücksicht auf das Schamgefühl der Frauen ihre öffentliches Ärgernis erregende Tätigkeit mit höhnenden und anzüglichen Redensarten begleiteten. Um diese Szenen noch eindrucksvoller zu gestalten und gleichzeitig die verängstigten Frauen einzuschüchtern, wurden zwischendurch Pistolenschüsse abgefeuert und auch dem Alkohol kräftig zugesprochen. An dem wenig Wertvollen, das die Familien noch besessen hatten, bereicherten sich diese ehrenwerten Männer. Eine Frau, bei der im Rucksack ein alter Ehering gefunden wurde, der aus dem Schmuckpaket, das sie schon abgegeben hatte, unversehens herausgerutscht war, bedrohte man mit Erschießen, indem ein Soldat auf sie den Revolver anlegte. In ihrer Todesnot bekam die Frau einen Schwächeanfall. Das Letzte an Wert- und Gebrauchsgegenständen hatte man abgenommen; es war so weit, daß viele Familien nicht mehr über ein Messer verfügten, um die Brotrationen untereinander aufzuteilen. Die Letzten wurden gegen Abend visitiert; solange dauerte diese Aktion. An diesem Tag hatte keine Person des Lagers eine Mahlzeit aus der Küche erhalten, da auch das gesamte Küchenpersonal zur Visitation mit angetreten war.

Die weiblichen Lagerinsassen der ehemaligen SS-Kaserne in Saaz wurden im Spätherbst und Winter 1945/46 teils in einer Schule, teils im Lager „Schwimmschule” untergebracht, während man die männlichen des letzteren mit ihren Familien in einer großen Baracke zusammenpferchte. Infolge der einseitigen, meist flüssigen Nahrung und der nicht immer einwandfreien hygienischen Einrichtungen waren Bauchtyphus und Ruhrerkrankungen aufgetreten. (So waren in das Epidemiespital in Saaz allein aus dem Dorf Potscherad bei Saaz über 30 Fälle von Bauchtyphus, meist Frauen und Kinder, eingeliefert worden.) Ich selbst erkrankte an der Ruhr und lag zwei Monate im Krankenhaus, während meine Familie (Frau und Kind) bald da, bald dort als Tagelöhner bei Tschechen arbeiten mußte. Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus arbeiteten meine Familie und ich während der Monate September und Oktober im Einverständnis mit der tschechischen Lagerleitung als Taglöhner bei einem tschechischen Großgrund-


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besitzer in der Nähe von Saaz, und wir waren froh, wenigstens auf diese Weise dieser lebendigen Gefangenschaft entkommen zu sein. Auf Grund eines Ansuchens meines Schwiegervaters, der als Österreicher sein Haus und Garten vor dem Zugriff tschechischer Behörden retten konnte, kamen wir nach Radonitz, Kreis Kaaden (unseren Heimatort!), wo wir Wohnung und Unterkunft fanden. Ich selbst war von November 1945 bis zum August 1946 beim Forstamt der Herrschaft Wuteritz als Waldarbeiter beschäftigt.

In dem genannten Städtchen Radonitz amtierte als Deutschenschreck der neuernannte Gendarmeriekommandant des Ortes mit Namen Machatschek, der als Vertreter der staatlichen Obrigkeit die Konfiskationsmaßnahmen alles privaten Eigentums der ansässigen deutschen Bevölkerung in dem Sinne erledigte, daß er die Wohnungen begüterter Familien vorher aufsuchte und die für seinen Bedarf passenden und geeigneten Einrichtungsgegenstände ausmusterte. Als er für sich und seine Familie die geeigneten Wohnräume durch Delogierung einer deutschen Familie sichergestellt hatte, ließ er durch Deutsche die für die Neumöblierung seiner Wohnung notwendigen Gegenstände bei den oben erwähnten Haushalten, soweit sie noch als solche anzusprechen waren, nach Bedarf abholen. Es konnte durch Augenzeugen festgestellt werden, daß die Wohnungseinrichtung des obersten Hüters der Ordnung im Städtchen aus verschieden zusammengewürfelten Möbelstücken mehrerer deutscher Familien bestand. In ähnlichem Sinne betätigten sich die übrigen Gendarmen (es waren ihrer für den kleinen Ort und seine Umgebung 8—10 Mann), indem sie kurzerhand die Wohnung ganz beschlagnahmten, sofern sie einem Deutschen mit kompletter Einrichtung gehörte, und die ausgeraubte Familie mit anderen, die das gleiche Schicksal hinter sich hatten, in irgendeinen größeren Raum, der noch frei war, zusammenpferchten.

War infolge des ständigen Zuzuges tschechischer Neusiedler (die Leute entstammten meistens den niederen Schichten, den tschechischen Arbeiterund Kleinhäuslerkreisen, die mit wenig Gepäck ankamen, aber am nächsten Tag schon das Glück hatten, einen Hof, eine Wirtschaft, ein Haus oder zumindest eine deutsche Wohnung ihr Eigentum zu nennen; diese ganze Aktion kam natürlich dieser fanatisch-hussitisch-revolutionären Einstellung dieser Kreise sehr entgegen und konnte auf ihr Verständnis und Zuspruch rechnen) wieder eine Wohnung notwendig oder gefiel eine bereits gewählte nicht mehr, so mußten einfach die deutschen Familien, soweit sie ein Hindernis für diese „Beschlagnahme” bildeten, noch einmal übersiedeln, und zwar wieder unter Verlust dieses oder jenes Eigentumstückes. Es gab in diesem Ort (und man hatte sichere Nachricht, daß es anderwärts genauso gehandhabt wurde) deutsche Familien, die 3—4mal „herausgestellt” (wie diese amtliche Delogierung deutscherseits bezeichnet wurde) und in andere Räume eingewiesen wurden, bis sie soweit mürbe waren, daß sie sich, um diesem Ungewissen Schicksal endlich zu entgehen, für den nächsten Aussiedlungstransport einfach freiwillig meldeten; und damit glaubte man auch tschechischerseits, den Endzweck dieser Aktion erreicht zu haben.

Dabei mußten alle Deutschen männlichen wie weiblichen Geschlechtes vom 15. bis 55. Lebensjahr (im Frühjahr, Sommer und Herbst auch sonn-


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tags) bei den neuen tschechischen Siedlerfamilien, die jetzt als neue Herrn in deren Haus und Eigentum schalteten und walteten, als Knechte und Taglöhner arbeiten, wobei sie oft den Launen, Schikanierungen und einer willkürlichen Arbeitsentlohnung ausgesetzt waren. Nur die Deutschen, die als Arbeiter in den Kohlengruben beschäftigt waren, bekamen Schwerarbeiterkarten und Sonderzuteilungen an Lebensmitteln, Alkohol und Zigaretten, da man für die Kohleförderung von tschechischer Seite nicht genug Arbeitskräfte aufbrachte. Die neue Tschechoslowakei wird wohl einer der wenigen Staaten der Welt sein, die den deutschen Normalverbrauchern, mit Ausnahme der Schwer- und Schwerstarbeiter, amtlich den Bezug von Fleisch, Milch und Eiern (nur Brot, Zucker, Kaffee-Ersatz, eine geringe Menge Mehl und etwas Fettstoff) bis zur Aussiedlung vorenthielt. Ob die Lebensmittelzuteilung für die noch in der Tschechoslowakei verbliebenen Deutschen nach dem vorläufigen Abschluß der Aussiedlung eine für diese günstigere Wendung genommen hat, entzieht sich augenblicklich meiner Kenntnis.

Es war z. B. den Deutschen verboten, von einer Ortschaft in die andere zu gehen; wurde eine Person von einem Gendarm ohne Erlaubnisschein dabei angetroffen, so zahlte sie 100—200 tschechische Kronen. Man sprang eben ganz willkürlich mit den Deutschen um. Manche Kommissare verboten den Deutschen in ihren Gemeinden den Kauf von Obst oder Gemüse. Dabei schwelgte die neu angesiedelte tschechische Bevölkerung infolge der guten Obst-, Gemüse- und Getreideernte des Jahres 1945 im Überfluß; viel Obst blieb unter den Bäumen liegen, das Gemüse blieb teilweise auf den Feldern liegen, Hackfrüchte wie Kartoffeln und Zuckerrüben blieben infolge Mangels an Arbeitskräften (der Großteil der Deutschen ist ausgesiedelt) auf den Feldern, wurden nur teilweise eingebracht oder wurden eingeackert.

Nach einigen Bemerkungen über die nachteiligen Folgen der Vertreibung der Sudetendeutschen für die tschechische Landwirtschaft fährt der Vf. fort:

Den Deutschen war verboten: die Fahrt auf der Eisenbahn (nur in besonderen Ausnahmefällen und mit Erlaubnis der Gendarmerie war es möglich) und auf staatlichen Autobuslinien. Mußten Deutsche zu einem Spezialarzt in die nächste Stadt oder waren dorthin vor ein tschechisches Amt geladen, so mußte die Strecke von dem Betreffenden zu Fuß zurückgelegt werden, mochte sie auch viele Kilometer betragen. Auch das Zeitunglesen kam für die Deutschen nicht in Betracht, da deutsche Zeitungen nicht erschienen. Auch der Besuch der Gaststätten war verboten.

Auch Fälle von Gräberschändung kamen in manchen Orten, wie z. B. in Liebotitz, Kreis Kaaden, vor. So wurden Kreuze von Grabsteinen gebrochen, Aufschriftentafeln aus Glas oder Marmor mit schweren Gegenständen zertrümmert, ganze Grabsteine umgelegt, Grüfte beschädigt. In manchen Gemeinden, wo die Zahl der Deutschen nur mehr gering war, wurden deren Verstorbenen irgendwo in einer Ecke des Friedhofes bestattet, obwohl die eigenen Begräbnisstellen (Grüfte) vorhanden waren. Kommunistische Kommissare duldeten dieses Treiben tschechischer Elemente.

Es folgen einige Reflexionen über die politischen Ereignisse im Sudetenland bis 1945.


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