Nr. 60: Die Internierung der weiblichen Bevölkerung von Saaz am 13. Juni 1945; Abschub der arbeitsunfähigen Frauen und Mütter mit mehreren Kindern Ende Juli 1945; Verhältnisse im Internierungslager bis zum Beginn der Ausweisungsaktion im Frühjahr 1946.

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Erlebnisbericht der Hausfrau E. D. aus Saaz.

Original, 27. Juli 1947, 7 Seiten (Din A 5), hschr.

Am 13. Juni 1945 wurden wir in der Früh, um 5 Uhr schon, aus dem Schlaf geweckt. Die tschechischen Posten liefen von einer Gasse zu der ändern, und im Nu war die ganze Bevölkerung der Stadt Saaz in Bewegung. Die Anordnung war, das Geld, den Schmuck, alle Wertpapiere, Arbeitskleidung, für 3 Tage Essen und 25 kg Gepäck nehmen; wir gehen auf drei Tage in die SS Kaserne, nach 3 Tagen könnt ihr wieder Heim gehen. Nie mehr durften wir heim, nie mehr unsere Wohnung betreten. So ging unser Trauerleben an. — Am 3. Juni 1945 hieß es, alle Männer von 13 bis 65 Jahren müssen an Ringplatz zu einer Kundgebung; nie mehr kamen sie zurück, sie wurden nach Postelberg getrieben, geschlagen, gepeitscht und gemartert, viele wurden ganz erschlagen1. 3 Tage bekamen sie nichts zu essen und nichts zu trinken und nachher nicht viel. Aufs grausamste wurden sie gemartert. Viele Frauen wissen heute noch nicht, wo ihre Männer und Kinder sind; es ist traurig, aber wahr. Mein Sohn mit 14 Jahren war auch dabei, er bekam auch Hiebe wegen nichts und wieder nichts. Im Oktober 1945 erfuhr ich erst, wo mein Sohn ist, er war in Dubschen2 auf einem Bauernhof und mußte dort schwer arbeiten; zum anziehen hatte er nur das, was er am Leibe hatte. Mein Mann war bei der Wehrmacht, ich wußte nichts von ihm, ich war mit meinen kleinen Mädel von 7 Jahren in der SS Kaserne.

Am 13. Juni mußten wir in der Kaserne alles abgeben, Sparbücher, Geld, Schmuck, Ehringe, Wertpapiere und die Schlüsseln von den Wohnungen. Von jetzt an waren wir eingesperrt. Zusammen gepfärcht, daß man es gar nicht schildern kann. Die Kinder schrien alle nach heim, es war furchtbar. Zu essen bekamen wir nichts. Das Brot, das wir hatten, reichte nicht aus für 3 Tage, so mußten wir halt hungern. Nach 3 Tagen bekamen wir essen, aber nicht viel und alles ohne Salz. Das Essen bestand aus Früh schwarzer Kaffee, Mittags und Abends eine Suppe. 10 dkg3 Brot pro Kopf, zum größtenteils alles ungesalzen. Wir mußten arbeiten gehn, geführt wurden wir von Posten, niemand durfte allein gehn. Das Tratuar durften wir nicht betreten, wir mußten immer in der Straße gehen zu zwei. Als wir abends müde heim kamen, so hieß es alle Tage antreten zum Appell, kein Tag verging ohne Appel. Sonntags durften wir nicht arbeiten gen, es hieß in der Früh um 5 Uhr alles antreten mit dem ganzen Gebäck; den ganzen Tag mußten wir in der Sonne stehn, bekamen nichts zu essen und nichts zu trinken. Am schlimmsten war es für die Kinder. Abends 10 Uhr mußte jeder auf seinen


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Platz gehn. — Einmal hatten wir eine Nacktkultur. Als wir eines Sonntags wieder gestanden sind, so kamen immer 50 Personen in einen Raum. Wir mußten sich ganz Nackt ausziehen. Begroffen wurden wir von allen Seiten, auch unten wurde hingegroffen, ob nicht jemand etwas versteckt hätte. Es wurden uns viele Kleidungsstücke, die Messer, Scheren und Bleistifte weg genommen. So, und jetzt waren wir noch ärmer als wie die Bettler. Später wurde etwas mehr Raum.

Ende Juli schickten sie Tranzporte fort: die alten Leute von 60 Jahren auf wärts und die Frauen mit kleinen Kindern, auch die Frauen von 3 Kindern auf wärts, es waren auch Frauen [mit] 2 Kindern darunter; das waren für die Tschechen un nütze Fresser. Mit nichts wurden sie über die Grenze geschoben. Kein Teufel hat sich dann um sie gekümmert. Viele begingen Selbstmord, einige starben vor Hunger. Hin und wieder kam einer zurück ins Lager. Wir wurden dann oft in andere Lager verschoben, aber jedes Lager wurde schlechter.

In der oberen Schule am Turnsall war ich gelegen. 275 Personen. In den engen Betten mußten wir immer zu 2 liegen, ob wir zusammen gehörten oder nicht. Die schmalen Gänge, es konnte einer dem ändern fast nicht ausweichen. Die Wänden und Decken waren voll Schimmel, es hat einen gekraust, so ein Leben zu führen. Die Zigeuner lebten besser. Läuse, Ungeziefer, Krankheiten, Ausschlag gab es in Hülle und Fülle; von einen waschen war keine Rede. Viele Frauen und Kinder wurden beschimpft und geschlagen. Bei jeder Kleinigkeit wurden wir bestraft.

Wir haben gesehen, wie die Tschechen aus der Inneren der Tschechei kamen, mit leeren Koffern und Taschen, paar Fuß und zerrissen. Als sie abends wieder weg fuhren, so waren sie in größten Staat angezogen, von Kopf bis zum Fuß. Mit vollen Koffern und angestampften Säcken haben sie alles unser mühsam erspartes Gut fort geschafft. — Mein Mann erfuhr dann, daß ich in Lager bin. Er schrieb mir, bekam aber nur das leere Guver, weil er mir Deutsch schrieb. Wir durften nur eine Karte mit 25 Zeilen, tschechisch geschrieben, im Monat schreiben. Eines Tages wurde ich bestraft, weil mir mein Mann eine Adresse schrieb, an die ich schreiben soll; ich kam im Schweinestall.

Nach einem 3/4 Jahr des herrlichen Lagers kam ich mit meinen 2 Kindern zum Tranzport; wir wurden wieder untersucht, wer noch ein gutes Stücke hatte, das wurde ihm noch genommen, auch Geld. Wir bekamen dann 200 Mk1 und wurden nach Bayern geschoben. Mit gar nichts, keine Betten, keine Wäsche, kein Geschirr, keine Uhr, mußten wir unsere schöne Heimatstadt Saaz verlassen.

Die Vfn. beendet ihren Bericht mit einigen Reflexionen über die Vertreibung.


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