Nr. 67: Erlebnisse des Vfs. im Kreisgerichtsgefängnis Klattau, in der Strafanstalt Bory und im Internierungslager 27/Maltheuern; seine Verurteilung durch ein Volksgericht und seine Freilassung nach dreizehnmonatiger Haft.

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Erlebnisbericht des Rentamts-inspektors Franz Leitermann aus B i g t r i t z , Kreis Markt Eisenstein.

Original, 5. Dezember 1955, 9 Seiten, maschr. Teilabdruck.

Am 19. Oktober 1945, als ich mittags von der Feldarbeit zum Gutshof Vesely, wo ich zwangsdienstverpflichtet war, kam, stand vor dem Tor der


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Postenkommandant der Gendarmerie in Janowitz und fragte mich, ob ich Leitermann aus Bistritz sei. Ich bejahte dies und sagte, daß wir drei dieses Namens hier wären, nämlich auch mein Bruder und meine Tochter. Nun sagte er, er müsse einen von uns verhaften, wisse jedoch nicht genau, ob mich oder meinen Bruder, allenfalls müsse ich mit ihm zum Bahnhof gehen. Auf dem Wege dorthin sprach er mit mir deutsch, daß es ihm leid tue und er hoffe, daß ich bald wieder entlassen würde. Am Bahnhof befahl er mir, dort stehen zu bleiben, bis er genauere Weisungen eingeholt habe und versprach mir, meinen Bruder und meine Tochter mit Kleidung usw. mitzubringen. Er sprach mit dem Bahnhofspersonal leise tschechisch, und ich glaubte, er hätte den Auftrag gegeben, auf mich aufzupassen. Ich überlegte wohl, ob ich etwa einen Fluchtversuch unternehmen solle, da ich mir aber keiner Schuld bewußt war und Vergeltungsmaßnahmen an meinen Angehörigen befürchtete, blieb ich stehen. Nachdem mein Bruder und meine Tochter mir mein Gepäck gebracht und sich von mir verabschiedet hatten, führte mich der Gendarm auf die andere Seite des Bahnhofes. Dort standen bereits etwa 10 Personen, darunter eine Frau, bewacht von beinahe ebenso vielen Gendarmen und Soldaten, die mit Gewehren, Maschinenpistolen und anderen Waffen ausgerüstet waren. Denen wurde ich beigesellt und in den Zug nach Klattau einwaggoniert.

Bei der Ankunft im Kreisgerichtsgefängnis mußten wir mehrere Stunden lang mit dem Gesicht zur Wand am Gang des Gefängnisses stehen. Wer sich dem Nachbar zuwandte, wurde sofort geohrfeigt und mit dem Gewehrkolben oder Gummiknüttel gestoßen, und fortwährend wurden wir als deutsche Hunde und Schweine, Nazi, Mörder usw. beschimpft. Nach der einzelnen Durchsuche des Gepäcks und der Taschen, wobei Uhren, Taschenmesser usw. abgenommen wurden, Aufnahme der Personaldaten usw. wurden wir in die Arrestzellen gestoßen. Es dauerte nicht lange, dann kamen Männer in Zivil, die uns anbrüllten, nach Namen und Wohnort fragten, uns abermals beschimpften, einige der Neuankömmlinge über die Stiegen hinunterjagten, in die Korrektionszelle oder in die Wachstube brachten; dort wurden diese Verhafteten von einer Horde besonders haßwütiger Tschechen abermals beschimpft und geschlagen und dann wieder die Treppen hinauf in die Zelle gejagt. Da ich mich in der Öffentlichkeit nicht auffällig betätigt hatte, kein Treuhänder oder Angestellter eines arisierten oder germanisierten Betriebes war, blieb ich von dieser Prozedur verschont.

In den Gefängniszellen waren je 15 bis 20, in größeren bis 36 Mann untergebracht. Es waren nur wenige Eisenbettgestelle („Kawaletts”) vorhanden, die meisten Häftlinge mußten auf schlecht gestopften Strohsäcken oder am bloßen Fußboden eng aneinander schlafen. Trotzdem wir vorderhand eigentlich nur in Untersuchungshaft waren, wurden wir schlechter als Schwerverbrecher behandelt. Für sämtliche Zelleninsassen gab es nur eine einzige gemeinsame Waschschüssel und nur einen Eimer Wasser. Da wir damit nicht ausreichen konnten, waren wir gezwungen, den Mehrbedarf an Wasser mit der Eßschale in der Wasserspülung des Klosetts aufzufangen, wozu einige Übung gehörte. Das WC war in manchen Zellen mit einer Bretterwand vom sonstigen Zellenraum abgetrennt; in einigen Zellen nicht. Besonders am frühen Morgen war es schwer möglich, daß alle Zelleninsassen


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vor dem Antreten zur Arbeit ihre Notdurft verrichten, nebenbei den Waschwasserbedarf decken und ihre Eßschalen reinigen konnten, alles auf dem einzigen WC. Es gehörte dazu eine eiserne kameradschaftliche Disziplin, um Streit und Rauferei zu vermeiden. Wenn es Einzelnen gelang, Zigaretten ("Tschiks”) oder andere Tabakabfälle in die Zelle zu schmuggeln, so wurden sie geteilt. Es wurden daraus, oft nur mit Zeitungspapier, Zigaretten gedreht, und jeder rauchgierige Kamerad durfte davon in der Klosettkabine einen Zug machen. Kam der „dozorce” (Aufseher) in die Zelle und roch den Qualm, gab es Ohrfeigen. Ich war gottlob Nichtraucher, brachte aber auch Tschiks und Tabakpflanzenteile aus der Arbeit mit ins Gefängnis (in den Socken versteckt).

Jede Zelle hatte einen Stubenältesten (die gebräuchliche Bezeichnung dieses Amtes habe ich vergessen), der für die Ordnung und Disziplin in der Zelle verantwortlich war. In der Regel war es ein ehemaliger Offizier oder Unteroffizier mit tschechischen Sprachkenntnissen. Sobald ein Aufseher oder Beamter des Gefängnisses die Zellentür öffnete, mußte „Pozor!” (Achtung!) gerufen und auf Verlangen stramm angetreten, abgezählt und in tschechischer Sprache Meldung erstattet werden, was täglich einigemal, häufig auch mitten in der Nacht vorkam. Dabei unterlaufene Fehler wurden mit Ohrfeigen und Schimpf bestraft. Wer als Nazi angeprangert oder aus anderen Gründen schikaniert werden sollte, dem wurden auf dem Rücken der Montur oder auf den Hosenboden Hakenkreuze aufgemalt. Wer wegen Disziplinverletzung, Fluchtversuch oder sonstigen Handlungen und Unterlassungen straffällig wurde, kam in die Korrektionszelle, wurde dort nackt ausgezogen, blutig geprügelt und mußte mit hochgehobenen Händen stundenlang stillstehen, wenn er umfiel, wurde er mit Wasser beschüttet. Man hörte manchmal das Schreien und Wimmern dieser Unglücklichen.

Am frühen Morgen wurden wir geweckt, mußten schnell Toilette machen, die Strohsäcke aufschichten, die Decken zusammenlegen, Kaffee fassen und nach dem raschen Frühstück hinaus auf den Gang, dort mit dem Gesicht zur Wand stehend warten, bis wir in den Gefängnishof geführt wurden. Dort wurden die Arbeitsgruppen zusammengestellt, jeder Gerufene mußte sich mit „zde" (hier) melden und an dem angewiesenen Platz anstellen. Wir mußten in Klattauer Betrieben (Lederfabrik, Maschinenfabrik und dgl.) arbeiten, die von der Deutschen Wehrmacht oder von den Amerikanern besetzt gewesenen Hotels, Schulen, Behörden usw. säubern (Fußböden scheuern, Fenster waschen usw.), den zerbombten Bahnhof aufräumen, bei den Behörden Holz hacken, Kohlen schippen, dies auch bei Privaten, oft wurden wir mit Lastautos auf Meierhöfe in der Umgebung gebracht, wo wir Kartoffeln und Rüben ernten und einmieten und sonstige landwirtschaftliche Arbeiten verrichten mußten. Ferner wurden wir bei schweren Steinbruch- und Straßenbauarbeiten eingesetzt. Auch von der Deutschen Wehrmacht zurückgelassene Magazine, die mit Kleidungs- und Wäschestücken aller Art, Schuhen, Stiefeln, Monturen, Nähzeug, Stoffballen, Leinen, Decken, Leder, Benzintanks, Konserven usw. usw. in Millionenwerten vollgestopft waren, mußten wir räumen, umschichten, verladen. Dabei sahen wir oft, wie die Aufseher sich versorgten. Die den Deutschen abgenommenen Möbel waren in großen Hallen (z. B. in den Stallungen des Dragonerregiments)


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gelagert. Auch diese mußten wir mehrmals umschichten, sortieren, verladen und in die Wohnungen der „Erwerber” bringen. Es waren auch Klaviere und sonstige schwere Stücke dabei. Es kam oft vor, daß wir so schwere Möbelstücke über steile Stiegen getragen hatten und infolge zu engen Gemäuers oder zu kleiner Türen nicht weiterkonnten und sie wieder hinunterschleppen mußten. Hierbei gab es oft Schimpf und Schläge.

Die Gefängniskost war besonders anfänglich sehr schlecht und bestand aus einer spülwasserartigen Suppe, einigen Kartoffeln oder Teigwaren und Gemüse. Wenn wir beim Arbeitseinsatz besseres und reichlicheres Essen bekamen, was bei manchen Bauern und Gutsbesitzern der Fall war, so waren wir glücklich. Auch der Arbeitseinsatz bei der amerikanischen Besatzung (Artilleriekaserne) war eine ersehnte Abwechslung, weil wir dort weniger schweren Dienst (Stubenreinigen, Geschirrwaschen, Heizen, Brennholzhacken und dgl.) hatten und von den amerikanischen Delikatessen Überbleibsel bekamen.

Der Verkehr mit unseren Familienangehörigen war sehr eingeschränkt. Wir durften nur selten (ich glaube einmal im Monat) einen Brief schreiben, der streng zensuriert wurde, doch schmuggelten wir in den Wäschepaketen (die Wäsche mußten wir zur Säuberung heimschicken) Zettel hinaus und bekamen solche auf gleichem Wege herein. Oft gab es dafür Schläge; daß solche „Kassiber” manchmal absichtlich geduldet wurden, um Belastungsmaterial zu gammeln, ist anzunehmen. Auf besonderes Ansuchen der Angehörigen beim Národní Výbor wurde ihnen der Besuch im Gefängnis in sehr eng bemessenen Grenzen gestattet. Die kurze Aussprache durfte aber nur im Büro in Anwesenheit der Gefängnisaufseher stattfinden. Die sorgevollen und geplagten Frauen brachten dabei gewöhnlich auch die Wäsche- und Lebensmittelpakete mit, aber diese wurden, je nach Laune der Kommandanten (velitel) und Aufseher, manchmal ganz, manchmal zum Teil beschlagnahmt, was in Anbetracht der damaligen allgemeinen Lebensmittelknappheit eine große Härte war. Wer es sich leisten konnte (z. B. Bauern) schob den Aufsehern selbst Lebensmittel zu, dafür waren sie entgegenkommend. Wer Eß-waren bekam, teilte sie (mit wenigen Ausnahmen) mit seinen Kameraden.

Bei der abendlichen Rückkehr von der Arbeit wurden wir innerhalb des Gefängnishofes untersucht (wir sagten „abgefilzt”), kleine Mengen der mitgebrachten Überreste der auswärtigen Mahlzeit wurden uns belassen. Beim Auffinden eines Nagels, Messers, Tabak, Zündhölzer usw. gab es Schläge.

Da den Deutschen die Benützung der Eisenbahn nur in Ausnahmefällen gestattet war, mußten die Angehörigen der Häftlinge oft viele Kilometer zu Fuß gehen, um nach Klattau zu kommen. Wenn sie dann nicht vorgelassen wurden, war es ein vergebliches Opfer und eine bittere Enttäuschung. Oft waren die Häftlinge auf weit entfernten Orten im Arbeitseinsatz und kamen erst am späten Abend ins Gefängnis zurück. Die armen Frauen gingen ihnen nach oder warteten den ganzen Tag auf ihre Rückkehr, nur um einige liebe Blicke und Worte mit ihnen tauschen zu können.

Einmal begegnete uns beim Marsch vom Gefängnis zur Arbeitsstelle in der Stadt meine älteste Tochter, die mich ansprach. Dies bemerkte der


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Aufseher und schlug einen Krach, meine Tochter mußte sich im Gefängnis melden und kam knapp an einer Verhaftung vorbei. Ich wurde bei der Rückkehr ins Gefängnis zum „vrchni velitel”1 geführt, der mir nebst einem strengen Verweis einige kräftige Ohrfeigen versetzte.

Zum Essen durften wir keine Gabeln und Messer verwenden. Um Brot usw. schneiden zu können, schärften wir, wenn wir in einer Werkstätte dazu Gelegenheit fanden, unsere Löffelstiele.

Unser Haar wurde uns geschoren, Barte abrasiert. Rasiert wurden wir sonntags von gefangenen Friseuren. Einseifen mußten wir uns gegenseitig. „Bad” gab es nur selten (etwa einmal im Monat), und zwar wurden die betreffenden Zellen, die an die Reihe kamen, am Sonntag früh aufgerufen. Man mußte sich bereits in der Zelle bis aufs Hemd entkleiden, dann im Galopp ins Kellergeschoß laufen, dort am Vorraum warten, bis die Vorgänger fertig waren, dann schnell hinein unter die Brause und in ein oder zwei Minuten wieder weg, abtrocknen, das Hemd anziehen und in die Zelle zurücklaufen. Es kam auch oft vor, daß die Wasserleitung oder die Heizung nicht funktionierte, so daß das Gerenne umsonst war.

Die Sonntage verbrachten wir in den Zellen mit Reinigen und Ausbessern der Monturen, Füllen der Strohsäcke (wenn nach langer Zeit wieder mal Stroh vorhanden war), Rasieren, Beten und harmloser Unterhaltung. Wir erzählten uns gegenseitig unsere Erlebnisse, hielten auch Vorträge über Jagd, Imkerei und dgl., um die Trübsal zu überwinden. Wenn die Aufseher ausnahmsweise gut gelaunt waren oder Ausgang hatten, durften wir auch singen. Im Sommer hatten wir die Fenster offen und hörten ein Durcheinander von deutschen und tschechischen Liedern, bis plötzlich „ticho” (Ruhe) geschrien wurde und der Gesang verstummen mußte. Auch Stubentour gehörte zur Sonntagsbeschäftigung. An manchem Sonntag wurden wir auf den inneren Gefängnishof geführt, wo wir im Kreise herumgehen oder turnerische Übungen verrichten mußten.

Etwa einmal im Monat durften wir die hl. Messe im Saal des Gefängnisses besuchen, die ein tschechischer Priester las, der nur tschechisch predigen durfte, auch die Kirchenlieder durften nur tschechisch gesungen werden. Die in Haft befindlichen deutschen Geistlichen (Pfarrer Ackermann aus St. Katharina, Pfarrer Grill aus Depoldowitz und noch ein Dritter, dessen Name mir entfallen ist) durften nur ministrieren. Wir standen während des ganzen Gottesdienstes unter strenger Bewachung.

Die ärztliche Betreuung war sehr mangelhaft. Wer sich krank meldete, wurde in der bestimmten Stunde auf den Gang vor dem ärztlichen Sprechzimmer im Erdgeschoß des Gefängnisses geführt und mußte dort Schlange stehen, bis er als „dalši” (nächster) an die Reihe kam. Der alte Gefängnisarzt untersuchte sehr schnell und oberflächlich, seine Helferin (eine deutsche Gefangene) mußte das Medikament, Pflaster bzw. das Rezept ausfolgen, den Verband anbringen oder erneuern und gleich wieder „dalši” rufen. Ich hatte einmal Schmerzen auf der Brust. Ich wurde mit den Worten abgefertigt: „Damit können Sie noch 50 bis 60 Jahre leben!” Da ich bereits 51 Jahre alt war, hatte ich Aussicht, ein Methusalemalter zu erreichen. Viel-


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leicht machte mich der Optimismus wieder gesund, wie ich mich überhaupt heute noch wundere, was der Mensch alles aushält.

Wie es üblich war, wurde auch ich im November 1945 aus dem Kreisgerichtsgefängnis in das Barackenlager gegenüber dem Schlachthof, etwas außerhalb der Stadt Klattau, überführt. Dort war das Regime etwas milder, der Kommandant war ein gut deutschsprechender Gendarmeriekreisinspektor oder so etwas ähnliches, kein fanatischer Tscheche. Auch die Aufseher waren, mit einigen Ausnahmen, etwas mäßiger. Wir bekamen auf die Brust Nummern aufgenäht und wurden nach diesen aufgerufen. Von dort aus wurden wir meistens auf den Bahnhof zum Wiederaufbau und in die Lederfabrik Singer auf Arbeit geschickt. Die schweren, stinkigen Häute machten uns viel ekelhafte und schweißtreibende Arbeit, und mancher Aufseher behandelte uns sehr grob, wenn nicht jeder Handgriff gelang.

Auf der sehr primitiven, für die vielen Gefangenen räumlich nicht hinreichenden Latrine erhängte sich an einem frühen Sonntagmorgen ein alter pensionierter Gendarmeriewachtmeister, den sein trauriges Gefangenenlos trübsinnig gemacht hatte. Der Papierspagat riß, und der Bedauernswerte schwamm in den Fäkalien, aus dem Morast mußten ihn zwei heranbefohlene Mitgefangene herausfischen. Er starb einige Tage später an Entkräftung.

... Hans Watzlik sah ich manchmal vom Kerkerfenster aus am Gefängnishof im Kreise gehen, und seine Zellengenossen — wie auch der inzwischen ebenfalls verstorbene Lehrer und Schriftsteller Hans Michal aus Eisenstein — erzählten, daß er sie mit seinem Humor oft aufheiterte.

Mitte Dezember 1945 erhielt ich die Anklageschrift zugestellt. Sie ist vom öffentlichen Kläger beim außerordentlichen Volksgericht in Klattau am 9. 12. 1945 ausgestellt, trägt den Eingangsstempel des Gerichtes vom 14. 12. 1945 und als Beschuldigung, daß ich bis 1938 Funktionär der Sudetendeutschen Partei (Rechnungsprüfer) und sodann der NSDAP (Zellenleiter) war, wodurch ich mich des Verbrechens gegen den Staat aufgrund des § 3 Abs. 2 des Dekrets des Präsidenten der Republik vom 19. 6. 1945 über die Bestrafung nazistischer Verbrechen (Nr. 16/45 Slg.) schuldig und gem. § 5, Abs. 2 des zitierten Dekretes bei Ausspruch des Verlustes der Ehre und Einzug des Vermögens strafbar gemacht habe1.

Obwohl mir in der Anklageschrift und bei der am 22. Dezember 1945 stattgefundenen Verhandlung kein einziger Fall einer positiven verbrecherischen Tat vorgehalten, geschweige denn nachgewiesen werden konnte, beantragte der Staatsanwalt eine Bestrafung mit 12jährigem schwerem Kerker. Nachdem mich einige Zeugen durch Aussagen, daß ich nie gehässig gegen Angehörige anderer Rassen oder Nationen war, vielmehr jedem, wo ich konnte, Gutes getan habe, entlasteten, wurde ich zu 5jährigem Kerker mit Zwangsarbeit und Verlust des Vermögens verurteilt. Dieses Urteil wurde nur mündlich verkündet, schriftlich wurde es mir nicht zugestellt. Ich hatte keine Gelegenheit, mir einen Verteidiger zu nehmen und eine Berufung einzubringen. Vom Gerichtssaal wurde ich nicht mehr ins Barackenlager, sondern sogleich in eine Zelle des Kreisgerichtsgefängnisses gebracht, in der sich solche Häftlinge befanden, die bereits verurteilt waren oder kurz vor


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der Verhandlung standen. Die Zahl der Zelleninsassen bewegte sich zwischen 25 bis 36 Mann, so daß wir eng zusammengepfercht waren. Major a. D. Karl Brey aus Neuern schlief oft auf der Tischplatte.

Dies waren sehr traurige Weihnachten. Am Heiligen Abend beteten wir und sangen einige Weihnachtslieder, die aber die Stimmung noch mehr drückten. Einige Männer weinten, besonders bitterlich schluchzte der Gendarmerieoberwachtmeister O., dessen Ehefrau kurze Zeit vorher (wegen eines gewöhnlichen Weibertratsches) hingerichtet worden war, er selbst zu 20 Jahren Kerker verurteilt. Eine hohe Kerkerstrafe (15 oder 20 Jahre?) hatte auch ein K. H., ein einfältiger junger Waldarbeiter aus Eisenstein, dem man das Geständnis erpreßte, er habe dem Werwolf angehört. Der arme Bursche wußte gar nichts von dieser Organisation. Die Mehrzahl der Verurteilten waren „Blockleiter” der NSDAP, deren „Verbrechen”, für das sie zu 5 Jahren Kerker verurteilt wurden, darin bestand, daß sie einige Mitgliedsbeiträge einkassiert hatten.

Aus manchen Familien waren mehrere Personen zugleich im Kerker, z. B. Franz R. aus Bernhof, er selbst mit Frau und Sohn. Leitermann waren wir vier (mein Bruder Matthias und ich und die Brüder Karl und Franz Leitermann aus Flecken). Das Ehepaar P. aus Böhm. Hammer, des Mannes Vater war daheim erschlagen worden. Aus Bärnhof waren zwei Brüder N. dort, Max wurde hingerichtet, Franz wurde zu 20 Jahren Kerker verurteilt. Gehängt wurde auch der brave Bauer R. aus der Seewiesener Gegend.

Anlaß der Einkerkerung unschuldiger Sudetendeutscher waren augenscheinlich folgende Zwecke:

1. Die Befriedigung des durch propagandistische Aufpulverung erzeugten Hasses der breiten tschechischen Massen gegen die Deutschen;

2. die Entfernung der deutschen Männer von ihrem Grund und Boden, Haus und Geschäft, Werkstatt und Fabrik, um diese Güter widerstandslos in Besitz nehmen zu können;

3. die Nutzung billigster, guter, willens- und wehrloser Arbeitskräfte in großen Massen zu Wiederaufbau- und Investitionsvorhaben, nachdem die Tschechen nun Herren geworden und zur Verrichtung gewöhnlicher Arbeit nicht gewillt waren;

4. die Unterbindung einer Widerstandsbewegung, deshalb besonders Verhaftung der deutschen Intelligenz.

Im Frühjahr 1946 begannen die Versetzungen der zu sechs und mehr Jahren Verurteilten in die Strafanstalt Bory nach Pilsen. Im Sommer wurden einige Arbeitstrupps auf Gutshöfe in der Umgebung nach Klattau verbracht, von wo aus manchem Mutigen die Flucht über die Grenze gelang. Über die nach Pilsen Verschickten sickerten verschiedene Nachrichten durch, manche zuversichtliche, daß sie in den Skodawerken bessere Verpflegung erhalten, manche betrübliche über schwere Arbeit bis zur Erschöpfung. Besonders hart ergriff uns die Nachricht des Ablebens unseres ehemaligen Zellenkameraden Franz Korzinek, Postmeisters aus Neuern.

Auch in Klattau kamen nicht nur durch Selbstmord aus Verzweiflung, sondern auch viele Todesfälle an den Folgen der rohen Behandlung vor.


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So starb der ehemalige Abgeordnete Wolfgang Zierhut und sein Sohn Dr. Günther Zierhut (Landrat), Pfarrer Grill aus Depoldowitz, Bürgermeister M. aus D. (Freitod durch Erhängen) und andere, deren Namen mir entfallen sind. Die Vollstreckung eines Todesurteils war für die Klattauer Tschechen eine Sensation zur Befriedigung ihres Hasses. Der Galgen wurde gewöhnlich schon einige Stunden vor der Exekution im Gefängnishof aufgestellt, dann hörte man von unseren Zellen aus viele Stimmen der Schaulustigen lärmen1. Wir durften uns während dieser Zeit nicht den Fenstern nähern.

Es kamen auch verschiedene Kommissionen und Visitationen ins Gefängnis, teils solche, die sich an unserem Elend ergötzten, teils Delegierte von Behörden und den amerikanischen Missionen, Journalisten und dgl. Die Antwort auf die Frage nach unserem Ergehen war aber bereits vordiktiert, sie durfte nicht anders lauten als: „Obtíženi nemáme” (wir haben keine Beschwerden).

Ende Juni oder Anfang Juli 1946 wurde auch ich aufgerufen und vernahm, daß ich mit einigen anderen (ich denke wir waren zehn) zum Bory versetzt werde. Wir mußten uns mit unseren verpackten Habseligkeiten am Gang aufstellen, wurden zur Gefängniskanzlei geführt, dort wurden uns die bei der Verhaftung abgenommenen Sachen (Uhren, Messer, Geldbörsen usw.), soweit sie noch vorhanden waren, wieder vorgelegt, wir mußten die Gefangenenmonturen (es waren alte Wehrmachts- und Polizeiuniformen) ausziehen und unsere Zivilkleider anziehen, worüber Protokolle geschrieben wurden. Dann wurden wir paarweise an den Händen zusammengefesselt, zum Bahnhof geführt und nach Pilsen geliefert.

In der Strafanstalt Bory herrschte ein äußerst rauhes Wesen2. Wir mußten uns am Gang nackt entkleiden, unsere Kleider und sonstigen Habseligkeiten, die einzeln besichtigt und verzeichnet wurden, in einen Sack stecken, der mit unserem Namen gekennzeichnet wurde, und nachdem wir die Gefangenenkleidung, die aus einem primitiven Hemd und Unterhose, Fußlappen, einem Rohleinenanzug, ebensolcher Kappe, Schuhen mit Holzsohlen bestand, angezogen hatten, auf den Speicher getragen werden mußte.

Sodann kamen wir je zu zweit in eine Zelle, die normalerweise für einen Mann bestimmt war, aber infolge Überfüllung der Strafanstalt nicht hingereicht hätte. Wir mußten bald wieder antreten, wurden photographiert, dann rasiert und sehr kurz geschoren und nochmals von mehreren Seiten photographiert (Lichtbilder fürs Verbrecheralbum?). In den ersten Tagen waren wir ganztägig in der Zelle und bekamen fast buchstäblich nur Wasser und Brot, denn die Suppe war nicht viel mehr als Spülwasser, und dazu gab's eine Handvoll ungeschälte Kartoffeln. Unsere Bewegung bestand im Kreismarsch am Gefängnishof, wobei nicht gesprochen werden durfte. Wenn wir auf Arbeit gehen durften, freuten wir uns, weil wir dabei doch mitsammen sprechen konnten und, besonders bei landwirtschaftlichem Einsatz,


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mehr Essen bekamen. Die Gefängnis-Brotrationen waren knapp zur Fristung des Lebens bemessen.

Nach etwa zehntägigem Aufenthalt am Bory wurden wir, eine größere Anzahl von Gefangenen, auf verdeckte Lastautos gebracht, die von mehreren Personenwagen mit dem Aufsichtspersonal begleitet waren. Wir fuhren über Podersam, Saaz, Postelberg und Brüx nach Maltheuern und wurden in einem Barackenlager (Nr. 27) an der Straße nach Oberleutensdorf ausgeladen. Wir zehn Mann kamen in eine Barackenstube, und es war für uns ein Lichtblick, daß wir ziemlich nach Heimatkreisen untergebracht waren. Wir waren acht Deutsche aus den Gerichtsbezirken Neuern, Hartmanitz und Stubenbach und zwei Tschechen in einer Stube. Die Stube mußte jeden Tag am frühen Morgen oder späten Abend gescheuert werden, zwei Mann mußten den Abortkübel entleeren, zwei Mann den Kaffee aus der weit entfernten Lagerküche holen, alles im Laufschritt. Die Betten mußten in peinliche Ordnung gebracht werden. Dies mußte alles sehr rasch geschehen, damit alle rechtzeitig am Vorplatz zum Abmarsch in das Werk bereitstanden.

Wir waren in dem fast völlig zerbombten Kohlen-Hydrierwerk in Záluži (ehemal. Hermann-Göring-Werk in Maltheuern) tätig. Es waren sehr schwere Arbeiten zu verrichten, wozu wir in einer überaus rohen Weise angetrieben wurden. Zu diesen schweren Arbeiten gehörte: Umschichten ganzer und gebrochener Maschinen und Bestandteile, sehr starker Eisenträger, Rohre usw., Verladen derselben auf Autos und Eisenbahnen, Aufgraben und Fortschaffen von Erde, Steinen, Ziegeln, Bauschutt und anderen Materials, Schleppen und Verlegen von sehr dicken Kabeln, wobei wir in die mit teerigem und öligem Wasser gefüllten Gräben gestoßen wurden, Zudecken dieser Kabelgräben, Anlage von Werkskanälen, Entfernen der zähen Teermasse aus den zerstörten riesigen Rundbehältern (Teerbunkern), Wegschaffen des Teeres mittels Schiebtruhen über Treppen und Mischen mit Kohlengrus, Freilegen der zerbombten Gas- und Teerbehälter, Neuaufbau solcher aus schweren Eisenplatten, Schleppen schwerer Balken und Bretterstöße auf den Schultern usw.1.

Die Kost war im Verhältnis zur schweren Arbeit am Anfang nicht hinreichend, doch nachdem man einsah, daß nur bei entsprechender Ernährung eine höhere Arbeitsleistung erzielt werden kann, wurden die Rationen erhöht und durch Fleischzulagen verbessert. Die Aufsicht und Behandlung war besonders durch einige Gefangenenaufseher sehr roh. Beispielsweise kam ein großer, gebräunter, dunkelhaariger Aufseher manchmal nachts zu den Betten und besah sich unsere Fußsohlen. Durch den Umgang mit Teer, der an den Schuhen auch in die Stube gebracht wurde, ließ es sich schwer vermeiden, daß trotz fleißigen Waschens noch eine Spur zu finden war. Der dabei Ertappte wurde zum Waschraum gepeitscht. Auch wenn im Bett ein Taschentuch, ein Fußlappen und dgl. zu finden oder eine Decke nicht haargenau zusammengelegt war, ließ dieser Rohling (wir nannten ihn den „Schwarzen”) den Bettinhaber und den Stubenältesten verprügeln.

Kamerad Berka, Kaufmann und Geschäftsreisender, gebürtiger Tscheche aus Südböhmen, welcher Europa und überseeische Lander bereist hatte, fiel


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uns durch sein stilles, versonnenes Wesen sehr auf. Er betete und fastete oft. Es war gleich in den ersten Wochen unseres Arbeitseinsatzes im Werk Maltheuern, als wir während des Verladens schwerer Eisenteile auf einen Eisenbahnwaggon plötzlich antreten mußten und abgezählt wurden. Es fehlte ein Mann, dies war Berka. Keiner von uns Deutschen wußte von seinem Verbleib, erst nachdem man uns mit Erschießen bedroht hatte, meldeten sich drei Tschechen, mit deren Hilfe er einen Fluchtversuch vereinbart hatte. Sie hatten ihn im Waggon unter den Eisenteilen eingemauert, er hoffte auf diese Weise aus dem Werk hinauszugelangen. Der Aufseher schoß einigemale mit dem Gewehr auf ihn hinein, dann wurde Berka blutüberströmt herausgezogen und vor unsere Füße geworfen. Er bat um einen Gnadenschuß, der ihm aber verweigert wurde. Mittlerweile waren die einheimischen Arbeiter in großer Anzahl herbeigelaufen und wollten sich auf uns stürzen, beschimpften uns als deutsche Hunde, Schweine, Nazis usw., forderten, man soll uns erschießen. Besonders auf mich zeigten sie mit den Worten: „toho brýlatého rozstřilejte!”1, denn auf Brillenträger, in denen mau die führenden Intelligenzler vermutete, hatten die Tschechen eine besondere Wut. Es kam dann ein Auto, in das der arme Berka geschleppt und fortgeschafft wurde. Später verlautete gerüchtweise, er sei in einem Krankenhaus mit dem Leben davongekommen und wieder auf den Bory gebracht worden.

Wir mußten sofort unter doppelt strenger Bewachung vom Arbeitsplatz weg ins Lager marschieren, dort lange am Hofe stehen, Strafpredigten anhören und zusehen, wie die drei Helfershelfer unter Schlägen „Auf und Nieder” und sonstige Turnübungen machen mußten, bis sie umfielen. Sie erhielten mehrere Tage schweren Einzelarrest und wurden später besonders gehässige Antreiber bei der Arbeit.

Ein weiteres trauriges Erlebnis war an einem Sonn- oder Feiertag Ende September 1946 (St. Wenzelstag2?). Mein Zellengenosse vom Bory, Kamerad Karl Linzmeier, Kaufmann aus Hämmern, der einen schweren Herzfehler hatte, vom Gefängnisarzt in Pilsen jedoch nicht als untauglich für schwere Arbeiten anerkannt worden war, wurde mit mehreren anderen Gefangenen zum Obsternten auf einem weiter entfernten Dorfe kommandiert. (Man ließ uns auch an Sonntagen nicht rasten, wir mußten meistens den Hof putzen, Steingärten anlegen, Strohsäcke stopfen und dgl.) Es war schon dunkler Abend geworden, bis endlich der Arbeitstrupp zurückkam. Kamerad Peter Linzmeier, ein engerer Freund des Karl, erzählte uns weinend, daß Karl während der Arbeit unwohl wurde und am Heimweg plötzlich, vermutlich an einem Herzschlag, gestorben ist. Seine Leiche wurde auf einem Handwagen ins Lager gebracht, und wir sahen nichts mehr von ihm, auch nicht von seiner Beerdigung.

Ende Oktober 1946 kursierte die Parole, daß ein Teil der in Maltheuern eingesetzten Gefangenen wieder nach Pilsen zurückversetzt wird, und ganz optimistische Kameraden raunten, es gäbe von dort aus Freilassungen. Ich denke, es war am 28. Oktober 1946, als wir am Hof des Lagers antreten mußten; der Kommandant verlas Namen, dabei auch meinen. Wir Verlese-


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nen wurden auf Lastautos nach Pilsen zurückgebracht und abermals in die Zellen eingekerkert, jedoch war die Behandlung um einige Grade weniger rauh als früher. Wir arbeiteten in den Skodawerken, wo wir insbesonders die in großer Unordnung befindlichen Fabrikshöfe und -räume aufräumen und säubern mußten. Auch mußten wir Gießformen für starke Rohre drehen, glühende Maschinenteile aus den Formen schütteln und, nachdem sie einigermaßen ausgekühlt waren, anschichten. Dies erforderte viel Schweiß. Wir bekamen außer unserer Gefängnisration in den Skodawerken gekochte Kartoffeln, womit wir uns sättigen konnten. Durch Flüsterparolen erfuhren wir von den als Gangwärter und Küchengehilfen tätigen, am Bory schon mehr heimisch gewordenen Kameraden, besonders vom Kameraden P. aus Neuern, daß viele von uns demnächst freigelassen werden sollen, was uns seelisch sehr stärkte und aufmunterte. Dies bewahrheitete sich nach ungefähr zehntägigem Aufenthalt am Bory.

Mit der Entlassung, ungefähr am 10. November 1946, war mein auf 5 Jahre festgesetzt gewesenes Gefängnis-Martyrium bereits mit 13 Monaten beendet.

Die erlittenen Mißhandlungen, die große seelische und körperliche Beanspruchung, Hunger und sonstige Entbehrungen, Nervenzusammenbrüche und Überanstrengungen hinterließen sichtliche schlimme Folgen. Ich leide an Schwerhörigkeit, Schwachsichtigkeit und allgemeiner Nervenschwäche, besonders auch Vergeßlichkeit. Viele meiner Leidensgenossen haben noch schwerere Folgen zu tragen, manche sind inzwischen vorzeitig gestorben.

In seinem weiteren Bericht schildert der Vf. den Hergang seiner Ausweisung im November 19461.