Nr. 68: Ereignisse und allgemeine Lebensverhältnisse in Zettwing.

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Bericht des Landwirts Alois Reichendörfer aus Zettwing, Kreis Kaplitz.

Original, 28. April 1955, 4 Seiten, hschr.

Als ich am 3. Juni 1945 von amerikanischer Gefangenschaft in meinem Heimatort Zettwing eintraf, war unser Ort von russischen Truppen schon frei. Diese waren in der Nähe von Kaplitz in ein großes Lager zusammengezogen.

Es waren nur einige tschechische Finanzbeamte, die vor 1938 schon bei uns waren, im Ort. Es herrschte allgemein Ruhe, und ich hatte den Eindruck, als ginge es dort weiter, wo wir im Jahre 1938 aufgehört hatten. Auch waren einige Heimkehrer schon zu Hause.


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Als ich mich bei dem Gemeindeamt anmeldete, war noch der Gemeindeschreiber im Amt. Als kommissarischer Bürgermeister war der Schmied unseres Ortes, Johann Spulak, der die tschechische Sprache beherrschte, eingesetzt. Dieser ruhige Zustand sollte nicht lange dauern. In den nächsten Tagen kamen tschechische Gendarmerie und Partisanen nach Zettwing.

Am 13. Juni 45 wurden fast alle Männer, die bei der NSDAP und Freikorps1 waren, verhaftet, darunter auch ich war. Im Saale des Gasthauses Karl Süka mußten wir mit dem Gesicht zur Wand Aufstellung nehmen. Dabei kam es vor, das der eine oder andere von der Bewachung, die aus Partisanen bestand, geschlagen wurde. Dann wurde jeder einzeln zum Verhör vorgeführt. Die Vernehmung wurde sehr genau und umfangreich durchgeführt. Besonderer Wert wurde auf die Zugehörigkeit zum Freikorps und [zur] Wehrmacht gelegt, die in Prag und anderen Städten des Protektorats eingesetzt war. Bei dieser Aktion hatte sich der Kommunist Konrad Mayer aus Zettwing 91 besonders hervorgetan. Als das Verhör zu Ende war, wurden der Heimkehrer Lackenbauer und ich wieder freigelassen. Alle übrigen sind ins Internierungslager Kaplitz gebracht worden.

Von diesem Zeitpunkt an wurde es immer schlechter. Um 7 Uhr abends durften wir Deutsche nicht mehr auf der Straße sein. Nachts wurden wir von der Kontrolle geweckt, um unsere Anwesenheit im Hause bzw. im Bett festzustellen. Dann wurden unsere Häuser, angeblich nach Waffen, durchsucht. Sämtliche Edelmetalle mußten abgeliefert werden. Desgleichen Radios, Fahrräder, Grammophone, Autos, Motorräder, Ski und anderes.

Der kommissarische Bürgermeister Spulak wurde von dem tschechischen Finanzbeamten Cile abgelöst. In einigen Fällen waren die Russen bei der Flucht von Deutschen nach Österreich behilflich. Sie taten das gegen Rum, Fleisch und Wertgegenstände.

Neben den üblichen Lebensmittelkarten für Deutsche gab es nicht viel. Fleisch gab es für uns Deutsche überhaupt nicht. Mit Milch und Butter halfen die Bauern der übrigen deutschen Bevölkerung nach Möglichkeit aus. Der Postverkehr im Inland war gut. Wollte ein Deutscher in eine andere Gemeinde gehen, mußte er einen Passierschein mit Zweck und Datum versehen haben. Für Bahnfahrten mußte eine besondere Genehmigung eingeholt werden. Die deutschen Schulen waren gesperrt. 14 Tage versuchte ein tschechischer Lehrer die Kinder in Tschechisch zu unterrichten. Das religiöse Leben wurde in keiner Weise beeinträchtigt2. Unser Arzt wurde interniert, somit mußten wir nach Österreich zum Arzt gehen, das nicht ohne Schwierigkeit abging. Soziale Fürsorge und Rentenwesen ruhten vollständig. Das Geld (RM) mußte abgeliefert werden. Für diejenigen, die sich nichts verdienen konnten, gab es dreihundert CK3 pro Monat, aber nur wenn sie entsprechend Reichsmark abgegeben hatten. Der Bauer bekam für seine Erzeug-


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nisse kein bares Geld. Es gab nur eine Bescheinigung über die Höhe des Betrages. Bei der Bezahlung von Steuern und öffentlichen Abgaben wurde diese Bescheinigung in Zahlung genommen. Die Antifaschisten bekamen eine Zeitlang die tschechischen Lebensmittelkarten und brauchten keine Robotarbeit zu leisten. Rechte hatten wir Deutsche keine. Die deutschen Namen auf Schildern und Grabsteinen wurden nicht zerstört. Dagegen mußten alle anderen Aufschriften sowie Ortsbezeichnungen in tschechischer Sprache sein. Da unser Ort rein deutsch war, wurde die deutsche Sprache nicht beanstandet. Tschechen hatten wir keine im Ort.

Abschließend erwähnt der Vf. noch, daß vor dem Beginn der Ausweisungsaktionen etwa ein Viertel der Einwohner des Grenzortes Zettwìng bereits nach Österreich geflohen war, daß der Ort von tschechischer Seite nicht besiedelt und wie viele andere in der errichteten Grenz-Sicherheitszone dem Verfall preisgegeben wurde.