Nr. 70: Ereignisse und Zustände im Arbeits- und Konzentrationslager in Znaim von Mai bis Dezember 1945; Zwangsarbeit der Internierten auf einem Staatsgut; Entlassung des Vfs. und seine Flucht nach Österreich.

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Erlebnisbericht des Hauptschulrektors Josef Herrmann aus Znaim.

Original, 1. August 1947, 12 Seiten, mschr.

Der Vf. schildert zunächst in wenigen Sätzen seinen Lebenslauf, die Flucht vor der Roten Armee und die Rückkehr nach Znaim am 14. Mai 1945.

Ich ging sofort in meine Eigenvilla in der Pasteurgasse Nr. 7. Den Hausschlüssel bekam ich von meiner [Miet] Partei, Fotograf Nather, deren Versteck bei den Kapuzinern ich kannte. Haus- und Wohnungstür waren von den Russen aufgesprengt, von der [Miet] Partei aber wieder verschließbar hergerichtet worden. Die Fensterscheiben auf der Straßenseite waren von einer Bombenexplosion zertrümmert und mit Latten vernagelt. Meine Frau war am 11. April vor dem Bombenterror geflüchtet und hatte vorher alles Wertvolle wie Wäsche, Kleider, Pelze, Schuhe, Betten, Matratzen, Teppiche, Vorhänge, Bildoriginale, 2 Rundfunkgeräte, eine Schreibmaschine, Wertsachen und Eingewecktes im unteren Hauskeller an der Gartenseite deponiert. Im noch verschlossenen Keller fand ich alles unberührt vor. Die Russen hatten es nicht gefunden und dem tiefen Keller keine Beachtung geschenkt. Nichteingeweihte vermuteten hier nur den Ausgang in den Garten. In den Wohnungen waren die verbliebenen Sachen wüst durcheinander geworfen.

Am 14. Mai 1945 etwa um 14 Uhr klopfte es an der Haustür. Ich öffnete und vor mir standen etwa zehn Herren mit roten Armbinden unter Führung eines Gendarmeriewachtmeisters. Sie nahmen eine gründliche Hausdurch-


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suchung vor, bei der nicht das geringste gefunden wurde. Auf ihre tschechischen Fragen, wo alles geblieben sei und wer alles so verwüstet habe, erklärte ich, daß die beiden Wohnungen von den Russen geplündert worden seien. Dem unteren Keller schenkten sie wieder keine Beachtung und hielten die Kellertüre für den Gartenausgang. Als sie fertig waren, befahl mir der tschechische Wachtmeister mitzukommen „na vyšetřování” (zur Untersuchung) — und damit war ich verhaftet. Ich nahm meinen Rucksack, der noch ungeöffnet dalag, auf den Rücken und wurde vom Wachtmeister im Militärarrest der Albrechtskaserne, Rapéngasse, abgeliefert und dem tschechischen Militär übergeben.

Dort fand ich etwa 20 bekannte Znaimer vor - - die Brüder Nečas, Binder Souczek und viele andere. Wir erhielten die Verpflegung aus der Mannschaftsküche. Am 16. 5. wurden wir frühmorgens in das UvD1-Zimmer, ebenerdig, rechts vom Kaserneneingang, geführt, wo tags zuvor die große Schlacht mit Verhafteten stattgefunden hatte. Hier lagen blutüberströmt, bewußtlos im Todeskampf auf der Erde: Wildbrethändler Maschl (Obere Böhmgasse), Gastwirt Krischke (Untere Böhmgasse). Viehhändler Repa (Pragerstraße) lag jammernd, mit Blut befleckt und mit großen blutunterlaufenen Flecken am ganzen Körper da. Krischke hatte den Augenknochen zertrümmert, und das rechte Auge hing heraus. Leise röchelnd, Schaum auf dem Munde lag er da. Řepa bat um Wasser und mußte zum Kübel auf die Seite geführt werden, da er sich allein nicht erheben konnte. Bei den Schwerverletzten lagen handgelenksdicke, zerschlagene Knüttel. Ein tschechischer Oberleutnant kam, ließ uns Ordnung machen und das eingetrocknete Blut vom Fußboden aufputzen. Abends um etwa 19 Uhr mußten wir aufpacken. Ěepa bat uns, ihm aufzuhelfen und ihn mitzunehmen. Die zwei anderen waren bisher nicht zum Bewußtsein gekommen und atmeten nur noch leise. Wir wurden alle — etwa 30 Mann — in die „Robotárna” (Arbeitshaus) = Strafgefängnis für Arbeitsscheue geführt.

Hier empfing uns Kommissar Kraus, einen deutschen Tropenhelm auf dem Kopfe, einen alten österreichischen Offizierssäbel in der linken Hand und eine russische Peitsche in der rechten Hand, mit einer Schar blutjunger Partisanen zur Seite, die mit Stöcken und russischen Peitschen bewaffnet waren. Ein rotgeschmücktes Lastauto stand noch vor dem Gebäude. Wir mußten in die Einfahrt, die Tür wurde geschlossen, und nun ging die Schlacht los. Die halbwüchsigen Burschen, sogenannte Partisanen, suchten sich ihre Opfer aus und bearbeiteten sie mit Stöcken und Peitschen. Mich kannte niemand, und es geschah mir nichts. Als sich die Wut ausgetobt hatte, wurden wir in den Hof getrieben. Dort mußte alles Eigentum bis auf die Kleidung abgelegt werden. Wir wurden visitiert und in die halb unterirdischen Korrektionszellen abgeführt. Wir waren in einer Zelle (3 X 3 m) etwa 30 Znaimer Bekannte zusammengepfercht. Beim Essen, das wir auf dem Gange erhielten, sahen wir alle Inhaftierten der 6—8 Zellen, lauter bekannte Znaimer Geschäftsleute, Angestellte, Handwerker, Beamter Schnürch, Budischowsky, Skala, Schiller, Kontner, Repa, Dařilek, Max, Fischer, Siegl, Přeček — über 200 Mann.


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Die Nacht verbrachten wir auf der Pritsche oder auf der Erde sitzend, teils auch stehend. Um Mitternacht erklang es dumpf im Gange: „Wir grüßen unseren Führer.” Die Zellentür ging auf, und herein traten die Kommissare Kraus und Böhm, stark angeheitert. Taschenlampen blitzten auf, man befahl den ausgesuchten Opfern vorzutreten und bearbeitete die Ausgesuchten mit Peitschen. Dann ging man zur nächsten Zelle und vergnügte sich auf dieselbe Weise.

Am 17. 5. wurden wir vormittags einzeln von einem Gendarmeriewachtmeister oder von Kommissar Böhm verhört und die politischen Belastungen aufgeschrieben. Nachmittags wurden wir etwa 30 ältere Männer ausgesucht und in ein großes, leeres Mannschaftszimmer des 1. Stockes geführt. Hier konnten wir nachts wenigstens auf dem Fußboden ausgestreckt liegen, einen Pfosten unter dem Kopfe.

Am 18. Mai wurden wir nach dem Mittagessen etwa 30 Mann in das „Pracovní i koncentrační tábor” (Arbeits- und Konzentrationslager) auf der Pragerstraße, in die ehemaligen Militärbaracken geführt. Damit war ich glimpflich einer Hölle entronnen. Die „robotárna” in der Rapéngasse wurde in der Folgezeit die gefürchtetste Hölle. Dort soll es nach Bericht von Augenzeugen nachher schrecklich zugegangen sein, und zahlreiche Erschlagene liegen im Gemüsegarten der Anstalt verscharrt. An meinem neuen Aufenthaltsort sah und erfuhr ich nun erst, was „KZ" heißt. Unsere Partie war eine der ersten. Das Lager war erst im Entstehen, und täglich kam Nachschub aus der „robotárna”.

Unsere Tagesration bestand aus 100 g Brot, morgens und abends je 1/4 l schwarzen Kaffee, mittags gab es immer nur 1/2 l Krautsuppe ohne Fett und oft auch ohne Kartoffel. So ging es bis zum 26. Juni, an welchem Tage ich auf Feldarbeit abging. Wir hungerten, und ich nahm 5 kg ab. Die Bauern bekamen von ihren Frauen viel nachgeschoben, doch verschwand das meiste davon unter der Wachmannschaf t. An die hungernden Leidensgefährten wurde jedoch nichts abgegeben. Wer nichts von außen bekam, bettelte nach Möglichkeit bei der Außenarbeit. Die Behandlung sprach jeder Menschenwürde Hohn, und Menschenrechte existierten überhaupt nicht. Wir waren eine Ochsenherde, die man nur mit Ohrfeigen, Peitschenhieben und Stockschlägen behandelte. Träger dieser Mißhandlungen war die tschechische Wachmannschaft. Besonders Wachkommandant Vlček, ein tschechischer Soldat ohne Charge, ein früherer Pferdekutscher bei Spediteur Svoboda, Wienerstraße, tat sich durch besondere Rohheit, Wildheit, Unmenschlichkeit, rohes Schlagen und Ohrfeigen hervor. Er war unermüdlich im Erfinden neuer Bosheiten, Mißhandlungen und Sekkaturen.

Mit der Zunahme des Belages wurden die Militärbetten dreifach übereinander gestellt. Es war so eng, daß man gerade noch zu seinem Bett gelangen konnte. Wir lagen etwa 80 Mann in unserem Zimmer. Die Fenster durften nur 1/4 Stunde am Tage gleichzeitig geöffnet werden. Auch durfte sich niemand beim Fenster zeigen.

Die unentwegten Raucher verstanden es, Rauchmaterial und Streichhölzer bei allen Körperdurchsuchungen am Lagereingang beim Einrücken von der


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Außenarbeit durchzubringen, ins Lager zu schmuggeln und es so zu verstecken, daß es trotz aller unvorhergesehenen Spindvisiten und Bettdurchsuchungen meist nicht gefunden wurde. Im rückwärtigen Pissoir oder Klosett wurde dann morgens oder abends verstohlen geschmaucht und seinen besten Freunden „ein Zug” gelassen. Wer aber von der herumspionierenden Wache erwischt wurde — und das war nicht selten — wurde unmenschlich mit Stöcken geschlagen. So erwischten sie einstens auch den Schlosser N. (er lag neben mir) und schlugen ihn so unmenschlich, daß seine Hoden ganz schwarz und faustgroß angeschwollen waren. Er fieberte und war nicht arbeitsfähig. Da er aber einen sehr guten Dauerarbeitsplatz als Installateur im Magdalenenbad hatte, an dem er sich schonen konnte, schleppte er sich doch zur Arbeit, nur um aus dem Lager zu kommen.

Tagwache (budiček) war um 5 Uhr morgens oder, wenn die Wache bezecht war, um 4 Uhr. Militärisches Morgenturnen mit nacktem Oberkörper dauerte 1/2 Stunde. Oft wurden wir wie junge Rekruten herumgejagt. Nachher hieß es Kaffee holen und um 1/2 7 Uhr antreten auf der Lagerstraße zur Arbeitseinteilung. Um 7 Uhr war Abmarsch zur Arbeit, von 12 bis 1/2 l Uhr gab es Mittagessen und von 13 bis 18 Uhr dauerte die Nachmittagsarbeit. Beim Einrücken fand vor dem Wachzimmer meist Körpervisite nach Rauchmaterial, Wein, Fleisch, Wurst und Kuchen statt, alles Dinge, die die Wachmannschaft haben wollte. Oft wurde aber auch das Brot weggenommen. Wer Glück hatte, kam zu zweit ohne Wachbegleitung zu gutherzigen Tschechen in Privathäuser, wo man zu essen bekam. Bei größeren Partien waren 2—3 Mann Begleitmannschaft eingeteilt. Hie und da gab es darunter Lümmel, die zur Arbeit antrieben und wohl auch die Leute schlugen. Besonders gefürchtet war die große Arbeitsgruppe von meist über 100 Mann in der Klosterbrucker Kaserne. Dort kam es sehr oft vor, daß die Leute von der Soldatenwachmannschaft mit Stöcken und Peitschen zur Arbeit angetrieben und manche auch arg mißhandelt wurden. Ich litt in jener Zeit ca. drei Wochen hindurch an Furunkulose im Genick, war ärztlich verbunden und entging dadurch dem schweren Arbeitseinsatz. Gearbeitet wurde auch sonntags im Lagerbereich, nur die Außenarbeit entfiel.

Lagerkommandant war Fähnrich Tojšl, der ein gewisses Rechtlichkeitsgefühl besaß. Ein rauher Geselle war sein Stellvertreter, der die tägliche Arbeitseinteilung durchführte. Sein Hauptvergnügen war, jeden ärztlichen Befund des gefangenen deutschen Lagerarztes zu ignorieren und lächerlich zu machen durch seine Redensart: „To ja nám také” (das habe ich auch).

Pfingstsonntag 1945 im KZ wird mir unvergeßlich bleiben. Vormittags war die obligate Lagerarbeit: Aufräumungs- und Reinigungsarbeiten. Nachmittags kam eine starke Gruppe von sogenannten Partisanen (Jungen von 15—18 Jahren), ging von Unterkunft zu Unterkunft, suchte sich ihre Opfer oft unter Fingerzeig der Wachmannschaft aus, ließ die alten Leute nackt ausziehen und bearbeitete sie vor unseren Augen mit der Peitsche. In meiner Unterkunft waren damals nur sieben Mann. Vor uns suchten sie sich den 70jährigen Lederfabrikanten Ferd. Buchberger und den Betriebsleiter der Ostmark-Keramik-Werke Salier aus. Dann gingen sie weiter. Wir hörten nur die Schläge und hie und da Schmerzensschreie der Opfer.


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Die Zeit von 20—22 Uhr (manchmal auch erst 23 Uhr) war ausgefüllt mit mehrmaligen Visiten und Durchsuchungen durch die Wachmannschaft, des Baracken- oder Lagerkommandanten, mit Aufwaschen der Gänge, Antreten zu Verlautbarungen und dgl. Um 22 oder 23 Uhr kam die letzte Visite des Wachkommandanten mit der üblichen tschechischen Meldung, und dann hieß es „spát” (= schlafen). Nun erst durfte man sein Bett machen und sich auskleiden. Nachts war meistens Ruhe.

Ende Mai tagte im Lager öfters ganztägig eine große tschechische Volkskommission unter Führung der Kommissare Kraus und Böhm, bei der über das weitere Schicksal der Inhaftierten (Entlassung oder Weiterverbleib im KZ) kurz entschieden wurde. Diese Tagungen fanden bei Wein und Zigaretten statt. Nachmittags war daher alles angeheitert, und da kam ich vor die Kommission. Ich trat vor, nannte meinen Namen. Einer suchte mein Karteiblatt und las es vor. Es waren genau meine Angaben, die ich beim Verhör im Arbeitshaus gemacht hatte. Von den Tschechen kannte mich kaum jemand. Obwohl durch tschechische Plakatierung die Bevölkerung amtlich aufgefordert worden war, Anzeigen gegen Deutsche zu erstatten, die sich gegen Tschechen irgend etwas hatten zuschulden kommen lassen, war keine Anzeige gegen mich eingelaufen. Kommissar Kraus erklärte: „Sie müssen dafür bestraft werden, daß Ihre Regierung die tschechischen Schulkinder germanisieren wollte. Sie bleiben im Lager.” Er gab mir mehrere Peitschenschläge über den Rücken und trieb mich zur großen Gruppe der Nichtentlassenen. Ich war um meine sehnsüchtigste Hoffnung „entlassen zu werden” ärmer.

Ich sah nun dem Schauspiele des angeheiterten sogenannten Volksgerichtshofes zu. Bei mehreren Vortretenden rief Kommissar Kraus nach Verlesung des Karteiblattes: „na lavici” (= auf die Bank). Die bereitstehende Lagerwache, rohe, wilde Gesellen, ergriff ihn, stieß ihn in einen Nebenraum, und nun hörte man nur die schweren Stock- und Peitschenschläge und Schmerzeusschreie.

Wachkommandant Vlček, der anwesend war, schrieb sich nun aus den Nichtentlassenen eine Gruppe von 28 Mann zu einer „Strafkompanie” heraus, (darunter war auch ich, Budischowsky, Přeček, Krameth) und gab sie zusammen in einen Lagerraum. Am Abend ließ er sie namentlich aufrufen, antreten, führte sie in eine leere Baracke und ließ sie dort unter seinem Kommando von 4 Mann Wache mißhandeln. Ich wurde aufgerufen, in einen Barackenraum gestoßen, auf eine Bank gelegt und erhielt mit daumendicken Stöcken von links und rechts je 10 Hiebe über den Rücken. Dann wurde ich durch Fußtritte zur Türe hinausgestoßen, und der nächste kam dran. Am nächsten Abend nach der Rückkehr von der Arbeit wiederholte sich dieselbe Strafaktion Vlčeks. Nur erhielt ich diesmal etwa je 15 Stockhiebe von links und von rechts auf das Gesäß durch 2 Wachsoldaten. Noch am selben Abend ging ich zum Barackenkommandanten, einem tschechischen Lehrer, der als Kollaborateur im KZ saß, da er in der deutschen Zeit als Lehrer an der Knabenhauptschule (bei Hauptschulrektor Josef Neumann) unterrichtete. Wir kannten uns also. Ich beschwerte mich und bat, dem Lager-


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kommandanten Fähnrich Tojšl vorgeführt zu werden. Er versprach mir, mit Tojšl zu reden, und am nächsten Tage sollte ich mir die Antwort bei ihm abholen. Am nächsten Mittag bekam ich vom Barackenkommandanten nachstehende Aufklärung: Einen anderen unserer Strafkompanie hatten die Bohlinge mit russischen Peitschen, deren Riemen am Ende Eisenhäkchen hatten, bearbeitet, so daß das Gesäß über und über mit Wunden bedeckt war. Der Betroffene war sofort zu Tojšl gerannt, hatte die Hosen herabgerissen und den blutüberströmten Hintern gezeigt. Darauf wurde die Strafaktion Vlčeks sofort eingestellt. Meine Vorführung war nun nicht mehr nötig.

Anfangs Juni war ich etwa l 1/2 Wochen Badegehilfe mit Kohlenhändler Scholz und noch einem Kameraden in der Waschanstalt und dem Bade der Masarykkolonie, Pragerstraße. Der tschechische Verwalter, ein guter Mensch, nahm mich über mein Bitten in mein Eigenhaus mit, um sich einige Kochtöpfe aus Nirosta-Stahl zu holen und ließ mich dann dort allein zwei Stunden. Ich benutzte diese Zeit, um unser Depot im unteren Keller zu visitieren. Ich fand noch alles unberührt vor. Ich nahm auch 2 Paar Socken, 2 Hemden, l Paar Halbschuhe, einige Gläser eingekochte Aprikosen, l Flasche Schnaps mit und deponierte diese Sachen im Bade, da sie mir im Lager abgenommen worden wären. Als ich dann zur Aprikosenzeit Anfang August 1945 bei dem nunmehrigen neuen Hausherrn Pospíchal, unserem ehemaligen Kaminfeger in der Tschechenzeit 1923—1937, gelegentlich eines eintägigen Urlaubes vorsprach, waren meine Sachen aus dem Keller verschwunden. Meine prächtige, gediegene Wohnungseinrichtung, Herren- und Wohnzimmer in Eiche, meine Bildoriginale, Kunstgegenstände, meine Teppiche, Kristall, Porzellan, Küchengeschirr benutzte der neue Hausherr. Einen Teil meines Eigentums aus dem Kellerdepot (Bettüberzüge, Damenkleider) sah ich bei der Wohnpartei, einem tschechischen Gendarmeriewachtmeister, der scheinbar die ineisten Sachen beschlagnahmt, verschoben und gestohlen hatte. Als ich nach meinen Sachen fragte, zeigte er mich bei der Lagerleitung an.

Aus dem Arbeits- und Konzentrationslager kam ich am 28. 6. auf Erntearbeit auf das Staatsgut „Vrančer Hof” bei Vöttau mit Bauern und Bäuerinnen aus der Znaimer Umgebung, dem Vorstande des Znaimer Güterbahnhofs Wenzel, der Gattin des Schattauer Hauptschulrektors und drei Jugendlichen im Alter von 13 1/2—14 1/2 Jahren. Auf dem Gutshofe waren wir etwa 26 internierte Deutsche. Der Verwalter war ein verbissener Tscheche. Geschlagen wurden wir dort nicht. Nur einmal kamen mit Lastautos tschechische Soldaten (Partisanen) auf den Gutshof und schlugen einen Gefangenen mit russischen Peitschen in roher Weise. Gearbeitet wurde von 6—12 und von 13—18 Uhr, auch sonntags. Unser Kommandant war ein Tscheche, der als Kollaborateur in der deutschen Zeit jetzt ins KZ gekommen war. Die Behandlung war menschlich, die Zucht nicht so streng wie im KZ, weil ohne Wachmannschaft. Gearbeitet wurde so, wie es beim Bauern üblich ist. Ich holte mir durch die ungewohnte, schwere Arbeit beim Auf- und Abladen der überschweren Garben einen doppelseitigen Leistenbruch. Es wurde für alle Gefangenen eine eigene Küche von unseren Frauen ge-


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führt, mit den reduzierten Rationen, wie sie für Deutsche vorgeschrieben waren. Unser tschechischer Mitgefangener und Kommandant ließ sich aber von unseren Zuweisungen extra und besser kochen, so daß wir durch mehrere Wochen kein Fett im Essen hatten. Aber genügend alte Kartoffeln, die für die Schweinefütterung bestimmt waren, hatten wir wenigstens bis Ende Oktober. Erst dann bekamen wir frische Kartoffeln. Untergebracht waren wir in einfenstrigen Zimmern zu je 6 Mann. Als es dann im Spätherbst empfindlich kalt wurde, verkühlte ich mich in meinen Hochsommersachen beim Dreschen mit der Dreschmaschine, so daß ich Gelenkrheumatismus bekam. Ich meldete mich deshalb Mitte November krank mit starken Schmerzen in den Armgelenken. Der tschechische Verwalter war darüber so böse, daß er mich am nächsten Tage ins Lager nach Znaim zurückführte.

Der deutsche, internierte Lagerarzt erklärte mich mit Gelenkrheuma für krank, und ich kam einige Tage ins Krankenrevier. Dann erhielt ich den Befund für leichte Arbeit im Lager. Doch darum kümmerte sich der stellvertretende tschechische Lagerkommandant bei der Arbeitseinteilung nicht mit seiner Redensart: „To ja nám také” (das habe ich auch). Ich mußte bei Schnee und starker Kälte eine Woche im Znaimer Judenfriedhof arbeiten. Dann ging ich neuerlich zum Arzt und kam wieder einige Tage ins Krankenrevier.

Schließlich kam ich durch geschicktes Verhalten vor die Überprüfungskommission des Kreis-Nationalausschusses in Znaim, die gewöhnlich einmal wöchentlich im Lager unter Beisein eines Juristen tagte. Ich wurde nach beiliegender, beglaubigter Abschrift und Übersetzung des amtlichen Entlassungsscheines am 12. 12. 1945 aus dem Konzentrationslager entlassen1 mit der Verpflichtung, die Grenze der Republik sofort zu überschreiten. Bei der Kommission teilte man mir mit, daß die Grenzen amtlich gesperrt seien und ich müsse „za plotem, na černo” (hintenherum, schwarz) die Grenze überschreiten. Ich war innerlich still vergnügt. Ich blieb nun noch bis zum Sonntag, den 16. 12. im Lager. Samstag, den 15. 12. nahm ich mir tagsüber einen Urlaub, um alles bei einer Verwandten zur Abreise vorzubereiten. Am Sonntagmorgen, nach gründlicher Körperuntersuchung gelegentlich der Abmeldung bei der Lagerwache, schloß sich endlich das Tor des Znaimer KZ für immer hinter mir. Die bitterste Leidenszeit meines Lebens war beendet.

Nach dem Mittagessen bei meiner Verwandten verließ ich Znaim nun endgültig und für immer. Ich hatte kein Geld und besaß nur das, was ich auf dem Körper trug. Einige alte zerrissene Wäschestücke und Kleinigkeiten, die ich im Laufe der sieben Monate „organisiert” oder von gutherzigen Bekannten erbettelt hatte, trug ich in einem alten Sack, mit Draht zusammen-


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gebunden, auf dem Rücken. Als heimatloser Bettler überschritt ich mitternachts heimlich und schwarz auf Umwegen die tschechisch-österreichische Grenze bei Gnadlersdorf und kam ohne Nachtruhe um 9 Uhr früh nach Retz. Endlich war ich nach sieben Monaten wieder in Freiheit. Hinter der Grenze auf österreichischem Boden kniete ich nieder, küßte die deutsche Erde und dankte Gott für die Errettung.

Im folgenden berichtet der Vf. noch kurz über seinen weiteren Weg in Österreich, wo er seine Familie nach achtmonatiger Trennung wiedersah, und seine Ausreise nach Deutschland im April 1946.


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