Nr. 38: Erlebnisse der Vfn. im Internierungslager Jägerndorf von August 1945 bis Juni 1946.

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Bericht der Hausfrau A. J. aus Jägerndorf.

Original, 4. August 1947, 8 Seiten, hschr. Teilabdruck.

Eingangs schildert die Vfn. die Evakuierung vor der Roten Armee und die Rückkehr nach Jägerndorf.

Anfang Juni 1945 kamen ganz plötzlich die čechischen Partisanen, stark bewaffnet, mit der Uhr in der Hand, und brüllten: „Raus, ihr verfluchtes Pakasch, binnen einer Minute auf der Straße antreten oder es wird geschossen!” Wir hatten das Glück, wenn man es so nennen kann, in unserer Wohnung zu bleiben, hatten jedoch keine ruhige Stunde mehr, da um und in unseren Häusern die Russen ein und aus gingen und im naheliegenden Maschinenamt kampierten. Auch die čechischen Spürhunde gaben keine Ruhe und suchten Deutsche, trommelten bei Nacht an Fenster und Türen, schimpften, fluchten und trieben die Menschen bei Nacht aus ihren Wohnungen hinaus.

Am 3. oder 4. August 45, es war ein Samstagnachmittag, klingelte es ganz stürmisch an unserer Wohnungstür. Es war ein ganz einfacher Eisenbahner, ein Čeche in Zivil und machte mit meinem Mann einen Krawall, wieso wir als Deutsche uns unterstehen, noch in der Wohnung zu sitzen. Er wird uns schon helfen, braucht die Wohnung für zwei Junggesellen, hatte ein Staberl in der Hand, riß alle Türen auf, lief von einem Zimmer ins andere und schlug mit dem Stecken auf alle Tische, warf mir die Steppdecke in die Höhe und sagte: „So ein verfluchtes Gesindel hat so eine Decke, ich habe so etwas schon zehn Jahre nicht mehr gesehen.” Da wir beide mit meinem Mann genügend Čechisch können, verstanden wir jedes Wort, was er sagte. Daraufhin sagte er: „Jetzt fahr ich am Rad auf die Polizei und hole euch in paar Minuten, wehe euch, wenn ihr einen Fluchtversuch macht. Ich habe draußen einen Aufpasser, der wird euch schon Luft machen.” [n unserer Verzweiflung begannen wir uns schnell umzukleiden und brachten drei Koffer, in welche ich etwas unserer besten Sachen gepackt und unter den Betten stehen hatte, da die Russen in unserer Wohnung ein und aus


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gingen, zu der Frau, einer Čechin namens Panoch, welche bereits im selben Haus über uns wohnte, eine Kassette mit meinem ganzen Schmuck, ein Kuvert mit 1800 RM Bargeld und mehrere Paar neue Seidenstrümpfe. Sie versprach uns, die genannten Gegenstände aufzuheben, bis wir zurückkehren. Kaum war dies geschehen, war auch schon unser Peiniger da und wir konnten nur das, was wir am Leibe hatten, mitnehmen. So hatten wir nicht einmal ein Handtuch oder ein Stückchen Seife mit.

Auf der Polizei verlangte dieser Kerl, mau möge ihm das so ausstellen, daß er uns in sicherem Gewahrsam hat und wir auf keine Weise herauskommen. So brachte er uns in das Jägerndorfer Lager; damals nannte es sich Straflager für politische Häftlinge, später Internierungs- und vor unserer Aussiedlung Arbeitslager. Dort sperrte man uns, jeden extra, hinters Gitter, so hieß es dort, wie Schwerverbrecher. Von dort durfte niemand hinaus; sogar das Essen, wenn man es so nennen will, brachte man uns, dann flog wieder der eiserne Riegel vor; nicht einmal auf die Latrine durften wir. Dort saßen schon mehrere Frauen, auch mit Kindern, bereits zwei Monate, erzählten mir von den ausgestandenen Mißhandlungen und Schrekken. Wir hatten nur vier Strohsäcke, stellten sie in der Mitte der Baracke zusammen auf die Erde, legten bloß die Oberkörper darauf, die Füße mußten auf dem Fußboden bleiben. Ich konnte vor Schreck und Grauen weder schlafen noch das schäbige Essen, welches die ganzen 10 Monate aus: morgens schwarzem ungezuckerten Kaffee, mittags einer elenden Kartoffelsuppe ohne Salz und Fett, nur aus Wasser und zerkochten Kartoffeln bestand, abends wieder schwarzer Kaffee und 120 g Brot, oft auch nur 100 g, hinunterbringen. Unter den Insassen des Gitters befand sich eine 55jährige Frau namens Maria Wünsch, welche Lehrerin gewesen und im Kriege wieder unterrichtete; die erzählte mir nun, was sie schon mitmachte. Da sie Luftschutzvorträge und Sanitätskurse hielt, legte man ihr das zur Last, und sie wurde furchtbar geprügelt, bekam 35 Riemenhiebe, viele Ohrfeigen — eine Zahnprothese wurde ihr dadurch beschädigt — und das Haar ganz kurz geschoren, so mußte sie sich vor dem Stacheldrahtzaun zur Schau stellen. Ich sah noch die Striemen und darauf die dicken Krusten auf ihrem Oberkörper; das war noch nach zwei Monaten deutlich erkennbar.

Die Vfn. nennt hier mehrere Zeugen dafür, daß Frauen, darunter eine Achtzigjährige, und auch Kinder im „Gitter” durch Schläge und Ohrfeigen mißhandelt wurden.

Neben unserer Baracke, nur durch eine dünne Bretterwand getrennt, befand sich der „Prügelraum”; so hörte ich, wie eines Tages einer von der Wache rief: „Hier bringe ich zwei fette Brocken!” Als wir hinaussahen, waren es ein SA-Mann und der andere ein SS. Die beiden wurden in die Prügelbaracke gesperrt; kurz darauf kamen fünf čechische Prügelknaben, so nannten wir sie, und wir hörten, wie die Schläge und Fußtritte hageldicht fielen und ein Gepolter wie im Pferdestall. Die Geprügelten durften keinen Ton von sich geben, sonst erging es ihnen noch schlechter. Uns standen vor Schreck und Grauen die Haare zu Berge. Als dann endlich die fünf Schergen herauskamen, wischten sie sich den Schweiß vom Gesicht, Hals und Kopf. So erging es noch vielen im Lager.


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Am 5. Tag meiner Gefangenschaft im Gitter wurden ich und andere mit Eskorte zur Polizei zum Verhör gebracht. Da ich jedoch nichts verbrochen, wir mit meinem Mann weder in der Partei oder sonstwie politisch uns beteiligt haben, wurde ich mit den ändern, außer drei Frauen aus dem Gitter, ins Freilager entlassen. Doch hier begann erst die richtige Hetzjagd.

Täglich 7 Uhr früh vor die Kanzlei antreten, wo großer Sklavenhandel geführt wurde. Da suchten sich die Čechen zum Rackern diejenigen aus, welche ihnen am besten paßten. Oft gab es noch bei Tags Antreten, wenn auswärtige Kunden kamen. Da war unsere Angst groß, denn viele wurden ins Innere der ČSR verschickt oder zu schwerer Arbeit. Fiel dann so ein unterernährter Mensch um, kam sich der čechische Arbeitgeber ins Lager beschweren, so gab es abends beim Appell noch Ohrfeigen und Kinnhaken, und die alten Männer fielen um wie die Mehlsäcke; das sah ich auf meinen eigenen Augen.

Erwähnenswert ist der damalige Kommissar namens Hudec, der ein Sadist schlimmster Sorte war und stets neue Teufeleien ersann, um uns zu quälen und keine Minute in Ruhe zu lassen. Mich schickte er mit meinen 60 Jahren im Oktober Kartoffeln klauben. Ich hatte einen furchtbaren Katarrh, die Kälte schüttelte mich und die Nase floß, ich wurde nicht fertig mit lauter Wischen, dazu mangelhaft bekleidet. Im Winter verbot er, jeden Tropfen warmen Wassers aus Küche und Waschraum zu holen, und die Kleinkinder sollten im fliegerbeschädigten Waschraum im eiskalten Wasser gebadet werden. — Wollte ich alles andere schreiben, würde ich ein ganzes Buch dazu brauchen. — Diesen Tyrann holte eines Tages die Kriminalpolizei ab, da er sich das viele Gold, welches er den Deutschen stahl, behielt. Er selbst glaubte dafür wenigstens einige Jahre zu sitzen, wurde jedoch nach einigen Wochen freigelassen und ist Direktor im Schlachthaus geworden.

Nach 10 Monaten Lagerhaft wurden wir am 8. 6. 46 hierher ausgesiedelt. War noch vorher in unserer Wohnung, um noch welche Dokumente zu verlangen, da war dieselbe bis auf einige Stücke ausgeraubt, und dies geschah gleich am nächsten Tag, als wir die Wohnung verlassen mußten.

Der Bericht schließt mit einigen Reflexionen über das Schicksal der Vertreibung.


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