Erlebnisbericht der Bauersfrau Elisabeth Peschke aus Seifersdorf, Kreis Jägerndorf.
Original, 17. April 1947, 10 Seiten, mschr. (Din A 5).
Mit dem 5. Mai des Jahres 1945, der uns die Russen als Besatzung brachte, war für uns eine unruhvolle Zeit angebrochen. Schon am ersten Abend kamen unsere Nichten, die bei der Schwiegermutter im Auszughaus als Flüchtlinge wohnten, atemlos gelaufen, wir möchten sie doch verstecken, sie würden sonst von den russischen Soldaten vergewaltigt. Das war so der Anfang. Junge Mädchen ließen sich dann sehr wenig blicken. Sie versteckten sich eben, wo es möglich war; sicher war ja vor den Russen keine Frau, auch ältere nicht.
Am nächsten Tag wurden dann unsere beiden Pferde mit Geschirr und Wägen geraubt, das Haus wohl wenigstens zwanzigmal von oben bis unten durchsucht, angeblich wegen Waffen. Wertvolles, wie Schmuck, gute Kleider und Stiefel wurden mitgenommen. In der darauffolgenden Nacht wurde die Haustür mit einer Hacke eingeschlagen, weil nicht rasch genug geöffnet werden konnte. Es kamen ein Offizier und fünf oder mehr Mann herein, durchsuchten jeden Winkel und nahmen mit, was ihnen gefiel. Zum Schluß mußte mein Mann seine Taschenuhr suchen, die er versteckt hatte. Man schlug ihn so lange ins Gesicht, bis ihm schwindelig wurde, dann mußte er mitgehen und ihnen die nächsten größeren Bauern zeigen. Diese Nacht werden wir wohl nie vergessen. Wir waren drei Frauen, fünf Kinder und ein Mann. Es war nur den Kindern zu danken, daß die Russen uns Frauen in Ruhe ließen und wir damals mit dem Schrecken davonkamen.
Dann später war man schon klüger, man sprang eben schnell hinaus, wenn nicht anders, zum Fenster. Wir schliefen dann wochenlang nicht im Haus, man verkroch sich in der Scheune oder im Stall, viele hausten im Wald oder in den Kornfeldern.
In nächster Zeit mußte dann Vieh abgegeben werden. Von uns wurden drei Kühe verlangt. Bei dieser Gelegenheit wurde unser Radio-Apparat mitgenommen. Einige Wochen später kam der Befehl, sämtliches Rindvieh, bis auf eine Kuh, die jedes Haus behalten durfte, abzutreiben. Die tschechische Miliz hatte uns geraten, ein paar Kühe in die Nachbarhäuser zu verteilen, wo sonst keine gehalten wurden. Wir hatten uns auf diese Art mit größter Mühe und Anstrengung fünf Kühe gerettet.
Es war für uns als Bauern ein fürchterlicher Anblick, wenn wir den fast leeren, modern eingerichteten Stall betraten, der erst vor kurzem erbaut und uns, besonders meinem Mann, viel Arbeit und Schweiß gekostet hatte, in dem nun nur eine Kuh, zwei abgesetzte Kälber und zwei Ziegen standen. So schade es auch um unsern schönen, gesunden Viehstand war, mußte man
sich eben damit abfinden, wir hatten den Krieg verloren, es mußten eben Opfer gebracht werden, hoffte man ja doch, in einigen Jahren durch Fleiß und Arbeit diese Lücke wieder zu schließen.
In den nächsten Tagen folgten Verhaftungen der führenden Männer, wie Bürgermeister, Bauernführer und Parteimitglieder.
Es war am 12. Juni in der 6. Morgenstunde, wir waren im Stall, das Vieh zu füttern, auf einmal Gewehrkolbenschläge an die rückwärtige Stalltüre. Wir meinten, die Russen kämen wieder nachsehen, ob wir auch nicht mehr Kühe als eine am Stall hätten. Sie kamen auch oft um Eier und Hühner, kurzum alles, was noch da war; doch bald sahen wir, daß es tschechische Soldaten waren, die uns heraustrieben, ins Haus stürmten und die Kinder aus dem Schlafe rissen und halbnackt auf die Straße trieben. Auf unsere Fragen erfuhren wir endlich, daß wir zur Schule sollten. Auf der Straße standen ein Offizier und mit einem Maschinengewehr bewaffnete Soldaten. Jedes Haus wurde nun gestürmt, die Leute wurden herausgetrieben, die Männer von den Frauen getrennt und nach Waffen durchsucht. Dabei wurden ihnen auch die Taschenmesser abgenommen. Junge Mädchen, die durch den Tumult erwachten, flohen in die Kornfelder, sie glaubten sich von Russen verfolgt.
Die Tschechen umstellten die Felder und schossen wüst herum. Ein Bauer war gerade Grünfutter holen, dabei wurde das eine Pferd erschossen.
Nun ging es im Schneckenzug zur Schule. Nach stundenlangem Warten verkündete man uns, daß die Frauen heimgehen könnten, Männer und Jungen über zehn Jahren mußten dortbleiben, wir sollten ihnen Mittagessen bringen. Sie wurden in einem kleinen Gasthaussaal zusammengepfercht. Sobald ein Trompetensignal ertönte, sollten sich Frauen und Kinder wieder beim Gasthaus Felsenkeller versammeln.
Die Heuernte hatte begonnen. Wir hatten ein verwundetes Russenpferd gesundgepflegt, mit dem fuhren wir nachmittags aufs Feld, um Klee auf Reuter zu setzen. Wir waren im besten Arbeiten, es mochte halb vier Uhr sein, hörten wir das Signal. Wir fuhren so schnell als möglich heim. Als bei der Schule alles versammelt war, wurden alle aufgerufen. Es durfte keiner fehlen. Es wurde dann verkündet, daß ein Ortsbewohner standrechtlich erschossen wird, weil er einen Revolver mit Munition versteckt hatte. Es könnten es alle gleich ansehen. Nach vielem Hin und Her konnten die Frauen mit den Kindern heimgehen. Die Männer mußten bleiben, sie standen in der Gasthausstube einer am ändern. Nächsten Tag rief uns das Signal wieder zusammen. Diesmal mußten wir alle dortbleiben. Frauen mit Kindern und solche ohne Kinder wurden geteilt. Wir schliefen mit den Kindern in einem Saal auf altem, dreckigem Stroh, andere in der Schule auf dem harten Fußboden. Jede Nacht kamen Russen, sich Frauen und Mädchen zu holen, soviel sie Lust hatten. In der Schule ritt ein Russe mit seinem Pferd bis in den 1. Stock.
Das Vieh wurde auch zusammengetrieben. Es wurde im Lager gefüttert und gemolken. Eine Stunde im Tag hatten wir dann Erlaubnis, zu Hause das Kleinvieh zu füttern. Man näherte sich furchtsam seiner Behausung, denn alle Haustüren mußten offen sein, der Schlüssel mußte dem Kommis-
sar abgegeben werden. Bei uns hatten auch in der vergangenen Nacht die Russen fürchterlich gehaust, das geheilte Pferd war weg, auch ein Kalb, das Kabel vom Elektromotor und die Kalesche. In Küche und Haus sah es schrecklich aus. Die Geldtasche, die mein Mann versteckt hatte, lag leer herum. Man hatte sie gefunden. Die letzte Butter, die ich noch gemacht hatte, war auch verschwunden. Wir waren noch ein bis zweimal zu Hause, dann wurde es verboten.
Es wurden überall die Häuser nach Waffen durchsucht. Wir schafften unsere Kleider und die Wäsche zu unserer Schwiegermutter, die als 82-jährige kränkliche Frau zu Hause bleiben konnte. Zwölf Tage mußten wir im Lager bleiben, dann konnten die meisten nach Hause gehen, bis auf einige Männer, die dann ins Gefängnis eingeliefert wurden. Unter ihnen war auch mein Mann. Weshalb, das weiß ich bis heute nicht, ist er doch niemals verhört oder vor ein Gericht gestellt worden.
Zu Hause hatten wir vor allem Ordnung zu machen. Es war ja alles völlig auf den Kopf gestellt. Dann wurde das Vieh verteilt, das die Russen übriggelassen hatten. Sie hatten sich aus dem Lager noch viel geholt. Auf uns kamen zwei Kühe; das Fohlen, die Schweine und Ziegen bekamen wir nicht mehr.
Es war nun höchste Zeit, Gras und Klee zu mähen, doch es gab keine Bespannung. Ich mußte mit geborgten Ochsen und Pferden mähen und einfahren, halt immer warten, bis jemand das Vieh entbehren konnte. Es gab dieses Jahr sehr viel Futter. Nun kamen einzelne Tschechen den Hof besichtigen. Sie fanden alles „prima”, wie sie sich ausdrückten. Ich mußte sie auch immer gut verpflegen. Eines Abends kamen dann zwei, Vater und Sohn, die blieben gleich über Nacht und die ganze Woche. Ich mußte ihnen alle Felder zeigen, bis dann die Frau kam und der Kommissar uns abends um 9 Uhr sagte, daß ich mit den Kindern bei der Schwiegermutter wohnen müsse und den Hof jetzt diese Leute übernehmen, alles andere wäre im Auszughaus vorhanden. Nun war es so weit, nun konnten wir gehen! Was blieb uns anderes übrig? So räumten wir unsere Habseligkeiten vollends hinüber, ahnten nicht, daß wir in zwei Tagen auch dort hinausgesetzt werden würden.
Wir saßen gerade beim Mittagessen, als eine Gesellschaft Tschechen kam und uns sagte, daß dies Haus jetzt ihnen gehöre und wir uns hinausmachen möchten, wohin, das ist ihnen gleich. Meiner Schwiegermutter sagten sie, es gäbe genug Lager für uns. Unsere Nachbarn nahmen uns gerne auf, leider mußten wir das meiste in dem Haus zurücklassen. Nur wenige Kleider, Wäsche, Schuhe, etwas Geschirr und ganz wenige Betten, auf vieles Bitten für die Schwiegermutter das Bettgestell gaben sie uns heraus, alles andere blieb im Haus zurück. Sie versprachen uns, sobald der Kommissar hier gewesen wäre, mehr zu geben. Ich hatte mich an ihn gewandt mit der Bitte, mir meinen Wintermantel herauszugeben und Strümpfe und Pullover für die Kinder, doch ich habe nichts erreicht.
Nun kamen öfters Gendarmen oder Kommissare und Tschechen unsere Habe besichtigen und durchsuchen, ob wir nicht am Ende noch viele Lebensmittel, besonders Fleisch und Speck hätten, unsere Besatzung hatte schein-
bar noch zu wenig vorgefunden. Man kam überhaupt nicht zur Ruhe und mußte schon in der Frühe Angst haben, was der Tag wieder bringt. Bei diesen Durchsuchungen wurde immer etwas mitgenommen. Nach kurzer Zeit mußte ich noch einmal zu einem anderen Nachbarn übersiedeln. Es hatte sich auch hier ein Liebhaber gefunden, der bald einziehen wollte.
Wir arbeiteten in der Ernte auf unseren Feldern. Unser Getreide (es war in diesem Jahre besonders schön) führte ein anderer „Herr” ein.
Um den 20. August erhielt unser Ältester, ein 14jähriger, nicht besonders starker Junge, abends die Aufforderung, sich nächsten Tag mit Rucksack und Arbeitskleidung bei der Gendarmerie zu stellen. Hatte ich doch erst vor kurzer Zeit den Mann und Vater ziehen lassen müssen, so konnte ich das gar nicht fassen, daß ein 14jähriger schon verschickt werden soll. Wir gaben ihnen dann noch ein Stück das Geleit. Ich war nicht die einzige Mutter, die ihrem Jungen nachweinte, es war eine ganze Schar. Nach längerer Zeit bekam ich Post. Der Junge schrieb, daß er in einer Kohlengrube in Mährisch Ostrau unter Tage arbeiten mußte. Sie arbeiteten von früh um 6 Uhr bis 2 Uhr nachmittags, dann war das Essen, nachher arbeiteten sie noch im Lager bis abends. Ich fragte mich nur immer, ob er das aushalten wird, und betete täglich zu unserm Herrgott, er möge ihn nur gesund erhalten. Von meinem Mann bekam ich nun auch Nachricht. Er war auch in Mährisch Ostrau, in einem anderen Lager. Er arbeitete abwechselnd bei der Bahn oder auf Bauten.
Nun gesellte sich zu den Sorgen um Mann und Kind noch eine andere, nämlich die Sorge ums tägliche Brot, hatte ich doch noch drei schulpflichtige Kinder zu versorgen. Ich mußte mir deshalb Arbeit verschaffen, wo ich Geld verdienen konnte. Ich ging deshalb auf die Försterei um Waldarbeit. Dort wurde ich aus Mitleid aufgenommen, doch mußte von unserm Kommissar die Einwilligung geholt werden. Dieser schlug sie mir kurzerhand ab, er meinte: „Ihr werdet jetzt Arbeit genug bekommen auf der Straße.” Denselben Abend wurde ich aufgefordert, mich nächsten Morgen um 7 Uhr mit Hacke und Schaufel im Oberdorf einzufinden. Wir waren eine ganze Kolonne Frauen und Männer beschäftigt. Wir mußten Rasen hacken und hauptsächlich Steine klopfen. Die Straße war löcherig und mußte gebessert werden.
So ging das einige Wochen, dann wurde gesprochen, daß wieder ein Transport aus unserem Dorf fortkomme. Wir fragten unsern Straßenmeister. Er meinte, das wären junge Leute zur Arbeit. Ich ging nächsten Morgen ruhig zur Arbeit, als ein Bote auf mich zukam und mir ein Schriftstück reichte, wo neben vielen anderen Namen auch der meine und der meiner Kinder stand. Wir sollten uns in zwei Stunden am Dorfausgang einfinden mit Rucksack, Decken und Verpflegung für zwei Tage. Nun mußten wir auch fort. Wir packten in Eile jedes für sich einen Rucksack, dann noch Decken und ein kleines Polster, auch ein Eßgeschirr, was man eben tragen konnte. Das andere mußten wir zurücklassen; es wäre ja auch zwecklos gewesen, mehr mitzunehmen, weil doch im Lager das Beste weggenommen wurde. Unsere Hausfrau wollte mir die meisten Sachen nachschicken, doch leider schon nächsten Tag kam ein Gendarm und der Tscheche von unserm
Hof und holten alles weg, was wir zurückgelassen hatten, auch die Betten. Nun hatten sie doch alles, das wollten sie ja nur.
Nach einem Tag im Lager in der Kreisstadt Jägerndorf wurden wir am Abend in Kohlenwaggon geladen und abtransportiert. Niemand wußte, wohin. Doch nächsten Tag in Olmütz erfuhren wir, daß es gegen Kolin in Böhmen geht. Der Zug stand oft Stunden und halbe Nächte lang. So sind wir drei Tage gereist. Von Kolin ging es noch weiter bis Kohl Janowitz, wo wir an einem Sonntag im strömenden Regen ankamen. Es ging jetzt zum Arbeitsamt. Die Kinder und ich kamen auf einen Gutshof, l 1/2 Stunden von der Stadt weg. Es waren zum Glück noch vier Leute aus unserm Dorf dorthin zugeteilt. So zogen wir unserm Arbeitsplatz entgegen, im Regenguß bis auf die Haut naß. Auf einem Wagen wurden unsere Rucksäcke verstaut, obenauf ein Kinderwagen unserer Verwandten, die ein vier Wochen altes Kind bei sich hatten. Endlich waren wir am Ziel. Es führte uns niemand, der Kutscher verstand nicht Deutsch. Der Wagen wurde vor eine Tür geführt, aus der es nach Hühnerdreck und Mist roch. Hier sollten wir wohnen. Es waren schon zwei deutsche Mädchen seit dem Morgen beschäftigt, diesen Dreck zu beseitigen, doch es war ihnen bis jetzt (es war Nachmittag) noch nicht gelungen. Wir halfen, so gut wir konnten. Es gab Flöhe, daß man nicht hineintreten konnte, auch Wanzen gingen an den Wänden spazieren. Diese Räume hatten vor uns Karnickel, Hühner und Gänse beherbergt. Der Fußboden wurde gewaschen, dann aus Stroh ein Lager bereitet, auf das wir uns müde ausstreckten. Wir hatten ja drei Tage nicht geschlafen. Nächsten Tag wurden aus rohen Brettern ein paar Bettstellen zusammengeschlagen, so daß wir nicht am Boden liegen brauchten. Die Mäuse rannten uns über das Gesicht, sie sind dann später sogar in die Betten gekommen. Es wurden uns auch Kleider zerfressen.
Auf dem Hof gab es viel Arbeit, es war Ende September, da lag noch Mischling und Senf, das meiste Grummet war noch nicht gemäht, Samenklee war zum Einführen. Dann kamen erst die Kartoffel und Rüben dran, gesät war auch noch nichts. So ist es Dezember geworden, bis der Kartoffelacker reingeackert wurde, und bei einem Schneewetter, daß man keine drei Schritt sehen konnte, mußten wir die Kartoffel herausklauben. Ich habe mich nur gewundert, daß wir nicht krank geworden sind.
Es war Winter geworden, wir hatten keine Federbetten und nicht viel warme Kleidung. Die Post brauchte sehr lange, bis man Antwort auf Briefe aus der Heimat erhielt. Es sollte ja alles tschechisch geschrieben werden, wir konnten es aber nicht. Oft waren wir ganz verzweifelt.
Eines Tages erschien ein Gendarm. Wir wurden vom Felde geholt, man verlas und verdeutschte uns eine Verordnung, wie wir uns zu verhalten hätten. Wir sollten uns ohne dringenden Grund überhaupt nicht aus dem Gehöft entfernen, das „N" auch bei der Arbeit tragen, und schreiben durften wir bloß einmal im Monat eine Postkarte tschechisch. — Solange es halbwegs ging, mußten wir draußen arbeiten. Als die Abende länger wurden, mußten wir auch Federn schleißen bis nach 10 oder halb 11 Uhr. Die Beleuchtung war eine schlechte Petroleumlampe.
In unserer Stube hatten wir meistens gar kein Licht. Petroleum war sehr knapp. Die Kinder mußten deshalb immer in der kalten, finsteren Stube sitzen und waren schon oft ohne Nachtmahl vor Langeweile eingeschlafen. Das 13jährige Mädchen stopfte oder strickte jeden Tag für die „gnädige Frau", manchmal mußte sie auch dreschen helfen.
Unser Essen war ja fast ganz fleisch- und fettlos, auch sehr wenig Zucker gab es. Früh erhielten wir Kaffee mit zwei Schnitten Brot, mittags meist Kartoffeln mit einer fürchterlichen Soße, abends Kartoffeln mit Wassersuppe ohne Brot. Von dem, was die Herrschaft aß, will ich lieber schweigen.
Das Weihnachtsfest stimmte uns sehr traurig. Die einzige Freude war, daß ich am Heiligen Abend von meinem Mann Post bekommen hatte. Von dem Jungen bekam ich nur einmal ein leeres Kuvert in die Hände.
Ganz unerwartet bekam ich Mitte Februar von meiner Schwester ein Telegramm, ich möchte schleunigst zurückkehren, die Familien würden zwecks Ausweisung zusammengeschlossen. Das Arbeitsamt erteilte die Bewilligung zur Bahnfahrt und Heimreise, so fuhren wir am 19. Februar früh ab und kamen abends um 11 Uhr in Freudenthal an. Wir mußten am Bahnhof übernachten, weil unser Gepäck erst früh ankam. Ich borgte mir deshalb bei Verwandten in der Stadt einen Handwagen aus. Nun fuhren wir im Schneegestöber zwei Stunden oder länger nach Milkendorf, wo meine Mutter und Schwester wohnten. Gleich am Anfang hörten wir schon, daß die Gemeinde mit Slowaken besetzt und daß der größte Teil der deutschen Bevölkerung schon ausgewiesen worden war, darunter auch eine meiner Schwestern. Meine kranke Mutter war in ein Hospital geführt worden. So fanden wir die Heimat wieder.
Wir wohnten nun im Hause meiner Mutter, die Schwester gab mir von dem wenigen, was sie noch hatte au Betten und anderem. Auch sie hatte ja fast alles verloren. Auch andere Verwandte teilten mit uns, obwohl sie es jetzt selbst nötig brauchten. Übernächsten Tag kam dann auch mein Manu zurück. Er war auch durch ein Telegramm angefordert worden. Es fehlte noch der Junge, der wurde nicht freigegeben. Aus seinem Lager wurde niemand entlassen. Wir entschlossen uns deshalb, selbst einmal dort hinzufahren. Dazu mußte man eine Bewilligung haben. Diese war schwer zu bekommen. Mit viel Mühe und Ausdauer hatten wir es doch erreicht, und wir fuhren, vier Mütter, ihre Jungen besuchen, hofften wir doch, sie mitnehmen zu können.
Das Lager war sehr streng bewacht, es wurde auch selten jemand hineingelassen. So durfte mein Mann, der ihn zweimal besuchen wollte, nicht mit ihm sprechen. Ich wurde in die Kanzlei geführt und durfte im Beisein des Tschechen mit dem Jungen sprechen. Er war ganz erstaunt, mich hier zu sehen. Ich erklärte ihm nun schnell den Sachverhalt. Dann fragte ich den Beamten, ob es möglich wäre, den Jungen freizugeben. Er schickte mich zum Arbeitsamt, das eine Stunde entfernt war. Als ich dort ankam, war es geschlossen. Es dunkelte bereits, als ich im Lager war, und ich bat deshalb, mich dort nächtigen zu lassen. Ich wußte nicht wohin. Nach vielen Bitten führte man mich zu den Küchenfrauen, die mir gerne ein Bett einräumten. Ich sah dann den Jungen noch beim Essenholen abends und früh um 4 Uhr. Dann
mußte er in den Schacht fahren. Mitten in der Nacht krachten Schüsse. Dann wurde an die Tür gehauen. Alles wurde ausgefragt, ob nicht bemerkt wurde, daß Leute durchgegangen sind. Es wurde dann alles noch viel strenger, die Kleider wurden den Jungen vorn und hinten mit großen „N" bemalt, die Zivilschuhe abgenommen. Die Behandlung war schlecht, es wurde bloß gebrüllt. Mein Weg führte dann noch einmal zum Arbeitsamt, wo ich meine Bitte vortrug. Man schickte mich von einem Zimmer ins andere, bis ich dann im 2. Stockwerk mit einem schroffen „Nein” entlassen wurde. Das drang mir wohl tief ins Herz. Sollte ich denn den Jungen wirklich hierlassen? Es war mir unmöglich.
Wir machten dann noch verschiedene Gesuche und ruhten nicht eher, bis wir Ende Mai doch einmal Glück hatten und ein Bekannter, der Tschechisch konnte, den Jungen heimbrachte, so daß endlich die ganze Familie beisammen war.
Wir mußten nun sehen, wo wir etwas Geld verdienen konnten. Ich ging mit den Kindern in die Baumschule arbeiten, mein Mann mußte auf dem Besitz meiner Schwester das Feld bestellen, ackern, säen, weil der erste Slowake schon abgehauen war, nachdem er das Haus vollends ausgeplündert hatte. Beinahe hätte mein Mann gar nichts für diese Arbeit bekommen. Wir sollten als Entschädigung aus unseren Sparbüchern Geld beheben können. Doch das ging auch nicht, weil wir in einer anderen Gemeinde waren. So mußte ihm doch etwas bezahlt werden. Nach dem Anbau haben wir auf den Bahnhöfen Holz verladen, wobei wir etwas mehr Geld verdienten, daß wir uns etwas Geschirr zur Aussiedlung kaufen konnten. Ich war zwar, so schwer es mir wurde, zu den Tschechen auf unseren Hof um einige Sachen bitten gegangen, doch was sie mir gaben, war nicht der Rede wert.
Wir wurden dann im Juni ausgewiesen, mußten unsere geliebte Heimat verlassen, die uns kein anderes Land ersetzen kann.
In einem Nachtrag berichtet die Vfn. noch kurz über ihre Ausweisung und die späteren Lebensverhältnisse ihrer Familie.