Nr. 40: Ereignisse und Vorgänge im Kreis Freiwaldau nach der Wiedererrichtung der ČSR; Zustände in den Lagern Adelsdorf und Thomasdorf und in einem Internierungslager in Troppau.

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Bericht des Dr. jur. W. M. aus Troppau.

Original, 14. Februar 1947, 5 Seiten, mschr.

Eingangs erklärt der Vf., daß er seine Familie schon im Januar 1945, vor der vorauszusehenden Zwangsevakuierung von Troppau, nach Freiwaldau, den Heimatort seiner Frau, gebracht habe.

Am 8. 5. 1945 sind die ersten russischen Truppen in Freiwaldau eingezogen, die der Bevölkerung vom ersten Tag an durch gelegentliche Ver-


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haftungen, Plünderungen und Schändungen einen Vorgeschmack der völligen Rechtlosigkeit und Vogelfreiheit beibrachten. Schon drei Stunden nach dem Erscheinen der Truppen sind zwei russische Kommissäre in Begleitung mehrerer Frauenspersonen in die Wohnung meiner Schwiegermutter am Ringplatz in Freiwaldau gekommen, die Männer, in stark alkoholisiertem Zustand, haben sich mit ihren Freundinnen — sagen wir — mehr als ungeniert benommen, der eine zwei Stunden lang in einem Zimmer eingesperrt; und nur dem mutigen, anständigen Verhalten einer der Frauenspersonen war es zu danken, daß die ganze Gruppe nachher unter Mitnahme von Damenkleidern, einer Taschenuhr, einem Präzisionsfernglas, einem Necessaire und derlei Kleinigkeiten abgezogen und meine Familie persönlich unbehelligt geblieben ist.

Die im Laufe der nächsten Wochen anfangs nur zögernd folgenden, später die ganze Gegend überflutenden Tschechen haben sofort Internierungslager für Deutsche in Ober-Thomasdorf und Adelsdorf (für die Stadt Freiwaldau und die umliegenden Gemeinden) und in Jauernig (für den übrigen Teil des Landkreises) errichtet, am laufenden Band Verhaftungen, zunächst nur männlicher Einwohner, vorgenommen, Wohnungen samt der Einrichtung beschlagnahmt, den ihrer Wohnung und des größten Teils ihrer Habe Beraubten unzulängliche Wohnräume angewiesen, viele Familien auch wiederholt im Ortsgebiet umgesiedelt, natürlich unter jeweiliger schmerzhafter Verminderung ihres Besitztums. Gelegentlich der fortwährenden Militärstreifen und Hausdurchsuchungen (einmal nach Waffen, dann wieder nach Ferngläsern, photographischen Apparaten und dgl. oder zur zwangsweisen Rekrutierung von Arbeitskräften, namentlich weiblichen für alle möglichen meist schweren und erniedrigenden Verrichtungen) ist von der Soldateska, was ihr in den durchsuchten Wohnungen gefiel, samt den zur bequemeren Wegschaffung dienlichen Koffern, Aktentaschen und derlei Behältnissen einfach mitgenommen worden.

Alle Deutschen, männlich und weiblich, sind verpflichtet worden, weiße Armbinden mit einem „N" (Němci = Deutsche) zu tragen und jeden uniformierten Tschechen zu grüßen. Es ist ihnen verboten worden, irgendwelche Verkehrsmittel (auch Pferdefuhrwerk und Fahrräder) zu benützen. Die Fahrräder mußten abgeliefert werden. Ausnahmen sind nur für nachweisbar dringende geschäftliche Fahrten in beschränktestem Ausmaße zugelassen worden. Ferner ist den Deutschen ohne Ausnahme untersagt worden, nach 9 Uhr, später sogar 8 Uhr abends auf Straßen oder öffentlichen Plätzen zu verweilen.

In allen gewerblichen Betrieben sind sofort sogenannte Národní Správce (Nationalverwalter) eingesetzt und die deutschen Eigentümer und Angestellten nur, soweit sie zur Weiterführung der Geschäfte absolut unentbehrlich schienen, geduldet worden. Das nämliche galt von den landwirtschaftlichen Betrieben. Auf die fachliche Eignung der neuen Verwalter kam es dabei nicht an, im Gegenteil.

Im August 1945 mußten alle Barbeträge an RM abgeliefert werden, und sie sind in der Folge pro Kopf und Monat und auch dies nur unter Schwierigkeiten und Schikanen freigegeben worden. Bei den Hausdurchsuchungen


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und bei der Beschlagnahme von Wohnungen sind schon vorher ansehnliche Barbeträge und Einlagebücher völlig willkürlich kassiert worden.

Die früher genannten Internierungslager haben sich rasch mit Häftlingen aller Altersklassen und Berufsstände gefüllt, wobei die nackte Habsucht nach dem deutschen Besitz mit den nichtigsten Vorwänden bemäntelt wurde. Trotz drakonischer Maßnahmen zu einem hermetischen Abschluß dieser Lager von der Außenwelt sind sehr bald Nachrichten (nicht Gerüchte) über die dort herrschenden fürchterlichen Zustände durchgesickert. Das im Walde und abseits der Ortsgemeinde gelegene Thomasdorfer Lager war binnen kurzem für die Bevölkerung ein grauenvoller Begriff, indem die Häftlinge von der Lagerwachmannschaft brutal behandelt, viele körperlich schwer mißhandelt, einige in der unmenschlichsten Weise zu Tode gequält und sang- und klanglos verscharrt worden sind. Entsetzliche Martern hatte ein ehemaliger Ortsleiter der NSDAP zu erdulden, der darüber wahnsinnig geworden und schließlich bestialisch erschlagen worden ist. Dabei hat die allerdings fanatische Gesinnung des Betreffenden vorher ausschließlich deutschen Volksgenossen viele Unannehmlichkeiten bereitet, sicherlich haben darunter aber keine Tschechen gelitten, die es während der ganzen Amtsführung des so unmenschlich Behandelten in Freiwaldau kaum gegeben hat. Ein anderer Häftling, der auch eine Zeitlang Ortsleiter war, sich aber nicht weiter hervorgetan und auch zweifellos keinem Tschechen etwas zuleide getan hat, ist ohne ersichtlichen Grund beiseite geräumt worden. Ein Rechtsanwalt, als Antifaschist und Verteidiger in Volksgerichtsprozessen bekannt, schwer krank, ist in das Internierungslager gebracht worden, da in der zu seinem Haus gehörigen Garage deutsche Polizeiwaffen gefunden worden sind. Diese Garage war viele Monate vorher von der deutschen Polizei beschlagnahmt worden, deren Angehörige bei dem fluchtartigen Verlassen von Freiwaldau den Garagenschlüssel mitgenommen hatten, so daß der verhaftete Rechtsanwalt von dem Vorhandensein der Waffen in seiner Garage überhaupt nichts wissen konnte. Mehrere Wochen nach der Internierung ist er, übrigens noch mit fünf anderen Lagerinsassen, deren angebliche Verfehlungen mir nicht bekannt sind, eines Tages aus dem Lager weggeführt und im Wald umgebracht worden. Man hat jedenfalls von ihnen nie mehr etwas gehört und gesehen. Die kleinen Lebensmittelzubußen, die von den Angehörigen des Rechtsanwaltes täglich für ihn bei der Lagerwache abgegeben wurden, sind noch mehrere Wochen nach seinem sicheren Ende ohne weiteres entgegengenommen worden.

Öftere, von den Tschechen in den Abend- oder Nachtstunden veranstaltete Schießereien haben zum Anlaß und zur Begründung der gegen die Bevölkerung und die Lagerinsassen verübten Brutalitäten, Bedrohungen und Schikanen gedient. Etwa im August 1945 ist das berüchtigte Thomasdorfer Lager aufgelassen und mit dem Lager in Adelsdorf vereinigt worden, was damals von der Bevölkerung schon als eine Erleichterung empfunden worden ist, obwohl auch dort eine rohe und brutale Behandlung vorherrschte und die Lagerinsassen ohne Rücksicht auf ihr Alter und ihren körperlichen Zustand zu den schwersten Arbeiten gezwungen wurden. Die Wegnahme von guten Kleidern und Schuhwerk und die Ersetzung durch gänzlich minderwertige und unzulängliche Studie war allgemein üblich.


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Erst im Spätherbst 1945 haben sich nach der Übernahme der Lagerleitung durch einen Gendarmerieoffizier etwas gemäßigtere Formen der Menschenbehandlung herausgebildet, es ist aber trotzdem auch noch im April 1946 vorgekommen, daß Häftlinge aus Irrtum, übler Laune oder Mutwillen mit Fußtritten oder Faustschlägen ins Gesicht traktiert worden sind.

Die im November 1945 noch erträgliche, für Schwerarbeiter aber auch damals schon völlig unzureichende Kost hat sich dann von Monat zu Monat rasch verschlechtert, so daß alle Lagerinsassen in erschreckendem Maße abgemagert sind und nach der Entlassung ein gefährliches Untergewicht aufwiesen. Die sanitären Verhältnisse waren niederschmetternd. Bei dem mangelhaften Ernährungszustand war die Anfälligkeit gegen entzündliche Eiterungen bei den geringsten Verletzungen sehr groß, die besonders an den Händen oft aufgetretenen Phlegmonen konnten mangels der erforderlichen Hilfsmittel nicht fachgemäß behandelt werden und haben in zahlreichen Fällen zum Verlust von Fingergliedern geführt.

Schon im Herbst 1945 ist auch ein Interniertenlager für weibliche Häftlinge eingerichtet worden, dessen Angehörige unter der Unterbringung an sich, durch die Heranziehung zu schwerster Arbeit, unter der Kälte und schlechter Ernährung unbeschreiblich zu leiden hatten und grausamen Mißhandlungen ausgesetzt waren, so daß man die Betroffenen oft weithin schreien und stöhnen hörte.

Für die Richtigkeit dieser Angaben, die teils auf meinen eigenen Beobachtungen und Erfahrungen, zum Teil auf Mitteilungen verläßlicher Leidensgefährten beruhen, übernehme ich persönlich die volle Bürgschaft.

Vom Lager in Jauernig ist mir bekannt, daß auch dort ein von Haß und Grausamkeit erfüllter Geist geherrscht hat, der sich oft über den unglücklichen Lageropfern austobte, ohne daß ich davon Einzelheiten berichten kann.

Ich selbst bin am 6. 11. 1945 von der Staatspolizei in Freiwaldau verhaftet, nach einer 18tägigen Anhaltung im Lager Adelsdorf am 22. 11. ins Polizeigefängnis in Troppau (Kellerräume) gebracht und nach meiner Einvernahme durch die Staatspolizei am 13. 12. 45 in das Arbeits- oder Interniertenlager in Troppau überstellt worden. Die allgemeinen Zustände, die ich dort getroffen und durch 4 1/2 Monate genossen habe, waren kurz folgende:

Die für die Unterbringung von rund 1200 Personen verwendeten Holzbaracken waren räumlich gänzlich unzureichend und völlig verwanzt. Ich selbst habe mit 7 Zimmergefährten unseres Schlafraumes allnächtlich 300 bis 800 Wanzen vertilgt.

Die meist mit Holzwolle gefüllten „Strohsäcke” waren überwiegend schlecht gestopft, hart und entsetzlich unsauber, eine Reinigung oder Nachfüllung praktisch unmöglich.

Bis zum Neujahr 1945/46 stand für mehrere Hundert Personen als einzige Waschgelegenheit ein Wasserhahn mit der dazugehörigen Ausgußschale (wie in Küchen oder Vorhäusern üblich) zur Verfügung, die vor dem Antreten (Appell) am Morgen natürlich umdrängt war und dem einzelnen


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kaum mehr Reinigungsmöglichkeit bot, als sich mit der hohlen Hand Wasser zu schöpfen und Gesicht und Finger damit zu benetzen. Die Clo-Räume waren ständig in einem skandalösen Zustand, -der auch durch die Unzulänglichkeit dieser Vorkehrungen bedingt war. Erst zu Beginn des Jahres 1946 ist durch die Bereitstellung einer neuen Baracke mit mehreren primitiven Clo-Anlagen und einem Dusch- sowie 2 Waschräumen (sogar mit warmen Wasser) eine Besserung eingetreten.

In den überaus engen, von den zweistöckigen Bettgestellen gänzlich ausgefüllten Zimmern gab es keinerlei Schränke, so daß der Strohsack auch für die Unterbringung der wenigen Habseligkeiten (Rucksack, Schachtel, Koffer) und der Brotration dienen mußte. Die Kost bestand morgens und abends aus einer Schale schwarzen Kaffees, mittags aus einer kleinen Schüssel dünner, schlecht zubereiteter und unappetitlicher Kartoffelsuppe und täglich 250 g Brot. Im Sommer 45 soll die Verköstigung bei bloß 100 g Brot noch viel schlimmer gewesen sein. Die seltenen Abwechslungen des Speisezettels, bestehend in einer sogenannten Krennsauce mit Pellkartoffeln oder in Gulaschsuppe (angeblich aus Pferdefleisch), waren gefürchtet und sind trotz quälenden Hungers oftmals stehengelassen worden. Winzige Stückchen Margarine und einige Zuckerwürfel waren die einzigen, aber nur in vielmonatlichen Abständen erschienenen Lichtpunkte.

Diejenigen Lagerinsassen, deren Akten bereits bei dem tschechischen Volksgericht waren, sind seit dem Ausgang des Jahres 1945 in einer separierten Baracke mit winzig kleinen Fenstern, völlig getrennt von den übrigen Lagerinsassen in überfüllten Räumen unter ständiger Bewachung gehalten und nur morgens zu den Waschräumen und lediglich einmal am Morgen und am Abend zu den Clo's geführt worden, während sonst für 50 oder mehr Personen ein Eimer ausreichen mußte. Diese mit einer weißen Armbinde gekennzeichneten Internierten sind ohne Rücksicht auf Alter, Krankheit oder körperliche Behinderung zu den schwersten und widerwärtigsten Arbeiten herangezogen worden. Im Jänner 1946, während der kältesten und schneereichsten Zeit dieses Winters, sind wir auf dem Zentralfriedhof in Troppau mit der Aushebung eines großen bis 3 1/2 m tiefen Ehrengrabes für die im Landkreis Troppau gefallenen russischen Soldaten beschäftigt worden. Was dabei an Pietätlosigkeit gegen die umliegenden Grabstätten, an sklavenhalterischem Antreiben der fast ausnahmslos aus Beamten, Lehrern, Ärzten, Büroangestellten und Handwerkern bestehenden Erdarbeiter im Durchschnittsalter von 50—55 Jahren seitens der Lagerwachen und der eigens zu diesem Zwecke kommandierten russischen Soldaten, meist 20jährigen Burschen, geleistet worden ist, spottet jeder Beschreibung.

Ich selbst bin einen ganzen Nachmittag buchstäblich nur in Särgen gestanden, die an der tiefsten Stelle des Grabes so dicht nebeneinander lagen, daß dazwischen kaum eine Handbreit Erdreich sichtbar war. Dazu das eisige Sickerwasser und für mehr als 100 Erdarbeiter nur 2 Krampen, so daß der festgefrorene und steinharte Lettenboden nur mit Schaufeln behackt werden konnte, was natürlich nur langsam vor sich ging und die Wachposten zu wüsten Beschimpfungen und Drohungen veranlaßte.


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Die sanitären Zustände waren trostlos, ein hoher Prozentsatz der Lagerinsassen von der Krätze befallen und mit Kleiderläusen behaftet, gegen die man sich bei den Wohnungsverhältnissen nicht erwehren konnte. Ganz besonders berüchtigt war in dieser Beziehung die Marodenabteilung. Den behandelnden Ärzten fehlte es an Heilmitteln und an Verbandstoffen, so daß die mit offenen Wunden oder Geschwüren Herumgehenden meist Verbände und Umschläge von ekelerregendem Aussehen tragen mußten.

Während meiner Anwesenheit im Lager Troppau sind, soviel ich weiß, keine Mißhandlungen mehr vorgekommen, ich kann aber nach den unzweifelhaft verläßlichen Aussagen von Verwandten, Freunden und Bekannten berichten, daß in den Monaten von Juni bis August 1945 im Lager und im Gerichtsgefängnis unzählige unschuldige Menschen mit Knüppeln in der brutalsten Weise blutig geschlagen, ohne jeden Grund geohrfeigt, mit Faustschlägen ins Gesicht bedacht oder bis zur Erschöpfung herumgejagt worden sind1.

Ich selbst habe im Jänner/Feber auf der Marodenabteilung des Lagers Verletzungen gesehen, die einige Lagerinsassen durch die unmenschlichen Prügeleien insbesondere am Rücken und in der Steißbeingegend davongetragen haben, die noch nach 6 Monaten als ungeheilte eitrige Wunden zur Behandlung standen oder durch die Verkürzung von Muskeln und Sehnen zu einer kaum noch ganz behebbaren Behinderung der Bewegungen des Oberkörpers und des Gehens geführt haben.

Am 29.4.1946 bin ich zur Aussiedlung aus dem Lager Troppau entlassen worden. In den letzten 2 Monaten vorher habe ich über Anforderung meiner ehemaligen Dienststelle (Handels- und Gewerbekammer Troppau) tagsüber in dieser gearbeitet. Bei dieser Gelegenheit konnte ich im Verkehr mit früheren tschechischen Mitarbeitern aus der Zeit vor dem Oktober 1938, die wieder im Kammerdienst waren, und im Gespräch mit anderen Tschechen, denen ich aus meiner früheren Wirksamkeit bei der Handelskammer in der ganzen tschechoslowakischen Zeit von 1918—1938 bekannt war, feststellen, daß die unmenschliche und unwürdige, jedem Rechtsempfinden hohnsprechende Behandlung aller Deutschen durch die herrschende Schicht von vielen einsichtigen, maßvollen Tschechen entschieden verurteilt wird, ebenso wie die Aussiedlung. Diese Leute haben im vertraulichen Gespräch mit mir ihre pessimistischen Anschauungen über die Zukunft der zweiten Republik nicht verheimlicht und manche, natürlich ganz im geheimen, mir durch verschiedene Freundlichkeiten und Guttaten zu beweisen gesucht, wie sehr sie das uns widerfahrene Unrecht bedauern.


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