Nr. 41: Verhaftung des Vfs. nach der Rückkehr von der Flucht; seine Verschleppung über Auschwitz nach Rußland ins Lager Kascharowo bei Wyschnij Wolotschjek; seine Entlassung im September 1946 und Erlebnisse in Wagstadt bis zur Ausweisung.

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Erlebnisbericht des L. R. aus Wagstadt.

Original, 27. März 1955, 9 Seiten, mschr. Teilabdruck.

Im ersten Teil seines Berichtes schildert der Vf. seinen Einsatz beim Volkssturm, die Erlebnisse unter Russen und Tschechen und die Rückkehr von der Flucht am 9. Juni 19451.

Am nächsten Tage meldete ich mich auf der Gemeinde. Nun kamen wieder Verhöre, Wegnahme des letzten Gepäcks, und gefesselt wurde ich im Kotter hinter dem Rathause eingesperrt. Hier gab es ein Wiedersehen mit meinem Wandergenossen H., der noch am Sonntag von Klantendorf eingeliefert worden war. Auch eine Anzahl Brosdorfer teilten den Haftraum. Drei Tage verbrachten wir hier und erhielten täglich eine Scheibe Brot und einen halben Liter Suppe. Die Notdurft verrichteten wir auf einem Kübel, der im selben Raum stand und einmal täglich entleert wurde. Dann kamen wir ins Männerlager in der Oberschule, das unter der drakonischen Herrschaft des Führers der Stráž2 K. stand. Wir lagen bis 60 Mann in einem Schulzimmer in dreistöckigen Betten. Es gab Strohsäcke, aber keine Decken. Furchtbar eng wurde es, als eine Anzahl von Männern zurückkehrte, die einen Pferdetransport nach Osten gebracht hatten. Um 6 Uhr früh wurde geweckt, im Hofe wuschen wir uns, um 1/2 7 Uhr gab es einen dünnen Kaffee und eine Scheibe Brot. Um 7 Uhr standen wir in den Gängen, und K. teilte die Arbeiten zu. Ich kam zur Firma Salcher zur Sortierung des Eisenlagers. Es war eine schwere Arbeit. In der Mittagszeit gab es nichts zu essen. Die anderen Arbeitspartien, die in Privathäusern Möbel räumten oder bei Bauern beschäftigt waren, wurden dort verpflegt. Um 5 Uhr wurden wir vom Brigadier ins Lager gebracht, dann erfolgte die Zählung und die Ausgabe von 3/4 Liter Suppe und einer Scheibe Brot. Manche mußten nun noch zusätzliche Nachtarbeit verrichten. Ich gehörte zu ihnen. Die erste Nacht verluden wir bis Mitternacht Heu am Bahnhof. In der zweiten Nacht mußten ich und D. einen gefallenen deutschen Soldaten in einem Privatgarten ausgraben und auf den Friedhof bringen. Nachdem wir nur eine einzige Schaufel hatten, mußten wir den halbverwesten und furchtbar schweren glitschigen Körper mit unseren Händen aus der Grube heben und auf ein Wägelchen laden. Das war die körperlich schwerste Arbeit. In der dritten Nacht mußten wir Waggons mit Mehl am Bahnhof entladen und ins Gebäude der Kreissparkasse schaffen. Die Tschechen befürchteten, daß die abziehenden Russen das kostbare Mehl requirieren könnten. Lagen wir um Mitternacht endlich auf unseren Strohsäcken, dann ertönte fast jede Nacht


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der Ruf „SA ven", „SS ven”1. Die angetrunkene Wache holte sich zu ihrem Spaß Männer aus den Zimmern, die im Keller verprügelt wurden. Ihr Wehgeschrei hallte durch das ganze Haus. Um 6 Uhr mußte man wieder raus.

Die Wache bestand nicht aus Wagstädter Tschechen. Es waren Jugendliche und Knechte aus Zeiske, Wischkowitz, Schlatten usw. Nur der Kommandant war ein Wagstädter. Warum der so wütete, ist mir heute noch unklar. Er hatte den ganzen Krieg in Wagstadt unbehelligt verbracht, war in Witkowitzer Werken beschäftigt und hat bestimmt keine Not gelitten. Seine Schwester war im Protektorat beschäftigt, sein Bruder Dolmetscher an einer deutschen Dienststelle. Schlecht ist es ihm bestimmt nicht gegangen. Zweimal war auch ich nachts im Keller, aber beide Male wurde ich vor den gröbsten Mißhandlungen bewahrt, denn ein Wagstädter Tscheche schritt gegen die Mißhandlungen ein. Allerdings wurde ich dabei ganz ausgezogen und verlor meine Kleider mit sämtlichen Ausweisen und Zeugnissen. Ich bekam eine zerlumpte Hose und eine Jacke.

In diesem Straflager waren Deutsche aller Stände, die der NSDAP angehört hatten oder die sich den Unwillen der Tschechen zugezogen hatten2. Aber auch Tschechen waren unter den Insassen, die der Kollaboration beschuldigt wurden, Kollaborateure waren auch die Tschechen, die irgendwelche Arbeiten gegen Bezahlung ausgeführt hatten, die der Kriegsführung oder dem Luftschutz gedient hatten. Daneben gab es noch ein Lager in den Baracken des Arbeitsdienstes. Dort waren die Lebensbedingungen und die Behandlung etwas besser. Die Frauen durften ihre Männer am Lagerzaun sehen und sprechen. Die Frauen und Kinder wohnten zusammengepfercht in den abgelegenen Gassen der Stadt. Auch sie mußten sich jeden Morgen beim Arbeitsamt melden und wurden zum Schutträumen und zu Erdarbeiten sowie Reinigungsdiensten eingeteilt. Sonntag kam. Um 6 Uhr wurde geweckt, und fast alle Männer des Lagers wurden auf die Straßen geschickt, um diese zu reinigen. Weil ich bei dieser Sonntagsbeschäftigung lächelte, sprang mir K. an die Kehle und würgte mich.

Am nächsten Tag kam ein Transport von gefangenen deutschen Zivilisten durch die Stadt. Der Kommandant der russischen Wachmannschaft kam ins Lager und verlangte 17 Männer, weil die ihm fehlten. K. suchte diese Männer aus. Es waren sogar mehr, und der Russe besah uns. Dann fragte er, ob welche über 50 Jahre wären. Es meldeten sich einige, und K. mußte sie austauschen. Bei mir und 0. bestand er darauf, daß wir mitmußten. Wir verbrachten die Nacht in einem kleinen Kohlenkeller, und am nächsten Tag gingen wir, über 100 Mann, in zerlumpten Kleidern, viele ohne Eßgeschirr, nach Osten. Im Transport waren auch einige kriegsgefangene Ukrainer, denen wir auf Befehl der Wachsoldaten das erbeutete Gepäck tragen mußten. Über Mähr. Ostrau, Teschen, Skotschau ging es nach Auschwitz. Besonders zwischen Teschen und Skotschau kamen Polen und deren Frauen an die Straßen, um den bemitleidenswerten Männern Lebensmittel und Wasser zu reichen. Ich kam aber kein einziges Mal zu einem Bissen Brot, denn die Jüngeren und Energischeren waren viel rascher beim Brot-


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nehmen. — Ich wurde dann bis nach Petersburg1 verschleppt mit ungefähr 2000 anderen Insassen aus Auschwitz. Wir hatten das zwei Männern, die dem Freien Deutschland angehörten, zu verdanken. Der verseuchte Transport wurde vor Petersburg aufgehalten und mußte ins Waldgebiet. Ich verbrachte meine russische Zeit im Lager Kascharowo bei Wyschnij Wolotschjek. Es waren schwere Zeiten, wir hatten viel Hunger, viel Not, aber der Russe prügelte selten.

Im September 1946 war ich wieder in Wagstadt. Mit einem Entlassungsschein aus einem Brünner Quarantänelager war ich mit der Bahn um 1/2 5 Uhr früh in der Stadt eingetroffen. Es war noch dunkel, aber es kam mir alles bekannt vor. Wie sonst kamen die Arbeiter mit den Rädern von den Dörfern herein. In einem früheren Fahrradgeschäft auf der Bahnstraße stellten sie die Räder ein und eilten zum Bahnhof. Sie fuhren zu ihren Arbeitsplätzen in Ostrau und Witkowitz. Als der Strom sich verlaufen hatte, fragte ich in dem Hause nach Frau L., der Besitzerin. Ich erhielt eine tschechische Antwort, der ich entnahm, daß Frau L. nicht mehr da sei. Unser Haus in der gleichen Straße war verschlossen. Auf der Haustüre hing ein handgeschriebenes Schild, das ich mir mit „Volkseigentum” übersetzte. In der Stadt klopfte ich noch an die Fenster zweier Häuser, wo früher Kollegen gewohnt hatten. Sie standen leer. Da ging ich auf die Hubleska-Höhe und legte mich im Walde schlafen. Am Vormittag weckte mich eine Frau, die mir auf meine Fragen, was mich wohl da unten erwarte, antwortete, ich solle nur hinuntergehen, es herrsche Ordnung. Ich traf eine ehemalige Schülerin. Sie erkannte mich, führte mich ins Haus, und ihre Eltern gaben mir zu essen. Auf dem Wege in die Stadt wurde ich von früheren Arbeiterinnen der Salcher-Fabrik erkannt und gegrüßt. Schließlich lud mich ein tschechischer Handwerksmeister in seine Wohnung. Ich erzählte von meinen Erlebnissen, und im Gespräche merkte ich, daß auch im neuen Staat mit Wasser gekocht wurde und er Sorgen über seine Zukunft hatte.

Ich meldete mich wieder im Rathause. Der Entlassungsschein wurde mir abgenommen. Ich erhielt Lebensmittelkarten und eine Wohnungseinweisung in das frühere Arbeitsdienstlager. Dort gab es eine Menge bekannter Leute, die auf den nächsten Aussiedlungs-Transport warteten. Schon am nächsten Tage arbeitete ich in der städtischen Sandgrube. Die Arbeitslöhne waren hoch, die Arbeiter erhielten täglich 80 Kč. Geld konnte ich brauchen, hatte ich doch seit 1945 keines mehr in der Hand gehabt. Bei der Lohnauszahlung erlebte ich eine Enttäuschung. Da wurde mir nur ein Drittel des Lohnes ausbezahlt. Der städtische Baumeister verweigerte die volle Auszahlung des Lohnes, weil ich kein Recht auf Arbeit in einem städtischen Betriebe hätte.

Bei einer späteren Einvernahme sollte ich Aussagen machen über die Verhältnisse im Lager während des Jahres 1945. Ich wurde gefragt, ob ich die Leute kenne, die geprügelt hätten, ob ich den Mann nennen könne, der mir die Kleider ausgezogen. Ich machte keine Aussagen, denn erstens kannte ich die Leute der ehemaligen Wache wirklich nicht, da ich ja nur ein paar Tage in dem Lager gewesen war, und dann hätte es mir leicht passieren


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können, daß ich als Zeuge länger festgehalten worden wäre. Ins Lager kamen immer wieder Leute, die Arbeitswillige suchten. Ich ging nach Groß Olbersdorf in die Kartoffelernte. Die deutschen Bauern waren weg, und nicht alle Bauernstellen waren mit Tschechen besetzt. Mein Bauer war ein früherer Ostrauer Arbeiter. Ich bekam außer der ausreichenden Verpflegung 50 Kč täglich. Die Arbeitszeit dauerte von 1/2 8 Uhr früh bis 9 Uhr abends, mit einer halbstündigen Mittagspause. Die Behandlung war gut. An Essen bekamen wir ein Frühstück, Kaffee und Brot, mittags Suppe, Fleisch und Kartoffeln, nachmittags ein Stück Brot mit Topfen1 oder Wurst, abends Kartoffeln und Milch. In der Woche habe ich mich nach langem Hungerdasein wieder etwas aufgefüttert. Jeden Abend bat der Bauer, ja morgen wieder zu kommen und womöglich mehr Arbeitskräfte mitzubringen. Die Ernte war damals sehr reichlich, aber es fehlte an Pferden und Wagen. Die waren alle nach Osten gekommen oder zugrunde gerichtet. Der Bauer hatte eine klapperdürre Mähre, und diese ging neben einem kleinen Huzulen-Pferd. Fuhrwerke borgte man sich gegenseitig.

Im Lager herrschte frohe Stimmung, weil die Aussiedlung nahe bevorstand.

Den Bericht beschließt eine kurze Beschreibung der Aussiedlung”.