a) Kroatien.

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Die Leitung des in Agram ausgerufenen "Unabhängigen Staates Kroatien" übernahm am 15. April 1941 der aus Italien herbeigeeilte Führer der Ustascha-Bewegung, Dr. Ante Pavelić, mit dem die Vertreter des Kroatiendeutschtums sogleich in Verhandlungen über die Rechtsstellung


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der Volksdeutschen Staatsbürger eintraten 1 . Als erstes Zeichen des Entgegenkommens wurde der zur Erneuerungsbewegung zählende Palankaer Rechtsanwalt Dr. Jakob Elicker zum Großgespan der fast ganz Syrmien umfassenden Großgespanschaft Wuka ernannt, ehe nach zwei Monate währenden Beratungen in einer Reihe von kroatischen Gesetzesdekreten der Rechtsstatus der "Deutschen Volksgruppe im Unabhängigen Staat Kroatien" fixiert wurde. Das erste Gesetz vom 21. 6. 194l 2 erklärte sie zur juristischen Person öffentlichen Rechts (Art. 2) und garantierte ihren Angehörigen die Gleichberechtigung mit Kroaten auf den Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens (Art. 5), sowie die "uneingeschränkte Erhaltung ihres deutschen \'olkstums und das ungehinderte Bekenntnis zu ihrer nationalsozialistischen Weltanschauung". Am 31. 7. 1941 wurde der Volksgruppe die Gründung einer "Einsatzstaffel" im Rahmen der kroatischen Ustaschamiliz gestattet, deren drei aus der "Deutschen Mannschaft" gebildete Kompagnien samt einer "Stabswache" dem kroatischen Generalstabschef unterstellt werden sollten 3 . Der Sommer 1941 verstrich, bis am 30. 10. 1941 die Rechtsstellung des Volksgruppenführers Branimir Altgayer dahin näher bestimmt wurde, daß er Amt und Befugnisse eines Staatsdirektors 4


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zugesprochen erhielt, eine Stellung, die 19.43 mit der Ernennung Altgayers zum Staatssekretär 5 substantiell nicht verändert wurde. In den inneren Angelegenheiten der Volksgruppe sprach das Dekret vom 30. 10. 1941 Altgayer ",das Verordnungsrecht im Rahmen der Gesetze zu" (Art. 4) und überließ ihm damit den ganzen Bereich des politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens der Kroatiendeutschen zur rechtlichen Ordnung. Gewisse Grenzen wurden dieser Volksgruppenhoheit durch die Verfügungen "über den Gebrauch der deutschen Sprache, der deutschen Fahne und der deutschen Symbole" vom 30. 10. 194l 6 , über "Beamte und Angestellte deutscher Volkszugehörigkeit im öffentlichen Dienst" vom gleichen Tag 7 und "über das deutsche Schulwesen" vom 25. 9. 1941 gesteckt 8 . Die sprachenrechtliche Regelung gestattete den Gebrauch der deutschen Sprache im öffentlichen Leben in Wort und Schrift; in Verwaltungseinheiten mit mehr als zwanzig Prozent deutscher Bevölkerung galten Kroatisch und Deutsch als gleichberechtigte Amtssprachen, öffentliche Bekanntmachungen, Aufschriften, Formulare usw. waren doppelsprachig zu halten; in Distrikten mit mehr als zehn Prozent deutscher Bevölkerung durften die Deutschen ihre Sprache im Amtsverkehr gebrauchen (Art. 3). In den deutschen Siedlungen sollten "möglichst Volksdeutsche Beamte" verwendet werden, wie es die Verfügung über die deutschen Angehörigen des öffentlichen Dienstes (Art. 5) forderte. Ihre Anstellungsgesuche unterlagen einer Beurteilung durch die Volksgruppenführung und das "Ustascha-Hauptquartier"; beim Amtseid versprachen sie "dem deutschen Volkstum und dem Führer sowie dem Staat Kroatien und dem Poglavnik" die Treue zu halten (Art. 4). Nur im Einvernehmen mit dem Volksgruppenführer konnten sie versetzt, suspendiert, pensioniert und entlassen werden.

Die Neuordnung des Schulwesens gab der Volksgruppe nicht die völlige Schulautonomie, sondern unterstellte es einer eigenen Abteilung im kroatischen Unterrichtsministerium, in der die Lehrpläne und Schulbücher ausgearbeitet wurden. Zu ihrem Leiter wurde auf Vorschlag Altgayers der ehemalige Rektor des deutschen Realgymnasiums in Agram, H. Kühn, ernannt. Im Gegensatz zur Regelung in der Batschka und im Banat blieben die kroatiendeutschen Schulen grundsätzlich staatliche Institutionen, wenn ihnen auch gleichwohl in denkbar großzügiger Weise Raum zur Entfaltung gewährt wurde. Die Aufnahme der Kinder erfolgte ohne weitere Formalität auf Grund des von der Volksgruppe ausgestellten "Volkszugehörigkeitsausweises", wobei deutsche Kinder prinzipiell in deutsche Schulen eingeschrieben wurden (Art. 5). In Orten, wo im Umkreis von 8 km mindestens 20 schulpflichtige deutsche Kinder lebten, mußte eine deutsche Volksschule errichtet werden; gab es nur 10 deutsche Kinder, so sollten


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Behelfsschulen, bei weniger als 10 deutschen Kindern sog. "Schulstützpunkte" für deutsche Wanderlehrer errichtet werden (Art. 8, 9). Außerdem war es der Volksgruppe mit Zustimmung des Unterrichtsministeriums gestattet, "auf eigene Kosten" Schulen und Lehrkräfte zu unterhalten, während diese sonst als Beamte des kroatischen Staates besoldet wurden. Die Richtlinien dieses Schuldekrets trugen der Lage des slawonischen und kroatischen Streudeutschtums in einem so hohen Maße Rechnung, daß kaum Wünsche offen blieben, zumal der vom 3. Schuljahr ab vorgeschriebene Unterricht in kroatischer Sprache, Literatur, Geschichte und Heimatkunde wohl als minimaler Anspruch des kroatischen Unterrichtsministeriums aus naheliegenden praktischen Gründen gutgeheißen werden mußte. Bis 1944 umfaßte das deutsche Schulwesen ca. 300 Volks- und Behelfsschulen, eine Lehrerbildungsanstalt in Esseg, zwei Realgymnasien in Esseg und Ruma, eine Handelsakademie in Semlin, acht Hauptschuleu in Djakovo, Esseg, Indjija, Neu-Pasua, Semlin, Vukowar, Weretz, Vinkowzi, sowie die private evangelische Oberrealschule in Agram 9 .

Der innere Ausbau der kroatiendeutschen Volksgruppe zwischen 1941 und 1944/45 entwickelte sich auf der Linie einer straffen Erfassung aller Deutschen im "Unabhängigen Staat Kroatien" durch zahlreiche Organisationen, ein Prozeß, der freilich nachhaltig unter den Kriegsverhältnissen, vornehmlich den Auswirkungen der Partisanenkämpfe litt 10 . Am 8. Mai 1941 bereits erließ Altgayer nach dem "unbedingten Führerprinzip" vorläufige Organisationsbestimmungen" 11 , in denen die verschiedenen Ämter der Volksgruppenführung mit dem Sitz in Esseg und die Dienststellen für die Verbindung zur Ustascha-Regierung in Agram (Zagreb) eingeführt wurden. Das deutsche Siedlungsgebiet wurde in Kreise unter Kreisleitern und Ortsgruppen unter Ortsleitern eingeteilt, während in Ortschaften mit weniger als zehn deutschen Familien sog. "Stützpunkte" eingerichtet werden sollten. In der "Landesbauernschaft" und der "Gemeinschaft der gewerblichen Wirtschaft" entstanden berufsständische Institutionen, in denen Mitgliedschaft Pflicht war; sozialpolitische Aufgaben oblagen der nach dem Vorbild der "Arbeitsfront" gegliederten "Deutschen Arbeitsgemeinschaft 12 . Infolge der Zerschlagung des jugoslawischen Staates kam es auch zu einer Umorientierung des kroatiendeutschen Genossenschaftswesens, das fortan in Esseg seine Spitze im "Hauptverband der deutschen bäuerlichen und gewerblichen Genossenschaften in Kroatien" besaß. Dieser soll im Frühjahr 1942 ca. 300 Genossenschaften umfaßt haben 13 .

Als "politische Ausleseorganisation", die als der "einzige und alleinige politische Willensträger der Deutschen Volksgruppe" gelten wollte, wurde die "Nationalsozialistische Deutsche Gefolgschaft in Kroatien (NSDGK)" ins


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Leben gerufen 14 , der z. B. alle Dienststellenleiter der Volksgruppe angehören mußten (Art. 11). Außer der "Deutschen Mannschaft", einer die Männer zwischen dem 18. und 45. Lebensjahr umfassenden, militärisch gegliederten Organisation 15 , der "Deutschen Frauenschaft", deren Angehörige sich aus der "Allgemeinen Frauengemeinschaft" rekrutierten, und der "Stamin-DJ", einer Auswahl aus der "Deutschen Jugend (DJ)", waren der NSDGK alle Standesverbände automatisch angeschlossen. Diese bis zur Namensgebung und Altersgliederung in den einzelnen Organisationen genaue Kopie reichsdeutscher Vorbilder mit dem gleichen totalitären Anspruch, gemäß dem z. B. die Kinder vom 4. bis 10. Lebensjahr bereits in "Kindergruppen"' zusammengefaßt wurden, ehe sie in das "Deutsche Jungvolk" und den "Jungmädelbund" eintraten, schloß auch "in Anbetracht der besonders heiklen Lage der Deutschen Volksgruppe" die mehrfach in Verordnungen Altgayers geforderte Verpflichtung ein, die Nürnberger Gesetze "strengstens anzuwenden" 16 .

Der mit der Rechtsstellung der deutschen Volksgruppe in der Slowakei 17 vergleichbare Status des Kroatiendeutschtums 18 war durch eine weitreichende nationale Autonomie gekennzeichnet, die freilich sogleich durch die Übernahme eindeutig staatlicher Funktionen, wie z. B. die Einrichtung eines eigenen Wehrbezirkskommandos in Vinkowzi für alle Wehrpflichtigen der Deutschen Volksgruppe, überschritten wurde. Die auf den ersten Blick anziehende Lösung des Problems der kroatiendeutschen Minderheit durch ein nationalitätenrechtliches Autonomiestatut verriet doch das erdrückende politische Übergewicht des Reiches, das kroatischen Befürchtungen vor einem Staat im Staate Nahrung gab 19 .


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