d) Flucht und Abschub von internierten Volksdeutschen nach Ungarn und Österreich.

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Da die Internierungslager der Jugoslawiendeutschen keineswegs eigens zu diesem Zweck errichtete und umzäunte Gebäudekomplexe waren, boten sich aller scharfen und auch oft rücksichtslos durchgreifenden Bewachung zum Trotz immer wieder Gelegenheiten zur Flucht. Diese wurden anfangs nur von beherzten Einzelnen ausgenutzt. Seit der ersten, wenn auch sehr begrenzten Auflockerung der Verhältnisse in manchen Lagern der Batschka und des Banats im Frühjahr 1946 kam es auch häufiger vor, daß ganzen Gruppen die Flucht über die ungarische oder rumänische Grenze gelang 1 . Wem es glückte, in eines dieser Länder zu entkommen, konnte sich auf die zahlreichen verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Verbindungen verlassen, die das jugoslawische Deutschtum trotz der Grenzziehung von 1918 immer noch mit der deutschen Bevölkerung des rumänischen Banats und der ungarischen Batschka und Schwäbischen Türkei besaß, jedoch war auch das Mitleid und die Hilfsbereitschaft der andersnationalen Bevölkerung in ungezählten Fällen so stark, daß den Flüchtlingen, gleich wo sie um Unterstützung baten, fast ausnahmslos weitergeholfen wurde.

Zu Beginn des Jahres 1947 besserten sich die Verhältnisse in den Internierungslagern erneut etwas 2 . Regelmäßiger Post- und Paketempfang wurde gestattet, amerikanische Lebensmittelspenden konnten verteilt werden, DDT-Pulver wurde bereits seit dem Frühjahr 1946 mit spürbarem Erfolg gegen das Ungeziefer der verwahrlosten Lagerräume verwendet. Die Ablösung der aus Partisanen bestehenden Wachmannschaften durch Miliz oder reguläres Militär trug auch zur Einschränkung der gröbsten Willkür bei, zumal da die physische Mißhandlung der Internierten zu dieser Zeit offiziell verboten wurde, eine Anordnung, die mancherorts auch den Lagerinsassen mitgeteilt wurde 3 . Dennoch blieb der Entscheidungsfreiheit und dem persönlichen Wohl- oder Übelwollen der Lagerleiter und Wachmannschaften noch immer ein weiter Spielraum; die systematische Quälerei von Deutschen war auch zu dieser Zeit keineswegs ausgeschlossen 4 . Seit der Besetzung des Landes durch Russen und Partisanen im Oktober 1944 ließ sich jedoch eine deutliche Besserung feststellen, zu der auch die Familienzusammenführung innerhalb des Systems der Internierungslager erheblich beitrug. Allmählich wirkten sich auch die Anstrengungen des amerikanischen


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Hilfskomitees von P. Wagner, des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in Stuttgart und der päpstlichen Aktion zugunsten der Donauschwaben aus.

Zwei Jahre nach dem Kriege begannen die Wiederherstellungs- und Aufräumungsarbeiten an Straßen und Eisenbahnen, zu denen man die internierten Volksdeutschen herangezogen hatte, auszulaufen. Die Neusiedler hatten die Besitzungen der Donauschwaben übernommen, auf Kolchosen und Staatsgütern wurde der Stamm der Landarbeiter aus den verschiedenen Völkerschaften Jugoslawiens gewonnen. Tausende von Deutschen waren über die Landesgrenze abgeschoben worden und und geflohen, Zehntausende durch Mißhandlungen, Lagerentbehrungen und Exekutionen umgekommen. Den jugoslawischen Behörden und Lagerverwaltungen mußte sich die Frage aufdrängen, was man mit den überlebenden, die auf mehr als 100 000 Volksdeutsche geschätzt werden müssen, tun solle. Da man sich zu dieser Zeit offensichtlich noch nicht dazu entschließen konnte, das System der Diskriminierungen der Deutschen abzubauen, wurde seit den ersten Monaten des Jahres 1947 stillschweigend die Flucht aus den Lagern gefördert 5 . Wie bisher flohen Einzelne und Gruppen "schwarz" über die Grenze, vornehmlich nach Ungarn. Daneben aber bildete sich nun ein System offiziös geduldeter Gruppenflucht aus, die von den eingeschüchterten und durch den jahrelangen Lageraufenthalt geschwächten Volksdeutschen bevorzugt wurde. Führer boten sich gegen hohes Entgelt dazu an, Gruppen von 10 bis 100 Volksdeutschen durch das Grenzgebiet mit seinen schwer zu kontrollierenden Wäldchen und Kukuruzfeldern auf ungarischen Boden zu führen. Manchmal steckten diese Führer mit der Lagerleitung und den Wachmannschaften oder auch den Grenzpolizisten unter einer Decke und beteiligten, diese an dem Gewinn des Menschenschmuggels 6 . Aus dem großen Sammellager Gakovo in der nördlichen Batschka ebenso wie aus dem benachbarten Lager Kruievlje war wegen der Nähe zur ungarischen Grenze der Weg zur Flucht besonders verlockend. In Gakovo kam es bereits im Dezember 1946 schon einmal zu einer Massenflucht, und in den letzten März- und ersten Aprilwochen des folgenden Jahres soll die Zahl der Geflohenen auf ca. 3000 gestiegen sein 7 . Ziffern von bisweilen 100 Flüchtlingen in einer Nacht werden aus verschiedenen Lagern berichtet 8 . Eine Fluchtbewegung von solchem Ausmaß wäre ohne Wissen und Willen der Lagerleitungen undenkbar gewesen, deren mindestens passive Mitwirkung von einer indirekten Form des Abschubs sprechen läßt.

Zahlreiche Berichte gewähren ein vollständiges Bild von diesen Vorgängen. Wer sich zur Flucht in einer Gruppe entschlossen hatte, nahm Kontakt mit einem der Führer auf und mußte den geforderten Kopfpreis in Bargeld entrichten. Häufig kostete dies die Internierten ihr gesamtes bisher verstecktes oder während der Zwangsarbeit von Freunden zugestecktes und erbetteltes Geld oder ihre letzten verborgenen Wertgegenstände, so daß sie anschließend völlig mittellos auf die Hilfe anderer in


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Ungarn angewiesen waren. Wer von jugoslawischen Posten auf der Flucht gestellt oder von ungarischen Grenzwachen zurückgewiesen wurde, hatte zu dieser Zeit nur noch mit einigen Tagen Freiheitsentzug, kaum aber mehr wie bisher mit Mißhandlung oder Erschießung zu rechnen. Jede günstige Situation ausnutzend, versuchten es auch diese beim ersten Fluchtversuch gefaßten Volksdeutschen bald wieder, dem Lager zu entrinnen 9 . Schätzungen beziffern die Zahl der Flüchtlinge bis> zu einem erneuten Umschwung in der Behandlung der Lagerinsassen gegen Ende des Jahres 1947 auf etwa 30-40 000 10 .

Jenseits der Grenze sahen sich die Flüchtlinge, waren sie auf eigene Faust oder von einem Führer geleitet entkommen, sich selber überlassen. Manche blieben, z. T. noch jahrelang, in Ungarn; die meisten schlugen sich in wochenlangen Fußmärschen bis zur österreichischen Grenze durch oder benutzten, nachdem sie von Verwandten und Bekannten Geld erhalten hatten oder dies auch oft genug hatten erbetteln müssen, die Eisenbahn bis zu einer Grenzstation. Hier angelangt passierten sie erneut "schwarz" oder mit Führern die Grenze und fanden schließlich in Österreich oder Deutschland ein Unterkommen, nicht ohne daß sie oft noch vielfältige Schwierigkeiten in den Durchgangslagern zu bestehen hatten.