Nr. 22: Die Evakuierung der Gemeinde Torschau am 9. Oktober 1944, der Fluchtweg eines Traktoren-Trecks durch Ungarn und im Bahntransport bis Reichenstein in Schlesien, erneute Flucht vor der Roten Armee Ende März 1945.

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Erlebnisbericht des Buchhalters Filip Link aus Torschau (Torza), Bezirk Kula in der Batschka.

Original, 6. Mai 1958, 10 Seiten, hschr. (Din A 5).

Am 9. Oktober 1944, 9 Uhr vormittags Verliesen wir in einer unendlich langen Kolone unsere so schöne liebe Heimat; wie uns damals gesagt wurde: auf 3 Wochen, da dieses Tereen als Aufmarschgebiet dient. Wir versammelten uns in der Hauptgasse, geordnet, unzählige mit Pferde bespante Wägen zu 2 und l Pferden und 6 Traktoren, die je 4-5 Wägen angehängt hatten 1 . Nachdem alle Vormalitäten und Vorbereitungen getroffen waren, ertöhnte laut der Befel "Aufsitzen!". Der abmarsch Befel ist das Zeichen das Läuten der 6 Glocken der Ewangelischen und Reformierten Kirchen. Das war das leztemal, daß uns unsere Glocken läuteten; und so Verliesen wier weinenden Herzens unser liebes schönes Torschau. Sie läuteten, so lange wir es hören konnten; auf dem halben Weg zu Kucura hörten wir noch immer läuten. Wir fuhren durch Kucura nach Werbaß, dort wurden wir vom Deutschen Wehrmachtskomando dirigiert Richtung Sombor. Am ersten Tag fuhren wir bis Cservenka und übernachteten; am nächsten Tag fuhren wir bis Sombor, dort wurden wir zum erstenmal Nass, übernachteten; und nächsten Tag


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ging's weiter bis wir nach Baja kamen, dort ging's über die Donau. Wir musten dort eineinhalb Tage auf die überfahrt warten; dort erlebten wir die Feuertaufe, indem wir im Fliegerabwehrfeuer in Deckung gehen musten. Schrittweise konnten wir nur forwärts fahren bis zur Donau. Wir musten uns in zwei teile (Kolonen) theilen, da die Pferde das Geräusch der Motore nicht vertrugen. Die Kolone der Traktoren fuhr um 2 Uhr in der Nacht mit der Fähre über die Donau; drüben angelangt, fuhren die Traktore von der Fähre herunter. Unterdessen ist Heinrich Schurr in die Donau gefallen, in der aufregung, und mit Hilfe Deutscher Soldaten wurde Er gerettet. Nach einer kurzen Rast von einer halben Stunde musten wir aufbrechen, da der Russe schon über die Theiß vorgestosen war.

Abends, wen wir in einer Gemeinde angekommen sind, war das erste die Einquartierung, was auch nur mit gröster Mühe geschehen konnte, da die Leute meist niemanden aufnehmen wollten; mein 7jähriges Engelkind Ernst fragte jedesmal, wenn wir angekommen sind zum übernachten: "Reden die Leute hier Deutsch?", weil die Ungarn meist sturr waren. Länger als einen Tag waren wier in Vasvär, Nemesvid und Bonyhäd; in Nemesvid waren wir 10 Tage, bis wieder die Straße frei wurde; dort fasten wir 500 kg Brotmehl und pro Kopf 50 Pengö von der Volksdeutschen Mittelstelle in Marcali. Von dem Mehl lies ich sofort bei einem Bäckermeister Brot backen, und auf mein Verlangen konnten wir das Backen in Geld bezahlen, um dadurch mehr Brot zu bekommen; wir bekamen pro kg Mehl 1,29 kg Brot, war damit uns sehr gedient, da alles hungerte. Das Geld erhilten wir am 14. 11. 1944 und hatten ein Stand von 107 Personen, also 5350 Pengö erhalten. Das Geld wurde pro Person aufgeteilt; bis Nemesvid hatten sich mehrere schon von uns getrent, indem sie in Ungarn bei Verwandten und Bekanten blieben.

Auch hatten wir zwei SS-Soldaten bei uns, die uns immer die Marschbefele brachten und bei Schwierigkeiten beigestanden sind. Einmal musten wir über einen sehr hohen Berg, den wir mit unseren Traktoren nicht fahren konnten, und da sorgten die zwei SS, daß wir mit einer Zugmaschine hinauf gezogen wurden.

In Bonya hatten wir zwei Tode zu beklagen, nähmlich Martin Göttel sen. und Friedrich Dech, die schon Krank waren und dort gestorben und auch Beerdigt wurden.

Wir fuhren per Traktor bis Sopron (Ödenburg), und auf drängen, da wir schon kein Triebstof mehr auftreiben konnten, wurden wir in Sopron einwagoniert; so fuhren wir dann per Bahn bis Glatz, dort wurden wir nach Reichenstein/Schlesien dirigiert. In Reichenstein sind wir am 29. November 1944, abends um 19.30 Uhr angekommen und wurden von Bürgermeister Bosudsky und Gemeindevertreter Ing. Oder Empfangen; Bürgermeister Bosudsky hilt eine in warmen Worten gehaltene Ansprache, hies uns Herzlich Willkommen und Versicherte, daß wir in Ihrer Mitte uns Wohl fühlen werden.

Wir wurden in einer Gastwirtschaft untergebracht und erhilten sofort ein warmes Nachtmahl, was uns nach 2 Monatlichen entbehrungen auch wirklich Wohl tat, ein warmes Essen. Dort wurde eine gemeinsame Küche


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erlebtet, wo dan unsere Frauen den Küchendienst übernommen haben, und wie daheim wurde dan gekocht; eine jede Familie hat eingekauft, und die Rechnungen wurden mir übergeben, und ich bekam das Geld von der NSV, und von mir wurde das Geld zurückgezahlt.

Zu Weihnachten hat die Bevölkerung von Reichenstein auf dem Bürgermeisteramt verlangt, das Sie uns zu Gäste Einladet, jede Familie bestimmte, wiefiel Personen sie haben will; und so wurde ich als Treckleiter zu Bürgermeister Bosudsky gerufen, um dort zu sagen, wer wiefiel Personen hat, und so wurde dan eingetheilt; eine jede Familie holte sich seine Gäste ab, und Abend um 21 Uhr haben Sie uns dan wieder Zuhaus gebracht. Zu Neu-Jahr 1945 wurde ich wieder zu Bürgermeister Bosudsky gerufen, wo man mir mitheilte, daß die Gemeinde Reichenstein uns in Privat Unterkünfte einquartieren will, und da die Bevölkerung sich die Personenzahl selbst bestimmt, möchte ich bei der Einteilung dan sagen, welche Familie die gewünschte anzahl Personen hat; und jede Familie wurde schön Räumlich untergebracht. Die Leute waren sehr Nett zu uns und hatten wirklich ein Warmes Herz zu Vertriebenen Flüchtlingen. Wir waren dort, als gehörten wir zu Ihren Familien.

Am 18. Feber 1945 musten nachstehende Personen zum Volkssturm Einrücken: Ing. Peter Petschel nach Wien, Filip Bolz, Peter Einz, Peter Hartmann, Theobald Schneider und Filip Link nach Frankenstein. Als wir dort eine kurze Zeit wahren, wurde ich zum Kreisamtsleiter gerufen (höchste Stelle des Volksturms), der mir mitheilte, daß unsere Traktore beschlagnahmt werden zur Fahrtbereitschaft des Volksturms. Das kostete mich anstrengendes Reden und Verteidigen, was aber nicht eingesehen werden sollte. Herr Kreisamtsleiter sagte: "Es muß geschehen, die Fahrbereitschaft benötigt Traktore." Ich griff zum lezten und sagte: "Mit unseren Traktoren haben Sie wenig gemacht, da Sie nicht Gumibereift sind und nur 25 km pro Tag fahren und das sich nicht bezahlt macht." Auf das gab Er sie dan frei.

Am 22. März kahm meine Frau nach Frankenstein und sagte mir, daß man in Reichenstein schon Artillerie Schießen hört und Bürgermeister Bosudsky ihr sagte, das der Russe auf 30 km von Reichenstein ist. - Ich lies mich bei Kreisamtsleiter anmelden, wurde auch Empfangen, theilte Ihm die Situation mit und sagte, daß ich keine Verantwortung weiter tragen kann, da ich hier beim Volksturm bin, ich habe in meinem Treck Greise und habe aber auch Säuglinge, und die müssen in Sicherheit gebracht werden, zumal die angehörigen an der Front sind. Ich verlangte, daß wir fünf - zu jedem Traktor der Fahrer - so lange beurlaubt werden, bis der Transport in Sicherheit ist. Anfangs wollte er nur zwei beurlauben, auf mein drängen und auf einschreiten seiner Säckretärin - die sagte: "Die müssen gehn!" - erwiederte Er: "Schreiben Sie ihnen die fünf Urlaubscheine." Und so fuhren wir noch am Abend weg nach Reichenstein.

Am nächsten Tag haben wir verladen und wurden Dirigiert nach Korneuburg, dort angekommen im Lager, wo wir uns aber nur 10 Tage aufhalten konnten, das Lager war ein Steingebäude. Am 4. April 1945 mußten wir schon wieder weg, da der Russe schon so nahe war, das wir bei Tag nicht mehr wegkonnten, erst bei eintreten der dunkelheit, um 20 Uhr, sind wir


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abgefahren; wir sind bis 4 Uhr früh gefahren, dan eine kurze Rast, öl tanken, alles nachsehen, und schon ging's weiter. Wir wurden dirigiert nach Kitzbühel (Tirol), wir fuhren über Krems, Berg, Linz, Vöcklabruck, Salzburg.

Als wir von Salzburg weitergefahren sind, wurden wir gewahr, das wir auf der falschen Straße, also Richtung München sind, musten alles auseinander nehmen, jeden Wagen einzel umkehren und wieder alles anhängen; und wehrend dieser schwierigen Arbeit kahm eine Feindliche Fliegerstaffel, wir musten in Deckung gehen und dort an einem Graben uns decken, so gut es ging; wir wurden nicht angegriffen, Reichenhall wurde angegriffen und heftig Bombardiert. Bei diesem Fliegerangriff war unser Glück, das wir diesen falschen Weg gefahren sind, wo wir dan durch diesen aufenthalt, den wir da hatten, das wir alles umkehren musten, hatten wir eine Verspätung und waren dan bei dieser Bombardierung von Reichenhall noch auf der Münchner Strasse; hätten wir gleich die richtige Strasse eingeschlagen, so währen wir gerade in Reichenhall zur Zeit der Bombardierung gewesen. Da hat uns Gott unser Himmlischer Vater diesen wunderbahren Weg geführt und uns von diesem Übel geretet.

Als wir dan vor Reichenhall waren zum durchfahren, standen schon Militär Posten und liesen uns nicht hinein, da Reichenhall überall brannte; wir musten in einem Seitenweg um Reichenhall fahren, so in Richtung Tirol bis zur Grenzstation Melleck. Dort hat man uns gesagt, daß gestern wurde die Grenze gespert, und somit durften wir nicht mehr hinüber; wir standen jezt hir an der Grenze auf der Strasse und überlegten, was jezt zu thun ist.

Wir übernachteten eine jede Nacht in einem anderen Heischuppen. Einige Tage standen wir da ratlos und wüsten nicht, was wir tun sollen; hier können wir nicht bleiben, wir beschlossen umkehren. Und wieder kehrten wir um und fuhren Richtung Salzburg zurück. Wir sind bis Walserberg gefahren und haben auf der Strasse halt gemacht; hir standen wir auf der Strasse 5-6 Tage und kochten im Strassengraben, wo wir uns Feldöfen machten. Dieser Weg war ein leidensweg; Und eines Tages hatten wir einen Autounfall, Eliesabetha Hartmann wollte die Strasse überqueren zum Kochplatz, und da kam ein Deutscher Hauptmann mit Auto gefahren mit einem Tempo und sties die Frau nieder. Er ist aber sofort stehen geblieben und hat sie nach Salzburg ins Krankenhaus gebracht; und jezt ist sie Hinkend. Sofort kam die Gendarmerie, und wir musten von der Strasse; wir bemühten uns um Wohnung, war aber nicht möglich, irgendwo Wohnung aufzutreiben. Ich verhandelte mit dem damaligen Ortsleiter in Wals eine längere Zeit, endlich sagte er mir: "Gedulden sie, in einigen Tagen werden die Militär Bunker frei, und dan können sie dort einziehen." Und am 2. 5. 1945 bezogen wir drei Baraken, zwei Bunker und ein Gebäude in Käferheim, wir hatten ein Stand von 106 Personen.


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