Nr. 24: Organisatorische und technische Voraussetzungen der Evakuierung Apatins, Gründe für die fehlende Bereitschaft zur Flucht und den Entschluß der Mehrheit der Bevölkerung zum Bleiben.

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Bericht des Lehrers J. H. aus Apatin in der Batschka.

Original, 13. April 1958, 29 Seiten, mschr. Teilabdruck.

In den ersten Abschnitten seines Berichtes behandelt der Vfs. die wirtschaftliche, politische und kulturelle Entwicklung der deutschen Großgemeinde Apatin im alten jugoslawischen Staat seit Ende des Ersten Weltkrieges und unter ungarischer Verwaltung seit 1941; er berichtet dann über die Waffen-SS-Aktionen 1942-44 1 , die Lage der nichtdeutschen Bevölkerung, über die Hufs- und Sozialleislungen der deutschen Volksgruppe und über die Ernährungsverhältnisse vor der Besetzung durch die Rote Armee.

Im September 1944 wurde der Stab eines Luftwaffenkommandos, das sich, von Griechenland kommend, nordwärts absetzte, in Apatin stationiert.

Durch den Einbruch der Russen ins Banat entstand für das Gebiet und für die Bevölkerung eine äußerst bedrohliche Lage. Obwohl die Gemusterten aus der dritten SS-(Pflicht-)Aktion beschleunigt einberufen wurden 2 , war es angesichts der geringen vorhandenen kampffähigen Truppen klar - die ungarischen Truppen konnten den Russen ohnehin keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzen -, daß das Gebiet in der Batschka militärisch nicht verteidigt werden kann. Die einberufenen Volksdeutschen wurden ohne Ausbildung, ohne ausreichende Waffen, ja vielfach in Zivilkleidern in den Kampf geworfen. Sie haben um ihre Heimat tapfer und heldenhaft gekämpft und einen hohen Blutzoll entrichtet.

Die Gefahr für die Bevölkerung, für die Soldatenfrauen, -mütter und -kinder, für die Alten war riesengroß; sie mußten evakuiert werden. Was taten der ungarische Staat, das deutsche Oberkommando, die VOMI? Der Staat und dessen Vertreter glaubten nicht mehr an einen deutschen Sieg, sie schrieben die Batschka wieder ab und waren bemüht, sich und ihre Habe in Sicherheit zu bringen. Das deutsche Oberkommando in Budapest befürchtete eine Schwenkung der Ungarn, es mußte sich mühen, die Ungarn bei der Stange zu halten und diesen die Bereitschaft und die Fähigkeit des Reiches beweisen, die Russen wieder zurückzuschlagen. Eine Evakuierung der Deutschen aus der Batschka aber wäre eine schlechte Stütze dieses Beweises gewesen, sie mußte daher unterbleiben. Obergruppenführer Lorenz, Leiter der VOMI, der im Lande herumreiste (und in Sombor von Dr. Janko einiges zu hören bekam), blies ins gleiche Hörn. Er wollte von einer Evakuierung der Deutschen und von einer Aufnahme derselben in das Reich nichts wissen. Er beschwichtigte den Volksbund und tat zunächst nichts. Es bleibt unverzeihlich, daß sich Herr Lorenz einer Aufnahme in das Reich widersetzte und


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eine Evakuierung nicht geplant und vorbereitet hatte. - Ich las später in den Akten des VDA-Gauverbandes Gablonz/N in einem Bericht ein Telegramm an die VOMI oder an Herrn Lorenz vom 10. oder 12. Oktober 1944: "Reichsführer-SS wünscht, daß Volksdeutsche aus der Batschka in das Reich aufgenommen werden 3 ."

Der Apatiner Volksbund mußte zur Selbsthilfe greifen und tat, was er konnte. Zunächst wurden mit Hilfe des deutschen Luftwaffenkommandos die Plätten und die kleinen Motorschiffe der Apatiner (etwa 20 Fahrzeuge) vor dem Zugriff der Ungarn gesichert. Danach wurden sieben große eiserne Schlepper der Apatiner Schiffsbesitzer zusammengezogen, der Bau des in einem Seitenarm liegenden großen neuen Motorschiffs der Firma Braun und Piry soweit vorangetrieben, daß es in wenigen Stunden in Fahrbereitschaft gesetzt werden konnte, und 300 hl Rohöl bereitgestellt.

Es war verhängnisvoll, daß kein Evakuierungsziel bekanntgegeben werden konnte; eine Flucht auszulösen und die Leute in ein Ungewisses Schicksal zu stürzen, wagte niemand. Obwohl Aufregung und Besorgnis wuchsen, herrschte noch Ruhe und Ordnung. Wertvollste Zeit mußte in Untätigkeit verstreichen, bis schließlich der Staat am 6. Oktober die Evakuierung der Batschka anordnete; die Gebietsleitung des Volksbundes schloß sich an und forderte die Leute zur Evakuierung auf. Ein Evakuierungsbefehl konnte aber noch immer nicht bekanntgegeben werden. "Über die Donau, nach Westungarn", so mußten die beschwörenden und bestürmenden Fragen beantwortet werden.

Die Donau war vermint, die Schiffahrt äußerst gefährdet, der Wasserweg lang, die Zeit kurz, denn die Russen zogen starke Kräfte an der Theiß zusammen. Dazu kam, daß in diesen Tagen Honsaks, eines Apatiners Motorschiff auf eine Mine aufgelaufen und gesunken war. Holzschiffe (Plätten) waren sicher, aber klein und der starken Strömung im Oberlauf der Donau nicht gewachsen. Es blieb nur der Landweg. Die Leute sollten samt Fuhrwerken und auch zu Fuß über die Donau gesetzt werden, wo sie in Vörösmart Eisenbahn und Steinstraße erreichen würden. Das Apatin gegenüberliegende Ufer war ein mit Auswäldern und Schilf bestandenes, von vielen großen Wasserarmen durchzogenes Überschwemmungsgelände (4 km), das es zu durchqueren galt, wobei die Zu- und Abfahrt auf dem Donaudamm von Apatin und nach Vörösmart (12 km) als gut bezeichnet werden konnte. Mit den eisernen Schleppern sollten Lebensmittel und Gepäck womöglich bis nach Deutschland befördert werden.

Apatin besaß keine Fähre, die bei Bezdan und Mohacs waren -wohl dem Alltagsverkehr, keineswegs aber einem Massenandrang von lausenden Fuhrwerken gewachsen. Es mußten daher zuerst Fähren gebaut werden, wie sie an dieser Stelle der Donau noch niemals eingesetzt waren. Der Schoppermeister (Holzschiffbau) Johann Buxbaum übernahm den Bau. Zwei Plätten von je 200 t wurden mit vielen massigen Querbalken verbunden und diese mit einem starken Flachboden überdeckt und dessen Rand mit starkem


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Geländer versehen; auf diese Weise entstand eine ebene Ladefläche von 340 qm; vier solcher Fähren wurden gebaut. Damit die Pferde bei der Ein-und Ausfahrt nicht scheuen und die Überfahrt verzögern, wurden aus zwei weiteren Plätten zwei Anlegebrücken gebaut, die an den Ufern mit Stegen befestigt wurden, so daß die Wagen auf ebener Fläche glatt ein- und ausfahren konnten. Die Motorschiffe, die die Plätten ziehen sollten, standen ebenfalls bereit. Das Holz zu den Querbalken (starke Baumstämme) wurde von dem bei Sombor liegenden Flugplatz mit Landschleppern herbeigeschafft. Damit die Balken vierkant geschnitten werden konnten, mußte vorerst das am Ufer liegende große Sägewerk, das schon jahrelang stillag, repariert und angetrieben werden. Das viele Abdeck- und Geländeholz wurde von den Apatiner Holzhandlungen und der Möbelfabrik bereitwilligst zur Verfügung gestellt. Zur Gepäckbeförderung von Apatin nach Vörösmart sollte ein Fahrzeug-Pendeldienst eingerichtet werden. Damit die Durchschleusung durch Vörösmart reibungslos vor sich gehe, wurde eine Plätte mit Lebensmitteln, Medikamenten, Geschirr, mit den Matratzen und Decken des Erziehungsheimes ausgerüstet und mit einem Vorkommando und mit Hilfspersonal nach Vörösmart geschickt, eine Durchgansstation zu errichten.

Es wurde fieberhaft gearbeitet, fast Tag und Nacht, und die materiellen und organisatorischen Voraussetzungen der Evakuierung Apatins und Szentivans geschaffen, die psychologischen und moralischen konnten nicht mehr geschaffen werden: die Bevölkerung folgte dem Aufruf des Volksbundes nicht mehr; nur wenig Fahrzeuge fuhren bei Apatin über die neuen Fähren.

Als wesentlichster Grund muß das Fehlen eines klaren Evakuierungsziels genannt werden. "Zunächst über die Donau, in die Baranja, nach Westungarn", das reichte nicht; das erwartete und mit Berechtigung erhoffte Ziel, nach Deutschland, wagte der Volksbund nicht auszusprechen und konnte es auch nicht, nachdem ihm die Hintergründe bekannt waren. Was solle man über der Donau, wenn man nicht in das Reich aufgenommen werde! Solle man nachher, wenn die Russen Ungarn überrannt hätten, in die inzwischen ausgeplünderten, zerstörten Häuser zurückkehren; dann könne man ohnehin bleiben, wo man sei! Das Vertrauen zu Deutschland war nach dem, was am 20. März und danach geschehen war (Fahndung nach Entlaufenen durch Sonderkommandos) 4 , tief erschüttert. Die Rede vieler Soldaten, was man in Deutschland wolle, dieses könne die Flüchtlinge nicht ernähren, die Ausgebombten nicht unterbringen und die Flüchtlinge auch nicht, verfehlte nicht ihre Wirkung.

Man fühlte und wußte, daß eine Massenflucht unmöglich sei, wenn sie nicht vom Staat organisiert und gefördert werde. Was solle man in Ungarn, wenn das Gebiet doch wieder an Jugoslawien falle; wolle man nachher abgeschoben werden? Was solle man in Ungarn, wenn man deren Freund nicht war. Man habe nichts verbrochen, den Serben sei kein Leid geschehen, und die Russen seien auch Menschen, man müsse diese nur gut bewirten und


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ihnen gut kochen - worauf man sich ja mit den Reichsdeutschen aufs beste vorgeübt hatte -, dann werde die Zeit auch vorübergehen. Man hätte in Deutschland nur Interesse an unseren Kindern, an unseren Männern und an unserem Wohlstand, an uns keines! Man wußte und fühlte, daß man sich in der Heimat noch lange halten und versorgen könne, daß man aber alsbald hilflos ist, wenn man diese verlasse. Dazu kam die Dreiteilung Apatins 5 , und in dieser Notzeit wäre Einheit nötiger gewesen denn je. Eines bestärkte das andere, eines lehnte sich an das andere, und man blieb.

Von großer Bedeutung war auch, daß die Evakuierung nicht anschließend an deren Bekanntgabe in Gang gesetzt werden konnte. Die Apatiner Bevölkerung konnte unmöglich in Trecks evakuiert werden, denn sie bestand nur zu einem Drittel aus Bauern. Der Apatiner Volksbund hatte sich noch in der Nacht nach der Bekanntgabe in Sombor vergebens um Hilfe bemüht, den Frühzug anzuhalten, mit ihm sollten Kinder evakuiert werden. Sie wurde für später in Aussicht gestellt; es war der letzte Zug. Wäre der Kindertransport abgegangen, dann wäre die Evakuierung in Gang gekommen.

Nicht unwesentlich war, daß die Männer der dritten SS-Aktion wenige Tage vor der Evakuierung einberufen wurden. Frauen sind unentschlossen und der Hilfe bedürftig. Die vordringlichste Aufgabe dieser Männer wäre gewesen, ihre Familien in Sicherheit zu bringen, die Heimat konnten sie, waffenlos und unausgebildet, ohnehin nicht verteidigen.

Schließlich muß auch das völlige Versagen des ungarischen Staates genannt werden. Seinen Vertretern lag an der Evakuierung der Deutschen nichts. Das Telephon war für Privatleute, für den Volksbund, ja sogar für deutsche Kommandos gesperrt; die Eisenbahn wurde zurückgezogen, statt daß sie verstärkt in den Dienst gestellt worden wäre, und dies, obwohl sie noch tagelang hätte verkehren können. Ein staatlicher Evakuierungsplan wurde nicht bekanntgegeben, obwohl ein solcher bestand. Fahrzeuge des Staates waren nicht zu sehen. Gendarmerie und Flußwacht, welche die Bevölkerung in Friedenszeiten bedrängt hatten, waren mit sich selbst beschäftigt. Das Gebiet war abgeschrieben. Wichtig war die eigene Sicherheit und die Evakuierung der Gemeindekasse. Der Oberstuhlrichter (Landrat) konnte sich und seine Habe nur mit Hilfe eines deutschen Kommandos und auf einem deutschen Wagen in Sicherheit bringen.

Von Apatin waren nicht viele geflüchtet, [nur] einzelne, welche die sich bietende Gelegenheit wahrgenommen hatten, mit deutschen Truppen, mit einzelnen Kommandos, mit dem Stab der Luftwaffe, auf Schnellbooten [wegzukommen]. Der überwiegende Teil der Bevölkerung blieb, er ließ sich auch später nicht durch einen Volksdeutschen SS-Offizier (Valentin Beck) zur Evakuierung bewegen, er blieb und ging seinem schweren Schicksal entgegen 6 .


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Die Russen hatten bei Bečej einen Brückenkopf gebildet und über die Theiß eine Unterwasserbrücke geschlagen, die am 10. Oktober fertig war (Luftaufnahme). Der Vorstoß quer durch die Batschka stand bevor. Der Volksbund beschwor noch in letzter Stunde die Bevölkerung zur Evakuierung. Vergebens. Er vernichtete die Kartei und die Akten, auch alle Aufnahmen, verteilte das vorhandene Geld an die Soldatenfrauen und löste sich auf (11. Oktober 1944).

Der Landrat verließ am 11. Oktober 1944 Apatin und setzte somit der ungarischen Herrschaft ein Ende.

SS-Untersturmführer Sepp Mayer, ein Apatiner, der mit etwa 70 Apatiner Urlaubern im Einvernehmen des deutschen Kommandos eine Kampfeinheit gebildet hatte, übernahm den Schutz und die Sicherung der Ordnung. Er konnte durch den Volksbund vom Plan einer gewaltsamen Evakuierung, der Zerstörung von Betriebseinrichlungen und von Racheakten abgehalten werden. - Abgesehen von den Ausschreitungen am 20. März und der Fahndung nach flüchtigen SS-Zwangseinberufenen und ihrer Zwangsverschleppung wurde in Apatin keinem Menschen ein Haar gekrümmt, von seilen des Volksbundes nicht und von Seiten der deutschen Truppen und Kommandos auch nicht. Auch die Serben blieben verschont; in Apatin gab es keine Partisaneutätigkeit.

. . . Die Russen stießen bei Senta in die Batschka, überquerten bei Apatin die Donau und bildeten einen Brückenkopf, um den schwere Kämpfe entbrannten.

Was geschah mit den vier großen Fähren und den Anlegebrücken? Sie wurden, nachdem sie für die Apatiner nicht erforderlich waren, nach Mohäcs abgeschleppt und eingesetzt. Die Straßen waren von den endlosen Trecks der Volksdeutschen aus der Batschka verstopft und die kleine Mohäcser Fähre außerstande, den Andrang zu bewältigen. Erst als die Apatiner Fähren eingesetzt waren, kamen die Trecks wieder in Gang. So dienten die Fähren schließlich, wenn auch nicht den Apatinern, so doch der Evakuierung, für die sie gebaut wurden. Ihr Einsatz bewahrte tausende flüchtige Deutsche der Batschka vor russischem Zugriff.