Nr. 28: Die Evakuierungsvorbereitungen im Ansiedlungsgebiet der Gottscheer Deutschen in der Untersteiermark und die Flucht bei Kriegsende.

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Bericht des Pfarrers Alots Krisch aus Altlag (Stari log) in der Gottschee.

Abschrift (vom Vf. durchkorrigiert und bestätigt), Winter 1947/48, 203 Seiten, mschr. Teilabdruck.

Im ersten Teil seines Berichtes erörtert der Vf. die Gründe der Umsiedlungswilligkeit bei den Gottscheer Deutschen im Jahre 1941 und beschreibt das Ansiedlungsverfahren und die Verhältnisse im Ansiedlungsgebiet der slowenischen Untersteiermark bis zu den Ereignissen im Frühjahr 1945 1 .

Im Herbst 44 haben manche schon einige Sachen in Kisten weggeschickt, um für alle Fälle wenigstens etwas zu retten. Es waren verhältnismäßig wenige, die wußten, wohin sie was senden könnten. Außer in einigen Einzelfällen, besonders von der Stadt, war es verschwindend wenig, was so gerettet werden konnte. Jene, die ihre Kisten in die Steiermark oder nach Niederösterreich und Wien schickten, verloren es dort, bevor sie selbst kommen konnten. Sehr bald auch wurde das Wegschicken eingestellt, weil die Bahn keine Sendungen mehr annahm.

Im Februar 1945 hieß es dann zum "Volkssturm" einrücken. Da mußte alles mit. Manche versuchten wegen Gebrechlichkeit oder Kränklichkeit oder irgendeinem Fehler loszukommen. Aber ein Herr der Stellungskommission sagte: "Wem nicht beide Hände oder beide Füße oder beide Augen fehlen, der soll sich nicht bemühen freizuwerden." Die Beschädigten und Gebrechlichen wurden zum Train eingeteilt, darunter waren auch 60jährige Männer, die seit Jahren nicht mehr ohne Stock gehen konnten. Wenn ein solcher sich bei der Stellung auf sein Fußleiden berief, dann warf man seinen Stock auf den Boden und sagte, er soll ihn aufheben, konnte er das, dann mußte er mittun. Einer vom Train (der Wetsch von Neulag) sagte mir einmal, ich gehöre auch zu ihrer Abteilung (wegen meines Asthma), worauf ich spaßweise die Antwort gab: "Danke, zur Krüppelkompanie gehe ich nicht." Das sagte ich, weil ein Bemühen um eine solche Umstellung wahrscheinlich umsonst gewesen wäre und weil sie es dort eigentlich nicht leichter hatten. Sie mußten oft sehr viel tragen und dann erst noch exerzieren. Geistliche wur-


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den sonst nicht eingezogen, ich aber wohl. Warum? Das ist mir nie klar geworden. Bei einer kleinen Schlußfeier nach der ersten Abrichtung hielt der Bezirkskommaudant des Volkssturms eine Ansprache, wobei er lobend hervorhob, daß sich der Pfarrer freiwillig auch eingereiht habe. Alle staunten darüber, ich am meisten, nämlich, daß ich "freiwillig" dabei sei. In Wirklichkeit wurde ich genauso einberufen wie jeder andere auch. Ja, was nannte man damals von amtlicher Seite nicht alles "freiwillig"!

Mit der Zeit erhielten wir auch eine Uniform, es waren alte, abgetragene von Grenzfinanzern. Die Aufschläge mußten wir abtrennen und andere aufnähen . . . Späterhin waren die Übungen für den Volkssturm nur noch an Sonntagen. Ich bat um Erlaubnis, später kommen zu dürfen als die anderen Männer, weil ich Frühgottesdienst habe, und am Nachmittag wieder früher weggehen zu dürfen, da ich wieder in einer anderen Pfarre Abendmesse hätte. Die Erlaubnis wurde mir immer bereitwillig gegeben. Dies wohl deshalb, weil diese Ausnahme nicht ein Vorteil oder eine Bequemlichkeit für mich, sondern eher ein Opfer von mir zugunsten des Volkes war; etwas mag auch die Tatsache dazu beigetragen haben, daß ich immer gutwillig und ohne jedes Sträuben mittat. So machte ich am Sonntag die militärischen Übungen mit und hatte trotzdem am selben Tage auch noch drei Gottesdienste an verschiedenen Orten, was mich mit der ganzen Volkssturmangelegenheit mehr versöhnte, denn ich war zufrieden, daß ich trotz allem in meinem Berufe tätig sein konnte.

Es mag von mir als "Volkssturmmann" sehr unmilitärisch gewesen sein, war aber für mich als Priester selbstverständlich, daß ich in dieser Zeit täglich den Herrgott gebeten habe, er möge mich davor bewahren, daß ich jemals in die Lage käme, auf Menschen schießen zu müssen.

Evakuierung:

Ostern 1945 wurde die Evakuierung von Rann und Umgebung vorbereitet. Ein Zug, in dem alles mitgeht, Frauen, Kinder, Greise, alles Gepäck (ohne Möbel), Vieh usw. heißt "Treck". Also die Trecks organisieren. Ich bekam die Aufgabe, zwei Gemeinden so zu organisieren und für diese dann der "Treckführer" zu sein. Ich tat es. Anderswo taten es andere Männer. In acht Tagen war alles soweit, daß wir ohne weiteres hätten ziehen können; aber da dies nicht erlaubt war und auch nicht mehr abgeblasen werden konnte, wurde immer weiter organisiert bis ins kleinste, was natürlich nie hätte funktionieren können. Es wurde alles überorganisiert. Die Männer bei der Kreisführung, die das über hatten, jammerten, daß sie ganze Nächte an der Organisation arbeiten müßten; in Wirklichkeit soffen sie die Nächte in den Kanzleien, wenigstens traf ich sie in der Früh mehrmals betrunken und sah die Schnapsflaschen unter dem Tische; sie aber behaupteten, sie hätten die ganze Nacht gearbeitet. Ich mußte oft dorthin, da ich Treckführer für zwei Gemeinden war. Zu organisieren gab es schon lange nichts mehr, und doch mußte immer wieder was gefunden werden, was nach Tätigkeit aussah.

Nur das eine geschah in dieser Zeit, daß doch Frauen mit ganz kleinen Kindern, dann auch solche mit vielen Kindern samt etwas Gepäck mit Auto-


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bussen nach Kärnten gebracht wurden, die letzten Tage dann auch mit der Eisenbahn (wobei man auch alte Leute mitnahm). Aber die beiden letzten Züge kamen nicht mehr durch: der eine gar nicht 2 , der andere wurde noch von Brück an der Mur von den Russen nach Marburg zurückgeschickt, wo diese Leute auch ihres Gepäckes beraubt Avurden.

Wir hier im Siedlungsgebiet sahen seit Wochen, daß die Straßen schon sehr besetzt, zeitweise überfüllt waren von Militärautos, die aus Kroatien heraufkamen, von kroatischen Flüchtlingen und besonders von Ustaschas (eine kroatische Miliz). Wir aber durften nicht fort.

Die Flucht:

Am 8. Mai, gegen 8 Uhr früh kam ich vom Krankenhaus zur Kreisführung, da hieß es: heute mittags zieht alles los. Endlich! - aber zu spät! Organisiert war so, daß jeden Tag eine andere Gemeinde bzw. ein anderer Treck auf die Reise gehen soll. Jetzt alles auf einmal und auf einer einzigen Straße, die zweite vorgesehene (über Wisell) war nicht mehr gangbar. Auch die Fülle von Militärautos, Kroaten und Ustaschas hatte sehr stark zugenommen. In diesen Wirbel hinein sollten nun auch noch unsere Trecks, und zwar alle auf einmal! Es sah von vornherein hoffnungslos aus; aber wir wollten es versuchen, denn fort müssen wir, das sah jeder ein. Konnte doch schon lange niemand mehr begreifen, warum wir noch da sein mußten und nicht schon längst über alle Berge sind. Endlich soll es nun doch gehen.

Aber schon vom Wohnort weg "funktioniert" die Sache nicht. Auf der überfüllten Straße sich geschlossen einreihen war ganz ausgeschlossen; auch die einzelnen Fuhrwerke hatten es schwer, auf die Straße hinauszukommen. Damit war von Anfang an die größte Unordnung, und das Unglück war fertig. Die ersten 2 km gab es oft Stockungen, die Fuhrwerke mußten nach 200-300 m immer wieder für längere Zeit stehenbleiben, es war furchtbar schwer weiterzukommen. Nach 3 km durfte niemand in die kürzere Straße über Skopitz einbiegen; was da oben für ein Hindernis war, weiß ich nicht, wir mußten den Umweg über Zirkle nehmen. Dort kamen noch viele andere dazu. Langsam wälzte sich die ganze Masse vorwärts; Militärautos fuhren immer wieder vor. Da es ganz aussichtslos war, den Zug jetzt irgendwie in Ordnung zu bringen, gab ich mir viel Mühe, wenigstens eine Übersicht darüber zu gewinnen, fuhr mit dem Radi nach vorn und wieder zurück zu den letzten und wieder nach vorn (wobei ich oft über Wiesen fahren mußte, da auf der Straße kein Platz war), - alles umsonst, nicht einmal einen Überblick über meinen Treck konnte ich gewinnen. Hinter Großdorf, auf der Straße über Landstraß her, kamen kroatische Ustascha in großen Mengen, zu Fuß, reitend und mit Wagen. Schreiend, schimpfend und fluchend drängten sie sich rücksichtslos durch und vor, man mußte sich fürchten vor diesen Menschen. Unsere Ochsen- und Kuhgespanne hatten die größten Schwierigkeiten. Wir kamen noch mehr auseinander.

Bei Haselbach ist eine Seitenstraße, ich glaubte, daß die uns doppelt recht komme. Erstens mußte das Vieh, das 6 Stunden auf dem Marsche war,


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gefüttert werden, wer weiß, wann wir wieder eine solche Möglichkeit finden, auf der Hauptstraße war dazu keine Gelegenheit; zweitens hoffte ich, hier könnte sich der Treck sammeln. Zu diesem Doppelzweck schaffte ich die Leute unseres Zuges auf die Seitenstraße hinein, konnte aber auch so nur einen Teil erfassen.

Wie verwirrt die Leute schon waren, zeigt folgendes Beispiel: Eine Frau aus Langenton hat den Fuß gebrochen, höre ich. Als ich die Frau suchte, erfuhr ich, man habe sie aufs Feld neben die Straße gelegt und dort gelassen. Natürlich begriff ich nicht, wie man das tun konnte: "Wir werden die Frau doch nicht dort umkommen lassen!" Es werde das Rote-Kreuz-Auto kommen und sie weiterführen, sagte man. "Woher heute noch ein Rotes-Kreu/-Auto? Das ist doch auf der Flucht! Und wenn es noch da wäre, wie wollen Sie es verständigen?" Ihr Mann schaut mich entgeistert an und sagt: "Ich weiß nicht wie oder was, ich kenne mich nicht mehr aus." Tatsache war, daß wir uns allesamt nicht mehr auskannten; aber deswegen darf man doch nicht eine Frau mit gebrochenem Fuß einfach aufs Feld setzen und bleiben lassen; wenn wir sie nicht mitnehmen, klaubt sie niemand mehr auf, hat doch jeder mit sich selbst genug zu tun. Da fuhr ich mit dem Radi zurück, um sie auf irgendeinen Wagen aufzuladen und sie so herzubringen, fand sie aber nicht. Zurückgekommen verlangte ich, ein leichter Wagen muß zurück, und jemand, der weiß, wo die Frau ist, muß mitfahren und die Frau herbringen. Das hatte seine Schwierigkeiten, aber schließlich setzte ich es doch durch. So bekamen wir die Frau wieder her.

Inzwischen wurde es Abend. Andere Flüchtlinge kamen von anderer Seite in unsere Reihen, und die vorderen von den Unsrigen fuhren, sobald sie die Möglichkeit fanden, wieder auf die Hauptstraße hinaus in das Gedränge und Getümmel.

Hinter uns in den Dörfern, in denen am Vormittag noch unsere Leute waren, Sprengungen, die am Abendhimmel unheimlich aufleuchteten, kleinere fortwährend, größere zeitweise. Was wird gesprengt? Wer sprengt? Einzelne Brände sehen wir in den Ortschaften, Schießereien hören wir. Sind es deutsche Soldaten, die hinter sich Sprengungen vornehmen? Sind es Feinde, die die Flucht hindern wollen? Sind die Schießereien zwischen deutschem Militär und Banditen, oder schießen diese auf unsere Leute? Einzelne Flieger sind über uns, ob Freund oder Feind können wir nicht mehr unterscheiden. Ist vielleicht schon die Front so nah hinter uns? Es ist ein wahres Kriegsgetümmel! Ganz im Ungewissen, in vollständiger Unwissenheit müssen wir da umeinanderstehen, können nichts tun, können auch nicht weiterflüchten. Hie und da schläft einer für eine halbe Stunde auf dem Wagensitze ein.

In der Nacht äußere ich meine Befürchtung: Ich fürchte, morgen sind wir soweit, daß wir die Fuhrwerke mit allem, was darauf ist, stehenlassen, den Rucksack oder sonst ein "Pinkele" (Bündl) nehmen und uns glücklich schätzen werden, wenn wir mit dem oder auch ohne das durchkommen. Es schaut ganz darnach aus. Die Männer sind derselben Meinung, die Frauen schauen uns schweigend an, auch sie geben sich keinen Hoffnungen mehr hin, aber sie jammern auch nicht. Aber noch kann sich niemand von seiner Habe trennen, noch geht niemand von seinem Wagen und seinem Gepäck,


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ist es doch alles, was er noch hat; noch wollen wir es versuchen. Wir spekulieren, wie wir uns wieder auf der Straße einschalten könnten, auf der Lastauto um Lastauto rollt und die dichtgedrängten Fuhrwerke überholt. Nur einzeln gelingt es, wenn hie und da einmal die Autokolonnen abreißen.

Gegen 4 Uhr morgens kommt mehr Bewegung in unsere Reihen, langsam kommen wir auf die Straße hinaus und sind wieder im selben Trubel wie gestern nachmittags - oder noch mehr!

Knapp vor Gurkfeld, links von der Straße, lagern Weitentaler, die zweite Gemeinde meines Trecks. Ich will sie auf den Weg schaffen. Die Lehrerin (Zellenführerin) habe gesagt, es werde bis 7 Uhr gerastet. Weiter vorn, rechts, ist Dr. H. mit seinem Traktor, gehört auch zu den Weitentalern. Ich will ihn sprechen. Er hat Wachposten aufgestellt und darf nicht geweckt werden. Ich erkannte, daß ich, obwohl Treckführer, nichts zu sagen hatte. Wir gehen weiter. 300-400 Meter weit kommen wir, am Eingang von Gurkfeld müssen wir stundenlang halten; während dieser Zeit kommen wir hie und da einmal um eine Wagenlänge vorwärts, mehr nicht, es stockt alles von der Brücke her. Unsere Fuhrwerke sollen alle über die Brücke hinüber auf das linke Saweufer, am rechten fahren nur Autos hinauf. Auto um Auto fährt uns vor, andere, die auf der drüberen Seite bis hierherauf gekommen sind, müssen herüber, da drüben die Straße zu eng ist. Wir stehen, warten, schauen und kommen nicht vom Fleck.

Ca. 8 Uhr sind wir über der Brücke, bei der Kirche in Wiedem. Wir sind also in 4 Stunden 3 km weit gekommen. Das sind schöne Aussichten für eine solche Flucht, haben wir doch an die 200 km zurückzulegen, bis wir über die Kara wanken (Kärntner Grenze) sind! Die Weitentaler hatten mit ihrem Lager insofern recht, als einige Stunden früher oder später auf der Straße kaum den Unterschied von 2 km ausmachten. Ich war der Meinung, wenn wir einmal am linken Saweufer sind, die Straße frei von Autos, dann geht es leichter. Hier im Orte war es nicht besser. Die Straße ebenso überfüllt, von unten herauf strömten immer neue Massen nach. Es brauchte lange, bis sich hie und da ein Fuhrwerk in den Gang einschalten konnte, alles war wieder zerstreut. Langsam wälzte sich das Ganze vorwärts, aber es war doch Bewegung drinnen. Das Unangenehmste waren jetzt die Ustascha mit ihrem Geschrei und Gedränge. Das waren ganz wilde Leute, die wildesten, die ich je im Leben angetroffen hatte (später erfuhr ich allerdings, daß sie noch nicht die schlimmsten waren). Ich bemühte mich, nach vorne und nach rückwärts zu sorgen, es war ganz ausgeschlossen, war unmöglich. Die Straße auf dieser Seite der Sawe war sehr eng. Selten war eine Stelle, wo ein Fuhrwerk dem anderen vorfahren konnte; wo dies der Fall war, benützten es die Ustascha (die hatten ausschließlich Pferdegespanne), um vorzufahren, sonst aber schrien, schimpften und fluchten sie immerfort. Meistens war es so, daß ich auch mit dem Rade nicht vorwärts konnte, die Straße war zu eng, außerdem waren auch noch viele Ustascha zu Fuß neben den Wägen. Ein Ustascha nahm schon sein Gewehr von der Schulter und wollte mich mit dem Kolben schlagen, es gelang mir, ihn etwas zu beruhigen. Nachdem ich die Aussichtslosigkeit meiner Bemühungen endlich einsah, setzte ich mich auch auf einen Wagen, ich war wirklich schon sehr müde. Die Mittagsrast wollte ich be-


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nützen, um irgendwie etwas zu ordnen, auch das war vergebens. Jeder tat, was ihm gefiel, oder besser gesagt, was er glaubte, tun zu müssen, weil er nicht anders konnte. Beim Aufbruch versuchte ich es wieder, alles war umsonst.

In Lichtenwald wurde die Stockung immer ärger. Die Ustaschas drängten sich in Massen vor, Zivil müsse beiseite, schrien sie, doch hatten auch sie Frauen und Kinder auf den Wägen. Bald konnten auch sie sich nirgends mehr durchdrängen. Ein fürchterliches Gedränge, Geschrei und Getriebe, ein Wogen, ein Füreinanderzwängen von Fußgängern hin und her: die Stockung war vollständig. Sie war nicht nur hier, sie hatte ihre Ursache in Steinbrück (18 km weiter vorne), wo die Autos vom anderen Ufer auch auf diese Seite herüber mußten. Von dort bis hierher war die Straße voll gepfropft von Pferde-, Ochsen- und Kuhgespännen, und Scharen von Menschen, besonders Frauen und Kinder daneben. Einige spannten das Vieh aus, damit es fressen und rasten soll; auf längere Zeit war keine Aussicht weiterzukommen. Hier traf ich auch den Kompanieführer von unserem Volkssturm, der gestern abends mit dem Pferdegespann schon weit vor uns war, hier aber auch noch nicht weiterkommen konnte. Ich klagte ihm, daß ich weder gestern noch heute irgendwelche Ordnung zustande bringen konnte, hier sei es erst ganz unmöglich. Er sagte, daß ich in Anbetracht dieser verwirrten Lage jeden weiteren Versuch lassen und nur für mich sorgen soll.

Am späten Nachmittag verbreitete sich die Nachricht von der Kapitulation Deutschlands. Erst wußte noch niemand, soll er es glauben oder nicht, war es doch jedem ohne weiteres klar, daß in diesem Falle unsere Flucht zu Ende sei. Dann überzeugte uns davon ein Gottscheer, der schon zwei Jahre hier war und nicht zu fliehen gedachte (der Fleischhauer K. aus M.). Vollständige Ratlosigkeit. Als eine Art Bestätigung dafür erschien uns die Nachricht: Zwischen Steinbrück und Römerbad lassen die Partisanen niemand mehr durch. - Dort ist eine enge Straße durch den Wald, den Bergabhang ansteigend. Dieses Stück Straße sperren ist nicht schwer. -- Alle müßten dort die Waffen abliefern. Unser Treck war gut bewaffnet, er wird die Waffen auch abgeben. Aber die Ustascha? Und wir sind mitten unter ihnen. Wenn die hinschießen, wird auch hergeschossen, natürlich auf alle! Das schaut schlimm aus. Einige fahren von der Straße auf die Wiese hinaus und spannen das Vieh aus. Wir treten hin und her, vom einen zum anderen, alles ist ratlos, jeder fragt, niemand weiß was zu sagen. K. redet uns zu, wir sollen nicht versuchen weiter zu fliehen und da bleiben. Ich spreche noch mit einigen, dem Karl (Walleisch) sage ich, daß es mir schon vorkommt, es wäre besser, wir gehen zu seinem Bruder Anton nach Sawenstein. Er kann sich auch nicht entschließen. Jemanden was zu fragen hat keinen Zweck mehr, keiner weiß, was er tun soll, noch weniger weiß er, einem anderen zu raten. Wir sind auf dem toten Punkt angelangt.

Eine schwache Stunde vor der Dämmerung sah ich 20-30 wild dreinschauende junge Männer und Burschen, mit Gewehren und Maschinenpistolen bewaffnet, neben der Straße bei uns sich hinlegen (sie waren in Zivilkleidung), ich hielt sie für Ustascha. Als ich nach einer Viertelstunde vom anderen Wagen herüberschaute, waren sie aufgestanden und gingen über


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die Straße dem Bahngeleise zu. Fleischhauer K., den ich darauf aufmerksam mache, schaut ihnen nach, dann verstand ich, er hat sie als Partisanen erkannt. Mein Entschluß war rasch gefaßt, ich nahm meine Aktentasche vom Wagen, ließ alles andere Gepäck bleiben, sagte zur Köchin, ich wisse nicht, ob ich heute noch zurückkomme, und ging. - Damit habe ich jeden Versuch einer weiteren Flucht aufgegeben. Irgend jemanden zu bereden oder ihm zu raten, er solle es auch so machen, wagte ich nicht, wußte ich doch .nicht, was das Bessere wäre, so oder so. Damit kam ich von der Masse unserer Leute und zugleich um alles, was ich noch hatte retten wollen.

Im folgenden berichtet der Vf. noch ausführlich über seine Erlebnisse unter dem jugoslawischen Nachchriegsregime in verschiedenen Internierungs-und Arbeitslagern, in einem Lazarett für deutsche Kriegsgefangene und während seiner dortigen Tätigkeit als Lazarett-Pfarrer bis zu seiner "Repatriierung" als ehemaliger österreichischer Staatsangehöriger Anfang Januar 1946 3 , über die Verhältnisse in einigen Flüchtlingslagern in Österreich während des Jahres 1946 und die allgemeine Lage der geflüchteten und aus Jugoslawien vertriebenen Gottscheer.