Nr. 33: Rückführung von Volksdeutschen durch die sowjetischen Besatzungsbehörden über ein Auffanglager für Heimkehrer nach Jugoslawien in Preßburg; Erlebnisse der Vfn. auf dem Transportweg bis zur jugoslawischen Grenze bei Subotica, während des Aufenthaltes in Ungarn bis zur erneuten Flucht nach Österreich und in die amerikanische Besatzungszone Ende August 1945.

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Erlebnisbericht der E. K. aus Groß-Betschkerek (Veliki Bečkerek) im Banat.

Original, 12. März 1958, 9 Seiten, mschr. Teilabdruck. - Der Bericht stützt sich auf Tagebuchaufzeichnungen.

Zunächst schildert die Vfn. ihre Flucht aus Groß-Betschkerek vor dem Einmarsch der Roten Armee am 2. Oktober 1944 und ihre Erlebnisse auf dem Fluchtweg nach Österreich und bis zum Einmarsch der sowjetischen Truppen im Evakuierungsort Geros im Waldviertel.

Am 8. Mai 1945 war es. Wer von den Flüchtlingen aus dem Stift fliehen konnte, Richtung Westen, tat es, doch nicht viele, da das Militär schon durch war und niemand ein Fahrzeug bekam. Vater und ich waren noch krank, so daß für uns eine Flucht gar nicht in Frage kam. Nun kam eine nervenaufreibende Zeit. Die Russen streiften im Stift herum, plünderten, verfolgten Mädchen und Frauen, bedrohten Vater mit der Pistole, verletzten Hilde an der Hand, so daß diese wochenlang 'mit einer Blutvergiftung zu tun hatte, nahmen mein Fahrrad mit, welches nicht mehr zum Vorschein kam. Schlimm war es, weil sie immer nachts kamen. Wie es nun weitergehen sollte, wußten wir noch nicht, bis es hieß, wir könnten wieder in die Heimat. Wir konnten uns zwar nicht vorstellen, wie es dort aussah, hatten aber kein gutes Gefühl dabei.


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Vater wollte unbedingt heim, es war ja zu verstehen. Unrechtes hatte er und auch wir nicht getan, was sollte uns also hindern, wieder in die Heimat zu fahren; dazu versprachen die Russen, daß jeder eben wieder in seine Heimat kommt.

Pfingstsonntag, früh um 6 Uhr erlebten wir eine unangenehme Überraschung: Sofort packen, bis 11 Uhr muß das Lager geräumt sein, hieß es. Die Geraser und die Stiftspfarrer hatten es nun erreicht, daß wir das Lager räumen mußten. Es klappte doch nicht ganz, und wir übernachteten auf unserem Gepäck angezogen im Stiegenhaus des Stiftes. Pfingstmontag, es war der 21. 5. 1945, kamen einige Fuhrwerke, auf denen wir unser armseliges Gepäck verstauen konnten. Die Dorfbewohner gingen gerade zur Kirche und beschimpften uns "Gesindel", und was wir an Gepäck dabei haben, wäre alles gestohlen. Es war furchtbar, von deutschen Menschen dies zu hören; wir, die wir eigentlich alles verloren hatten durch diesen unseligen Krieg, die wir ihn teurer bezahlten mußten als irgendwer im binnendeutschen Raum. Doch auch dieser Leidensweg ging zu Ende, und wir waren auf der Straße nach Hörn; immerhin 20 km, die wir zu Fuß zurücklegen mußten, aber wenigstens wurde das Gepäck gefahren und wir mußten es nicht schleppen. In Hörn waren nun schon viele Flüchtlinge, alle lagen wir auf der Straße, denn die Ortskommandantur der Russen wußte nicht, was sie mit uns anfangen sollte. In ein leeres Geschäftslokal schleppten wir am Abend unser Gepäck, legten uns darauf und verbrachten so die Nacht in Angst und Schrecken. Am 22. 5. wurden wir dann zum Bahnhof Hörn gebracht und in offene Lastwaggone (Kohle- und Holzwagen) einwaggoniert; dazu regnete es. Vater versuchte aus herumliegenden Brettern, Blech und Planen uns ein Dach zu machen, doch regnete es trotzdem durch, und wir saßen ganz naß darunter. Ein langer Zug fuhr ein, lauter "Partisanen" in Richtung Heimat (welche alle als Fremdarbeiter 1942 nach Deutschland gegangen waren und sich jetzt als Verschleppte ausgaben), Juden und entlassene KZ-Häftlinge. Ein langer Transport deutscher Kriegsgefangener in Richtung Osten stand auch da. Wir standen wieder eine Nacht auf dem Bahnhof, die Russen kamen wie gewöhnlich gegen Mitternacht (wir wußten nun schon die Zeit) und versuchten zu plündern; Frau Weber, sie war aus Agram und mit ihren Kindern mit uns zusammen im Geraser Lager in einem Raum eine Zeitlang, ihr nahmen sie einen Koffer weg. Gegen Morgengrauen verschwanden sie dann immer wieder gottlob. Wir hatten nichts mehr zu essen. Am Tage versuchten wir dann, in Hörn in einem Geschäft Sauerkraut zu bekommen, das war ohne Marken. Einmal gab uns auch ein Russe Kartoffeln.

Endlich, am 25. 5., fuhren wir von Hörn ab. Bis Sigmundsherberg kamen wir, da hielten wir wieder. Am 26. wurden viele Waggone mit jugoslawischen Kriegsgefangenen angehängt, und wir fuhren weiter, wir wußten nicht, ob nach Wien oder Preßburg. Nach langer Fahrt standen wir nun auf einem großen Rangierbahnhof. Endlich wußten wir wo, Straßhof im Marchfeld, nicht weit von Prcßburg, also geht es heimwärts. Hier liefen dauernd noch Transportzüge ein, teils mit Flüchtlingen, teils Kriegsgefangenen und mit heimfahrenden Jugoslawen. So trafen wir auch da wieder meinen Onkel


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Peter mit Frau, Cousine Anni mit ihrem Mann, sie stand kurz vor der Entbindung, sie kam dann gerade noch bis Preßburg. Einige Weißkirchner trafen wir da auch, Frau Kojow, Hermine Tittiger. Alle kamen aus dem Protektorat 1 und erzählten furchtbare Dinge. Am 28. Mai, meine Eltern hatten gerade ihren 28. Hochzeitstag, mein Bruder Namenstag, wie traurig war das, von ihm wußten wir überhaupt nichts. Spät abends fuhren wir weiter und kamen am 29. 5. morgens in Preßburg an. Oft fragten wir uns damals, warum sind wir eigentlich von zu Hause fort, wenn wir nun doch den Russen in die Hände gefallen sind. Überall die vielen Russen. Man hat uns 2 km weiter nach Novo Mesto geschoben, da war es etwas ruhiger, dafür hatten wir keine Aussicht weiterzukommen. Die Waggone sollten geräumt werden für deutsche Kriegsgefangene; da wir im offenen Kohlenwaggon waren, durften wir bleiben, diese wurden nicht gebraucht. Männer unseres Transportes, darunter Herr Schröder aus Agram, Deutschrusse, bemühten sich sehr, damit wir wieder weiterkommen können. Da kam ein jugoslawischer Attache der Tito-Regierung, er wollte die jugoslawischen Flüchtlinge sehen. Als er uns sah, sagte er gleich: "Das sind ja unsere Schwaben aus der Batschka und dem Banat." Wir wurden wieder nach Preßburg gefahren, mußten unsere Waggone verlassen, und mit Handgepäck kamen wir in ein großes Auffanglager (ehem. Kaserne).

Dort waren schon Hunderte unserer Landsleute. Nun wurden wir registriert, genaue Daten aufgenommen. Vater und Mutter waren erkrankt, Luzie, meine Cousine, auch; wir fürchteten sehr, daß sie Typhus bekommen könnten, es war in der Stadt Typhus. Gott sei Dank, wurden sie bald wieder gesund, doch waren wir alle so elend beisammen, hatten wir doch tagelang fast nichts mehr gegessen (unterwegs fanden wir in einem Waggon Mais, den wir kochten). In Preßburg bekamen wir ja nun zu essen, aber unser Magen hat es nach der Hungerkur nicht mehr vertragen, wir bekamen nach russischer Art Hammelfleisch und Kascha (Hirse). Fast alle Flüchtlinge waren krank, Durchfall. Am 3. 6. wurde ich mit meinen Eltern und Schwestern und anderen Flüchtlingen aus der Kaserne in ein anderes Lager verlegt, wir mußten unser Gepäck durch die Stadt schleppen, unter Bewachung, und kamen uns nun genau so vor wie die Judentransporte, die wie früher gesehen hatten, auch wußten wir ja nicht, was weiter mit uns geschehen wird. Das neue Lager war ein ehemaliges Hotel, machte einen sauberen Eindruck, doch hatte es schrecklich viele Wanzen und zu wenig Betten, so daß wir Jüngeren auf dem Fußboden schlafen mußten. Hier waren wir nun 3 Wochen und durften das Lager nicht verlassen. Einmal mußten wir wieder in die Kaserne und wurden dort von den Russen in Nationalitätengruppen eingeteilt, kamen aber wieder in unser Lager zurück. Einmal hieß es, Tito nimmt alle Flüchtlinge, also auch die Volksdeutschen wieder auf, ein andermal wurde dies wieder verneint. Uns wäre es lieb gewesen, wenn man uns zurück nach Deutschland abgeschoben hätte.

Am 21. 6. wurden wir wieder einwaggoniert, meine Eltern, Schwestern und ich, meine Tante und ihr Mädel und alle Flüchtlinge aus dem Hotel-


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lager, sehr gemischt: Kroaten, Slowenen, Serben und darunter auch Volksdeutsche. Die Flüchtlinge in der Kaserne blieben zurück 2 . Der Transport wurde, je näher er Budapest kam, immer länger, da auch wieder entlassene jugoslawische Kriegsgefangene dabei waren. Ich zählte einmal in einer Kurve 94 Waggone und 2 Lokomotiven. Am 29. 6. kamen wir an einem Budapester Bahnhof an, wurden aber tagsdarauf auf dem Bahnhof Ferenczväros geschoben. Hier stand ein Transport mit 1500 Deutschen aus Jugoslawien, die bis Subotica gekommen sind und nicht angenommen, sondern zurückgeschoben wurden. Niemand kümmerte sich um diese Menschen. Da erfuhren wir aber das erstemal, daß die Deutschen aus Jugoslawien seit Oktober 44 in Lagern leben, soweit sie nicht nach Rußland zur Arbeit verschleppt waren. Nun wurde uns klar, was uns bevorstand, doch wir konnten den Transport nicht verlassen, da wir ja russisches Begleitpersonal hatten, das uns eben in die Heimat bringen wollte. So fuhren wir am 3. 7. mit klopfendem Herzen in Richtung Subotica. Wir kamen nach Kelebia (ungarisch-jugoslawische Grenze), hier lagen schon 3000 Volksdeutsche, die alle bis Subolica gekommen sind und nach 8-10 Tagen zu Fuß, ohne ein Gepäckstück nach Ungarn flüchteten oder abgeschoben wurden. Nun standen wir an der Grenze.

Partisanen kamen, fragten nach Name, Heimatort und Nationalität. Wir hatten nur den einen Wunsch: heraus aus dem Zug, und sagten gleich, wir wären Deutsche. "Skinite se" (aussteigen), sagte einer der Partisanen; wir packten unser Gepäck und warfen es beim Waggonfenster heraus, und mit uns noch etwa 60 Leute, darunter auch eine Familie Hedrich, mit der wir schon monatelang beisammen waren. Dagegen kam Frau Weber mit ihren Kindern (welche mit uns in Geras war) durch und auch Adele Hartmann (ich kannte sie gut aus Esseg, aus der Volksgruppenführung, war sie doch mit mir zusammen bei der Landesfrauenführung). Was aus ihr geworden ist, weiß ich leider nicht. Auch meine Tante fuhr weiter (sie kam ja gut nach Agram, da sie einen Kroaten geheiratet hatte). - Frau Weber trafen wir einige Wochen später wieder in Kiskunhalas, als es ihr genauso ergangen ist wie den vielen Volksdeutschen, die wohl bis Subotica kamen, aber dann zu Fuß und ohne Gepäck wieder das Lager verlassen mußten. - Nun lagen wir da, auf offener Strecke, der Zug war im Begriff, nach Subotica weiterzufahren. Ein Russe kam, wollte mir einen Koffer wegnehmen, gerade den Koffer, in welchem die Papiere meines Mannes und die wenigen Bilder, die wir hatten, im Kopfpolster versteckt waren. Ich raufte mit ihm entlang


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des fahrenden Zuges, da er den Koffer in den letzten Waggon den heimfahrenden serbischen Kriegsgefangenen geben wollte, von denen er auch angestiftet war. Es gelang ihm nicht, doch ich war schrecklich zerschlagen und wenn nicht ein Partisane gekommen wäre und ihn weggeschickt hätte, ich hätte wohl draufgezahlt. Der Partisane verlangte nun, wir möchten unser Gepäck öffnen - auch die übrigen Deutschen mit uns -, suchte sich überall einige Sachen, die ihm gefielen, heraus und sagte, es käme gleich ein Zug aus Subotica, den würde er aufhalten und wir könnten zurück nach Kelebia. Wir hatten ohnedies schon Angst, auf offener Strecke über Nacht bleiben zu müssen. Der Partisane kannte übrigens meinen Vater, er hatte einmal als Arbeiter bei uns in Weißkirchen gearbeitet, mein Vater hatte einen Zementwaren- und Kunststein-Erzeugungsbetrieb. (Der Partisane war aus Rothkirchen, von Weißkirchen 5 km entferntes serbisches Dorf.) Als der Zug kam, warfen wir alle unsere paar Habseligkeiten hinein, es mußte schnell gehen, und immerhin waren wir 60 Leute, der Zug hatte zwei Waggone; und so fuhren wir bis Kiskunhalas. Wir wußten zwar nicht, wie es weitergehen sollte, doch hatten wir das Gefühl, der Hölle entronnen zu sein. Das war am 4. Juli 1945.

In Kiskunhalas nahm sich eine ungarische Frau unser an, wie sie hieß, weiß ich leider nicht mehr, wir durften unser Gepäck in ihre Küche tragen und uns darauf legen, damit wir nicht am Bahnhof übernachten mußten. - Helli, meine jüngste Schwester, war nun schon seit unserer Abfahrt aus Greas als Junge verkleidet. - Wir brauchten Geld in Ungarn und verkauften oder besser gesagt, vertauschten daher Decken und Kleider gegen Lebensmittel, denn wir mußten doch leben. Wir waren alle so mager und herabgekommen, Vater krank; der Arzt, welcher uns alle untersuchte, zu dem wir gingen, sagte: gut essen, Ruhe, keine Sonne. Woher dies alles nehmen? Ich erinnere mich noch, daß wir für ein Kleid ein Backhendel bekamen; es war alles schrecklich teuer. Wir hatten einige leichte Decken - als das Lager aufgelöst wurde, bekam jede Familie pro Kopf eine Decke und einen blau karierten Bettbezug -, das wurde nun vertauscht. Für eine Decke bekamen wir l kg Fett und einen Laib Käse. Unser Gepäck wurde schnell geringer, doch leben mußten wir. Wenn wir nun auch schon ein Zimmer für uns gefunden hätten! Denn wir waren ja in der Küche bei dieser Frau noch mit einer deutschen Familie beisammen, so eng beisammen, wir lagen auf dem Fußboden geschlichtet wie Heringe; dazu verlangte die Hausfrau 100 Pengö für eine Nacht, aber wir waren doch froh, daß sie uns aufgenommen hatte. - Endlich fanden wir weit draußen am Rand von Kiskunhalas bei einer alleinstehenden Gendarmeriewitwe ein Zimmer. Dazu hatte sie einen großen Garten. Sie war froh, daß wir ihr die Gartenarbeit abnehmeTa wollten (wir schleppten täglich bis zu 50 Kannen Wasser in den Garten, um alles zu begießen), daß sie außerdem nicht allein im Haus ist, sie hatte auch Angst vor den Russen; ich habe ihr außerdem einige Kleider genäht, dafür stellte sie uns auch ihre Nähmaschine zur Verfügung, so daß ich auch für uns das Notwendigste ändern konnte, und Mutter hat gekocht für sie. So brauchten wir kein Quartiergeld bezahlen, das war viel wert. Alle konnten wir uns ein bißchen erholen, denn wir hatten 10-20 kg Untergewicht. Aber wir konnten mit der Zeit kaum mehr etwas vertauschen


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oder gar verkaufen; durch die vielen Flüchtlinge waren nun am Markt so viele Bekleidungsstücke, daß man nichts bekam. Einmal konnten wir noch ein Leintuch um 1400 Pengö verkaufen, im Geschäft gab es ja alles, wer kaufte da alte Sachen, außerdem hatten die Ungarn auch nicht viel Geld. Die Lage der Deutschen in Ungarn wurde ebenfalls immer schlimmer, es hieß, sie müssen in Arbeitslager.

Wir machten uns nun Gedanken, wie wir nach Österreich oder Bayern weiterkommen könnten. Dahin wollten wir eigentlich. Nur nicht in Ungarn in ein KZ kommen! Ich fuhr mit meinem Vater am 12. 8. 45 nach Budapest, um Papiere zur Ausreise aus Ungarn zu erhalten, leider vergeblich. Also mußten wir es so wagen. Am 21. 8. haben wir unser Gepäck nach Budapest aufgegeben - es war fast sicherer, als wenn man es bei sich hatte, wegen der Überfälle der russischen Soldaten -, und sind dann am nächsten Morgen auch weitergefahren. Wir mußten noch die ganze Nacht auf dem Bahnhof zubringen, da ja zwischen 20 Uhr und 5 Uhr Ausgangssperre war und unser Zug um Vz-2 Uhr nachts daherkam, regulär verkehrte damals noch kein Zug. Am 22. waren wir dann in Budapest.

Nun begannen harte Tage. Wie sollten wir ohne Papiere, 5 Personen und Gepäck, weiter? Erst ging ich mit meinem Vater zum Ungarischen Roten Keuz; sie sagten uns, wir kämen alle in ein Lager, Papiere könnten sie uns keine geben. Der Amerikaner wollte nur ein Dokument geben, wenn dies der Russe auch tat. So ging ich mit Hilde zusammen zum Russen, doch der gab auch nichts; er sagte uns, er wisse schon, daß wir nicht mehr nach Jugoslawien können und auch nicht nach Deutschland. Sollte man sich aufhängen? Er lachte dazu und nickte. Nun, ihm konnte es nur recht sein, wenn weniger Deutsche wurden. Auch das Außenministerium gab nichts, ein Dr. Wolf, der zuständig war, sagte wörtlich, er dürfe für Deutsche aus Jugoslawien keine Papiere geben, er mache sich strafbar, da wir Heimatrecht und Staatsbürgerschaft verloren haben. Diese nery.enaufreibende Zeit machte mich so fertig, daß ich mich mit Selbstmordgedanken trug, aber die Sorge um die Eltern und Schwestern ließen es mich doch nicht tun. Dazu wurde man überall noch bestohlen, selbst aus der Manteltasche auf der Straße. Geschlafen haben wir im Wartesaal des Ostbahnhofes auf unserem Gepäck; da überall hell beleuchtet war, wurden wir wenigstens nicht von den Russen belästigt. Nun versuchten wir es nochmals beim Ungarischen Roten Kreuz. Wir gaben an, Reichsdeutsche zu sein, die heim ins Reich wollten. Und wirklich gaben sie uns nun einen ungarischrussisch geschriebenen Schein, damit versuchten wir nun unser Glück. Wir fuhren in Richtung ödenburg und brauchten nicht mal Bahnspesen zu bezahlen.

Am 25. 8. waren wir in Sopron (ödenburg) spät abends angekommen. Wir gingen in ein Schwesternstift und durften dort auf der Erde in einem Raum schlafen. Nächsten Morgen gingen wir zum Roten Kreuz (international), da mußten wir uns zwar allerhand anhören, bekamen aber doch einen Stempel auf unseren Schein aus Budapest, sogar noch einen Laib Brot gab uns ein Jude, der Dienst dort machte. Nun standen wir vor dem Entschluß, nach Österreich zu fahren, und wußten wirklich nicht, wie es werden wird (nach der traurigen Erfahrung von Pfingsten, wo man uns auf die Straße


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setzte). Jeder riet uns ab; die Amerikaner ließen niemand hinüber, hieß es. Wir haben überlegt und uns dann doch schnell entschlossen, denn wie es im Osten aussah, wußten wir nun auch.

In einer kleinen Kiste hatten wir bißchen Mehl, Fett, Zucker dabei, wußten wir doch, daß es ohne Lebensmittelkarten in Österreich nichts gab. Nun hieß es aber, Lebensmittel dürfe man keine mitnehmen aus Ungarn; da half uns ein österr. Bahnbediensteter, er nahm das Kistchen in die Lok, dafür bekam er von uns etwas Fett und Zucker und Zigaretten. Sonst ging alles glatt, und wir waren um 10 Uhr abends am Meidlinger Bahnhof. Als wir ausstiegen und unser Gepäck heraus hatten, fuhr der Zug gleich weiter und mit ihm auch unser Kistchen in der Lok. Natürlich waren wir aufgeregt, und ich ging in der Nacht noch trotz Ausgangssperre den Bahnkörper entlang bis zum Südbahnhof. Da man mich in der Dunkelheit wohl für eine Schaffnerin hielt, kam ich unbehelligt dahin und fand auch unsere Lebensmittel. Nun mußte ich aber auf dem Südbahnhof bis zum Morgen bleiben, die Eltern sorgten sich sehr, doch klappte alles.

Wir blieben drei Tage in Wien bei einer Cousine meiner Mutter. Doch, in Wien war es trostlos, und die Menschen hatten solchen Hunger. Wir wollten unbedingt nach Bayern, aber vorerst aus der russischen Zone heraus. Leider konnte uns der Amerikaner wieder keine Papiere geben, sondern den Rat, schwarz, also illegal in die amerikanische Zone zu kommen, und dies so bald als möglich. Am 29. 8. abends sind wir von Wien wieder weggefahren und waren am 30. 8. um ½ 10 Uhr in St. Valentin. Hier mußten wir unser Gepäck bis St. Pantaleon an die Donau bringen, um über die Donau mit einer Zille überzusetzen; anders ging es damals nicht, die Eisenbahnbrücke bei Enns war ja beschädigt, und es fuhren noch keine Züge von einer Zone in die andere. Endlich fanden wir einen kleinen Handwagen, damit zogen wir unser Gepäck zur Donau. Da waren bereits Menschen, die alle hinüber wollten, und viel russisches Militär. Wir übernachteten in Pantaleon (im Heu um 5 RM pro Kopf), und am kommenden Morgen versuchten wir hinüberzukommen; das war gar nicht so einfach. Die Menschen waren rücksichtslos, jeder kannte nur sein eigenes Ich. Dazu fing es auch noch zu regnen an. Am Abend waren endlich Mutter und Schwestern mit einigen Gepäckstücken in Au, am anderen Donauufer. Vater und ich blieben mit dem restlichen Gepäck zurück, noch einige Leute. Nichts gegessen den ganzen Tag, nur Aufregungen. Und dazu kamen nun nachts wieder Russen: stehlen, belästigen. Kaum daß man sie wegbrachte. Am 1. September 45, zeitlich früh kamen Vater und ich dann auch hinüber. Viel Geld und Zigaretten kostete es, dabei waren wir immer noch in der russischen Zone; wir hofften bei Urfahr nach Linz zu kommen, doch trafen wir Flüchtlinge aus Kroatien, welche sagten, bei Mauthausen über die Fähre ginge es leichter, wenn nur die russische Kommandantur eine Bescheinigung ausstellt. Nun ging ich nach Perg mit meiner jüngeren Schwester zur Kommandantur, Hilde konnte nicht, hatte Blasen an den Füßen, Vater war auch todmüde. Wir bekamen einen Marschbefehl für die Familie, um bei Mauthausen über die Donau überzusetzen. Wir gaben an, wir müßten nach Wiener Neustadt, wären dort daheim und hätten soviel Gepäck, daß wir nicht mit der Zille


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über die Donau könnten. Es war ja damals solch ein Chaos. Freilich der Russe von der Kommandantur sagte uns, wir könnten trotz Schein nicht hinüber. Doch nun ging ich zum Posten an der Brücke nach Mauthausen, und der sah den Stempel der Kommandantur und sagte: Karascho, geht. Ich hatte den Eindruck, daß er das übrige ohnehin nicht lesen konnte, doch wußte er, wie der Sowjetstern auf dem Stempel aussah. Also ging ich zurück nach Au um das Gepäck. - Heute ist es mir fast ein Rätsel, wie ich kurz nach der schweren Krankheit all die vielen Strapazen, die vielen Aufregungen durchgehalten habe. Wieviele Kilometer bin ich zu Fuß gelaufen, oft an einem Tag, ohne Nachtruhe, kaum einen Bissen im Magen. Das viele Gepäck, welches ich schleppte, dabei wog ich 43 kg! Aber die Eltern waren so fertig, und die Schwestern halfen ja aus besten Kräften, sie waren ja genauso schlecht beisammen wie ich. Der Mensch hält in äußerster Gefahr unglaublich viel aus.

In Mauthausen übernachteten wir, und am 2. 9. haben wir unser Gepäck zur Fähre getragen, um wieder über die Donau hinüberzufahren. Der Russe ließ uns durch, und der Amerikaner beachtete nicht mal den russischen Marschbefehl. Das Lastauto der Ennser Molkerei war auch auf der Fähre und nahm uns bis zum Bahnhof mit, da wir hofften, gleich weiterzufahren. Aber es war kein Zug mehr an diesem Tag, auch sagte man uns gleich, ohne Identitätskarte in vier Sprachen können wir in der amrikanischen Zone nicht reisen. Nun waren wir zwar in Sicherheit, doch ohne ein Dach über dem Kopf für die Nacht, denn die Leute wollten uns nicht aufnehmen, wir waren immerhin 5 Personen mit Gepäck. Ganz verzweifelt saßen wir vor dem Bahnhofsgebäude, nachdem wir in der Umgebung von Haus zu Haus gegangen sind und um Aufnahme gebeten haben. Da nahm eine arme Arbeitersfrau aus Lorch bei Enns, namens Quast, die Eltern zu sich zur Übernachtung, und wir Schwestern konnten zu einem reichen Bauern in Lorch, Rittmansberger, gehen, nach langem Zureden. Natürlich mußten wir gleich das ganze Geschirr spülen, bekamen ab dann die Kammer über dem Stall mit der Kuhmagd zusammen zugewiesen, dort standen noch leere Betten. Nächsten Morgen mußten wir gleich zeitlich heraus, um in dem nassen Gras das Fallobst zu sammeln. - Ich fuhr später gleich nach Linz, um einen Ausweis zu bekommen, besser gesagt, um Ausweise für uns alle zu holen, bekam aber keine damals. Wir mußten erst polizeilich in Enns gemeldet sein. Das taten wir gleich am 3. Sept., doch so schnell konnte man uns keine Identitätskarten geben. Überhaupt mußten wir erst um eine Aufenthaltsbewilligung ansuchen, welche immer wieder verlängert werden mußte. Wir bekamen später wohl auch einen Ausweis für Ausländer, der jedoch zu keiner Ausreise benützt werden konnte.

Ohne Arbeit gab es keine Lebensmittelkarten, der Bauer verlangte die sofort, also mußten wir uns Arbeit suchen. Dabei konnten wir damals nur beim Bauern, im Haushalt, vielleicht noch in einem Handwerk, falls Mangel an Arbeitskräften war, Arbeit bekommen. Ich hatte Glück und fand in Linz in einer Schneiderei Arbeit, doch Hilde als Lehrerin und Helli als Schülerin fanden nichts und mußten vorläufig beim Bauern bleiben, dabei nützte er sie so aus. Vater fand bei der Firma Eisenbeiß als Former Arbeit,


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doch sahen wir bald, daß diese viel zu schwer für ihn war. Leider konnten wir kein Zimmer finden. Wir waren nun nach all den vorhergegangenen Aufregungen so fertig und da wir uns ein bißchen in Sicherheit wiegten, konnten wir uns nicht mehr aufraffen, um nochmals schwarz über die bayerische Grenze zu gehen. Wir hofften doch auch, Ausweise zu bekommen und regulär nach München zu kommen. Da hatten wir Bekannte, Rektor Lesch und Familie, die uns schon während des Krieges, als wir noch in Geras waren, Hilfe angetragen hatten. Da es aber mit einer regulären Ausreise nach Deutschland in den nächsten Jahren nichts wurde, blieben wir in Österreich.

Abschließend berichtet die Vfn. noch kurz über das weitere Schicksal ihrer Familienangehörigen.