Nr. 33: Untergang der „Karlsruhe” beim Flüchtlingstransport.

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Erlebnisbericht des Lehrers i. R. Otto Fritsch aus Königsberg i. Ostpr.

Original, 26. Mai 1952, 4 Seiten.

Seit meiner Pensionierung, April 1938, wohnte ich mit meiner Frau in Königsberg (Ostpr.). Meine einzige Tochter war an Lehrer Koytek in Bischofsburg (Ostpr.) verheiratet, welcher gleichzeitig Amtswalter der NSV. dortselbst war. Am 27. August 1944 wurde ich in Königsberg ausgebombt und zog nun mit meiner Frau nach Bischofsburg zu meiner Tochter. Als nun im Januar 1945 die Flucht kam, fuhren meine Frau, meine Tochter mit


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ihren 3 kleinen Kindern und ich am 22. Januar in einem von Ortelsburg kommenden Bergungszug in Richtung Königsberg ab. Am 22. Februar kamen meine Tochter mit 2 Kindern und ich in Fischhausen (Ostpr.) an. (Das jüngste Kind meiner Tochter und meine Frau waren schon gestorben.) Da niemand die Stadt verlassen durfte, war es ausgeschlossen, fortzukommen. Erst als am 7. April auch dieses Städtchen durch Bombardierung stark in Mitleidenschaft gezogen und die Angriffe von jetzt ab stärker wurden, kam am 10. April der Befehl zur sofortigen Räumung. Am 11. April brachte uns ein Zug zur Hafenstadt Pillau, wo wir in den Frachtdampfer „Karlsruhe” eingeladen wurden und in der Abendstunde, ca. 8 Uhr, abdampften.

In aller Frühe des anderen Tages kamen wir an der Landzunge Hela an, wo das Schiff festlegte. Hier wurde ein großer Geleitzug zusammengestellt, dem sich unser Schiff anschließen sollte. Kurz vor Abfahrt des Geleitzuges kam das Führerschiff des Zuges an unsern Dampfer und fragte nach der Ladung des Schiffes, der Schnelligkeit desselben und der Anzahl der auf demselben befindlichen Personen. An letzteren waren: 888 ostpreußische Flüchtlinge, 25 Eisenbahner und eine halbe Kompagnie/Regiment Hermann Göring, zusammen l 000 Personen. Da unser Dampfer nur mit 7 Seemeilen in der Stunde fahren konnte, der Geleitzug aber mit einer Geschwindigkeit von 9 Seemeilen fahren wollte, sollte er von einem andern Dampfer ins Schlepptau genommen werden, was aber wegen Fehlens eines Schleppseiles nicht geschah. Um 9 Uhr setzte sich der Geleitzug von Hela aus in Bewegung, hatte aber ziemlich starken Gegenwind. Dadurch und durch das Nichtmitkommen unseres Dampfers hatte der Geleitzug am andern Morgen, dem 13. April, nicht die vorgesehene Strecke zurückgelegt, so daß sich der Kapitän des Führerschiffes, um eine schnellere Fahrt zu ermöglichen, selbst erbot, unser Schiff ins Schleppseil zu nehmen. Durch die Anlegung des Seiles trat selbstverständlich ein Stillstand in der Bewegung der Schiffe ein, und beide waren eine ganze Strecke hinter dem Zug zurückgeblieben. Dies war eine günstige Gelegenheit für die russischen Flieger, die beiden Schiffe anzugreifen; denn an den Hauptzug selbst, der starke Abwehr hatte, wagten sie sich nicht heran.

Um 9.15 Uhr ertönte dann auch Fliegeralarm auf unserm Schiff. Eine Welle feindlicher Flieger kam an, ihre Bomben trafen aber nicht, die Geschosse der Bordwaffen schlugen ca. 30 m zu weit ein. Ein feindliches Flugzeug wurde sogar von unsern 2 Flakgeschützen getroffen, stürzte ungefähr 50 m von unserm Schiff entfernt ins Meer und versank. Gleich darauf kam eine zweite Welle feindlicher Flugzeuge. Durch diese wurde unser Schiff zum Sinken gebracht. Eine Bombe traf nämlich den Maschinenraum, was vielleicht noch nicht zum Untergang geführt hätte, aber ein Lufttorpedo traf die Seitenwand des Schiffes, so daß es in zwei Teile zerbrach und in 3—4 Minuten in den Meeresfluten versunken war. Furchtbar war das Schreien der Ertrinkenden und der durch Bordgeschosse und Torpedo Verwundeten anzuhören.

Meine Tochter mit ihren zwei Kindern und ich standen auf Deck des Schiffes. Als dasselbe unter meinen Füßen in zwei Teile brach, stürzte ich in die eisige Flut, konnte, als ich hochkam, mit einer Hand einen imWasser schwimmenden Balken erfassen und mich so vor dem Versinken retten. Nach kurzer Zeit kam ein viereckiger Blechkasten (wahrscheinlich eine Art Rettungsboot) in


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meine Nähe, an welchem ringum ein Seil angebracht war. Dieses erfaßte ich und hielt mich daran fest, bis ich vom Minensuchboot 243 gerettet wurde. Von meiner Tochter und ihren beiden Kindern wußte ich nichts. Erst nach 4—5 Stunden traf ich in einer Kajüte des Schiffes auf meinen 2 ½.jährigen Enkel, der auch gerettet war. Er hatte, wie die Matrosen erzählten, auf einem kurzen Balken rittlings gesessen, sich mit beiden Händchen festgehalten und jämmerlich geweint. Meine Tochter und der andere Enkel sind ertrunken, denn auf dem Schiff, wo ich war, befanden sie sich nicht, und in der Liste der Geretteten, die das zweite Schiff herausgegeben hat, sind sie auch nicht aufgeführt. Die Zahl der Geretteten auf meinem Schiff betrug 72, während das andere Rettungsschiff ca. 80 aufgenommen hatte, so daß von den 1000 auf der „Karlsruhe” gewesenen Personen ca. 150 gerettet und 850 ertrunken sind. — Unser Rettungsschiff brachte uns nach Dänemark, wo ich mit meinem kleinen Enkel bis zum 30. Oktober 1947 verblieb.

Es folgen noch einige abschließende Bemerkungen des Vf. über das Schicksal seines Schwiegersohnes.