Nr. 42: Flucht, Zusammentreffen mit den Russen, Fortsetzung der Flucht nach deutschem Gegenstoß.

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Bericht des Bauern Berthold Schönfeld aus Buchheim bei Lindenwald, Kreis Wirsitz i. Westpr.

Beglaubigte Abschrift, 25. Oktober 1952.

Am 21. Januar etwa l Uhr früh wurde die Räumung durch die Partei angeordnet. Entsprechend dieser Parteianordnung packten die Ortseinwohner das Notwendigste auf ihre Fuhrwerke und versammelten sich ab 5 Uhr früh in Lindenwald, dem Sitz und Mittelpunkt der Ortsgruppe. Nachdem die Anwesenheit aller deutschen Bewohner festgestellt worden war, wurde die Wagengruppe der Buchheimer Gemeinde in den großen Treck der Ortsgruppe eingereiht und über Gr. Tonin, Schönweiher, Jastremken in Richtung Vandsburg in Marsch gesetzt. Treckführer war der Kaufmann und Mühlenbesitzer Erich Kottke aus Lindenwald.


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Alle für den Volkssturm vorgesehenen Männer, damit auch ich, mußten zurückbleiben und hatten zunächst die Aufgabe, für Ordnung in den verlassenen Ortschaften und die Fütterung des zurückgebliebenen Viehs zu sorgen. Wir waren sehr überrascht, als um 10 Uhr abends dieses Tages der größte Teil unserer Treckfuhrwerke wieder nach Hause zurückkehrte. Sie hatten um die Mittagszeit Vandsburg erreicht und wollten weisungsgemäß von dort aus nach Flatow weiterfahren. Diese Absicht konnte aber nicht verwirklicht werden, da die Chaussee nach Flatow vollkommen durch andere Trecks verstopft war. Auch die Bemühungen von Wehrmachtsangehörigen, diesen Zustand zu ordnen und unseren Treck einzureihen, blieben so aussichtslos, daß der führende Offizier, ein Major, wegen der herrschenden Kälte (es waren schon 15 Kleinkinder von anderen Trecks erfroren) und der fehlenden Unterkünfte für unseren und die Treckzüge anderer Gemeinden sofortige Umkehr in die Heimat empfahl.

Dies wurde von den meisten Treckleuten für richtig gehalten und befolgt. Alle Bemühungen, mit dem Kreisleiter in Wirsitz über unsere Lage und weiteres Verhalten in telefonische Verbindung zu kommen, scheiterten, da zunächst in Nakel, später auch in Immenheim (Mrotschen) die Fernsprechzentralen unbesetzt waren. Daraufhin fuhr ich zusammen mit Treckführer Kottke nach Jastremken, Kreis Zempelburg, rief den Zempelburger Kreisleiter Bütow an und erkundigte mich nach Möglichkeiten, mit unserem Treck in westlicher oder nordwestlicher Richtung sein Kreisgebiet zu durchqueren. Er gab eine gleiche Beurteilung der Verhältnisse wie tagszuvor der Major und riet zum Abwarten. Auch bei den Gesprächen an den folgenden beiden Tagen beruhigte er uns unter Hinweis auf „eine wahrscheinlich kommende Stabilisierung der militärischen Lage durch Einsatz neuer Truppen”.

Da in der Frühe des 24. Januar plötzlich aus südlicher Richtung (nach unserer Schätzung in der Gegend von Slupowo, Moritzfelde oder Bachwitz, Kreis Bromberg) starker Gefechtslärm zu hören war, wurden sofort alle deutschen Familien zum Abmarsch aufgefordert. Dieses Mal fuhren wir ab Lindenwald über Kl. Tonin, Rogalin und Kl. Wöllwitz in Richtung Zempelburg, das nach vielen Stockungen nachts durchfahren wurde. Als erste Station war ursprünglich der Ort Ziskau, Kreis Zempelburg, vorgesehen. Da Ziskau aber keine Möglichkeit zur Unterkunft mehr bot, waren unsere zuerst abgefahrenen Familien weitergeleitet worden und teilweise in Alt-Battrow und Linde untergebracht. Wegen starken Schneefalls und erneut verstopfter Chaussee durch liegengebliebene Trecks beschlossen wir, unseren Pferden nach den ungewöhnlichen Strapazen etwas Ruhe zu gönnen.

Ganz unerwartet erfolgte dann am 28. Januar 1945 nachmittags der Vormarsch einer russischen Panzerdivision auf der Chaussee aus Richtung Zempelburg. Der Feind konnte aber nur bis wenige Kilometer hinter Pr. Friedland vordringen, da ihn dann der deutscheWiderstand aufhielt. Für uns Geflüchtete kamen nun furchtbare Stunden und Tage. Daß wir unsere Pferde und damit auch die sonst noch mitgeführte Habe und Sachen von Wert verloren, brauche ich nicht besonders zu erwähnen, das ist ja tausendfältig immer das gleiche gewesen! Jeder behielt praktisch nur das, was er selbst tragen konnte. Von den Russen wurden wir immer wieder zur Rückkehr in die Heimat aufgefordert. Ob jemand und wer dieser Aufforderung Folge leistete, wer zu Schaden kam


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oder getötet wurde, war in dem Wirrwarr und durch die Unterbringung in verschiedenen Ortschaften nicht möglich zu erfahren. Ich weiß bis heute noch nichts absolut Sicheres. Nur weiß ich, daß die alte Frau Pauline Link, die ich zusammen mit ihrer Tochter Paula auf meinem Wagen bis Linde mitgenommen hatte, die Aufregungen jener Tage nicht überstand und gestorben ist. Sie ist in Linde beerdigt worden.

Dann setzte der Gegenstoß der deutschen Truppen ein, der die Russen zurückdrängte. Dadurch wurde Linde befreit (am 7. Februar 1945). Hier waren außer meiner Mutter, meiner Schwester und mir aus Buchheim nur die Familien Koch und Martwich (Koch 9 Personen, Martwich 5 Personen) untergebracht. Die anderen Buchheimer Familien, die sich in Alt Battrow befanden, blieben unter den Russen, da dieser Ort von der deutschen Wehrmacht nicht mehr freigekämpft werden konnte1). Mit der Familie Koch und Martwich zusammen flüchteten wir dann mit dem letzten verbliebenen Handgepäck teils zu Fuß, teils mit der Bahn bis Schivelbein in Pommern.