Nr. 1: Die Umsiedlung der Volksdeutschen aus Bessarabien im Jahre 1940.

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Bericht des D. M., ehemals Mitglied des Umsiedlungskommandos Bessarabien.

Original, ohne Datum (Oktober 1956), 17 Seiten, maschinenschriftlich (mschr.).

Nach einleitenden Bemerkungen über die Vorbereitungen der Aktion und über die Moskauer Verhandlungen, die zum Abschluß der ''Vereinbarung über die Umsiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung aus den Gebieten von Bessarabien und der nördlichen Bukowina in das Deutsche Reich” führten, berichtet der Vf.:

In den ersten Septembertagen machte sich das Umsiedlungskommando für Bessarabien von Stahnsdorf bei Berlin, wo es zusammengestellt wurde, in mehreren Kolonnen auf den Weg nach Bessarabien. Die sog. Delegation bestand aus insgesamt sechs Herren. Das eigentliche Umsiedlungskommando fuhr mit der Bahn bis Wien, wurde dort auf den Dampfer eingeschifft und ging nach Galatz — die Kraftfahrzeugkolonne fuhr die Donau entlang.

Bei der Ankunft in Galatz ergab sich folgende Situation: Die rumänischen Garnisonen hatten bei Anrücken der sowjetischen Truppen Bessarabien verlassen und auf ihrem fluchtartigen Rückzug die Pruth-Brücke bei Galatz einschließlich des westlichen Zuführungsdammes zerstört. Über diese Brücke mußte jedoch planmäßig der Abtransport der Bessarabiendeutschen, soweit es sich um die Pferde- und Automobiltrecks handelte, vollzogen werden. Es bedurfte langer Verhandlungen mit der rumänischen Regierung und der Garnison in Galatz, um Damm und Brücke wieder entstehen zu lassen. Erhebliche Bestechungsgelder waren notwendig, die umittelbar in die Hände der arbeitenden Soldaten geleitet werden mußten, damit sie wirksam wurden.

Am 15. September legten die beiden Dampfer mit dem Umsiedlungskommando in Reni, wo das Kommando von sowjetischer Seite erwartet wurde, an. Die Begrüßung vollzog sich auf den Schiffen mit Frostigkeit. Major Weretennikow kam mit zwei Begleitern aufs Schiff, sein Stellvertreter Kapitän Dobkin weigerte sich, das Schiff zu betreten. Mehr als einstündige Verhandlungen waren notwendig, um die Durchführung der Gepäckkontrolle zu klären. Die Sowjets bestanden auf eine Durchsuchung des gesamten Gepäcks nach Waffen. Da sich im deutschen Kommando rund achtzig Mitglieder der verschiedenen Geheimdienste befanden, die un-


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sinnigerweise mit Kartenmaterial ausgerüstet waren, auf denen sie Einzeichnungen durchführen sollten, war der Grenzübergang von vornherein auch deutscherseits mit gewissen Sorgen belastet.

In der folgenden Nacht wurde das Kommando, soweit es Delegation und Hauptstab betraf, nach Tarutino, die übrigen Kommandogruppen, soweit Eisenbahn vorhanden war, mit dieser, im übrigen mit PKW auf ihre Standorte verteilt. Die Kraftfahrzeugkolonne wurde von Kapitän Dobkin von Galatz in nächtlicher Fahrt auf Umwegen an ihre Standorte geführt. Der Hauptstab und die Delegation (z. T. personengleich) bezog Quartier in Tarutino im deutschen Gymnasium, wo Büros eingerichtet wurden.

Die erste und einzige Vollsitzung, die zwischen der deutschen Umsiedlungsdelegation und der sowjetischen Delegation stattfand, dauerte 5½ Stunden und behandelte ausschließlich das Problem der Raumaufteilung im Gymnasium, weil die Sowjets verlangten, daß in jeden Raum, in dem ein Deutscher arbeiten sollte, ein sowjetischer Offizier der entsprechenden Fachgruppe beigegeben würde. Hoffmeyer verlangte jedoch eine säuberliche Querteilung des Gebäudes und setzte getrennte Arbeitsräume durch. Die deutschen Kommandomitglieder wurden zur Unterbringung und Verköstigung bei den deutschen Kolonisten untergebracht und herzlich aufgenommen.

Das deutsche Umsiedlungskommando bestand aus einer Delegation, ausgestattet mit Diplomaten- bzw. Ministerialpässen, und dem eigentlichen Kommando, bestehend aus einem Hauptstab, vier Bereichskommandostäben, den Ortsbevollmächtigten mit ihren Mitarbeitern, Ärzten und Sanitätern und Kraftfahrern, meist aus dem NSKK rekrutiert, unter NSKK-Standartenführer Gutsche. Bessarabien wurde zur Umsiedlung organisatorisch in vier Gebiete aufgeteilt, an deren Spitze jeweils deutscherseits ein Gebietsbevollmächtigter stand. Es waren das in Mannsburg der Deutschbalte Kraus, in Kischinew Zilz, in Albota Weißhaupt und in Beresina Professor Karasek. Die Gebiete waren wiederum in Ortsbereiche (O.B.) untergliedert, insgesamt etwa 36. An der Spitze eines Ortsbereiches stand ein Ortsbevollmächtigter, meist ein ehemaliger aktiver Mitarbeiter aus dem VDA oder BDO1, zu dieser Aufgabe notdienstverpflichtet, eventuell auch aus der Truppe abkommandiert. In größeren Ortsbereichen stand dem Ortsbevollmächtigten ein Vertreter zur Seite. Fast immer waren Taxatoren zugeteilt, die von der Deutschen Umsiedlungstreuhandgesellschaft ausgebildet und mit Taxrahmen versehen waren. Eine große Zahl der Taxatoren stammte aus Österreich und war mit den Verhältnissen in Südosteuropa, besonders auf dem landwirtschaftlichen Sektor, gut vertraut. Jeder Ortsbevollmächtigte verfügte über einen PKW mit Kraftfahrer. Diese Kraftfahrer waren in der Mehrzahl Offiziere der Wehrmacht oder gehörten dem NSKK an. Der Leiter des Umsiedlungskommandos und der Delegation [war] Standartenführer Hoffmeyer, sein Vertreter Dr. Siebert, Leiter der Ärzte Dr. Bestvater, der Transportabteilung Harro Witt. Zur Unterstützung bei den Verhandlungen fungierte Peter Kleist vom Auswärtigen Amt. Volksdeutsche Mitarbeiter traten überall als freiwillige wertvolle Mitglieder den Reichsdeutschen zur Seite.


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Sowjetischerseits bestand eine parallel gegliederte Organisation, die jedoch einfacher und primitiver aufgebaut war. Die Gegenspieler von Standartenführer Hoffmeyer waren Major Weretennikow als Leiter des sowjetischen Umsiedlungskommandos und der Vorsitzende der sowjetischen Umsiedlungsdelegation, Wasjukow. Gelegentlich tauchte ein Herr Arkadjew auf, der angeblich zur Mitteleuropaabteilung des Narkomindel1 in Moskau gehörte. Der sowjetische Gebietsbevollmächtigte von Kischinew war Oberstleutnant Moskalenkow, von Albota Herr Afanasiew. Die überwiegende Mehrzahl der sowjetischen Herren gehörten der NKWD an, einige vielleicht den Zollbehörden bzw. dem Narkomindel.

Die Volksdeutschen Bessarabiens erwarteten das Umsiedlungskommando mit durchaus gemischten Gefühlen. Einerseits waren sie sich bewußt und darin im wahrsten Sinne des Wortes fast hundertprozentig einig, daß sie in Bessarabien das Leben als deutsche Volksgruppe, wie sie es bisher geführt hatten, nicht mehr würden fortsetzen können. Sie waren zur Umsiedlung vollkommen entschlossen. Debatten unter den Volksdeutschen, ob man umsiedeln solle oder nicht, hat es an keinem Ort und zu keiner Zeit gegeben. Der Wille zur Umsiedlung war, als das Kommando eintraf, bereits vollkommen gegeben. Propaganda für die Umsiedlung konnte deutscherseits nicht getrieben werden. Sie war vertraglich verboten. Das Eintreffen eines Umsiedlungskommandos war der Volksgruppe vorher durch sowjetische Radiomeldungen bekannt geworden. Deutsche Sender konnten damals in Bessarabien so gut wie nicht gehört werden. Es wurden in Bessarabien bei der Umsiedlung den Volksdeutschen seitens des Umsiedlungskommandos keinerlei Versprechungen gemacht. Sie erhielten nur die Zusicherung, daß sie nach Möglichkeit entschädigt und innerhalb des Reichs wieder angesiedelt werden würden. Über die Höhe der Entschädigung, wie die Art ihrer Ansiedlung, die Größe der Höfe, die Verrechnung des Besitzes, konnten Angaben seitens des Umsiedlungskommandos nicht gemacht werden, weil sie ihm selbst unbekannt waren. Es ist ausgeschlossen, daß die Bessarabiendeutschen sich in direkter Form gezwungen oder auch nur gedrängt gefühlt haben, umzusiedeln. Sie entschlossen sich jedoch nur sehr schweren Herzens. Unter der rumänischen Regierung waren sie in den letzten Jahrzehnten (seit 1919) zu einem fest fundierten Wohlstand gelangt. Es war ihnen auch gelungen, mit den anderen in Bessarabien siedelnden Bevölkerungselementen (Moldowaner, Kazapen, Bulgaren, Ukrainer, Gagausen) zu einer freundschaftlichen Lebensgemeinschaft mit Arbeitsteilung (Bulgaren) zu gelangen. Die völkische Eigenständigkeit war unversehrt und auch für die Zukunft gesichert.

Die Masse der Bessarabiendeutschen waren reine Bauern, jedoch hatte sich in den größeren Gemeinden Arzis, Mannsburg, Beresina, Tarutino, Albota, Sarda auch eine kleine landwirtschaftliche Verarbeitungsindustrie entwickelt. Getreide- und Maismühlen, Ölpressen, Ziegeleien, meist in einer Größenordnung von 5 bis 30 Arbeitern und Angestellten, auch schon technisch etwas ausgerüstet, entstanden. Außerdem gab es eine kleine Textilindustrie in Tarutino, die in den Händen der Unternehmerfamilie


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Banasch lag. Durch genossenschaftlichen Zusammenschluß, Verwertungsund Verkaufsgenossenschaften, waren die Bessarabiendeutschen auch zu einer gewissen wirtschaftlichen Macht gelangt und verkauften ihre landwirtschaftlichen Veredlungsprodukte in ganz Rumänien, vor allem auch in Bukarest.

Die radikale Veränderung ihrer gesamten Lage war ihnen jedoch durch die Maßnahmen klar geworden, die die Sowjets seit ihrem Einmarsch von Mitte Juni bis zum 15. September (Einreise des Umsiedlungskommandos) durchgeführt hatten:

a) Die Steuern für das Jahr 1940, die die Bessarabiendeutschen größtenteils vorausgezahlt hatten, um in den Genuß der für Vorauszahlungen angesetzten Prämien zu gelangen, mußten noch einmal in voller Höhe abgeleistet werden. Die Zahlungen mußten, da der Lei über Nacht ungültig und wertlos erklärt worden war, in Naturalien erfolgen. Die Ablieferung war in Sammelpunkten durchzuführen, die jeweils zur Gemeinde des Steuerzahlers ungünstig gewählt wurden, so daß die Bauern noch während der Umsiedlung tagelang unterwegs waren, um ihr Getreide von einem Ort zum anderen zu karren. Die Ablieferungsmodalitäten waren ungerecht und drückend. Bereits bei leichter Verschmutzung wurden hohe zusätzliche Lieferungen auferlegt.

b) Von der Ernte 1940 mußten neben der unter a) genannten Steuer Ablieferungen nach einem auferlegten Soll erfolgen. Auch diese Ablieferungen wurden nur bei den Getreidesammelpunkten entgegengenommen. War die Ablieferung in einer Getreideart, etwa wegen zu hoher Ansetzung des Solls, unmöglich, war ersatzweise das Vielfache einer anderen anzuliefern.

c) Alle Häuser, in denen nicht unmittelbar zur Familie gehörige fremde Mieter gegen Mietzins wohnten, waren bereits ebenso wie alle Betriebe mit mehr als zehn Arbeitern und Angestellten oder drei installierten PS sowie alles Land enteignet. Insgesamt gesehen war das wirtschaftliche Fundament der Volksgruppe in den wenigen Sommerwochen bereits völlig ruiniert. Die Schulen waren geschlossen, die Krankenhäuser beschlagnahmt, der freie Verkehr auf den Straßen beeinträchtigt, ein Teil der Häuser für Truppen requiriert und darüber hinaus eine hohe Anzahl von Verhaftungen — nicht krimineller, sondern politischer Art — durchgeführt worden. Mein eigener Gastgeber, Herr Scherible, erklärte mir bereits 10 Minuten nach der Ankunft, daß er wirtschaftlich vollkommen erledigt sei. Ihm waren seine Ölmühle, seine Ziegelei, sein Land und ein Haus bereits enteignet worden. Er durfte diese Objekte nicht mehr betreten.

Durch Anschläge wurde die Bevölkerung aufgefordert, sich freiwillig zur Umsiedlung zu melden. Der Text der Anschläge war in Moskau vereinbart worden. Sie erfolgten nebeneinander in deutscher und russischer Sprache und trugen die Unterschriften (nach meiner Erinnerung) der beiden Leiter der Umsiedlungskommissionen1. Die Meldung zur Registrierung erfolgte meist in den Schulgebäuden in Räumen, die stets mit den Bildern Stalins und Hitlers, der Roten Fahne und der Hakenkreuzfahne ausgestattet waren. Jeder Erwachsene und, auf sowjetischen Wunsch, jeder Halb-


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wüchsige ab 14. Lebensjahr mußte persönlich seinen Willen zur Umsiedlung bekunden. Diese Anordnung blieb jedoch Theorie. Bereits nach wenigen Tagen verloren in der Mehrzahl der Ortsbereiche die Sowjets die Lust an diesem Verfahren, weil es für sie zu blamabel war, und überließen einem untergeordneten Mann ihres Arbeitsstabes die Entgegennahme oder blieben überhaupt der weiteren Registrierung fern. Bei den Registrierungen wurden die Personalien in Registrierlisten aufgenommen und nach Möglichkeit in diesem oder einem zweiten Arbeitsgang dem Umsiedlungswilligen eine um den Hals zu tragende Umsiedlungskennkarte übergeben. Mit Entgegennahme dieser Umsiedlungskennkarte stand der Umsiedler bereits unter dem Schutz des Deutschen Reiches. Mit dieser Kennkarte erhielt jeder Umsiedler seine Umsiedlungsnummer, die sich aus den Buchstaben Be, einer römischen Ziffer für den Ortsbereich, einer arabischen Ziffer, die seine Gemeinde und einer weiteren arabischen Ziffer, die seine Person betraf, zusammensetzte. Diese Umsiedlungsnummern standen auch auf dem Formular, auf dem sein Vermögen aufgenommen wurde, und hinter seinem Namen auf der Transportliste. Unter dieser Nummer wurde er auch bei der Deutschen Umsiedlungstreuhandgesellschaft geführt, und sie begleitete ihn oder sollte ihn bis zu seiner Ansiedlung begleiten. Die Nummern waren so gewählt, daß jeder Sachkenner aus der Nummer bereits das Dorf erkennen konnte, aus dem der Umsiedler stammte, und jede Nummer kam innerhalb aller Umsiedlungsverfahren von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer nur einmal vor. Jedes Gepäckstück wurde gleichfalls mit dieser Nummer gekennzeichnet. Hier wirkte sich die Sorgfalt besonders erfreulich aus, da von mehr als einer Million Gepäckstücken nur 36 verschwanden.

Die technische Durchführung des Abtransports machte erhebliche Schwierigkeiten. Es war notwendig, die Familie zu trennen, wogegen sich die Bessarabiendeutschen mit allen Mitteln sträubten. Da jedoch die Männer und jungen Burschen, in einigen Fällen auch junge Mädchen, mit Pferdetrecks nach Galatz ziehen sollten, die alten Männer und Frauen, Frauen mit Kindern jedoch mit der Eisenbahn bzw. mit LKW oder kombiniert nach Reni und Kilia zu den Dampferanlegestellen oder nach Galatz transportiert werden mußten, war diese Trennung unvermeidlich.

In Galatz war rumänischerseits der ehemalige Flugplatz als Auffanglager zur Verfügung gestellt worden. Dort konnten notfalls 20 000—25 000 Menschen untergebracht werden, jedoch waren die Wasserverhältnisse auf dem Flugplatz nicht einwandfrei. In Galatz mußten die Wagen auseinandergenommen werden, um zusammen mit dem Gepäck auf die Frachtdampfer der DDSG1 verladen zu werden. Die Pferde, von denen sich die Bauern nur ungern trennten, wurden z. T. in Rumänien verkauft, z. T. in großen Trecks durch Rumänien und Ungarn ins Reich getrieben. Trotz Inanspruchnahme der ganzen Flotte der DDSG war es nicht möglich, die Dampfer bis Wien durchlaufen zu lassen, weil dann die Umlaufzeiten zu lang geworden wären. Ein Teil wurde deswegen in Prahovo, ein anderer Teil in Semlin von den Passagierdampfern wieder ausgeladen und weiter auf der Eisenbahn in die Auffanglager ins Reichsgebiet abtransportiert. Die Notwendigkeit des ge-


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mischten Transportzuges — Treck, LKW-Kolonnen, Donauschiffahrt, Eisenbahn — machte in Prahovo und Semlin Zwischenlager notwendig. In diesen Zwischenlagern waren notwendigerweise große Mitarbeiterstäbe und auch reichsdeutsche Ärzte und Krankenschwestern tätig. Die damalige jugoslawische Regierung hat sowohl bei dem Aufbau der Lager Prahovo und Semlin wie auch bei der Durchführung der Umsiedlung großzügigste Hilfe geleistet. Die geringe Leistungsfähigkeit der Eisenbahn in Bessarabien, die sehr schlechten Wege führten zu einer hohen Überbeanspruchung des mitgebrachten Wagenparks, der einem schnellen Verschleiß unterlag. Die LKW-Transportkolonnen wurden zentral von Tarutino eingesetzt, eine eigene Reparaturwerkstatt führte die vielen notwendigen Reparaturen durch. Es gab Mitarbeiter, die sich auf die Tätigkeit als Treckbegleiter spezialisierten und praktisch sechs Wochen nicht aus dem Sattel kamen, da sie beritten die Pferdewagentrecks quer durch Bessarabien zu den Donauhäfen, in denen die Einschiffung erfolgte, begleiteten und führten.

Mitte Oktober zeichneten sich erhebliche Schwierigkeiten ab, weil wegen Nebel im Kasanpaß die Donauschiffahrt vorübergehend eingestellt werden mußte. Infolgedessen füllte sich das Lager in Galatz in bedenklichster Weise. Der hygienische Sachverständige plädierte für Abbruch der Umsiedlung. Der verantwortliche Kommandoführer sah sich jedoch in Anbetracht der wachsenden politischen Spannungen nicht in der Lage, diesem Rat zu folgen, und befahl trotz ausgesprochener Seuchengefahr, die Umsiedlung fortzusetzen, weil er fürchten mußte, entgegen dem Vertragstext nicht bis 15. November alle Volksdeutschen aus Bessarabien ausgesiedelt zu haben, und dann in Anbetracht der gespannten deutsch-sowjetischen Lage die Gefahr bestand, daß der zurückgebliebene Rest von den Sowjets nicht mehr herausgegeben werden würde.

Es ist während des gesamten Abtrausports zu keinem Unfall gekommen, nur erlag unterwegs ein alter Mann von 76 Jahren einem Schlaganfall.

Da das biologische Leben einer Volksgruppe auch während einer solchen Wanderung weitergeht, war auch Vorsorge für die in der Transportzeit fälligen Geburten und die Verpflegung der Säuglinge getroffen worden. Das Kommando war beispielsweise auch mit Trockenmilch ausgerüstet. Um die Verwechselung von Säuglinge zu vermeiden, war selbst für Tintenwäsche und auch alles Hygienische auf diesem Gebiet gesorgt. Da sich glücklicherweise keinerlei wesentliche Seuchen in diesem Jahr in Südosteuropa bemerkbar machten, kamen die sehr eingehend vorbereiteten Gegenmaßnahmen fast nicht zum Einsatz.

Der sechzigtägige Aufenthalt des Umsiedlungskommandos in Bessarabien wurde eingeleitet und abgeschlossen durch je zwei Festessen, die die sowjetische und deutsche Delegation sich gegenseitig gaben. Sowjetischerseits wurde bei diesen Banketts mit größter Zuvorkommenheit und allem nur möglichen Aufwand versucht, die deutschen Teilnehmer zum Trinken zu animieren und dann in verfängliche Gespräche zu verwickeln. Bei diesen Gesprächen kam in verschiedenen Fällen die aggressive Deutschfeindlichkeit einiger sowjetischer Herren zutage. Neben diesem deutlich erkennbaren Zeichen der Deutschfeindlichkeit war bei anderen Russen echte Sympathie


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zu spüren, besonders bei einem Major des NKWD mit polnischem Namen, der im Typ und Bildungsstand aus dem Rahmen des übrigen sowjetischen Offizierskorps herausfiel. Besonders aggressiv war Kapitän Dobkin und der Gebietsbevollmächtigte Afanasiew. Die Tatsache, daß Major Weretennikow mehrmals während der Verhandlungen und auch bei den festlichen Zusammenkünften Herzanfälle schwersten Ausmaßes bekam und dann auf die Hilfe des deutschen Arztes angewiesen war, half das Verhandlungsklima etwas verbessern. Reibungspunkte waren fast ausschließlich die Vermögensprobleme. Ein Streitpunkt war. inwieweit die Volksdeutschen nach Abschätzung ihres Vermögens noch mobile Vermögenswerte an die ankaufslustigen Bulgaren veräußern durften. Über diesen Punkt kam es mit Herrn Arkadiew in der Gemeinde Leipzig zu erheblichen Auseinandersetzungen. Ein weiterer, sehr ernster Streitpunkt war die Frage, in welchem Fall mit einem Pferdegespann abgewandert werden durfte. Die diesbezüglichen Vertragsbestimmungen waren nicht restlos eindeutig, und es kam in einzelnen Gemeinden darüber zu erheblichen Auseinandersetzungen. Die bessarabien-deutschen Bauern waren naturgemäß interessiert, mit Pferd und Wagen abzuwandern, weil jeder, der mit eigenem Wagen fuhr, mehr mitnehmen konnte als das karg bemessene Gepäck, das er mit LKW verladen durfte. Mit Pferdegespann durfte jedoch nur der umsiedeln, der bisher schon ein Pferdegespann im bäuerlichen Betrieb gehabt hatte. An diesem Punkt setzten die Differenzen ein. So gingen durch sowjetische Hartnäckigkeit in Arzis rund 80, in Tarutino rund 40 Gespanne verloren. Es sei vermerkt, daß jeder nur mit einem Gespann, auch dann, wenn er mehrere Gespanne besaß, abwandern konnte. Strittig war diese Frage auch dann, wenn der Bauer erwachsene Söhne besaß.

Der Höhepunkt der Streitigkeiten wurde über die Vermögensbewertungen erreicht. Die deutschen Taxatoren bewerteten, abgesehen vom Land, das in den Vermögensabrechnungen nicht einbezogen war, da die Sowjets ein Privateigentum an Land nicht anerkannten, nach ihrem festgesetzten Taxrahmen die Gehöfte, wobei sie Bauart, Ausstattung, Baujahr, Erhaltungszustand u. a. zu berücksichtigen hatten. Sowjetischerseits wurden alle Gehöfte für abbruchreife Buden erklärt, die wertlos seien. Es ist nicht in einem einzigen Fall gelungen, zu einer Einigung zu gelangen. Die Gegensätze wurden so scharf, daß ungefähr am 20. Oktober die Umsiedlung ernstlich gefährdet erschien. Da Hoffmeyer aus Berlin bzw. Bukarest keine Anweisungen erhielt, wie er sich verhalten sollte, trotzdem er die Schwierigkeiten dorthin bekanntgegeben hatte, entschloß man sich schließlich zu einer merkwürdigen Vorgangsweise. Die deutsche und die sowjetische Schätzung wurden nebeneinander auf einen Bogen eingetragen und von beiden Ortsbevollmächtigten unterzeichnet. Je ein Exemplar blieb in deutscher und sowjetischer Hand. Bereits bei flüchtiger Durchsicht konnte man erkennen, daß die sowjetischen Schätzer jeweils 10 Prozent der deutschen Schätzung als ihre eigene eingesetzt hatten. In den Tagen, in denen um dieses Problem gestritten wurde, stockten die Transporte, die Sowjets erschienen nicht zur Mitarbeit. Unter Vorwänden wurden laufend Trecks angehalten, die Pferde ausgespannt, von Militär umzingelt, und die Abfertigungen an den


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Grenzpunkten wurden so verzögert, daß Tausende von Menschen auf Abfertigung warteten. Die Zollbehörden fingen an, jedes Gepäckstück zu öffnen; mit anderen Worten, es wurden Schwierigkeiten gemacht, wo man nur konnte. Die Ankündigung des Besuches von Molotow in Berlin hat wesentlich dazu beigetragen, die sehr akut gewordene Spannung zu mindern.

Ein weiteres Problem war die Auslieferung der Inhaftierten. Die Sowjets hatten in den Gefängnissen, vor allem in Kischinew, von rumänischen Gerichten wegen krimineller Vergehen Inhaftierte, darunter auch Deutsche, übernommen, daneben seit Juni eine Reihe von Volksdeutschen teils aus echten kriminellen, teils aus politischen Gründen, teils völlig willkürlich verhaftet. Unter ihnen befand sich als besonders hervorstechender Fall Boris Hoffmann aus Alt-Klöstiz, der wohl in der russischen antisowjetischen Emigrantenbewegung eine Rolle gespielt haben mag. Nur sehr zögernd und nach immer erneutem Drängen wurden diese Häftlinge einzeln oder gruppenweise übergeben, die letzten lange nach Beendigung der Umsiedlung im Februar-März 1941. Rund dreißig der für uns klaren Fälle wurden nicht befriedigend abgeschlossen. Unter den Verhafteten befand sich ein hoher Prozentsatz von volkstumsmäßig unklaren Fällen. Menschen, die entweder sich bisher nie zur Volksgruppe bekannt hatten oder deren eines Elternteil nicht der Volksgruppe angehörte. Während die bessarabiendeutsche Volksgruppe, abgesehen von einigen Mischungen in Tarutino, Kischinew, Sarata, Akkerman und Arzis, fast keinerlei Vermischungen mit den anderen Volksgruppen eingegangen war, lagen im Buchenland, spezieil in Czernowitz, die Verhältnisse vollkommen anders.

Schwierig wurden die Dinge, als sich neben den Volksdeutschen, die zur Umsiedlung berechtigt waren, im größten Umfang Angehörige anderer Volksgruppen zur Umsiedlung meldeten und vor allem das Auswärtige Amt in Einzelanweisungen anordnete, diesen oder jenen prominenten Bulgaren oder Rumänen mit herauszunehmen. In meinem Zimmer nächtigte 14 Tage lang ein zu uns geflüchteter Bulgare, der kein Wort Deutsch verstand, aber in meinem Zimmer gesichert war und schließlich in einer verschlossenen Kiste im LKW abtransportiert werden mußte.

Im wesentlichen verhielten sich beide Kommissionen wohl korrekt. Sowjetischerseits wurden einige kleine Versuche gemacht, einzelne Volksdeutsche gegen die Umsiedlung zu beeinflussen. Sie setzten mit ihrer Propaganda in gemischten Familien an und hatten in Sarata (Nachbargemeinde des kommunistisch verseuchten andersvölkischen Tatar-Bunar) wohl bei sechs Personen, in Tarutino bei drei Personen Erfolg. In Tarutino blieb ein junges Mädchen zurück bzw. verschwand vor der Umsiedlung, das mit einem Russen liiert war, und ein rein deutsches Ehepaar, dessen kommunistische Gesinnung seit zwanzig Jahren feststand. Deutscherseits wurde insofern gegen die Vereinbarung wiederholt verstoßen, als entgegen der Abmachung die Mehrzahl der Kirchenbücher mitgenommen wurde. Auch sonst versuchte man meist mit Erfolg, Teile des Archivs des deutschen Gymnasiums, der deutschen Schulvereine usw. zu retten. Weiterhin wurden die Bestimmungen über die Mitnahme von Edelmetallen umgangen, indem den meisten


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Umsiedlern die Gelegenheit gegeben wurde, ihren mitunter recht erheblichen Besitz an zaristischen Goldmünzen, Ringen und dergleichen ohne Quittung gegen Treu und Glauben beim Ortsbevollmächtigten abzugeben, der kleine Pakete anfertigte, sie mit der Umsiedlungsnummre versah, versiegelte, nach Tarutino transportierte, von wo sie Hoffmeyer persönlich im Diplomatengepäck über die Grenze brachte. Die Sowjets haben sicherlich von diesem Verfahren gewußt, auch Bemerkungen darüber gemacht, es aber durchgehen lassen. Einzelne Verstöße deutscher Kommandoteilnehmer gegen sowjetische Zollbestimmungen führten dazu, daß sie vorzeitig das Land verlassen mußten. Die Einzahlung der Lei-Beträge in die sowjetischen Volksbanken vollzog sich reibungslos.

Die Umsiedlung wurde praktisch am 10. November abgeschlossen. Trotzdem konnte das Kommando erst am 15. November ausreisen, da bis dahin sich die Verhandlungen über die Vermögensbewertung und zukünftige Abrechnung hinzogen.