Nr. 2: Die Umsiedlung der Volksdeutschen aus der Bukowina im Jahre 1940.

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Bericht des Dr. Rudolf Wagner aus Gurahumora (Gura Homorului), Judeţ Câmpulung (Kimpolung) in der Bukowina,

Original, 29. Januar 19571.

Als im Sommer 1940 die sowjetische Regierung, gestützt auf den kurz vorher abgeschlossenen Nichtangriffspakt zwischen ihr und der Regierung des Dritten Reiches, der königlich-rumänischen Regierung ein Ultimatum stellte, in dem kategorisch die sofortige Abtretung Bessarabiens und der Nordbukowina verlangt wurde, sah sich keine der westlichen kriegführenden Regierungen in der Lage, den Hilferufen des rumänischen Königs Carol II. Folge zu leisten. Im Zuge einer angeblichen geschichtlichen Verpflichtung besetzten somit die Sowjets Bessarabien und gleichzeitig nebenbei auch die Nordbukowina. Die Rumänen dieser Gebiete waren nun keine Rumänen mehr, sondern „Moldowanen”, die an die sowjetische Moldaurepublik um Tiraspol angeschlossen wurden. Die Nordbukowina wurde der Sowjetukraine einverleibt.

Einige Tage nach dem Einmarsch der Rotarmisten erfolgten bereits die ersten Einberufungen zur Armee. Die Enteignung setzte sofort ein, Verfolgungen wegen „nationalistischer Betätigung” waren gang und gäbe. Das Spitzelwesen nahm einen immer größeren Umfang an, falsche Anschuldigungen waren die Regel. Bürger wurden auf den Straßen aufgegriffen und zum Arbeitseinsatz ins Innere der Sowjetunion abtransportiert. Wer entkommen konnte, floh in die benachbarte Südbukowina, doch wurde auch hier die Grenze alsbald hermetisch abgeriegelt. Es ist zwar nicht bekannt


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geworden, daß sich die Sowjets hier — von einzelnen Ausnahmen abgesehen — an der deutschen Bevölkerung vergriffen hätten, doch war es jedem Deutschen klar, daß dies nur deshalb nicht geschah, weil die Sowjets die Reichsregierung nicht provozieren wollten und weil mit einer Umsiedlung der deutschen Bevölkerung ohnehin bald zu rechnen war. Die Schonung der Deutschen entsprang also einem Druck von außen. Wie lange konnte dieser Druck anhalten? Würde das Umsiedlungskommando für viele nicht doch zu spät kommen? War es nicht möglich, daß sich die deutsch-sowjetischen Beziehungen noch vor der Umsiedlung nach Deutschland so verschlechterten, daß es statt dessen zu einer Umsiedlung nach Sibirien kam? Wird Deutschland vielleicht noch wegen des restlichen Rumäniens mit den Sowjets in Konflikt geraten, und würde dann dies alles nicht doch noch auf dem Rücken der deutschen Bewohner jener Gebiete ausgetragen werden? Diese Fragen bewegten jeden deutschen Buchenländer. Man war bereit, ein Land zu verlassen, das allen über Nacht fremd geworden war, das keine Heimat mehr war und keinen Schutz gewähren konnte. Und man war noch lange kein „Nazi”, wenn man nun nach Deutschland, in das Land der Deutschen strebte, wo man sich geborgen fühlen durfte. Was war dies anderes als ein Zwang zum freiwilligen Verlassen der Heimat gewesen? Niemand hätte diese Heimat verlassen, wenn nicht die geschilderten Ereignisse mit ihren zwingenden Konsequenzen eingetreten wären. Die Nordbuchenländer können sich mit Recht zu den ersten Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges zählen.

Es können keine Zweifel darüber bestehen, daß es ein anderer Zwang war, der auch die Deutschen der Südbukowina veranlaßte, ihre Heimat aufzugeben. Psychologisch gesehen, waren es die Flüchtlingstrecks aus Bessarabien und der Nordbukowina, die zurückflutenden rumänischen Truppenverbände, die eine Art Untergangsstimmung auslösten. Dieser Stimmung unterlagen nicht nur die Deutschen, sondern auch die Rumänen. Dabei war für die Rumänen Czernowitz niemals in dem Maße geistiger und kultureller Mittelpunkt gewesen wie für die Deutschen. In die Südbukowina kamen die rumänischen Zeitungen aus Bukarest; der liberale „Glasul Bucovinei” war ein kleines, kaum gelesenes Provinzblättchen. Die deutsche Presse in der Südbukowina bestand hingegen aus fast ausschließlich in Czernowitz erscheinenden Blättern, gleichgültig ob es die „Czernowitzer deutsche Tagespost” war, die katholische „Volkswacht” oder auch die von jüdischen Verlagen herausgegebene Tagespresse („Czernowitzer Morgenblatt”, „Czernowitzer Allgemeine Zeitung”, „Extrapost”), der sozialdemokratische „Vorwärts” usw. Der deutsche Volksrat für die Buchenlanddeutschen hatte seinen Sitz in Czernowitz, dort war der Sitz der deutschen Raiffeisenkasse, des deutschen Gymnasiums, des Schülerheims, der deutschen studentischen Korporationen, der Sportverbände, Gesangvereine usw. Das ganze Leben des Deutschtums in der Südbukowina war nach Czernowitz hin orientiert. Bukarest war eine ferne Stadt, die die meisten nur vom Hörensagen und aus der rumänischen Presse kannten. Für die Nationalitäten war Czernowitz nach wie vor Mittelpunkt ihres völkischen Lebens. Für die Südbuchenländer ging mit Czernowitz eine ganze Welt


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verloren. Das neue Zentrum Gurahumora, dessen vorwiegend deutsche Bevölkerung geistig außerordentlich rege und interessiert war, konnte keinen auch nur annähernd gleichwertigen Ersatz bieten. Auch Radautz mit seinem Deutschtum hätte dies nicht vermocht, selbst dann nicht, wenn die neue sowjetische Grenze nicht dicht an der Peripherie der Stadt verlaufen wäre.

Viele Familien wurden nun auseinandergerissen. Der eine Teil der deutschen Bevölkerung siedelte aus dem Norden nach Deutschland um. Der andere Teil sollte im Süden verbleiben. So hatten seit den Ereignissen des Sommers 1940 die buchenländischen Deutschen aufgehört, eine organische Einheit zu bilden. Der Würgegriff des Schicksals hat in der Folge alle gezwungen, den Weg der deutschen Nordbuchenländer zu gehen, wenn sie weiterhin Angehörige des deutschen Volkes bleiben wollten.

Am 5. September 1940 wurde in Moskau der sogenannte „Umsiedlungsvertrag” abgeschlossen. Am 9. September 1940 ist das deutsche Umsiedlungskommando über Krakau—Radymno—Deutsch- und Sowjetisch-Przemysl— Stanislau in Czernowitz eingetroffen und hat dort für das Nordbuchenland am 15. September seine Arbeit aufgenommen^. Bereits am 27. September ist der erste Eisenbahntransport mit 1000 Umsiedlern in Deutschland eingetroffen. Der letzte Transport passierte am 17. November termingerecht die Grenze. Aus der Südbukowina sind die Transporte über Siebenbürgen, Ungarn nach Österreich geleitet worden. Die Umsiedlung aus der Südbukowina begann erst, als die Umsiedlung aus dem Norden des Landes fast abgeschlossen war. Sie stand auch keineswegs so unter Zeitdruck wie bei den Sowjets.

Die deutschen Umsiedlungskommandos unterstanden der „Volksdeutschen Mittelstelle” in Berlin. Hauptbevollmächtigter für Bessarabien und die Nordbukowina war von deutscher Seite [SS-Standartenführer] Horst Hoffmeyer, von sowjetischer Hauptregierungsvertreter Weretennikow. Beide hatten ihren Sitz in Tarutino und waren nur ein- bis zweimal in Czernowitz. Vertreter Hoffmeyers in Czernowitz war Gebietsbevollmächtigter [Sturmbannführer] Müller, ein Oldenburger, der allerdings über kein besonderes diplomatisches Geschick verfügte. In der Südbukowina wurde das Kommando von [Oberführer] Siekmeier geleitet, der sich mit seinem Stabe in Gurahumora niedergelassen hatte. Durch die Teilung der Bukowina mußte für das Südbuchenland ein eigener Volkgruppenführer gewählt werden. Die Wahl fiel auf Dipl.-Ing. Johann Krotky aus Gurahumora, dem insbesondere seine beiden Schwiegersöhne helfend zur Seite standen, da er keinen eingespielten Apparat übernehmen konnte. Gurahumora wurde damit nicht nur Hauptsitz der Umsiedlungskommission für das Südbuchenland, sondern für kurze Zeit auch die neue Hauptstadt des südbuchenländischen Deutschtums.

Während sich in der Südbukowina die deutschen Vertreter frei bewegen, konnten, war dies in der Nordbukowina nicht der Fall. Kein Angehöriger des Umsiedlungskommandos konnte dort ohne sowjetischen Begleiter die zugewiesenen Gebäude verlassen. Angeblich sollte dies eine Schutzmaßnahme darstellen. Aber selbst Juden, die wegen des im damaligen Deutsch-


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land herrschenden Antisemitismus auf Reichsvertreter in der Regel nicht gut zu sprechen waren, waren keineswegs der neuen sowjetischen Ordnung zugetan. Sie hätten sich, wenn dies möglich gewesen wäre, vielmehr selbst der Umsiedlung angeschlossen. Die deutschen Vertreter hatten jedenfalls von dieser Seite nichts zu befürchten. Es blieb also nur die Vermutung bestehen, daß die Sowjets eine Spionagetätigkeit befürchteten, von der allerdings nur im abwehrmäßigen Sinne die Rede hätte sein können. Denn schließlich konnte man nicht wissen, wieviel Agenten mit umgesiedelt wurden.

Das gesamte Umsiedlungskommando für Bessarabien und die Nordbukowina umfaßte 599 Mann. Dazu durften die Hauptbevollmächtigten noch bis zu 20 Personen aus den Reihen der Umsiedler zusätzlich beschäftigen, der Gebietsbevollmächtigte bis zu 8 Personen und die Ortsbevollmächtigten bis zu 4 Personen. In der Hauptsache wurden aus diesem Personenkreis Dolmetscher benötigt und Helfer für die amtlichen Schätzungen des zurückgelassenen Vermögens. Mit Hilfe dieses zusätzlichen Personals konnten alle Angelegenheiten schneller abgewickelt werden, und auf die Schnelligkeit kam es jetzt an, denn die Sowjets waren unberechenbar. Wie kritisch die Lage gewesen ist, zeigt die Tatsache, daß am Tage des Einmarsches deutscher Lehrtruppen in Rumänien die Umsiedlungstransporte plötzlich eingestellt wurden mit der Begründung, daß kein Benzin vorhanden sei. Die noch nicht umgesiedelten Deutschen wurden nervös und kamen jeden Tag zur „Pension City” in die Universitätsgasse, um nachzusehen, ob das Kommando noch da sei. Sie wollten unter keinen Umständen zurückbleiben. Als nach einigen Tagen die Trausporte — im Zusammenhang mit der Ankündigung der Reise Molotows nach Berlin — wieder anliefen, war der Andrang besonders groß. Keiner wollte der letzte sein. Alle waren bereit, Haus und Hof zu opfern, nach Deutschland in Lager zu gehen, wenn sie nur die Freiheit behalten durften. Die Bukowina ist für die Nordbuchenländer erst dann wieder Heimat, die „alte” Heimat geworden, als alle draußen waren und aus der Ferne die schrecklichen Tage vergessen hatten und die schönen Erinnerungen wieder wachgerufen werden konnten.

Es war durch die Reiseroute bedingt (von Czernowitz über Galizien und von Gurahumora über Siebenbürgen-Ungarn), daß die Nordbuchenländer in der Hauptsache in Lager nach dem deutschen Osten kamen und die Südbuchenländer nach Österreich. Als man daranging, die Umsiedler wirtschaftlich in die Gebiete Oberschlesien, Warthegau und die Untersteiermark einzugliedern, waren es vor allem die Südbuchenländer, die die Untersteiermark — schon wegen ihrer landwirtschaftlichen Ähnlichkeit mit der Bukowina — vorzogen. Außerdem spielte die Erinnerung an die ehemalige Zugehörigkeit zur alten k. u. k.-Monarchie eine wesentliche Rolle. Verwandtschaftliche Bande bewirkten allerdings nicht selten, daß sich in der Steiermark untergebrachte Leute nach Oberschlesien oder in den Warthegau „versetzen” ließen oder aber umgekehrt. Auf dieser Weise zeichneten sich bereits während des Krieges zwei Richtungen ab. Die einen — in der Hauptsache Südbuchenländer — waren bereit, im österreichischen deutschen


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Volkstamm aufzugehen, währen die anderen — hauptsächlich die pfälzischen Buchenländer — Ostdeutschland als ihre zweite Heimat ausersehen hatten. Von einer Eingliederung der spezifischen kulturellen Eigenart der Buchenländer, von der Verpflanzung ihrer großen Erfahrung im Umgang mit fremden Völkern konnte keine Rede sein, obwohl ein entsprechender Einsatz im Rahmen der damals aktuellen ostpolitischen Probleme wertvolle Ergebnissen hätte zeitigen können.

Die Buchenländer sollten als Einzelpersonen und -familien auf die Städte und Dörfer aufgeteilt werden. Anlaß dazu bot nicht zuletzt die zum Teil schlechte Behandlung dieser gläubigen Menschen durch verständnislose Lagerführer, was oft zu Spannungen in den Lagern führte. Wenn dann mancher der Umsiedler bereit war, einen polnischen Hof in Verwaltung zu übernehmen, so war meistens die Verzweiflung über das Lagerleben und das darin Erlebte die Triebfeder. Schließlich konnte er sich einer solchen Sache nicht entziehen, ohne mit seinem Leben zu spielen, denn die Arbeit in der Landwirtschaft galt als mitentscheidend für die Kriegsführung. Ein großer Teil der Bauern und Handwerker kam allerdings sofort zur Wehrmacht, ein anderer Teil als Facharbeiter in die „Hermann-Göring-Werke” nach Salzgitter-Lebenstedt, nach Bitterfeld und nach Rodach bei Coburg. Dieser Teil befindet sich auch heute noch an diesen Orten. Sie haben ihre Wohnungen behalten können, doch haben sie nach dem Zusammenbruch infolge der Demontagen sehr unter Erwerbslosigkeit gelitten. Heute geht es ihnen größtenteils wieder gut. Ein ganz großer Teil der Buchenlanddeutschen befand sich aber beim russischen Vormarsch in verschiedenen Lagern Ostdeutschlands und mußte von dort aus die Flucht antreten. Ein Teil erreichte Westdeutschland, ein anderer verblieb in der Sowjetzone. Etwa 4000 Menschen sind von den Tschechen aus dem Sudetengau bzw. den Deutschen mit Hilfe der Sowjets aus Mitteldeutschland in die Südbukowina zurückgebracht worden. Die halbe Bewohnerschaft des Dorfes Molodia1 in der Bukowina ist auf diese Weise in die Nähe von Taschkent gekommen. Bei der Vertreibung aus den Lagern oder aus ihren neuaufgebauten Existenzen wurden sie von einem Feind gejagt, den sie schon aus der Zeit der Umsiedlung kannten und um dessentwillen sie im Jahre 1940 umgesiedelt worden waren. Der gleiche Grund wie damals zwang sie, alles stehen zu lassen und nach dem Westen zu fliehen.


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