Nr. 5: Die Auswirkungen der Umsiedlungsaktion in Bessarabien; das Schicksal bessarabien-deutscher Umsiedler während des Krieges und nach dem Zusammenbrach.

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Erlebnisbericht des Schulrektors Karl Kuaner aus M a r i e w k a (Mariancade-Jos), Plasa Căusani, Judeţ Tighina (Bendery) in Bessarabien.

Original, 28. Dezember 1956, 4 Seiten, mschr.

Unter den vielen politischen Fehlgriffen des Dritten Reiches findet sich die Umsiedlung der Deutschen aus dem Baltenlande, des Bug- und Narewgebiets, der Wolhyniendeutschen, der Bessarabien-, Dobrudscha- und Buchenlanddeutschen als ein Vorgehen, für dessen Durchführung wir heute noch dem lieben Gott von Herzen dankbar sind. Denn was hernach über alle Deutschen in Rußland herging, die Deportation hinter den Ural, das hätte auch uns Umgesiedelten unausweichlich betroffen.

Im Mai 1940 wurde die Umsiedlung aller Deutschen aus Bessarabien, der Dobrudscha und dem Buchenlande zwischen Berlin und Moskau vereinbart1. Im Juni desselben Jahres rückten schon die Russen in Bessarabien ein. Welcher deutsche Bauer noch zu zähe an seiner Heimat und Scholle hing, wurde durch das bestialische Vorgehen der Kommunisten gegenüber anständigen Mitbewohnern anderer Nationalitäten des Landes zur Auswanderung mürbe gemacht. Auch wer anfänglich noch meinte, die Aufgabe der Heimat und der Väter Scholle sei doch rein unmöglich, rief zuletzt notgedrungen: Hinaus aus Sodom, und wenn wir auch nur noch das nackte Leben retten können! Die kommunistische Ideologie war mit unserer deutschen Lebensanschauung einfach unvereinbar. Die Russen verschonten uns Deutsche von den meisten ihrer Schikanen. Die fremdstämmigen Mitbewohner beneideten uns als Schoßkinder der Russen. Jedoch bald erfuhren es alle: Laßt doch die Deutschen in Ruhe, denn in einigen Monaten verlassen sie Bessarabien, und all ihr Hab und Gut verbleibt uns.

Wir Deutschen in Bessarabien lebten damals in den Monaten Juni und Juli zwischen Hangen und Bangen. Erst im August erfuhr man vom deutschen Volksrat in Tarutino, daß unsere Umsiedlung ins Reich vereinbart


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wurde und bald damit auch begonnen würde. Ende August rückten in unseren Dörfern die Vertreter des deutschen Umsiedlungskommandos ein, und überall ertönte der Befreiungsseufzer: Gott sei Dank, unsere Erlösung naht! Nachdem die Leiter der beiderseitigen Umsiedlungskommissionen nach der in Moskau getroffenen Vereinbarung über die Durchführung der Aktion den Vorgang festlegten, schritt man auch sofort zu deren Ausführung.

Es zeigte sich aber bald ein Aus- und Abweichen der Russen vom Grundvertrage, so daß es in Kischinew, der obersten Leitung-, zu beständigen Reibereien und Mißverständnissen über den Sinn und die Auslegung der Moskauer Vereinbarungen kam. Die Deutschen sahen sich gezwungen, um die ganze Aktion nicht zu gefährden, überall nach Möglichkeit nachzugeben. Man merkte es schon ganz deutlich, die Russen möchten die ganze Angelegenheit vereiteln. Sie stellten den äußersten Termin zum Abschluß der Umsiedlung als 1. November 1940. Es kam zuletzt so weit, daß in vielen deutschen Gemeinden die Bestandsaufnahme des Vermögens unterlassen werden mußte, um termingerecht zu bleiben. So z. B. wurde in der Gemeinde Jakobstal (Kreis Tighina)2 von den Russen keine Vermögensaufnahme mehr geduldet. Dasselbe geschah auch mit einzelnen Gütern und industriellen Unternehmungen Deutscher in fremden Ortschaften. Die Russen strichen kurz aas der Daseinsliste. Zum Lobe der deutschen Umsiedlungskommission muß gesagt werden, daß sie Tag und Nacht unermüdlich schuftete, um alle Deutschen restlos zu retten. Und es gelang ihr auch: Ende Oktober wurde jeder, der nicht freiwillig zurückbleiben wollte — kaum l : 1000 —, ausgesiedelt3. Die Kranken und Gebrechlichen wurden in Krankenwagen abgefahren. Die Frauen und Kinder wurden per Bahn bis Galatz und von dort per Schiff donauaufwärts in ihre schon zuvor bestimmten Auffangslager in der Steiermark, Ober- und Niederösterreich, Böhmen und Mähren gebracht. Die Männer durften mit einem Gespann als Treck von ihren teuersten Sachen mitnehmen, soviel ein Paar Pferde verkraftete.

Wie sehr wir Deutschen von der uns umgebenden fremdstämmigen Bevölkerung geschätzt wurden, zeigte [sich] beim Verlassen meiner Gemeinde Mariewka: Als wir am Morgen des 18. Oktober in zwanzig großen Omnibussen das Dorf verließen, läuteten die Fremden zum Abschiedsgeleite unsere Heimatglocken. Vom unteren Ende des Dorfes bis zur Bahnstation Zaim (3 km Entf.) standen die Menschen zu beiden Seiten des ganzen Weges dichtgedrängt und weinten zum Abschied mit ununterbrochenem Tücherwinken und den herzlichsten Segenswünschen im Mutterlande.

Den Kriegsverhältnissen angepaßt war die Betreuung in den oben angeführten Auffanglagern gut. Doch die Länge des Müßiggehens brachte dem nimmerruhigen bessarabiendeutschen Bauern viel Verdruß und seelische Belastung. Fast zwei Jahre mußte er dulden, bis er auf sein Element, die


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Ackerscholle, kam. Im Wartheland und Danzig-Westpreußen wurden die Bessarabiendeutschen auf verlotterten polnischen Bauernhöfen angesiedelt. Im Verhältnis zu seinem Können und dem zurückgelassenen Vermögen wurde dem Umgesiedelten sein Wirkungsort zugewiesen. Und hier hätte das Deutsche Reich keinen Mißgriff gemacht: Mit frischem Eifer und voller Energie packte der bessarabische Bauer hier an. In der kurzen Zeit von drei Jahren gab er schon dem Lande ein anderes Gesicht, die Agrarproduktion stieg zusehends. Trotz Fehlens aller nur möglichen Materialien wurden die Gebäude instandgesetzt. Es war ein froher Beginn. Zwar griffen die zurückgebliebenen Polen als Arbeiter ungern an, aber überall ging der deutsche Bauer mit gutem Beispiel voran, griff feste zu und riß mit Geduld und humaner Behandlung auch den Arbeiter mit sich. Ich selbst1 habe es an meinen eigenen polnischen Arbeitern bei der Flucht erleben dürfen: Wie dort in Bessarabien uns unsre fremde Umgebung mit Abschiedstränen begleitete, so auch meine Arbeiter: „Panje, bleiben sie hier, wir setzen uns für sie bei den Russen ein!”

Der Jahreswechsel des Jahres 1944—1945 brachte uns das Verhängnis: Der Russe rückte immer näher, und nachts am 18. Januar 1945 mußten wir blitzartig alles verlassen. Es wurden dorfweise Trecks gebildet, die tage-, ja wochenlang von sich zurückziehenden deutschen Militäreinheiten auf Nebenbahnen abgeschoben wurden. Anstatt daß der Krieger dem Flüchtling, mußte der Flüchtling dem Krieger zur Rettung seines Lebens verhelfen. Bei der enormen Kälte, dem Nahrungsmangel, dem wochenlangen Stehen auf offenem Felde starben Menschen und Tiere. Schon nach zwei Wochen Flucht sah man zu beiden Seiten des viele Hundert Kilometer langen Fluchtweges zahllose Kadaver von verendeten Pferden und dann und wann wieder einen frischen Grabhügel mit einem schlichten Holzkreuz darauf. Zerbrochene Wagen und teures Familiengut lagen neben dem Fluchtwege. Niemand beachtete sie, niemand hätte sie gewünscht. Viele Tausend Flüchtlinge überrannte der Russe. Besonders die Gemeinde Friedenstal2, angesiedelt im äußersten Osten, in den Kreisen Kutno und Lentschütz, wurde vom Russen geschnappt und nach Sibirien verfrachtet. Nur wenige von ihnen erreichten den Westen.

Auch die davongekommenen Trecks wurden auf dem Fluchtwege von rachelüsternen Polen, russischen Panzern und Tieffliegern ununterbrochen angegriffen. Am 16. 2. 45 wurde auch unser Treck von 156 Wagen in Hochstüblau (Krs. Preußisch-Stargard) von einem russischen Tiefflieger angegriffen, das Ergebnis: 28 tote Menschen und 32 tote Pferde. Zuletzt erfrechten sich die Polen und nahmen die Flüchtigen mit ihrem Wagen und Gut, machten sie zu billigen Arbeitern und drangsalierten viele zu Tode.

Der Westen wurde mit Flüchtlingen aus allen östlichen Gauen überladen. Ganz Niedersachsen, Schleswig-Holstein, ja bis Dänemark wurden unsere Landsleute geschoben. Nirgends fand man Obdach oder Unterkunft, immer


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wurde man weitergeschickt. Ein Glück hatte der Bessarabiendeutsche vielen Volksgenossen voraus: Mit seiner Arbeitsfreudigkeit fand er bald Anschluß an eine Bauernwirtschaft und mußte in den Jahren 1945, 46 und 47 nicht so hungern.

In einigen Schlußsätzen geht der Vf. auf das Schicksal der Bessarabien-Deutschen nach dem Kriege und die Organisation ihrer Landsmannschaft ein.