Nr. 10: Die Aushebung von Volksdeutschen „Freiwilligen” in Hermannstadt auf Grund des deutsch-rumänischen SS-Abkommens von 1943; die Behandlung der Volksdeutschen in der Waffen-SS und die Versorgung ihrer Angehörigen.

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Erlebnisbericht des N. A. aus Hermannstadt (Sibiu) aus Süd-Siebenbürgen.

Original, 2. Februar 1957, 22 Seiten, hschr. Teilabdruck.

Als im Sommer 1943 bekannt wurde, daß alle Soldaten der rumänischen Wehrmacht deutscher Volkszugehörigkeit laut einem Abkommen des rumänischen und deutschen Generalstabes aus der rumänischen Armee ausscheiden und in die Deutsche Wehrmacht eintreten können, war große Begeisterung unter unseren, hauptsächlich jüngeren Volksgenossen.

Die Musterungen begannen nicht schnell genug, und ebenso ging es nicht schnell genug vorwärts. Alle wollten schon mit dem ersten Transport fahren. Nebenbei sei bemerkt: Viele meldeten sich freiwillig, doch nicht alle. Denen, die sich nicht freiwillig meldeten und wehrpflichtig waren, wurde von Seiten der Volksgruppe mit Ausstoß aus der Volksgruppe [gedroht], und [damit] war ja alles mögliche verbunden, wie: Die Kinder konnten keine deutsche Schule oder Kindergarten besuchen. Diese Familien waren, wenn der Mann sich nicht zur Deutschen Wehrmacht meldete, wie gesagt, aus der Deutschen Volksgruppe ausgestoßen und verfemt.

Der erste Transport wurde dann zusammengestellt. Am Turnschulplatz in Hermannstadt versammelten sich die Männer, um von Führern der Volksgruppe, deutschen und rumänischen Offizieren verabschiedet zu werden. Aus der Rede eines der Führer unserer Volksgruppe blieben mir in Erinnerung. — Ich hatte damals schon das Empfinden, wie wenn dieser Mann nicht wußte, was er gesagt hatte; wieso ich zu dieser Vermutung kam, davon wird später noch die Rede sein. — Er sagte unter anderem: „Ihr seid nun deutsche Soldaten, eure Familie wird von heute ab, genau so wie jedes reichsdeutschen Wehrmachtsanghörigen Familie, eine Unterstützung erhalten. Eure Frau und Kinder werden sorgenlos leben können, und ihr könnt mit ruhigem Gewissen einrücken.”

Ich selber fuhr mit dem dritten Transport am 29. Juli 1943 nach Wien. Wie üblich versammelten wir uns am Turnschulplatz; die üblichen Reden wurden geschwungen, und ab ging es mit klingendem Spiel durch die Hauptstraßen der Stadt zu dem außerhalb der Stadt bereitgestellten Zug. Von der deutschen Bevölkerung wurden wir sehr herzlich verabschiedet und mit vielen Blumen bedacht. Die Jugendlichen waren begeistert und froh, auch in den Reihen der siegreichen Deutschen Wehrmacht mitkämpfen und siegen zu dürfen. In einem halben, spätestens in einem Jahr wollten alle als Sieger zurückkehren. Doch es sollte anders kommen.

Nach drei Tagen kamen wir in Wien an, hier wurden wir von deutschen Offizieren empfangen. Begrüßt wurden wir vom Obergruppenführer B. Nach der allgemeinen Begrüßung sprach der Obergruppenführer zu uns älteren Jahrgängen. Unter anderem sagte er: „Ihr seid vernünftige Leute,


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die meisten, wie ich sehe, haben Auszeichnungen aus dem 1. Weltkrieg. Euch brauchen wir ganz besonders dringend. Ihr werdet größtenteils als Wachmannschaft in den KZ eingesetzt. Ich bin sicher, Ihr werdet unter diesen Hunden richtig aufräumen. Lieber zehn dieser Verbrecher zuviel erschießen als einen zu wenig.” Das war mein erster unangenehmer Eindruck, es sollten noch viele und schlechtere folgen. Nach dieser Begrüßung marschierten wir ins Arsenal, wo wir ca. vier Tage blieben. Hier wurden die Transporte für die verschiedenen Truppenteile zusammengestellt und abgeschickt.

Mit noch ca. 750 Mann kam ich nach Werschetz (Jugoslawien) zu dem A. und E. Ersatzbataillon 7 „Prinz Eugen”. Wir wurden da zu den verschiedenen Kompanien eingeteilt. Wir älteren Jahrgänge wurden zusammengefaßt, angeblich für die Feldgendarmerie. Als Quartier wurde uns die Volksschule angewiesen, leere Zimmer; diese reichten aber nicht aus, und so mußten einige im Hof, auf Holzwolle, übernachten. Andere, darunter auch ich, fanden einen leeren Ziegenstall, den wir uns komfortabel einrichteten: als Unterlage Holzwolle, der eigene Rucksack diente als Kopfpolster; zum Zudecken brauchten wir nichts, wir hatten ja unsere Kleider an, Tag und Nacht. Es vergingen so mit Nichtstun ein paar Wochen. In dieser Zeit kümmerte sich kaum jemand um uns, außer dem Unterführer, der uns zum Frühstück und Mittagessen in die ca. 400 Meter weit entfernte Kaserne führte; es war dies eine frühere serbische Kavalleriekaserne, und hieß seit der Besetzung Serbiens „Hermann-Göring-Kaserne”.

Doch zurück zur Volksschule. Jeden Morgen war um 6 Uhr Wecken. Naturgemäß mußte man zuerst einmal aufs Klo. Für diese Schule waren ca. 5 Klos vorgesehen, natürlich keine mit Wasserspülung, sondern einfache Senkgruben. Nun, vor diesen Senkgrubenklosetts standen wir Schlange, so wie in der allerschlimmsten Zeit vor dem Tabakladen. War man da fertig, ging's im Laufschritt zum Brunnen, der, nachdem sich ca. 200 Mann gewaschen hatten, leer war, ganz leer, trotzdem das Wasser, mit dem sich diese 200 Mann wuschen, teilweise wieder in den Brunnen zurückrann, da sich alle Männer um den Brunnen herum waschen mußten. Gefäße jeglicher Art hatten wir ja keine. So hatten wir begreiflicher Weise also kein Trinkwasser, und die Serben machten gute Geschäfte mit ihrem Wein. Um 6.30 Uhr mußten wir antreten zum Kaffeeholen. Nach dem Frühstück, das aus hellbrauner undefinierbarer Brühe und einem Kanten Brot bestand und das wir stehend einnahmen, ging es wieder ab in die Volksschule; hier frühstückten wir erst richtig von unseren von zu Hause mitgebrachten Eßwaren. Um eine Zeit, genau kam es nicht so drauf an, hieß es: Antreten zum Ausmarsch nach dem Übungsgelände. Da wurde hauptsächlich das deutsche Kommando gelehrt; allerdings wußten viele von uns mehr als unsere sogenannten Ausbilder, denn diese waren, mit ein paar Ausnahmen, alles Schwaben aus dem jugoslawischen Banat. Um 11 Uhr ging es wieder heim, und damit war das militärische Pensum für den Tag vollendet. Um 11.30 Uhr hieß es: Antreten zum Mittagessenfassen. Geschlossen marschierten wir in die „Hermann-Göring-Kaserne”, um dort das Mittagessen einzunehmen.

Der Vf. geht im folgenden ausführlich auf die mangelhaften hygienischen Verhältnisse an der überbeanspruchten Verpflegungsausgabestelle ein.


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Dieses halbe Zivilleben ging ca. drei Wochen so, denn Uniform hatten wir noch keine; es war einfach nichts da. Unsere eigenen Kleider fingen an zu zerreißen, hauptsächlich die Schuhe. Wir weigerten uns daher, weiter auszurücken, blieben somit zuhause. Nach ein paar Tagen ging es in die Kleiderkammer, und wir faßten vorerst einmal eine Bluse, eine Hose, ein Paar Socken und ein Paar um 4—5 Nummern zu große Schuhe und eine Mütze. Als wir dies nun trugen, durften wir auch nicht mehr ausgehen; denn ohne Koppel und Achselstücke darf ja ein SS-Mann nicht herumstreunen. Zur Ausbildung ins Gelände ging es noch, aber nur drei Tage; dann waren alle Kameraden der zu großen Schuhe wegen fußkrank. Wir blieben also wieder zuhause. Die Kameraden, die ihre Zivilkleider noch nicht in Wein umgesetzt hatten, hatten es in einer Hinsicht noch gut. Sie konnten in die Stadt gehen, fort von der total verschlampten militärischen Organisation. Hauptschuldig an dieser Misere war unser Kommandant v. St. Ihm war es wichtiger, Siebenbürger Kameraden dienstlich nach Bukarest zu schicken, um für ihn Ledermäntel und Lebensmittel einzukaufen, und zwar kistenweise. Ob die Feldpost funktionierte oder alles andere klappte, darüber zerbrach er sich nicht den Kopf. Wollte einer der wenigen Offiziere etwas Ordnung in den Haufen hineinbringen und war er ein Volksdeutscher, so wurde er gleich versetzt.

Mir wurde dies Nichtstun, dies Herumlungern zu dumm. Ich erfuhr durch Zufall, daß in der Bekleidungskammer eine Hilfe gebraucht wird. Ich meldete mich und wurde angenommen. Von da ab hatte ich vollauf zu tun; es verging die Zeit besser, und ich konnte meinen Landsleuten so manches an Kleidungsstücken, die halbwegs in Ordnung waren, zukommen lassen. Dies wurde mehr oder weniger, nicht im direkten Sinne, mein Verhängnis. Es wurde bekannt, daß ich mich für meine Landsleute einsetze. Die Folge davon war, alle kamen zu mir und klagten mir ihr Leid. Die Klagen häuften sich so sehr, daß ich gezwungen war, unseren Volksgruppenführer über alle Zustände in Werschetz zu unterrichten. Ich überlegte folgendes: Als Wehrmachtsangehöriger hätten meine Briefe durch die Zensur gehen müssen. Hätte ich das nun getan, wären die Briefe niemals an den Volksgruppenführer gelangt. Ich schickte also meine Briefe teils durch verläßliche Landsleute (Kuriere), teils auf zivilem Wege an meine Frau, die sie dann an den Kreisleiter weitergab.

Zu den Mißständen, die mich hauptsächlich veranlaßten, an den Volksgruppenführer zu schreiben, kam noch folgendes Schwerwiegendes dazu: Bei unserer Verabschiedung in Hermannstadt wurde uns, wie ich eingangs schon erwähnte, gesagt: „Ab heute seid ihr deutsche Wehrmachtsangehörige, und ab heute bekommt eure Frau dieselbe Unterstützung wie jeder reichsdeutsche Wehrmachtsangehörige.” Dies waren, wie sich nun an Hand der Briefe aus der Heimat herausstellte, alles nur leere Worte, typisch reichsdeutsche Versprechungen, die nie eingehalten wurden. Die Leute kamen alle mit diesen Briefen ihrer Frauen zu mir, baten um Rat und Hilfe. Die Frauen schrieben ihren Männern ganz verzweifelte Briefe. Einige davon möchte ich hier anführen. „Noch heine Unterstützung erhalten, drei Monate keine Miete bezahlt, Hauseigentümer hat gekündigt.” Oder: „Ich


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habe die Milch für unsere Kinder zwei Monate nicht bezahlen können, jetzt fehlt die Hauptnahrung für die Kinder, da ich keine Milch mehr geliefert bekomme.” Oder: „Der Winter ist bald da, Geld für Holz habe ich keines, die Kinder frieren, was soll ich tun, wärst Du nur nicht zu den Deutschen gegangen.”

Solche Briefe kamen unzählige. Was war zu machen, um da eine Abhilfe zu schaffen? Wieder einen energischen Brief an den Volksgruppenführer geschickt, wo dringend um Abhilfe gebeten wurde. In dieser Zeit nahmen die Desertionen Überhand; Landsleute aus dem Banat, die an der Grenze beheimatet waren, gingen auf zwei bis fünf Tage nach Hause, hauptsächlich, um ein paar Lei zu verdienen, um den Kindern etwas Essen zu beschaffen. Alle kamen nach dieser Zeit wieder zur Truppe. Bei der Truppe wurden sie dann als ganz gewöhnliche Deserteure verurteilt und eingesperrt, was ja folgerichtig die Erbitterung und den Haß noch steigerte. Inzwischen hatten viele von uns ihren Dienstgrad, den sie bei der rumänischen Wehrmacht innehatten, erhalten. Dies war für mich und noch andere leichter, insofern leichter: Wir meldeten uns beim Kommandeur zum Rapport. Wir schilderten da die Mißstände und baten um rascheste Hilfe und Regelung; es wurde uns versprochen, doch nicht gehalten.

Es ging wieder ein Brief an den Volksgruppenführer ab, diesmal von mehreren Unterführern unterschrieben, mit dem Bemerken, falls nicht baldigst eine Regelung geschaffen wird, desertieren sämtliche Deutsche aus Rumänien, die sich noch in Werschetz befinden. Ich bekam dann Nachricht, daß eine Kommission vom Führungshauptamt aus Berlin nach Werschetz kommen wird, um alles zu prüfen. Diese Kommission kam auch, aber sie begnügte sich mit der Inspizierung einer Kaserne, die halbwegs in Ordnung war. Bevor diese Kommission wieder abreiste, erholte sie sich bei einem guten Essen, und in einem Weinkeller löschte sie ausgiebig ihren Durst. Weiter geschah aber nichts. Die Reaktion: ein weiterer Brief an den Volksgruppenführer. Worauf ich einen Brief von der Volksgruppenführung erhielt, worin angefragt wurde, was wir eigentlich noch wollten: eine Kommission sei doch in Werschetz gewesen und hätte alles in Ordnung gefunden. Ein weiterer Brief, der letzte an den Volksgruppenführer, klärte ihn über diese Kommission auf.

Inzwischen stand Weihnachten vor der Tür, mit etwas Mühe bekamen wir einen kleinen Urlaub über Weihnachten. Am ersten Christtag kam ich in Hermannstadt an. Große Freude in der Familie. Am zweiten Feiertag besuchte ich den Kreisleiter Sch., um mit ihm in der Hauptsache die Unterstützungsangelegenheit zu bereinigen. Es war dies jedoch auch ergebnislos. Ich bekam zur Antwort, Reichsmark stehen genügend zur Verfügung, jedoch im Ausland. Rumänien ließe keine Devisen herein, folglich gibt es auch keine Unterstützung, wenigstens nicht im vollen Ausmaß. Unterstützt wurden meines Wissens nach nur die allerärmsten Familien, und auch die von den Geldern der Volksgruppe, und nicht von den der Deutschen Wehrmacht. Ich fuhr also ohne jedes positive Resultat nach sechs Tagen wieder nach Werschetz zurück. Zum Besseren hatte sich nicht viel geändert, lediglich waren nun anständige Kleider und Schuhe da und, was wichtig war, jeder


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hatte nun sein eigenes Kochgeschirr. Ich blieb weiterhin in der Bekleidungskammer, um später dann selber eine solche zu übernehmen.

Am 5. März 1944 ereilte mich jedoch mein Schicksal. Ich wurde zum Gerichtsoffizier gerufen und da, vorerst einmal vier Stunden, ordentlich in die Zange genommen; wie ein ganz gemeiner Mörder wurde ich verhört. Irgendwie erfuhr man beim Bataillon, daß ich der Schreiber der Briefe an den Volksgruppenführer sei und wurde daraufhin wegen Verdunkelungsgefahr sichergestellt.

Der Vf. schildert seine halbjährige Haftzeit in den Kriegswehrmachtsgefängnissen Belgrad und Pančevo und die nachträgliche Verurteilung ivegen „militärischen Ungehorsams” durch einen Gerichtsoffizier des SS- und Polizeigerichts. Er berichtet anschließend über seine weiteren Erlebnisse bei der inzwischen nach Gradisca in Norditalien verlegten Einheit und über die Gefangenschaft in italienischen und englischen Lagern bis zur Entlassung nach Deutschland im Mai 1947.