Nr. 18: Die Lage in Hermannstadt in den Tagen nach der Kapitulation Rumäniens, der Einmarsch der Roten Armee; Fortgang der Internierungsaktion; die Zustände im Internierungslager Slobozia.

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Erlebnisbericht des A. L. aus Hermannstadt (Sibiu) in Süd-Siebenbürgen.

Original, 18. März 1952, 14 Seiten, mschr. Teilabdruck.

Der Vf. erörtert eingangs die mangelhaften Vorbereitungen der zuständigen deutschen Stellen für den Fall des schon länger vorauszusehenden rumänischen Frontwechsels.

So traf der 23. August die Volksgruppe gänzlich unvorbereitet. Der Londoner Sender gab an jenem Abend anschließend an seine Zehn-Uhr-Nachrichten eine Sondermeldung durch, König Michael I. habe das sowjetische Waffenstillstandsangebot angenommen. Gleichzeitig verlautbarte der Bukarester Sender die Proklamation des Königs. Ich fuhr zu meiner Familie auf den „Alten Berg” hinaus, wo sie sich in der Sommerfrische befand, da ich mögliche Ausschreitungen rumänischer Bauern befürchtete. Unterwegs begegnete ich in der Dunkelheit rumänischen Truppen, die aus den Dörfern nach der Stadt jagten. Die Nacht blieb jedoch ruhig.

Am nächsten Morgen war ich wieder in der Stadt. Die deutschen Lehrtruppen und Nachschubeinheiten zogen sich im Stadtkern zusammen. Die Rumänen lagen in ihren Kasernen in Bereitschaft. Die Lage war undurchsichtig. Ein befreundeter deutscher Major erzählte mir, der deutsche Standortkommandant Oberst Macholz verhandle mit dem siebenbürgischen rumänischen Befehlshaber, Armeegeneral Macici. Dieser schien noch keinen Entschluß gefaßt zu haben. Wahrscheinlich wollte er die Klärung der Lage in Bukarest abwarten. Auch innerhalb des rumänischen Offizierkorps waren die politischen Auffassungen verschieden. Besonders die Kavallerie zeigte sich stimmungsmäßig bereit, mit den Deutschen zu gehen. Die psychologischen Auswirkungen des Staatsstreiches auf die Rumänen waren zum großen Teil negativ. Die Furcht vor der Sowjets war stärker als die Hoffnung auf eine Intervention der Westmächte. Außerdem rechnete man mit einem Vorstoß der im ungarischen Nordsiebenbürgen vermuteten deutschen Streitkräfte.

Auch am 25. August war die Lage noch ungeklärt. General Macici gab Oberst Macholz immer neue Fristverlängerungen für den Abzug. Die deutsche Standortkommandantur besaß keine Verbindung zu Bukarest. Um sie herum drängten sich zahlreiche Volksdeutsche, die im Falle eines Abzuges mitgenommen werden sollten. Major v. Sch., an den ich mich wandte, erklärte mir, die Wehrmacht werde wahrscheinlich nicht abziehen, da die Verhandlungen mit Macici günstig verliefen. Im gesamten Stadtgebiet blieb alles ruhig, ebenso auf dem Lande draußen.

Am Morgen des 26. August war die Standortkommandantur leer, die Wehrmacht verschwunden. Noch am Vortage hatte ich das [rumänische] 7. Schwere Artillerieregiment beobachtet, wie es sich in Richtung des Rotenturm-Passes bewegte, und daraus gefolgert, die Rumänen seien im Begriff,


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mit den Deutschen gemeinsam die Karpaten zu halten. Nachts war, wie ich dann erfuhr, die rumänische Artillerie wieder zurückgekehrt. Macici hatte, offenbar auf Grund besonderer Nachrichten aus Bukarest, den endgültigen Entschluß gefaßt, sich der neuen Regierung zur Verfügung zu stellen. Die Wehrmacht in Hermannstadt erhielt ein kurzfristiges Ultimatum und verließ daher noch in der Nacht die Stadt in Richtung Mediasch. Die Stimmung unter der deutschen Bevölkerung sank dementsprechend bis zur Verzweiflung herab. Immer wieder wurden hoffnungsvolle Gerüchte verbreitet, die von einem angeblichen Vormarsch deutscher Truppen aus Nordsiebenbürgen berichteten, aber sie erwiesen sich dann als verzweifelte Wunschträume. In Bukarest scheiterte der Handstreich, den der Luftwaffengeneral Gerstenberg unternommen hatte. Die neue Regierung gewann immer mehr an Boden. Am 28. August war die Lage im rumänischen Altreich militärisch zugunsten der Staatsstreichregierung entschieden. Am 2. September rollten die ersten russischen Panzer durch Bukarest.

In Hermannstadt empfing der Präfekt die Vertreter der Volksgruppe und forderte sie auf, beruhigend auf die deutsche Bevölkerung einzuwirken. Kurz darauf begannen jedoch die Verhaftungen. Als erster wurde Kreisleiter Schuller festgenommen, dann immer mehr Amtswalter. Die deutsche Bevölkerung mußte alle Waffen, Rundfunkgeräte, Kraftfahrzeuge abliefern. Ferner mußte sie sich individuell bei der Polizei melden, um einen Schein entgegenzunehmen, der den Inhaber als Deutschen feststellte. Alle Organisationen wurden aufgelöst, die Amtsräume beschlagnahmt. Die „Südostdeutsche Tageszeitung” stellte, nachdem sie noch einige Tage ohne politischen Inhalt herausgegeben und dann von Senator Dr. Roth als „Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt” ebenfalls einige Tage mit neuer Redaktionsbesatzung weitergeführt worden war, ihr Erscheinen endgültig ein. Trotz der von Maniu1 an Dr. Roth gegebenen Versicherung, man werde das Vergangene auf sich beruhen und Toleranz walten lassen, zeigte es sich immer deutlicher, daß die deutsche Volksgruppe im neuen Regime keinen Platz mehr haben würde. Bezeichnend war einer der ersten Aufsätze, die das Hermannstädter Organ der Nationalzaranisten (Maniu) über die deutsche Frage veröffentlichte. Darin wurde für eine eheste „humane” Entfernung der Deutschen aus Rumänien plädiert. Der Augenblick sei gekommen, ein achthundertjähriges Problem zu liquidieren.

Praktisch geschah jedoch nichts in dieser Richtung. Es kam auch zu keinen Ausschreitungen. Von einem chauvinistischen Haß war nichts zu spüren, wohl aber unfreundliche Genugtuung darüber, daß nun die „arroganten Sachsen” bald die Quittung — mau meinte die Russen — erhalten würden. Die verschwindend wenigen kommunistischen Elemente traten zunächst nicht in Erscheinung. Ein dürftiger Demonstrationsversuch war von Macici durch aufgefahrene Panzer verhindert worden. Bald aber würde sich, so befürchtete man, das Bild ändern, wenn die Russen kämen. Diese ließen unerklärlich lang auf sich warten. Viele Deutsche in der Stadt und auf dem Lande dachten an Flucht, und in den ersten Tagen gelang es auch einigen,


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auf ungarisches Gebiet zu gelangen. Dann aber wurden die Grenzen hermetisch verriegelt. Als die Russen eintrafen, war jeder Fluchtweg endgültig gesperrt.

Die ersten sowjetischen Truppen trafen am 7. oder 8. September in Hermannstadt ein. Während dieser Zeit wurde der Präfekt ausgetauscht. Der neue Präfekt, Oberst Lipovan, ein ehemaliger k. u. k.-Offizier, gehörte gesinnungsgemäß zur nationalzaranistischen Partei und verhielt sich nicht deutschfeindlich. Die Russen verhielten sich als „Verbündete”, was die Ausschreitungen auf ein gewisses Maß herabsetzte. Dennoch kam es zu sporadischen Gewaltakten, Vergewaltigungen und Plünderungen, an denen sich in den Vorstädten und Dörfern der Pöbel beteiligte. Immer mehr deutsche Häuser wurden beschlagnahmt und die Wohnungsinhaber auf die Straße geworfen. Die männliche deutsche Revölkerung wurde zur Zwangsarbeit im Bereich der Stadt zusammengefangen. Mehrere Hundert arbeiteten auf dem russischen Flugplatz Kleinscheuern. Einzelne wurden auch verschleppt. Von einem planmäßigen Vorgehen gegen die Deutschen war indessen noch nicht die Rede. Die Russen machten, soweit sie von rumänischen Kommunisten nicht aufgehetzt wurden, bei ihren Brutalakten kaum einen Unterschied zwischen Rumänen und Deutschen. Auch die von der rumänischen Polizei verhafteten Deutschen blieben in rumänischer Internierung und wurden laufend nach Târgu-Jiu ins Lager abgeschoben. Allmählich wurde die rumänische Polizei mit kommunistischen Elementen durchspickt. Die NKWD nahm in wachsendem Maße selbständig Verhaftungen, meist auf Grund irgendwelcher hinterhältiger Anzeigen vor.

Der Vf. nennt einige konkrete Fälle und fährt dann fort:

Nachdem zahlreiche führende deutsche Persönlichkeiten nach dem Umsturz interniert und nach Târgu-Jiu geschafft worden waren, hielt ich mich bei meinen Eltern bzw. Schwiegereltern verborgen, wurde dann aber im Oktober dennoch entdeckt und verhaftet. Man brachte mich ohne Verhör in die Volkschule in der Salzgasse, die der rumänischen Siguranţa als Durchgangslager diente, und von hier nach Slobozia. Unter uns befand sich der sächsische ev. Bischof Wilhelm Staedel, der Bürgermeister Dörr und der Leiter des Martin-Luther-Krankenhauses Dr. Weindel. Wir blieben mehr als eine Woche in der Schule interniert. Die Behandlung war korrekt. Verpflegung gab es keine, wir mußten uns von daheim das Essen bringen lassen. Schließlich führte man uns vor die sogenannte „Comisia de triere” (Prü-fungskommision) und verhörte uns. Die Kommission bestand aus Vertretern der Parteien und einem Polizeikommissar. Jeder der Häftlinge wurde nur wenige Minuten und zum Schein einvernommen. Mit einer einzigen Ausnahme blieben wir in Haft, obwohl sich Leute unter uns befanden, die niemals politisch irgendwie hervorgetreten oder auch nur aktiv gewesen waren. Da Târgu-Jiu bereits überfüllt war, schaffte man uns nach Slobozia — in der Bărăgansteppe gelegen — und internierte uns in einem sehr großen, vollkommen verdreckten, verwanzten, verschlammten Lager, das vorher von russischen Gefangenen belegt gewesen war. Als wir eintrafen, befanden sich bereits etwa 450 Männer und Frauen — Reichsdeutsche, Volksdeutsche und einige Ungarn — dort. Die Unterkünfte bestanden aus Stein-


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baracken mit Zementfußboden. Es gab keine Pritschen, kein Stroh, keine Decken. Die Wände waren mit Schmutz verkrustet und mit Legionen von Wanzen bedeckt. Am dritten Tage nach unserer Ankunft wurde aus dem Trinkbrunnen der halbverweste Leichnam eines Russen hervorgezogen. Jetzt erst bewilligte der Lagerkommandant, ein rumänischer Gendarmerie-Hauptmann, die Heranschaffung von Wasser aus dem Lokomotivschuppen des l km entfernten Bahnhofs. Das Wasser war auch hier schlecht, da es aus dem Fluß gepumpt wurde. Die Verpflegung war in Menge und Güte unzureichend. Es gelang uns, solange wir noch Geld besaßen, in der Stadt Lebensmittel einkaufen zu lassen. Aus einem Nebentrakt des Lagers durften wir schließlich auch Gerüstbretter abmontieren, säubern und zu Pritschen verwenden. Schließlich kauften wir uns für unsere Stube einen kleinen Herd — es war Dezember und sehr kalt —, für den wir uns das Brennholz zusammenstahlen. So rissen wir nachts aus den Drahtverhauen, die jede Baracke umgaben, Pföcke heraus, bis man uns ertappte und uns mit schweren Strafen bedrohte. Holz wurde uns nur zweimal zur Verfügung gestellt. Dementsprechend litten wir unter der Kälte sehr. Die Behandlung war nicht feindselig und, soweit man Geld besaß, freundlich.

Der Berichit schildert im folgenden die Übergabe der Häftlinge an die Sowjets, der sich der Vf. durch Flucht entzog1, und schließt mit allgemeinen Angaben zur Zwangsdeportation, zur Enteignung und zur Lage der Volksdeutschen in Rumänien in den Jahren 1945/46.