Nr. 19: Die Situation in Mediasch nach der rumänischen Kapitulation: Abzug der deutsehen Truppen, Internierungen, Einmarsch der Roten Armee, Plünderung und willkürliche Enteignung deutschen Eigentums; Vorbereitungen zur Zwangsdeportation.

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Befragungsbericht nach Aussagen der I. L. aus Mediasch (Mediaş), Judeţ Târnava-Mare (Groß-Kokel) in Süd-Siebenbürgen.

Original, 8. Oktober 1952, 5 Seiten, mschr., Teilabdruck.

Zur Zeit der rumänischen Kapitulation am 23. 8. 44 lagen in Mediasch einige kleinere Abteilungen deutscher Nachrichtentruppen. Der rumänische örtliche Befehlshaber war Fliegeroberst Istrate, ein ausgesprochen deutschfreundlicher Offizier. Bürgermeister war ein Sachse, Dr. Z., Polizeichef ein Rumäne aus Galatz.

Als sich die Nachricht von der rumänischen Kapitulation in der Stadt verbreitete, bemächtigte sich der Bevölkerung eine starke Erregung, aber es kam weder zu Zwischenfällen, noch zu Gehässigkeiten seitens der Rumänen. Ich erfuhr am 24. August, daß zwischen Oberst Istrate und deutschen Offizieren Verhandlungen im Gange seien. Die Rumänen hätten, so wurde mir


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gesagt, den deutschen Truppen eine Abzugsfrist bis 25. August abends 6 Uhr eingeräumt. In unserer Kreisleitung herrschte Bewegung; es hieß, die Wehrmacht werde gemeinsam mit unseren waffenfähigen Männern Mediasch halten und nicht abziehen. Dann verbreiteten sich Gerüchte von angeblich heranmarschierenden starken deutschen Truppenverbänden. Aber am 25. August zog die Wehrmacht ab, nicht ohne uns Zurückbleibenden zuzurufen, daß sie in einigen Tagen wiederkommen werde. Mit ihr zogen 25 oder 30 sächsische Jünglinge und Männer mit.

Es vergingen einige Tage, aber die Wehrmacht kam nicht. Dafür wurden die in Mediasch lebenden Reichsdeutschen verhaftet und nach Târgu-Jiu fortgeschafft. Auch der Bürgermeister Dr. Z., der frühere Kreisleiter R., der Mannschaftsführer G. und mehrere andere Amtswalter der Volksgruppe wurden interniert. Die Häftlinge wurden in der rumänischen Fliegerkaserne untergebracht und nicht schlecht behandelt. In der Stadt blieb alles ruhig. Einige Male erschienen deutsche Flugzeuge, die außerhalb der Stadt Bomben warfen.

Am 6. oder 7. September tauchten aus der Richtung Martinskirch (Dicsöszentmárton) Kolonnen von jüdischen Flüchtlingen auf, die mit Pferdefuhrwerken und zu Fuß vor den angeblich heranrückenden Deutschen flohen. Auch zahlreiche Mediascher Juden schlössen sich der Flucht an. Wir waren nun fest überzeugt, daß die Befreiung nahte. Aber zu unserer Bestürzung kamen am 9. September statt der Deutschen die Russen. Zunächst in kleineren Gruppen, dann in endlosen Kolonnen rollten sie durch Mediasch der ungarischen Grenze zu, woher wir schon seit einigen Tagen schwachen Gefechtslärm gehört hatten. Wir verbarrikadierten uns in den Häusern und glaubten unser Ende gekommen. Bis auf einige Vergewaltigungen an der Peripherie der Stadt und bis auf Plünderungen und Ausraubungen ereignete sich jedoch nichts. Die geflüchteten Juden erschienen im Gefolge der Russen. Und nun änderte sich auch die Stimmung in der Stadt: Die Arbeiterschaft der Glasindustrie, der Textilfabrik „Irti” und der übrigen Betriebe begann sich bemerkbar zu machen. Die Entscheidung war jetzt endgültig gefallen, die deutschfeindlichen Elemente ließen ihre Zurückhaltung auf.

Bürgermeister war seit dem 26. August der Rumäne Biris, ein Lehrer, der sich anständig verhielt, aber von den dreister werdenden Kommunisten überspielt wurde. Besonders viel machte ein ungarischer Kommunist namens Kajlig von sich reden, ein Maurer, der nun auf eigene Faust zu regieren begann. Der Polizeichef war nach dem Umsturz nicht ausgewechselt worden. Auch er war offensichtlich nicht in der Lage, den Kommunisten, die sich auf die Russen stützten, entgegenzutreten. Ein übles Element war auch ein sächsisch-russischer Mischling aus Probstdorf. Sein Vater hatte im Ersten Weltkrieg als Gefangener in Rußland geheiratet und war dann mit seiner russischen Frau heimgekehrt. Der Sohn, dem man immer schon geheime kommunistische Tätigkeit nachgesagt hatte, zeichnete sich nun als „Revolutionär” aus. Er und die übrigen Kommunisten beschlagnahmten sächsische Wohnungen, eigneten sich Möbel, Klaviere und Kleider an und bezogen die schönsten Häuser.

Es folgen einige Bemerkungen über das Schicksal zweier führender Ver-


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treter der deutschen Volksgruppe, die auf Betreiben der Kommunisten an die NKWD ausgeliefert und in die Sowjetunion deportiert wurden.

Unsere Lage verschlechterte sich immer mehr. Immer mehr sächsische Häuser wurden beschlagnahmt und die Einwohner entweder hinausgeworfen oder auf kleinstem Raum zusammengedrängt. Verhaftungen waren an der Tagesordnung. Immer wieder bekamen wir zu hören, daß man uns „noch ganz andere Dinge” bescheren werde. Anfang Oktober sagte mir eine Jüdin: „Wenn der Winter kommt, wird man Euch verschleppen. Ihr werdet schon sehen, was Kälte und Hunger bedeuten!” Ende Oktober oder Anfang November gingen Polizisten voa Haus zu Haus und schrieben alle Frauen zwischen 18 und 33 und alle Männer von 17 bis 45 Jahren auf. Dieser Vorgang wiederholte sich bald darauf. Wir brachten die Zusammenschreibung nicht mit einer möglichen Deportierung in Zusammenhang, es war davon auch nicht die Rede. Die Polizisten gebrauchten irgendwelche Ausreden. Erst in der Zeit vor und nach Weihnachten begann das Gerücht von bevorstehenden Aushebungen umzugehen. Ich arbeitete zu jener Zeit als Schwester im rumänischen Militärlazarett. Wir waren hier insgesamt etwa 30 sächsische Frauen und Mädchen und erfuhren seitens der Spitalsleitung und der Verwundeten ausgezeichnete, höfliche Behandlung. Die Leiterin des Roten Kreuzes, Frau Maniu (nicht mit dem Parteiführer Maniu verwandt) eröffnete uns in den ersten Januartagen, daß mit einer Verschleppung zu rechnen sei, beruhigte uns jedoch, indem sie erklärte, sie werde dafür sorgen, daß uns nichts geschehe.

Am Abend des 13. Januar, einem Sonnabend, marschierten, von Schäßburg kommend, NKWD-Verfügungstruppen in Mediasch ein. Es wurde verlautbart, daß sich niemand nach 6 Uhr auf der Straße zeigen dürfe. Die Stadtausgänge waren, wie ich erfuhr, gesperrt, niemand durfte hinaus oder herein. Nun wußten wir, daß die Aushebung bevorstand.

Der Bericht schließt mit einer kurzen Schilderung der Aushebungsaktion in Mediasch.