Nr. 29: Treck der Gemeinde Tschippendorf über Karol-Tiszapolgár-Waitzen-Ödenburg nach Vorchdorf in Oberösterreich.

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Erlebnisbericht des Simon Ohler, ehemaliger Bürgermeister der Gemeinde Tschippendorf (Cepari), Plasa Năsăud (Naßod), Jndeţ Năsăud in Nord-Siebenbürgen.

Original, 12. Februar 1956, 29 Seiten, hschr. Teilabdruck.

Der Vf. beginnt seinen Bericht mit einigen Bemerkungen über die Ernte-Aussichten und den Stand der Arbeiten im Spätsommer 1944.

Am 15. September zogen wir wie üblich vom Felde nachhause ins Dorf und ahnten nicht daran, was uns die kommenden Tage bringen würden. In den Gassen des Dorfes herrschte große Aufregung. Als ich mein Haus betrat, sagte mir meine Frau, die zu dieser Zeit krank im Bett lag: „Du wirst amtlich dringend gesucht.” Ich begab mich sofort ins Zentrum der Gemeinde. Vor dem Gemeindesaal traf ich eine Menschenmenge. Ein Oberscharführer, der mit dem Ortsleiter aus der Stadt eingetroffen war, teilte mir mit, daß alle Volksdeutschen auf höheren Befehl, wegen Herannahen der Kampffront, ungefähr 100 Kilometer in westlicher Richtung evakuiert werden. Ich erhielt den Auftrag, alle Leute zu sammeln. In wenigen Minuten war der Saal gefüllt. Der Oberscharführer gab Weisungen, wie und in welcher Art die Evakuierung zu geschehen hat.

Die schwangeren Frauen und Wöchnerinnen sowie die Frauen der zur Waffen-SS eingerückten Männer wurden am nächsten Morgen, es war der 16. 9. 44, 3 Uhr früh mit Wägen in die Stadt Bistritz geführt, wo sie auf Auto verladen wurden und weiter geleitet wurden.

Als der Tag anbrach, herrschte in der Gemeinde eine ganze Aufregung. Die Vieh- und Schafherden wollte niemand wie üblich auf die Weide austreiben. Ins Feld in die Arbeit ging auch niemand mehr. Ich wollte dieses noch alles nicht glauben, was da kam. Da meine Frau krank und bettlägerig war und keine Aussicht war, auf dem Wagen zu fahren, beschlossen wir zwei, die Gemeinde nicht zu verlassen. Ich fuhr mit meinem Knecht und brachte an diesem Tag vormittags noch zwei Fuhren Grummet von der Wiese ein.


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Auf Mittag erhielt ich eine Telefon-Nachricht, daß alle kranken und alten gebrechlichen Leute am nächsten Morgen, 4 Uhr früh, vom Bahnhof Bistritz mit einem Krankenzug abfahren können. Schnell entschlossen packten wir das Nötige, um am nächsten Morgen führte ich meine Frau sowie die 14jährige Tochter und den zweijährigen Sohn mit noch vielen anderen Leuten in die Stadt. Am Bahnhof angekommen, teilte man uns mit, daß der Lazarettzug während der Nacht durchgefahren sei. Was nun?

Da sich an diesem Tage, es war Sonntag, der 17. Sept. 44, viele kranke und alte Leute sowie auch Kinder hier am Bahnhof zum Abtransport angesammelt hatten und auf diesem Schienennetz keine Personenwaggons zu erlangen waren, wurden auf Anweisung der Kreisleitung 30 offene Loren mit Staffel und Brettern zu fahrbaren Baracken umgebaut.

Am 18. 9. gegen 10 Uhr vormittags nahm ich hier Abschied von meiner Frau und den zwei Kindern und ahnte nicht, daß ich meine Frau nicht mehr sehen würde. — Nachmittags gegen 13 Uhr war ich wieder in meiner Gemeinde zurück. Auf dem Dorfplatz fütterte eben ein großer Treck, der schon 25 km hinter sich hatte. Bei meinen Leuten war es auch ernst geworden, in jedem Hof sah man Wagen packen. Im Gemeindezimmer befanden sich die führenden Männer der Gemeinde und besprachen noch das Notwendige. Eine Gruppe von 15 Mann unter der Führung des Ortsleiters Michael Weber (Nr. 14) wurde beauftragt, in der Gemeinde zurückzubleiben, um das Hab und Gut, das viele zurückbleibende Vieh zu versorgen und zu beschützen, bis die Leute zurückkehren.

Am 19. 9. 44, es war gegen Mittag, ging ich noch einmal zum Gemeindehaus und erteilte den noch dort befindlichen Männern die Treck-Nr. 281 und die Marschrichtung, sowie das Verhalten auf den Straßen. Während ich mit dem Pfarrer Michael Hösch das Läuten der Glocken um 12 Uhr als Abfahrtszeichen besprach, fielen in südlicher Richtung 3 Bomben; wir nahmen an, das sie der Stadt Bistritz gegolten hatten. Der Pfarrer blickte auf seine Uhr und sagte: „Es ist bald 12 Uhr.” Schweren Herzens ging ein jeder von dem Platz, wo wir allzeit miteinander so Vieles besprochen hatten, in Richtung seines Hofes.

Am 19. 9. 1944 12 Uhr mittags erklangen die drei Glocken mit ihren harmonischen Tönen und läuteten zum Abschied. Ans allen Höfen strömten die Wagen auf die Straße. Tränen rollten über die Wangen, Frauen und Kinder jammerten, Hunde heulten, Schafe irrten erschreckt in den Gassen umher. Ich blickte noch einmal auf mein Haus zurück, zog vom Wagen die Axt und riß damit die Tafel des Gemeinderichters von meiner Haustür ab.

Der Treck Nr. 281 mit 133 Wagen, 89 Männern, 151 Frauen und 69 Kindern, zusammen 309 Personen, setzte sich in Bewegung. Zwei km unterhalb der Gemeinde, wo die Straße über einen Hügel, er heißt Stenich-Häfeì, führt, hielt ich an und sah zurück. Wagen an Wagen hatten sich gereiht, zum größten Teil mit Pferden, aber auch mit Rindvieh bespannt. Die Felder waren menschenleer, die Glocken vom Turme klangen noch; mir war es so unheimlich zu Mute. Ich stieg ab und weinte, wie ich in meinem Leben noch nie geweint hatte. Ich betete ein Vaterunser, und mit einem Gottbegleite uns ging es weiter.


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Wir fuhren über Blasendorf1, gegen Abend erreichten wir Somkerek. An der Brücke, die über den Bistritzfluß führt, erwartete uns eine Polizeistreife, die uns auf einen am Fluß gelegenen Platz zur Übernachtung anwies. Ich sprach mit den Leuten, die eben den Zugtieren das Futter vorgelegt hatten und ermahnte sie, das Abendessen einzunehmen, doch die Gesichter waren ganz verweint, und das Essen schmeckte nicht. Während dieser Nacht starb der Familie Ohler M. (90 a) ein Kind auf dem Wagen.

Am nächsten Morgen fuhren wir bis Csicsókeresztúr, wo wir auf einer großen Wiese lagerten. Junge Leute hatten ein Särglein gezimmert, auf dem dortigen Friedhof ein Grab ausgehoben, und unser Pfarrer, der ja auch mit im Treck war, zog seinen Talar an, und unter Teilnahme vieler Leute wurde das verstorbene Kindchen hier beerdigt. Nachher fuhren wir weiter und erreichten gegen Abend Retteg. Auf einer großen Wiese, außerhalb der Gemeinde, wo schon die Trecks von Treppen und Mettersdorf lagerten, fuhren wir auch auf. Hier mußte auf Befehl von einem höheren Offizier, der mit unserem Kreisleiter uns hier besuchte, der Treck umgruppiert werden. Ungefähr 10 Wagen mußten hier wegen Schwäche aus dem Treck ausscheiden. Sie wurden in Alör bei Dés auf die Bahn verladen. Ihre Pferde und Wagen übergaben sie der Wehrmacht. Am nächsten Tag gegen 16 Uhr passierten wir die Szamosbrücke sowie die Stadt Dés und fuhren bis Kisomkút; hier Übernachtung. Eine ältere Frau wollte während der Nacht für die Kinder mit einer Flasche aus einem tiefen Bach Wasser holen, stürzte ein und ertrank; nach Feststellung gehörte sie zum Treck der Gemeinde Treppen. Nachdem unseren Leuten das Futter zu Ende ging, hatten sie während dieser Nacht aus einem Garten einen Kleeschober geklaut. In der Früh hatte ich die ungarische Gendarmerie am Buckel. Ich schickte ein paar Männer zum Bauern, die sich mit ihm ausglichen. Ich beauftragte einen Mann namens Michael, er solle von jedem Gespann 2 Pengö einheben und dem Bauern den Schaden bezahlen. Der gute Michael kassierte das Geld auch tatsächlich von den Leuten, nämlich in seine Kappe. Ich gab den Auftrag zum Abfahren. Einige Kilometer außerhalb der Gemeinde erreichte mich vorn die Nachricht: Treck halten, ungarische Gendarmerie hat uns den Pfarrer wegen dem Futter zurückgehalten. Ich ging sofort an der Wagenreihe zurück; der gute Michael hatte das Geld mit seiner Kappe in seinen Wagen abgelegt und nicht an den Geschädigten übergeben. Ich schickte ihn zurück, um dieses alles nachzuholen.

Damit dieser Fall sich nicht wiederholen sollte, schickten wir gleich eine Vorausdelegation, um Futter zu kaufen. Gegen Mittag erreichten wir die Delegation; sie hatten 4 Fuhren Klee gekauft und an die Straße fahren lassen. Ich bezahlte das Futter und gab dem Verkäufer eine Bescheinigung, damit ihm dieses in sein Soll anerkannt werde. Das Futter wurde aufgeteilt, und wir fuhren weiter bis Alparét, übernachteten hier auf freiem Felde. Samstag, 23. 9. 44, 2 Uhr früh fuhren wir von hier weiter, über die Kraszna, 22 km durch den Szurdúkpaß bis Csernek. Es war eine Bergfahrt, laut hörte man die Leute ihre Zugtiere antreiben, gar oft mußte au den Rädern angegriffen werden, alles half mit, nur damit niemand zurückbleibe.


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Am 24. 9. 44, es war ein Sonntag, der erste auf der Flucht, erreichten wir Tótszállás, lagerten hier auf einer großen Wiese. Unser Pfarrer sprach mich an, wir sollten Gottesdienst halten. Schnell hatten junge Männer die auf einem Wagen mitfahrende Schulglocke (die ohne ihr Gestell 23 kg wog) mit einem Ende auf den Wagen mit dem anderen auf eine dazu hergerichtete Holzgabel aufgestellt, und um 10 Uhr wurde zum Gottesdienst geläutet. Das ganze Volk, sogar von der Straße von den vorbeifahrenden Trecks, hatte sich angesammelt. Pfarrer Michael Hösch hielt eine ergreifende Predigt, so daß wir nachher alle gestärkt zu unseren Wagen gingen. Hier blieben wir drei Tage. Wir kauften mehrere Fuhren Heu, reparierten Räder und schmierten die Wagen. Die Frauen wuschen die Wäsche und kochten. Am 27. 9. ging das schöne Wetter zu Ende, schon in der Früh regnete es, ein kalter Wind setzte ein; wir mußten abfahren, es regnete den ganzen Tag. Wir übernachteten in Nyirsid. Hier mußte die Frau Wagner Barbara (Nr. 89), die einen Jungen geboren hatte, zurückbleiben. Am nächsten Tag regnete es weiter, wir erreichten die Gemeinde Czigányi bei Zilah. Leute und Tiere waren ganz durchnäßt. Da hier sehr viel Militär im Quartier lag, konnten wir die Leute nur schwer unter Dach bringen. Hier faßten wir Verpflegung vom deutschen Militär, eine große Fleischkonserve und ein Laib Brot pro Person. Am nächsten Morgen ging es weiter über Ököritó und Szakácsi.

Samstag, den 30. 9. fuhren wir über Tasnád. Hier faßten wir von der deutschen Wehrmacht eine kleine Fleischkonserve, ein halbes Brot und Marmelade. Wir fuhren an diesem Tag 22 km und erreichten Genes, wo wir übernachteten. Es war auf einer großen Wiese, wo sich ein Dreschplatz mit vielen Strohschobern befand. Die Pferde hatten wir auf der Wiese zum Grasen freigelassen. Das Wetter war schön.

Am Sonntag, den 1. 10. 44 erreichten wir Groß-Karol. Hier faßten wir für mehrere Tage Verpflegung, Konserven, Wurst, Marmelade, Zucker und Brot. Rektor Knabel blieb hier zurück und fuhr von hier mit einem Transport der hier am Bahnhof angesammelten Siebenbürger, wobei sich auch von unseren Leuten viele befanden, mit der Bahn weiter. Wir fuhren mit dem Treck weiter und erreichten Vállaj; hier wohnten deutschsprechende Menschen, sie waren aber sehr unfreundlich zu uns.

Den 2. Okt. fuhren wir über Nyirbátor bis Nyirbogát. Ankunft abends 8 Uhr. Es hatte den ganzen Tag in Strömen geregnet. Hier blieben wir wegen dem Regen drei Tage. Wir mußten uns auf die Wagen Rohrdecken kaufen. Donnerstag, am 5. Okt. ging es bis Balkány. Freitag, 6. Okt. fuhren wir über Hajdúhatház und Hajdúböszörmeny. Wegen Verfolgung der Russen hatten wir keine Nachtrast. Am 8. Okt. 9.30 Uhr fuhren wir bei Tisza-Polgâr über die Theißbrücke. Die Sprengkabel waren schon angelegt. Als wir die Brücke passiert hatten, fielen zwei Bomben in unsere rechte Flanke, es passierte Gottseidank nichts. Von hier weiter fuhren wir ohne besondere Vorkommnisse, außer den Übernachtungen, über Sajószöged, Emöd (hier Fassung), Mezökövesd, Kápolna, Gyöngyös, Hatvan, Heréd, Erdökürt (hier kauften wir Heu), und weiter ging es über Pencz.

Sonntag, den 15. Oktober gegen 9 Uhr erreichten wir Vác (Waitzen) neben Budapest. Hier erhielten wir ein warmes Essen. Die Kinder wurden


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gebadet. Wir faßten Verpflegung auf mehrere Tage. Gegen 2 Uhr nachmittags fuhren wir weiter. Ein Herr im Zylinderhut hielt uns an und teilte uns mit: Reichsverweser Horthy hat den Russen Waffenstillstand angeboten, der Krieg ist aus, umkehren und nach Hause fahren. Auch aus den Fenstern riefen die Leute uns ungarisch zu: „Es ist Friede, fahrt nach Hause!” Ich hielt den ersten deutschen Wagen an und sagte ihm, was die Ungarn meinten. Der Offizier sagte: „Schaut, daß ihr schnell weiter fahrt, denn ihr fahrt hier grade über Nacht au der Donau in einem Engpaß. Es könnte passieren, das euch die Honvéd angreift und drängt euch in die Donau.” Wir fuhren weiter; gegen Abend fütterten wir eine Stunde auf der rechten Straßenseite. Auf dem Bahngleise kam ein Zug hinter dem anderen, voll mit deutschen Soldaten, aus Richtung Wien nach Budapest. Während dieser Nacht fuhren wir über 50 km bis nach Ipolyszalka. Montag, den 16. Okt. 6 Uhr früh fuhren wir bei Parkány über die Donaubrücke und erreichten gleich Esztergom. Hier rasteten wir zwei Tage. Drei unserer Männer, Johann Prall (Nr. 94), Johann Ohler (Nr. 81) und Johann Ohler (Nr. 129), die von der Front kamen, und in Urlaub fahren sollten, erreichten hier ihre Familien. Wir kauften uns Heu und fuhren am 17. Okt. über Süttö, wo uns der Fürsorgeoffizier traf und eine einmalige Unterstützung auszahlte, bis Tata. Am 18. Okt, fuhren wir weiter über Kocs, Nagyigmánd, Lovászpatona und erreichten am 23. Okt. die Stadt Tét. Wegen Stauung der Trecks auf den Straßen mußten wir hier 3 Tage warten.

Am 26. Okt. fuhren wir von Tét ab über Arpás, Vadosfa^ und erreichten am Sonntag, den 29. Okt. das ung. Städtchen Beled. Wegen Stauung der Trecks auf den Straßen blieben wir hier mehrere Tage. Kein Mensch sprach mehr vom Zurückfahren. Wir quartierten uns ein. Viele Leute kauften sich gruppenweise Schweine und machten sich Fleisch. Bei einer Mühle kauften wir Weizen (100 Kilo gleich 100 Pengö), machten uns Mehl und backten Brot (Fassung keine). Der Pfarrer war mit Landsmann Johann Prall (Nr. 21), dem seine Frau ein Kind geboren hatte und sich zur Zeit in Ödenburg befand, hin gefahren, dieses Kind zu taufen. Bei ihrer Rückkehr überbrachten sie uns einen ganzen Sack mit Briefen. Es war die Post, die in die Heimat gehen sollte, in Wien aber aufgefangen wurde und uns über Ödenburg hier erreichte. Es waren viele Briefe, die von der Feldpost kamen und traurige Nachricht von Gefalleneu und Verwundeten unserer jungen Männer von der Front brachten. Der Kummer und das Leid wurde unter den Leuten noch größer.

Am 4. Nov. verließen wir Beled und fuhren bis Röjtök Muzsaj, am 5. Nov. über Kópháza (hier konnten die Leute ihre Pengö eintauschen, leider hatten sie das Geld für Futter und Verpflegung ausgegeben). In Nagyczenk übernachteten wir, wo wir wieder einmal Futter und Verpflegung faßten.

Am 6. Nov. erreichten wir Ödenburg. Als wir in die Stadt einfahren sollten, heulten die Sirenen. Es war Fliegeralarm; wir fuhren mit unseren Fahrzeugen unter die Straßenbäume; die Leute verkrochen sich in die Straßengräben. Das Wetter war schön. Gegen 14 Uhr erreichten wir, berg-


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aufwärts, den ungarischen Schlagbaum. Hier mußte ich dem Offizier eine Liste über Wagen, Menschen und Tiere übergeben. Die Zollschranken gingen hoch und mit einem „Viszontlátásra!”1 ging es weiter. Oben auf der Bergspitze, wo die Grenztafel stand, machten wir eine kleine Pause. Um 16 Uhr meldeten wir uns beim deutschen Zollamt in Klingenbach. Der Offizier musterte mit seinen scharfen Augen Menschen und Tiere und sagte: „In der dritten Gemeinde, in Wulkaprodersdorf, habt ihr Nachtquartier.” Als wir hier ankamen, wurden wir von der Polizei zu den Häusern (l—2 Wagen) einquartiert, erhielten spät in der Nacht ein warmes Essen und Zigaretten. Am 7. Nov. fuhren wir über Ebenfurth. Hier faßten wir Heu und Hafer für die Pferde. Es gab wieder Fliegeralarm, wir mußten in die Keller. Am Abend erreichten wir Schönau, erhielten warmes Essen.

Am 8. Nov.: Es regnete, ein kalter Wind blies. Wir fuhren bis Rehhof; hier lagerten so viele Trecks auf freiem Felde, daß wir kaum mehr Platz hatten. Wir holten uns die warme Suppe, machten uns Feuer an und kauerten die ganze Nacht; es war so kalt, dazu waren Menschen und Tiere naß, daß niemand schlafen konnte.

Am 9. Nov. 4 Uhr früh traten wir eine schwere Gebirgsfahrt an. Gegen 10 Uhr hatten wir Hainfeld erreicht. Die Kinder und älteren Leute waren grün vor Kälte im Gesicht. Hier mußte was geschehen. Ich erkundigte mich, bald hatte ich einen Arzt vom Roten Kreuz angetroffen. Wir sammelten die Kinder und älteren Leute von den Wagen, führten sie in ein Gasthaus, gaben ihnen einen warmen Tee mit Brötchen und Wurst, und noch vormittags konnte ich einen Transport mit 88 Kindern und alten Leuten am Bahnhof Hainfeld mit dem Ziel auf Enns verladen. Den Treck überließ ich unserem Pfarrer M. Hösch, um denselben weiter zu leiten.

Ich fuhr mit den Kindern über Sankt Polten, Amstetten und kam um Mitternacht neben Enns auf einem kleinen Bahnhof Asten an. Hier hatte uns ein Unterofizier vom Roten Kreuz erwartet und führte uns mit einer Lampe in das Lager Asten. 0 wie freuten sich die Kinder, als sie hier in einer warmen hellen Baracke ein warmes Abendessen einnahmen und sich dann auf Strohsäcke hinlegten und dann ihre Ruhe hatten. Ich begab mich am nächsten Morgen in die Schreibstube und erledigte mit dem Lagerleiter das Schriftliche. Drei Tage blieb ich hier und fuhr dann zurück auf Enns, wo ich unsern Treck [antraf], der inzwischen über Sankt Polten, Melk und Amstetten hier eingetroffen war. Nach der Übernahme von Futter und Verpflegung fuhren wir über Ebelsberg bei Linz bis Wels. Hier übernachteten wir. Die Pferde hatten wir in große Baracken auf der Rennbahn und die Leute in eine Schule einquartiert. Das Wetter war kalt. Am 14. Nov. faßten wir in Wels Heu und Verpflegung und fuhren bis Lambach, wo wir auf einem Stiftshof übernachteten. Der Stiftsleiter gab in der Küche für alle Leute ein warmes Abendessen. Mittwoch, den 15. Nov. fuhren wir weiter. Schon bei Tagesanbruch hatte es zu schneien angefangen. Die Felder und Straßen wurden weiß. Unsere Wagen rutschten bald nach links, bald nach rechts. Die! Pferde fielen auf die Knie. Wir fuhren über Steyernmühl an der Traun, beim Traunfall vorbei vind erreichten Laakirchen,


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wurden einquartiert, faßten Futter und Verpflegung. Die Leute wurden registriert. Auch wurde uns hier mitgeteilt, daß unser Endziel die Gemeinde Vorchdorf bei Gmunden am Traunsee ist.

Donnerstag, den 16. Nov. mußten wir allen Pferden Eisnägel in die Hufen einziehen oder die Hufeisen wegreißen. Es hatte während der Nacht einen dicken Schnee geworfen. Wir fuhren ab und konnten nur mit schwerer Mühe diese 12 km zurücklegen. Gegen 14 Uhr erreichten wir unser Endziel, die Gemeinde Vorchdorf. Die Pferde wurden in den Stallungen bei den Gasthäusern und bei der Bierbrauerei und die Leute in der alten Schule einquartiert. Die Leute wurden zum Essen bei 6 Gasthäusern zugeteilt.

Am 18. Nov. wurden die Pferde laut Auftrag der Kreisleitung auf dem Dorfplatz zum Verkauf feilgeboten. Eine Kommission vom RAD kaufte 13 Stück im Preise von 500 bis 900 RM. Etliche kauften auch die Bauern. Der Restbestand unserer Pferde wurde vom Gemeindeamt Vorchdorf abgeschätzt, jedem Eigentümer wurde eine Bescheinigung mit der Beschreibung des Tieres und dem Schätzwert eingehändigt; sodann wurden diese Pferde, ein Teil auf die Pferdeschlachtbank nach Wels, der andere Teil nach Sachsen-Anhalt abgeliefert und sind bis heute — es handelt sich um über 60 Stück Pferde — den armen Flüchtlingen, die ihr letztes Hab und Gut waren, nicht ausgezahlt worden.

Nun war ja hier in Vorchdorf gleich nach unserer Ankunft unser Bestreben, alle unsere Angehörigen ausfindig zu machen und nach Vorchdorf zu bringen. Durch Telegramme an die Vermittlungsstellen an das Rote Kreuz erfuhren wir folgendes Bild:

Der Transport mit den schwangeren Frauen, Wöchnerinnen und die Frauen und Kinder der Eingerückten, welche von Bistritz mit Auto abgingen, war in Niederösterreich gelandet und dort auf verschiedene Gemeinden aufgeteilt worden.

Der Transport, welcher in Alör bei Dés verladen hatte und mit der Bahn abfuhr, hatte in einem Lager in Wadowitz [Wadowice] in Schlesien gelandet.

Der Transport, welcher in Groß-Karol (mit verschiedenen Leuten aus Nordsiebenbürgen) verladen hatte, landete in Kulm an der Weichsel1.

Wir schickten überallhin Verbindungsleute. Und noch hatten wir von einem Transport keine Kunde. Es war der Transport mit den kranken und schwachen Leuten, welcher vom Heimatbahnhof Bistritz abfuhr, bei dem sich meine Frau und meine zwei Kinder befanden. Ich telegrafierte und telefonierte und schrieb, ohne Ergebnis. Ich war schon ganz verzweifelt.

Im zweiten Teil seines Berichts vermerkt der Vf. zunächst, er habe schließlich aus dem Kreis Znaim in Südmähren Nachricht über den Verbleib des von Bistritz abgegangenen Bahntransports erhalten und sei dar-


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aufhin mit einigen Nachbarn nach Mausdorf, Kr. Znaim zu seinen Kindern — seine Frau war inzwischen gestorben — übergesiedelt. Er gibt anschließend eine ausführliche Schilderung der zweiten Flucht (25. April bis 23. Mai 1945) von Mausdorf nach Vorchdorf.