Nr. 35: Die militärische Lage im rumänischen Banat nach dem 23. August 1944; der Versuch einer deutschen Gegenoffensive zur Evakuierung der Volksdeutschen Bevölkerung im September 1944.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Befragungsbericht nach Aussagen des L. F. aus Temeschburg (Timişoara), Judeţ Timiş-Torontal im Banat.

Original, 25. Juli 1952, 17 Seiten, mschr., Teilabdruck.

Ich erhielt von dem am 23. August 1944 erfolgten Staatsstreich in Bukarest erst am Morgen des 24. August Kenntnis, als ich mit meiner Frau von unserer vor Temeschburg gelegenen Bauernwirtschaft in die Stadt ging. Die Einfahrt in die Stadt war durch Militär gesperrt. Niemand durfte hinaus, niemand hinein. Erst der nachdrückliche Hinweis auf die Schwangerschaft meiner Frau bewirkte, daß wir durchgelassen wurden. Ich begab mich dann zur Kreisleitung Temeschburg, um hier das Nähere zu erfahren1.

Die durch den Staatsstreich geschaffene Lage war zunächst völlig unübersichtlich. Obwohl vorausgeahnt und befürchtet, hatte der Putsch unsere völkischen Dienststellen völlig überrascht. Wir versuchten mehrere Male, mit Kronstadt Verbindung zu bekommen. Der Telefonverkehr war jedoch unterbrochen bzw. kontrolliert. Eine befriedigende Funkverbindung kam ebenfalls nicht zustande. Die Standortkommandantur der deutschen Wehrmacht — diese bestand aus etwa 30 Offizieren und Soldaten — besaß ebenfalls keine Weisungen und war außerstande, in irgendeiner Weise aktir aufzutreten. Auch hier herrschte Ratlosigkeit. Im übrigen war der Standort-älteste — sein Name ist mir entfallen — offensichtlich nur von dem Wunsche beseelt, so rasch als möglich über die Grenze abziehen zu dürfen. Er verhandelte in diesem Sinne mit dem Befehlshaber des 6. rumänischen Armeekorps (Temeschburg), General Schmidt, und erhielt auch freien Abzug. Der Abmarsch ging so überstürzt vor sich, daß zwei deutsche Soldaten, die sich von der Standortkommandantur entfernt hatten, zurückblieben und gefangengesetzt wurden. Am 25. August gab es in Temeschburg keine deutsche Standortkommandantur mehr.

General Schmidt, trotz seines deutschen Namens ein Rumäne, schien in seinen Entschlüssen zu schwanken. Noch war die Lage in Bukarest nicht entschieden. Es sah zeitweilig so aus, als würde es den deutschen Truppen in und um Bukarest unter General Gerstenberg gelingen, den Putsch niederzuschlagen. Außerdem mußte mit einer Reaktion der im jugoslawischen Banat und in Ungarn befindlichen deutschen bzw. ungarischen Streitkräfte gerechnet werden. In Werschetz lag ein Teil der „Prinz Eugen”, in Detta


172

ein Bataillon des Regiments „Brandenburg”. Später erschien auch die SS-Polizeidivision Schmedes an der jugoslawischen Grenze, ferner Teile der vom Balkan zurückgehenden Armee Weichs. Wir erwarteten von diesen Streitkräften rasches und erfolgreiches Handeln, ehe die erstaunlich langsam heranrückenden Sowjets zur Stelle sein würden. Aber wir sahen uns getäuscht. Die Tage vergingen, größere Entsatzoperationen blieben aus. Lediglich von Detta aus stießen Vorhuten des Bataillons „Brandenburg” mit drei Panzern in Richtung Temeschburg vor. Sie gelangten auch bis zur Gemeinde Schag und über diese hinaus bis auf 7 km vor Temeschburg, wurden hier aber von rumänischer Pak gestellt. Ein deutscher Panzer blieb abgeschossen liegen, die beiden anderen zogen sich zurück. Ähnlich verliefen kleine Aktionen verstreuter deutscher Einheiten im Grenzraum. Sie erwiesen zumindest, daß einerseits die Rumänen zahlenmäßig schwach vertreten waren, andererseits aber, daß man mit Widerstand zu rechnen hatte. Wir waren indessen überzeugt, daß ein einigermaßen massives deutsches Eingreifen durchaus Aussicht auf Erfolg haben mußte, und wir waren ferner überzeugt, daß in einem solchen Falle die rumänischen Truppen, wenn man sie mit einer kraftvollen Aktion beeindruckte, die Waffen strecken bzw. sicb auf die deutsche Seite schlagen würden.

Ich verließ Temeschburg am 26. August und begab mich nach Lovrin, wo ich mich mehrere Tage lang versteckt hielt, um das Weitere abzuwarten. Meine Frau ließ ich nachkommen. Die Stimmung in Lovrin und in den Gemeinden meines Kreises war zuversichtlich. Selbständige Fluchtversuche über die Grenze fanden nur vereinzelt statt. Die deutsche Bevölkerung rechnete nach wie vor mit einem deutschen Entsatz und war überzeugt, daß das Banat befreit werden würde. Am 26. August hatte die Polizei begonnen, die leitenden Amtswalter der Volksgruppe zu verhaften. Ich bekam in den ersten Septembertagen Verbindung nach Kikinda1, wo der Stabsleiter der Volksgruppe, Andreas Rührig, im Begriffe war, eine Kampfgruppe aufzubauen. Seiner Weisung entsprechend schlug ich mich nach Kikinda durch und stellte mich zur Verfügung.

Rührig, der die letzten Monate als Stabsleiter der deutschen Volksgruppe in Kroatien fungiert hatte — Volksgruppenführer Schmidt hatte ihn nach seinem abgeleisteten Fronteinsatz dorthin abkommandiert — trug sich mit dem Plan, einen Vorstoß nach Rumänien hinein durchzuführen und alle erreichbaren Teile der Volksgruppe herauszuholen. Zu diesem Zwecke hatte er sofort nach dem rumänischen Staatsstreich im Einvernehmen mit dem ehemaligen Geschäftsführer der Volksdeutschen Mittelstelle Berlin und damaligen Polizeichef von Belgrad, SS-Gruppenführer Behrens, in Kikinda die Arbeit aufgenommen. Die von ihm überstürzt aufgebaute „Kampfgruppe Behrens” setzte sich aus etwa 100 Jugoslawiendeutschen, 160 geflüchteten Rumäniendeutschen, 130 rumänischen Legionären und etwa 300 Mann der Polizeitruppe Belgrad zusammen. Sie stand unter dem Befehl des Gruppenführers Behrens, der sie allerdings von weit her aus der Etappe dirigierte und dadurch mit den Realitäten einige Male in Kollision geriet. ... Die Truppe selbst bestand zum größten Teil aus jungen, unerfahrenen


173

Elementen. Lediglich die Polizeieinheit aus Belgrad und der als militärischer Fachmann fungierende SS-Obersturmführer Hans Schmidt, ein ausgezeichneter Soldat, besaßen die notwendige Ausbildung und Erfahrung. Die rumänischen Legionäre (Eiserne Garde) kamen aus Belgrad und Wien. Sie standen unter dem Befehl des Professors V.1 Trotz der Mängel an Ausbildung, Erfahrung und Bewaffnung besaß die Kampfgruppe einen großen Vorzug. Sie brannte darauf, ins rumänische Banat hineinzustoßen und die eingeschlossene deutsche Bevölkerung herauszuschlagen.

Schon bevor der Vorstoß einsetzte, war unsererseits alles unternommen worden, die schwäbische Bevölkerung der grenznahen Gemeinden herauszuschleusen. So hatten wir u. a. mit Hilfe einer uns zur Verfügung gestellten größeren Geldsumme die rumänischen Grenzer bestochen und sie bewogen, flüchtende Deutsche herauszulassen. Auf diese Weise wurden rund 400 Bauern mit ihren Familien aus Marienfeld und Gertianosch über die Grenze gebracht. Der Übergang erfolgte nachts zu Fuß in der Zeit zwischen dem 26. August und dem 8. September und unter Führung gekaufter rumänischer Grenzsoldaten und Offiziere. Die 4-00 also herausgeschmuggelten Schwaben haben dann auch glücklich Wien erreicht.

Der Operationsplan unserer „Kampfgruppe Behrens” sah den Vorstoß in Richtung Temeschburg über Kleinbetschkerek vor. Gleichzeitig ging die SS-Polizeidivìsion Schmedes südlich von uns vor. Das Bataillon „Brandenburg” und Teile der Armee von Weichs (letztere donauabwärts in Richtung Orschowa-Herkulesbad) operierten ebenfalls mit dem Ziel, so weit als möglich auf rumänisches Gebiet vorzustoßen. Nördlich der „Kampfgruppe Behrens”, und zwar von Szegedin aus, wurde ein ungarisches Regiment angesetzt. Ich persönlich hegte zwar Zweifel hinsichtlich eines Erfolges, und ich war mit diesen Zweifeln nicht allein, aber ich hoffte zusammen mit meinen Kameraden, daß es uns trotz aller Unzulänglichkeiten und Mängel wenigstens gelingen möge, so viele Volksgenossen als möglich herauszuhauen. Nach unseren Berechnungen mußte es möglich sein, zumindest 80 000 Schwaben zu evakuieren. Daß dies dann nicht gelang — es wurden nur rund 36 000 gerettet —, ist auf unsere militärische Schwäche, auf das Eingreifen der Russen, zum großen Teil aber auch auf die Unfähigkeit der Vertreter der Volksdeutschen Mittelstelle, denen die Organisierung der Evakuierungsmaßnahmen oblag, zurückzuführen. Es herrschte diesbezüglich ein entsetzliches Durcheinander, so wie überhaupt die gesamte Aktion den Charakter einer schlecht vorbereiteten und schlecht durchgeführten Improvisation trug . . .

Der Vorstoß begann am 8. September2. Wir kamen anfänglich gut voran und erreichten in wenigen Tagen den Raum von Temeschburg, Die nördlich von uns operierenden Ungarn rückten ebenfalls vor. Wegen der Evakuierung


174

der von uns überrollten schwäbischen Gemeinden kam es jedoch zu Mißstimmigkeiten. Entgegen dem ursprünglichen Plan, die deutsche Bevölkerung sofort abzutransportieren, kam ein von Himmler erteilter, augeblich von Hitler stammender Befehl, die Räumung zu stoppen. Offenbar unter dem Eindruck unserer Anfangserfolge schien man in Berlin zu glauben, daß die Lage im Banat oder gar in Rumänien soweit stabilisiert sei, daß sich eine Evakuierung erübrige. Es könnte indessen auch sein, daß andere Gründe den Stoppbefehl auslösten. Als unser Vormarsch ins Stocken geriet, weil die Russen auf dem Plan erschienen, wurde die Evakuierung wieder freigegeben, allerdings mit der Einschränkung, daß nur Frauen und Kinder fortzuschaffen seien; die wehrfähigen Männer sollten, so wurde angeordnet, an Ort und Stelle verbleiben und einen „Heimatschutz” bilden. Diese Anordnung zeigte uns, welche irreale Vorstellungen man sich höheren Ortes machte. Die Aufstellung des „Heimatschutzes” unterblieb denn auch; Männer, Frauen und Kinder setzten sich, soweit sie dazu in der Lage waren, westwärts in Bewegung. Als ein Sturmbannführer der Division Schmedes, namens Lang, bei mir erschien und mir erklärte, daß der gewonnene Raum gegen die uns gegenüberstehenden acht russischen Divisionen unmöglich zu halten sei, kamen wir überein, die Evakuierung in vollem Umfange abrollen zu lassen.

Unser Vorstoß hatte, wie erwähnt, gute Anfangserfolge erzielt. Wir nahmen unterwegs nach Temeschburg ca. 600 rumänische Offiziere und Soldaten gefangen. Eine ernstliche rumänische Abwehr war kaum festzustellen. Schon glaubten wir, Temeschburg einnehmen zu können, als die ersten russischen Truppen in überlegener Stärke auftauchten und uns den Weg verlegten. Gruppenführer Behrens hatte sich auf Grund unserer Meldungen, daß wir dicht vor Temeschburg stünden, beeilt, die Einnahme der Stadt nach oben zu melden. Er erhielt dafür das Ritterkreuz. Der Obersturmführer Hans Schmidt wurde mit dem EK I ausgezeichnet. Leider war die Funkmeldung Behrens' an Himmler von der Einnahme Temeschburgs verfrüht. Wir mußten in Sichtweite der Stadt in die Verteidigung gehen und uns schließlich zurückziehen.

Unsere Lage drohte zur Katastrophe auszuarten, als die Ungarn sich nördlich von uns ohne vorherige Mitteilung zurückzogen, um ihren bei Világos von den Russen geschlagenen Streitkräften Hilfe zu bringen. Der Abmarsch der Ungarn erfolgte nachts. Am nächsten Morgen — ich glaube, es war um den 20. September herum — gähnte nördlich von uns ein weites Loch, in das die Russen hineinstießen und uns umfassend bedrohten. Wir mußten uns beschleunigt absetzen ... Wir kämpften uns so Schritt um Schritt zurück. Unsere Erbitterung über die Ungarn war beträchtlich. Andererseits war auch die Erbitterung der Ungarn groß, da sie glaubten, von uns lediglich zu dem Zweck in ein Abenteuer gehetzt worden zu sein, unsere schwäbischen Volksgenossen zu retten. Die ungarischen Truppen evakuierten daher nicht nur keine Ortschaft, sondern sie forderten unsere Bauern auf, an Ort und Stelle zu bleiben. Das Durcheinander der Befehle, die unübersichtliche Lage und das verworrene Hin und Her der Kampfhandlungen veranlaßten viele deutsche Bauern, lieber in ihren Dörfern zu


175

bleiben als die Ungewißheit der Flucht auf sich zu nehmen. Hinzu kam die unzulängliche und nur in einigen Abschnitten funktionierende Organisation der Räumungsmaßnahmen.

Die Division Schmedes südlich von uns hatte bei ihrem Vorstoß ebenfalls mehrere rein deutsche und gemischtsprachige Ortschaften besetzt. Hier gelang es, eine große Anzahl von deutschen Bauern z. T. mit ihrer beweglichen Habe in Sicherheit zu bringen. Der Vorstoß blieb dann, als die Russen erschienen, stecken und verwandelte sich in einen schrittweisen Rückzug in Richtung Szegedin.

Es folgen ergänzende Einzelangaben.

Der Gesamtversuch, nach Rumänien hineinzustoßen und die Entscheidung hier zu beeinflussen, endete jedenfalls mit einem Mißerfolg. Viel zu spät unternommen, scheiterte er an der massiven und turmhoch überlegenen Zahl der Russen ... Ende September bestand keinerlei Hoffnung mehr, die Niederlage in Rumänien wettzumachen.

Es folgt eine Übersicht über die militärischen Operationen.

Ich habe schon darauf verwiesen, daß der ursprüngliche umfassende Evakuierungsplan, während unser Vorstoß lief, von Berlin aus gestoppt und dann mit Einschränkungen wieder in Gang gesetzt wurde. Unsere Kampfgruppe und die Division Schmedes besetzten bzw. durchzogen im Verlaufe der Kampfhandlungen ein Gebiet, aus dem tatsächlich etwa 80 000 Deutsche hätten herausgeholt werden können; das Durcheinander der Befehle und die Fehlorganisationen bewirkten dann, daß nur 36 000 evakuiert wurden. Unsere Kampfgruppe evakuierte folgende mir in Erinnerung gebliebene Gemeinden ganz oder teilweise: Hatzfeld, Lovrin, Lenauheim‚ Groß-jetscha, Gertianosch, Triebswetter, Ostern, Grabatz und Tschanad. Der Abtransport der Evakuierten erfolgte teils mit Eisenbahnzügen über Hatzfeld, teils in Trecks. Die Flüchtlinge wurden zunächst nach Szegedin geschleust, später von dort nach Westen in Marsch gesetzt.

Die von der Division Schmedes evakuierten Ortschaften waren: Ulmbach (hier hatte Schmedes sein Hauptquartier), Johannisfeld, Giulvăz, Neuburg, Aurelhausen, Sackelhausen, Tschene, Beregsăul, Deutsch-St. Michael u. a. Der Abtransport dieser Gemeinden erfolgte größtenteils mit Trecks und durch den jugoslawischen Raum hindurch. Unterwegs wurden verschiedene Transporte von serbischen Partisanen überfallen, so z. B. die Bevölkerung von Ulmbach, deren Evakuierung vorbildlich durchgeführt worden war. Soweit ich unterrichtet bin, wurden die Ulmbacher von den Partisanen ausgeplündert und in ihr Dorf zurückgejagt. Welche Verluste sie dabei hatten, weiß ich nicht1. Die Division Schmedes war jedenfalls nach Kräften bemüht, so viele Deutsche als nur möglich mitzunehmen.

Auch die von der Division Schmedes Evakuierten wurden, nachdem sie den jugoslawischen Raum durchzogen hatten, zur Szegediner Sammelstelle geleitet und von hier aus westwärts geschafft. Bis auf einen Eisenbahntransportzug kamen alle nach Österreich durch. Die in Trecks beförderten Flüchtlinge gingen bei Kiskunfélegyháza über die Donau, wobei es zu einer Verstopfung der Übergangsstelle kam, da auch zurückgehende Truppen sie


176

benutzten. Hier und auch an anderen Orten blieb viel Hab und Gut liegen. Im allgemeinen verlief die Evakuierung ohne größere personelle Verluste.

In Ödenburg wurden die Flüchtlinge gesammelt. Hier hatte die NSV der Volksgruppe eine Betreuungsstelle eingerichtet. Der Aufenthalt dauerte länger als vorgesehen, weil der Einreise nach Deutschland Schwierigkeiten gegenüberstanden. So lehnte der Gauleiter Eigruber die Aufnahme der Flüchtlinge so lange ab, bis es gelang, ihn mit Hilfe massiver Lebensmittellieferungen umzustimmen. Die Verteilung der Flüchtlinge erfolgte von Wien aus. Der größte Teil blieb in Österreich, kleinere Teile wurden nach Deutschland und vor allem nach Schlesien eingewiesen. Die letzteren Gruppen mußten dann, als die sowjetische Front näherrückte, noch einmal zur Wanderung aufbrechen.

Weitere Abschnitte des Berichts behandeln die Situation der nach Budapest verlagerten Volksgruppenführung und die von ihr inszenierten Sabotageaktionen im rumänischen Hinterland.