Nr. 45: Die Situation in Temeschburg nach dem rumänischen Frontwechsel bis zum Einmarsch der sowjetischen Truppen.

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Befragungsbericht nach Aussagen des Landwirts T. T. aus H a t z f e l d (Jimbolia), Plasa Jimbolia, Judeţ Timiş Torontal im Banat.

Original, 30. Oktober 1952, 19 Seiten, mschr. Teilabdruck.

Ich war im Frühsommer 1944 als Feldwebel der Reserve eingezogen und als Sekretär des Offizierskasinos beim rumänischen Ergänzungsbezirkskommando Temeschburg eingeteilt worden. In dieser Stellung erlebte ich den 23. August 1944.

Als ich am Abend dieses Tages gegen 10 Uhr vom Dienst heimging, fiel mir ein ungewohntes Treiben und Lärmen in den Straßen auf. Gruppen von Menschen liefen umher und schrien: „Pace-Pace!”, Fenster waren trotz der Verdunklungsbestimmungen erleuchtet, eine unbeschreibliche Erregung erfüllte die Stadt. Endlich erfragte ich die Ursache des Tumultes: Der Bukarester Sender hatte soeben die rumänische Kapitulationserklärung


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durchgegeben. Diese Nachricht genügte, um die Rumänen in einen Freudentaumel zu versetzen. Sie waren der Meinung, daß der Krieg nun zu Ende sei und Frieden geschlossen werde. Erst allmählich verbreitete sich die Erkenntnis, daß die Kapitulation nicht den Frieden, sondern lediglich einen Frontwechsel bedeutete. Das wirkte ernüchternd. Der Freudentaumel verstummte und wich einer bangen Ungewißheit. Was würde nun geschehen? Wie würden die Deutschen reagieren?

Ich ging die Nacht über mit mir zu Rate, welchen Entschluß ich fassen sollte. Mein erster Impuls war, zu meiner Familie nach Hatzfeld zu fahren; dann aber überlegte ich die Konsequenzen einer Desertion — denn darauf würde meine eigenmächtige Heimkehr nach Hatzfeld dem Wesen nach hinauslaufen —, und ich beschloß, zunächst zuzuwarten und am nächsten Morgen gen zum Dienst zu gehen. Ein Fernbleiben war mir auch deswegen nicht möglich, weil ich die Kasse des Kasinos verwaltete und abrechnen mußte. Ich begab mich also am Morgen des 24. August auf meinen Posten.

Die Stimmung unter den Offizieren war uneinheitlich. Einige, die antideutsch eingestellt waren, ergingen sich in triumphierender Genugtuung; andere machten aus ihrer prodeutschen Gesinnung kein Geheimnis. Zwischen diesen beiden Extremen bewegte sich die Mehrheit der Offiziere. In einem Punkt waren sich alle einig: niemand konnte voraussagen, was nun geschehen würde. Der Dienst ging weiter, aber die Spannung und die Ungewißheit verhinderten jede Arbeit. Befehle, Gerüchte, Debatten wechselten einander ab. Einer der Befehle untersagte den niederen Dienstgraden das Verlassen des Ergänzungskommandos. Damit war ich festgenagelt. Nun blieb mir nicht anderes übrig, als an Ort und Stelle zu bleiben. Der Weg zu meiner Familie war mir versperrt.

Was sich in den folgenden Tagen und Nächten, die ich im Ergänzungskommando verbrachte, in der Stadt abspielte, drang nur in Gerüchten zu uns. Die deutsche Standortkommandantur zog, so wurde uns erzählt, nach Verhandlungen ihres Befehlshabers mit den Rumänen aus Temeschburg ab. Kurz darauf begannen die Verhaftungen. Die Amtswalter der deutschen Volksgruppenorganisation wurden festgenommen und in Internierungslager abgeschoben. Aber auch andere Nachrichten drangen zu mir: die Juden der Stadt packten und verließen Temeschburg zum großen Teil. In den ersten Septembertagen hieß es, die deutsche Wehrmacht sei im Anmarsch. Daß etwas im Gange war, merkte ich am Gehaben der Offiziere. Die deutschfeindlichen Tiraden verstummten, dafür gewannen besorgte Betrachtungen hinsichtlich der kommenden Ereignisse die Oberhand. Unser Oberleutnant erschien eines Tages in Zivil. Er kam zu mir, klopfte mir auf die Schulter und sagte: „Ich muß mich mit unserem Deutschen hier gut stellen, sonst läßt er mich aufhängen, wenn seine Brüder die Stadt erobern.”

Daß die Lage prekär wurde, war deutlich erkennbar. Unser Major verlangte mir Mitte September die Kasse ab, ließ einen Teil des Kasino-Inventars einpacken und verschwand, von einem „Geleitschutz” begleitet, per Lastwagen in Richtung Lugosch. Auch die übrigen Dienststellen der Garnison bauten ab und verschwanden. Wir beobachteten Kolonnen, die sich formierten und aus der Stadt hinausrollten. Der deutsch-ungarische An-


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griff hatte im zweiten Drittel im September beträchtlich an Boden gewonnen. Temeschburg war von Südwesten und Nordwesten her in weitem Bogen umfaßt, nur noch die Straße nach Lugosch war frei, und über diese einzige Ausfallstraße zog sich die rumänische Garnison zurück. Die Deutschen standen bereits in Kischoda. Im Vorort Mehala hämmerten die Maschinengewehre. Behörden, Juden, Militärkolonnen drängten sich überstürzt zur Stadt hinaus. Der Gefechtslärm rückte näher, und bald war es kein Geheimnis mehr, daß Temeschburg von den Rumänen abgeschrieben war.

Schon rechneten wir stündlich mit dem Einmarsch der deutschen Befreier. Ich fieberte diesem Augenblick entgegen. Meine Zivilsachen lagen bereit, und ich wartete nur den geeigneten Moment ab, um das Ergänzungskommando zu verlassen. Da änderte sich mit einem Schlag die Lage: die Russen kamen. Ich denke, es war der 20. oder 21. September, als die ersten russischen Vorausabteilungen in der Stadt erschienen. Ihnen folgten endlose, lärmende Kolonnen von Panzern, Lastwagen, Geschützen, Panjewagen. Wie ein wirbelnder Strom durchzogen sie die Stadt und ergossen sich aus dieser hinaus in westlicher Richtung. Der Kampflärm entfernte sich und verstummte schließlich ganz. Bald bestand keine Hoffnung mehr. Die Entscheidung war gefallen.

Da ich nach Ansicht meiner Vorgesetzten in der kritischen Zeit mich als „Patriot” verhalten hatte, beließ man mich nach dem Einmarsch der Russen und nach der Rückkehr der evakuierten Teile unserer Dienststelle auf meinem Posten. Es wurde mir sogar erlaubt, wieder in meinem Privatquartier zu übernachten; nach einigen Erlebnissen mit den Russen verzichtete ich jedoch auf diese Freiheit und verbrachte die Nächte in meinem Büro.

Die russische Soldateska hauste in der Stadt wie ein Heuschreckenschwarm. Geschäfte und Privathäuser wurden ausgeraubt, Frauen vergewaltigt, Passanten ausgeraubt. Man hörte von Morden, denen rumänische Zivilisten und Militärpersonen zum Opfer fielen. Es kam im Kasino zu grotesken Szenen, die das nagelneue rumänisch-russische Bündnis kraß illustrierten.

Der Berichterstatter macht im folgenden nähere Angaben über die verächtliche Behandlung der rumänischen Offiziere durch ihre sowjetischen Waffenbrüder. Es folgen dann Ausführungen über die Deportation nach Rußland, die Enteignung des deutschen landwirtschaftlichen Besitzes, die zwangsweise Umsiedlung in die Bărăgan-Steppe und die Ausreise nach Deutschland im Herbst 19511.


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