Nr. 46: Überraschendes Eindringen sowjetischer Truppen in das von ungarischen Einheiten besetzte und nur teilweise evakuierte Neuarad, Übergriffe sowjetischer Soldaten und rumänischer Plünderer in den Wochen und Monaten nach der Besetzung.

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Bericht der Bäuerin T. N. aus N e u a r a d (Aradul-Nou), Judeţ Arad im Banat.

Original, 18. Januar 1956, 16 Seiten, hschr. Teilabdruck.

Die Vfn. beginnt ihren Beridit mit allgemeinen Angaben über die polì-tisclie, wirtschaftliche und kirchliche Lage in Neuarad und fährt dann fort:

Als am 21. 9. 1944, an einem Donnerstagnachmittag, so 4 Uhr das Schießen und Krachen fürchterlich zu vernehmen war — ich war allein aus meiner Familie, Sohn und Schwiegersohn waren in der deutschen Armee, Tochter und Enkel geflüchtet, und noch einige aus der einen Nachbarschaft waren im Keller —, da hörte ich einen ungarischen Soldaten fürchterlich lamentieren um seine Mutter, bis er tot war. Wir trauten uns nicht zu schnaufen (atmen) vor Angst. Mein Wagen (ein grauer Streifwagen1) stand aufgepackt im Hof, zum Flüchten bereit. Da kam mir eine Angst: „Wenn das die Russen sehen!” Der Wagen war hoch geladen, wenigstens 20 m3 waren es. Ich sprang auf den Wagen, es krachte über meinem Kopf. Ich hörte nichts vor Angst. Ich erfaßte die Kisten ganz allein, mit 150 kg, und schleuderte alles in den Keller. Die Nachbarinnen waren im Keller versteckt und weinten. Dann ging ich fast ohne zu atmen und schaute auf die Gasse. Keinen Menschen sah man als 2 oder 3 ungarische Soldaten; [die] haben gerufen: „Jöjjetek fiuk mindjárt, itt van anz orosz!”2 Und es machte einen großen Kracher, und ich sah etwas brennen; und am nächsten Tag hörten wir, daß die Brücke gesprengt ist. Ich wollte auch flüchten, aber vorher wollte ich, meine Tochter mit meinem 11 Monate alten Enkel sollen nach Arad in Sicherheit gehn; und auch ich dachte nur über den Fluß (Maros) zu gehn und zurückkommen. Dann kam eine Nachbarin durch den Garten und sagte, daß die Russen schon da sind und einige ungarische Soldaten bei ihr durch den Garten gelaufen sind.

Zwei Tage waren alle Straßen wie abgefegt von Menschen. Alles ging durch den Garten. Dann begann erst die Angst recht. Abends zitterten wir, was wird wohl heute Nacht vorkommen, und morgens erst recht. So langsam traute sich der eine und der andere seine Wege zu machen. Der Vater von meinem Schwiegersohn wurde zuerst geplündert und beraubt und auch verfolgt. Der hatte den größten Holzplatz und war dabei ein Deutscher sein Sohn deutscher Soldat und Frau und Tochter geflüchtet. Er wollte dort bleiben und alles beschützen. Die Brücke war gesprengt, und da kamen über 100 Wägen und luden Holz auf für eine Notbrücke. Er sah zu, wie sie aufluden und schrieb sich alles auf. Da kamen viele deutsche Einwohner hin und bezahlten ihre vorherigen Schulden. Weil er nicht dort bleiben durfte, kam er zu mir, ganz bleich und ängstlich. „Warum sind wir dage-


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blieben?” sagte er. Er weinte und erzählte mir: „In der Langen Gasse kam ein Russe, machte mich stehnbleiben; ich mußte die Hände hoch heben; der nahm mir meine Aktentasche, wo mein ganzes Geld von der letzten Zeit drinnen war, meine Taschenuhr und alles, was er fand. Zum Schluß mußte ich meinen neuen Lederrock ausziehen, und dann durfte ich gehen.” Es war Nachmittag 4—5 Uhr. Auf der Straße waren ja Menschen, aber alles lief in die Höfe vor Angst. Er war oft in großer Gefahr. Einmal laufte einer mit einer Eisenstange ihm nach, und der Arme eilte aufs Gemeindehaus und wollte dort Zuflucht suchen. Der Richter bat ihn, bevor der Russe kommt, soll er durch die Gärten fortlaufen. In der Nacht haben sie meine äußere Tür mit einer Holzhacke durchgehackt, und wir sind alle beim Fenster hinausgesprungen, ohne gekleidet zum Nachbar im Keller. Dann hat er sich gänzlich versteckt bei meiner Schwägerin, bis diese die Gemeinde verlassen haben.

Unsere Nachbarin wurde von einigen Russen überfallen, war 83 Jahre alt. Die Jungen waren im Keller versteckt, und die Großmutter ist nachher bald gestorben. Keiner ging in Sonntagskleider auf der Straße. Keiner wollte schön sein und jung sein. Mein Stief-Schwiegervater, eine starker Mann, sollte den Russen Weiber verschaffen. Er machte, er geht sie holen, und sperrte sich im Keller ein. Dort haben sie ihn wie einen Hund erschossen. Niemand kümmerte sich darum. Unser Arzt Dr. Neff hat, als er die Russen in die Wohnung kommen sah, sich selbst vergiftet. In unserer Verwandtschaft eine Familie, die waren schon im Bett gelegen, da kam ein betrunkener Russe, der hat die Hausfrau schon beim Tag gesehen und konnte nichts tun, sie ist verschwunden, der kam in die Wohnung herein und warf den Mann aus dem Bett und legte sich in sein Bett. Die Frau wollte vom Bett, aber hatte keine Kraft vor Angst. Der Russe hielt die Pistole; wenn sie lauft, erschießt er alle zwei. Der Mann stand vor dem Bett und bat seine Frau, doch liegen zu bleiben, denn die Türe hat der Russe abgesperrt gehabt. Sie sagte, der Russe war so betrunken und hat bald eingeschlafen; dann ist die Frau in Nachthemd beim Fenster hinaus gesprungen und durch die Gärten zu der vierten Nachbarin gelaufen. Es war in einer kalten Jänner-Nacht. Die Frau war schon Großmutter, sieht aber noch sehr gut aus. Die Frau hatte in einer anderen Straße noch ein Haus gehabt, und dort wohnte sie im Keller 5—6 Wochen, und das Essen mußten sie ihr dorthin bringen, bis diese Russen die Gemeinde Neuarad verlassen haben.

In der Stadt Arad ging Frau P., eine junge, sehr hübsche Frau über den Corso (Hauptweg), wo die meisten Menschen verkehren, am späten Nachmittag heim von ihrer Arbeit; und dort im Park bereits vor der Evangelischen Kirche sind 3 starke Lakl Russen über sie hergefallen, und kein Mensch traute zu Hilfe zu kommen, bis die Russen sahen, daß die Frau sich nicht mehr rührt, gingen sie fort; und dann erst traute sich die sogenannte „Militz” zur Frau [zu] gehn. Sie wurde wie eine Leiche ins Spital gebracht, und es dauerte lange Zeit, bis ich die Frau wieder sah; aber gestorben ist sie nicht. Ein anderer Fall: Fuhr eine Lehrerin nach dem Unterricht von einer Gemeinde in die Nachbarsgemeinde, und es begegnete ihr ein Wagen


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mit Russen; die nahmen sie vom Fahrrad und zogen sie ins Kukrutzfeld. Die Russen fuhren nachher ihren Weg weiter; die Frau konnte nicht aufstehen, und nächsten Tag fand man sie samt Fahrrad dort liegen. Sie lebte noch, konnte noch alles sagen, was geschah, und ist in einigen Tagen gestorben. Niemand erzählte von solchen Geschehnissen, nur so ganz im Geheimen und in der nächsten Verwandschaft wurde es erzählt, und jeder bat, ja nichts weiterzuerzählen. Solche und ähnliche Fälle sind täglich und nächtlich vorgekommen. Da war eine Familie Prohaszka, hatten eine sehr, sehr hübsche Tochter. Es war ihr einziges Kind. Das Mädchen eilte heim, der Russe nach, und die Mutter verweigerte ihm die Tochter. Und dann paßte der Russe am Abend; als sie sich schlafen legten, hat der Russe durchs Fenster die Mutter erschossen. Sie war sofort tot. Kurz danach ist der Mann gestorben, wie weiß ich nicht. Jeder zitterte, und so wurden alle Fenster mit Brettern zugenagelt, daß keiner hereinschauen kann, und kein Mensch war neugierig, auf die Straße zu sehen. Und man hat auch vergeblich um Hilfe geschrieen, es kam keine Hilfe. Jeder versteckte sich noch mehr auf einen Schrei. Am Dorfrand war es überhaupt gefährlich und auf der Hauptstraße,

Die Arbeit am Feld, es war noch der Mais draußen, wurde nicht mehr gemacht, und die Weinlese blieb auch zum Großteil draußen. In jedem Hausgarten waren 1000—4000 Pflöcke in den Gärten, schön aufgeschichtet für die Tomaten. Als es kalt wurde, sind alle Zäune, Tore und die Pflöcke, Bretter und alles, was von Holz war, abgerissen, aufgeladen und zum verbrennen in die Spitäter usw. geführt worden. Unsere Gemeinde hatte ein sehr schönes Weingebirg mit über 400 schönen Häuser, die wurden abgerissen wie auf ein Kommando alle von den Rumänen. Das Bauholz wurde samt Weinpresse usw. verbrannt, und dann wurden auch die Pflöcke herausgerissen zum verbrennen. Es blieben bloß zwei Häuser stehen, wo Rumänen bewohnten.

Die Lust zur Arbeit und selbst die Freude zum Leben war weg. Diese fleißige Gemeinde war wie umgewechselt. Ich hatte ein Haus in der anderen Straße, wo ich ein Magazin mit wenigstens 1½ Waggon Weizen und ebensoviel oder noch mehr Mais hatte. Das wurde aufgebrochen, und jeder holte, ohne sich da zu schämen. Das waren die Rumänen von neben unserer Gemeinde, Klein-St. Nikolaus, wo die Hälfte dieser kleinen Gemeinde Rumänen waren und die bei den Deutschen sich gut auskannten und jeden persönlich kannten und bis dann in Frieden mit uns lebten. Jetzt haben sie sich entpuppt, wie gut sie uns sind. Ich habe zwei große Fässer, so 30 hl groß, einem Rumänen gegeben zum Aufheben und einem anderen 5 kleinere Weinfässer, so mit 300—400 Liter eins. Die anderen Fässer holte man von allen Deutschen, und diese waren genauso verloren, denn sie gaben sie auch nicht mehr zurück, und klagen konnte man nicht, weil ein Deutscher, was enteignet war, hatte kein Recht auf gar nichts. Die Möbel wurden überall, wo einer in der SS oder nach Deutschland geflüchtet war, alle aufgeladen und nach Rußland geführt. Ich habe selbst Waggons gesehen, wo lauter einfache Bänke, Tische und Stühle waren. Bestimmt aus einem deutschen Wirtshaus. Meinen Motor suchte ein russischer Hauptmann; den hatte jemand von sie


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schon gestohlen gehabt und der wollte mich erschießen darum; und in der letzten Minute kam der Vater meines Schwiegersohns und brachte seinen Motor, der freilich bei mir nicht paßte, und ein Meister, der es dann doch verstand es zu richten. Bei dieser Gelegenheit hat auch das Pöbelvolk sich in russische Kleider gesteckt, und es wurde geplündert jede Nacht. Ein großes Unglück war, wir hatten viel Wein und Schnaps im Keller, und unser Nachbar hatte vielleicht 35 hl starken Treber und Pflaumen-Schnaps. Das brachte mir viel Unheil.

Als die Russen kaum 2—3 Wochen dort waren, wurde aus meinem neuen Haus, wo ich erst l Jahr bewohnt hatte, ein russisches Lazarett gemacht für die Verwundeten, die von Budapest her kamen. Da begann wieder ein großer Leidensweg. Alle Tag mußten die Deutschen, besonders deren Kinder in der deutschen Armee waren, dort „Robota” machen. Die Wunden waren manchmal fast faul, so gestunken hat's; und sonst die allerniedrigsten Arbeiten. Er verrichtete seine Not ins Bett oder auf dem Parkett, und das mußte man reinigen. Ich hatte ein sehr schönes Badezimmer, und dort hatten sie die Wanne angefüllt; sie brauchten kein Klo. Jeder Mann bekam eine ganze Ente auf einmal zum Essen, was die Deutschen bringen mußten. Er rupfte herunter, solange er nur essen konnte, das andere hat er zu allem in die Wanne geworfen. Ich war nicht einen Tag ohne großes Leid. Das Lachen habe ich gänzlich verlernt. Selbst der Gesang in der Kirche war mir unerträglich, auf das mußte ich erst recht weinen.

Der Bericht befaßt sich im folgenden ausführlich mit der Enteignung des landwirtschaftlichen Besitzes und der Einrichtung der Kollektivwirtschaffen1.


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