Nr. 40: Die Lage in Traunau nach der rumänischen Kapitulation; vorübergehende Besetzung des Orts durch ungarische Truppen; nach Aufschub der organisierten Evakuierung überstürzte Flucht; Treck aus dem Kampfgebiet um Arad nach Niederösterreich; zweite Flucht vor den anrückenden sowjetischen Truppen.

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Bef ragungsbericht nach Aussagen des Landwirts J. T. aus T r a u n a u , Plasa Aradul-Nou (Neuarad), Judeţ Arad im Banat.

Original, 15. November 1952, 7 Seiten, mschr.

Traunau war eine rein schwäbische Gemeinde mit 1070 Einwohnern, Fremdnationale waren nur der Kuhhirt und der Abdecker. An Grund besaßen wir etwa 3000 Joch1 guten Ackerbodens. Wieviel Bauernhöfe Traunau hatte, weiß ich nicht mehr genau. Einschließlich der Kleinhäusler gab es jedenfalls 303 Hausnummern. Unser letzter Bürgermeister war ein Schwabe namens H. Der Ortsgruppenleiter hieß Hans Sch. Im Sommer 1943 waren 130 bis 135 Männer zur Waffen-SS eingerückt und befanden sich dann, als der Umsturz kam, an der Front.

Die Nachricht von der rumänischen Kapitulation erreichte uns am späten Abend des 23. August 1944 durch den Rundfunk. Es geschah zunächst nichts Bemerkenswertes. Erst am 25. oder 26. August ließ der Gendarmerieposten-Chef von Schöndorf — wir unterstanden diesbezüglich der Nachbargemeinde — unseren Ortsgruppenleiter zu sich rufen und erklärte ihm: „Ich habe Befehl, auf euch aufzupassen und die politischen Aktivisten zu verhaften. Aber ich will weder dich noch sonst jemanden verhaften. Dafür erwarte ich, daß ihr dann, wenn die Deutschen zurückkehren sollten, auch mich in Schutz nehmt.”

So unterblieb jede Maßnahme der Behörden gegen uns mit Rücksicht auf die wahrscheinliche Rückkehr der deutschen Wehrmacht oder der Ungarn. Niemand konnte voraussagen, wie die Lage sich entwickeln würde. Erst am 4. September nahm die Gendarmerie unseren Ortsgruppenleiter in Gewahrsam und schaffte ihn ins Lager nach Târnova, Kreis Arad. Der Postenchef wollte von Sch. vor dem Abtransport wissen, wer seine Mitarbeiter gewesen seien, aber Sch. erklärte, alles allein gemacht zu haben und keine Mitarbeiter zu besitzen. So kam es zu keinen weiteren Verhaftungen. Die im Lager Târnova internierten schwäbischen Männer wurden später ins rumänische Altreich gebracht, wo man sie in einem anderen Lager unterbrachte. Die jüngeren unter ihnen kamen im Januar 1945 nach Rußland und mit ihnen unser Ortsgruppenleiter, der 1948 als arbeitsunfähig in die Bundesrepublik entlassen wurde und seit 1952 in Toronto, Canada, eine neue Heimat gefunden hat.

Am 5. September erließ die Gendarmerie von Schönfeld einen Aufruf, wonach die deutsche Bevölkerung alle Kraftfahrzeuge, Fahrräder, Rundfunkempfänger und Waffen abzuliefern habe. Dies geschah. Sonst blieb alles ruhig, bis auf die verschiedenartigsten und z. T. verrückten Gerüchte,


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die die Runde machten und die unerträgliche Spannung verrieten, die über dem ganzen Banat lastete.

Um den 10. September herum kam Bewegung in die bis dahin wie erstarrte Situation: Von Arad her tauchten immer mehr flüchtende Rumänen auf, die sich vor den heranrückenden ungarischen Truppen in Sicherheit brachten. Behörden, Gendarmerie, Militär und rumänische und jüdische Zivilisten, eilten auf allen möglichen und unmöglichen Fahrzeugen in Richtun Lippa (Lipova) und Lugosch dahin. Der Flüchtlingsstrom schwoll am 12. September besonders an; nun wußten wir, daß die ungarischen Truppen nicht mehr weit sein konnten. Vor allem konnten wir aus den Vorbereitungen der Offiziersschule in Guttenbrunn bestimmte Schlüsse ziehen: die Offiziersschüler, etwa 900 an Zahl, bezogen Kampfstellungen, die von der Zivilbevölkerung ausgehoben werden mußten, soweit sie nicht aus dem Jahre 1939 her noch bestanden. Wir beobachteten auch zwei rumänische Panzer und mehrere Geschütze. Offensichtlich bereiteten die Rumänen hier ernsthaften Widerstand vor.

Ich kann mich nicht mehr entsinnen, ob es der 14. oder der 15. September war, als wir Gewehrfeuer hörten, das sich rasch unserer Gemeinde näherte. Aus mir unbekannten Gründen warfen ungarische Soldaten Handgranaten in die Gemelndekanzlei, als sie sich zurückziehen mußten in Richtung Arad. Das Haus geriet in Brand und wurde mitsamt den Gemeindebüchern vernichtet.

Wir wußten, daß es nun harte Kämpfe geben würde, denn es war uns folgendes bekannt: Nach der Kapitulation hatte der Leiter der rumänischen Offiziersschule die deutschen Ausbildungsoffiziere und Unteroffiziere mit der Erklärung in Ehren abziehen lassen, daß er und seine Schule keinen Widerstand leisten würde, wenn die deutsche Wehrmacht zurückkomme, er werde jedoch kämpfen, falls ungarische Streitkräfte eingesetzt werden sollten. Nun waren also ungarische Truppen da; deutsche waren nirgends zu sehen.

Der ungarische Vormarsch kam vor Guttenbrunn zum Stehen. Wir hörten Artillerie- und Infanteriefeuer. Verwundete kamen zurück und erzählten, die ungarischen Verluste seien schwer. Auf dem ganzen bisherigen Vormarsch habe es nicht so starke Ausfälle gegeben. Die Stimmung unter den Ungarn sank, ebenso die unsere, denn wir mußten feststellen, daß die eingesetzten Kräfte — es war vorwiegend Kavallerie — völlig unzureichend waren. Was sollten diese kleinen Verbände gegen die heranmarschierenden und stündlich erwarteten Russen ausrichten?

Wir gingen zum ungarischen Regimentskommando, das in unserer Gemeinde lag und ersuchten um Auskunft, ob es nicht besser sei, wenn wir das Dorf verließen. Die ungarischen Offiziere entgegneten uns: „Bleibt nur ruhig da. Drüben, jenseits der Maros, sind deutsche Truppen im Vorgehen, und hinter uns rücken SS-Verbände heran.” Tatsächlich sahen wir jenseits der Maros deutsche Flugzeuge, darunter auch Stukas, operieren und hörten starken Gefechtslärm. Dennoch trauten wir der Sache nicht und baten erneut um Abzugserlaubnis. Daraufhin verbot die ungarische Feldgendarmerie jeden Fluchtversuch.


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In der Gemeinde tauchten 4 Volksdeutsche in SS-Uniform auf, unter ihnen die Kameraden H. und R. Wir wurden bei diesen vorstellig und verlangten Auskunft über die Lage. H. wie auch R. sagten: „Die ungarischen und deutschen Kräfte sind unzureichend, es wird nichts anderes übrig bleiben als der Rückzug.”

Das war klar gesprochen, nur verstanden wir die „Arader Zeitung” und die Flugzettel nicht, die uns zum Ausharren aufforderten und ankündigten, daß Verstärkungen im Anmarsch seien. Es kam unter uns leitenden Männern der Gemeinde zu Auseinandersetzungen darüber, was zu tun sei. Die einen stützten sich auf die Parolen, die durch die „Arader Zeitung” und die Flugzettel verbreitet wurden und erklärten, dableiben zu wollen, die anderen plädierten für die Flucht. Ich erkannte die Verwirrung und machte mir schwere Sorgen, wie es gehen würde, wenn dennoch plötzlich der Abzugsbefehl käme. Es mußte, so sagte ich mir, ein fürchterliches Durcheinander geben.

Am 18. September; erschienen H. und R. wiederholt und gaben bekannt: „Binnen drei Stunden muß alles zum Abmarsch fertig sein. Nehmt euch Arbeitskleidung mit und Verflegung für 2 bis 3 Wochen. Später werdet ihr durch die Wehrmacht verpflegt werden. Seht zu, daß alle mitkommen, auf alle Fälle aber die Jugend, denn diese würde von den Russen bestimmt verschleppt werden.”

Unser Pfarrer kam zu der Besprechung hinzu. Er fragte H.: „Was wird nun geschehen?” H. stellte die Gegenfrage: „Welchen Auftrag haben Sie vom Bischof für diesen Fall?” Der Pfarrer erwiderte, er habe keinen Auftrag, er werde sich, falls mehr als die Hälfte der Bevölkerung flüchte, mit ihr begeben.

Wir beschlossen, unsere Leute zum Verlassen der Gemeinde aufzufordern. Von Haus zu Haus gingen Beauftragte, die den Fluchtbefehl durchsagten. Sie hatten Auftrag zu verkünden: „Das Dorf muß bis 4 Uhr nachmittag geräumt sein.” Es entwickelten sich endlose Diskussionen über das Für und Wider. Diejenigen Bauern, die gegen eine Flucht waren, sagten: „Wer von daheim weggeht, verliert alles, auch dann, wenn er später zurückkommt. Wer dableibt, kann sein Hab und Gut schützen.” So unterblieb eine geschlossene und organisierte Evakuierung. Wer sich für die Flucht entschlossen hatte und fertig war mit seinen Vorbereitungen, fuhr ab. So jagten Einzelgefährte und kleinere Kolonnen zur Gemeinde hinaus nach Engelsbrunn. Hier überlegten sich manche die Sache nochmals und kehrten wieder zurück. Die anderen fuhren weiter nach Arad. Sie hatten Auftrag, sich vor dem Deutschen Haus zu sammeln.

Ich verließ als einer der letzten unser Dorf. Die rumänische Artillerie schoß herüber, Maschinengewehre hämmerten. Das Feuer klang heftiger als bisher, und es hieß, es seien bereits russische Truppen im Einsatz. Mir krampfte sich das Herz zusammen, als ich über die zurückbleibenden Felder und die stattlichen Häuser blickte. Im Jahre 1784 hatten unsere Vorfahren hier mit der Ansiedlung begonnen und das wüste Land gerodet. Nun mußten wir alles das, was schwäbischer Fleiß geschaffen hatte, im Stich lassen.


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Am 18. 9. abends traf ich Kamerad R. im Deutschen Haus, dann sagte er mir, daß Traunau um 6 Uhr aufgegeben worden war. Russen und Rumänen seien nun bereits im Dorf. Ich dachte an die zurückgebliebenen deutschen Einwohner, an unser schönes Vieh, an die Häuser, an die Frauen und Kinder. Was würde aus ihnen werden? Und was aus uns?

Unterwegs nach Arad sah ich viel Volk, viel Jammer, viel Ratlosigkeit auf den Straßen. Der Hauptstrom der Flüchtlinge war schon vorher westwärts gezogen, was nun dahinhastete, waren Nachzügler und Flüchtlinge aus entfernteren Gemeinden. Ungarisches Militär zog in Kolonnen ebenfalls westwärts. Deutsche Truppen waren nirgends zu erblicken. Als wir mit unseren Pferdewagen durch Arad ratterten, bemerkte ich lediglich ungarische Gendarmerie in den Straßen. Zivilisten hasteten durcheinander, alles war in Panikstimmung. In Neuarad, durch das wir vorher durchgefahren waren, hatten sich einige Familien trotz meiner Vorhaltungen entschlossen, zurückzubleiben und in den schützenden Mauern der Stadt abzuwarten, bis sie wieder heimkehren könnten. Halsstarrigkeit, Besserwisserei, zähes Kleben an der Scholle einerseits und verworrene Befehle der Obrigkeit andererseits haben bewirkt, daß nur ein geringer Teil der schwäbischen Bevölkerung gerettet werden konnte.

Vor dem Deutschen Haus in Arad drängten sich die Fahrzeuge und Menschen. Sturmführer R. sprach zu uns und gab Parole aus, daß der Aufbruch nach Ungarn am nächsten Morgen um 7 Uhr erfolgen solle. Wir verbrachten die Nacht in unseren Wagen. Von Osten und Süden trug der Wind den dumpfen Klang von Artilleriesalven heran; dazwischen knatterten die Maschinengewehre, und von Zeit zu Zeit brummten Flugzeuge über uns weg. Als der Morgen graute, machten wir uns fertig. Ein SS-Mann vom Sonderkommando Eichmann — ich glaube dies unterstand der Volksdeutschen Mittelstelle und hatte den Auftrag, die Evakuierung zu leiten — wurde uns zugeteilt und übernahm die Führung des Trecks. Wir waren nur mehr 147 Traunauer auf 29 Pferdewagen, die wir nun aufbrachen. Mit uns zogen etwa ebensoviele Schöndorfer. Ein Teil der Schöndorfer Bevölkerung ist bereits vorher mit der Eisenbahn davongeschafft worden.

Der Aufbruch verzögerte sich, da es nicht gelang, alle in Reih und Glied zu bringen und aus anderen Gründen, bis gegen Mittag. Endlich fuhren wir los. Das Schießen im Osten und Süden der Stadt schwoll an und rückte näher. Durch die Straßen hetzten Zivilisten und Soldaten. Und immer noch zeigte sich kein deutsches Militär.

Wir fuhren auf Nebenwegen, da die Hauptstraßen von Militärkolonnen benötigt wurden. Es ging alles glatt und ohne Zwischenfälle. Am 21. September erreichten wir, nachdem wir Szentes durcbfahren hatten, Csongrád. Hier leitete man uns in ein großes Sammellager außerhalb der Stadt auf einer Anhöhe. Ich glaube, das Gut, in dem das Lager untergebracht war, hieß Faragó Major. Mau gab uns Essen und wies uns Obdach an. Das erste Mal, seitdem wir von daheim aufgebrochen waren, konnten wir uns etwas erholen. Drei Tage lang blieben wir in Faragó Major. Unser Treck wurde neu zusammengestellt und durch Gruppen aus anderen Gemeinden vergrößert. Am 24. September fuhren wir ab.


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In zwei Tagen waren wir in Dunaföldvár und nach weiteren drei Tagen in Mór, wo wir 14 Tage blieben. Hier stieß der Kreisleiter-Stellvertreter A. zu uns und übernahm die Neuorganisation und Führung des Trecks. Er teilte uns in vier Gruppen zu je rund 450 Personen. Größere Gemeinden blieben als geschlossene Einheiten zusammen, kleinere wurden durcheinandergemischt. Es waren Flüchtlinge aus 8 schwäbischen Gemeinden auf diese Weise im Treck vereinigt. Jede Gruppe erhielt einen Gruppenführer, der für das Wohl und Wehe seiner Leute verantwortlich war. Ehe wir abfuhren, erhielten wir Marschverpflegung zugeteilt. Später faßten wir unterwegs laufend Lebensmittel von der deutschen Wehrmacht.

Es folgen Angaben über eine persönliche Begegnung.

Von Mór zogen wir in ermüdenden Tagesmärschen — später zogen wir auch nachts dahin — nach Ödenburg, das wir am 19. oder 20. Oktober erreichten. Wir glaubten, daß es hier längere Rast geben würde, aber der Treck wurde weiterbeordert. Unser Vorschlag, nach Wien zu marschieren, wurde nicht akzeptiert. Man leitete uns seitswärts Wien über St. Polten und nach zweitägiger Rast in Krems über Wieselburg nach Melk. Hier wurden wir auf die Gemeinden des Kreises aufgeteilt.

Ich kam mit einer Gruppe nach Gerolding. Der Gemeinderat tagte hier gerade, als wir bei strömendem Regen einfuhren, und als ich im Gemeinderat vorsprach, sah ich wahrscheinlich wenig vertrauenerweckend aus, denn die Räte musterten mich ablehnendkritisch. Es gab ein langes Palaver und Ausflüchte allerseits: Man sei in Gerolding ohnehin so eingeengt, man könne uns nicht aufnehmen. Ich mußte mit dem Ortsgruppenleiter einen harten Kampf ausfechten, bis alle unsere Leute, die draußen im Regen warteten, irgendwo unterkriechen durften. Als ich mich zu meinem Quartier begab, rief die Tochter des Hauses ihrer Mutter zu: „Die Zigeuner kommen!” Das gab mir einen Stich. Bald mußte ich erfahren, daß man uns nicht als Zigeuner, doch als Deutsche sehr fragwürdiger Art ansah.

Am 8. April mußten wir wieder unser Bündel schnüren und flüchten, denn die Russen kamen über St. Polten. Diesmal ohne Pferde und Wagen, denn man hatte sie uns weggenommen. Wir schlugen uns mit der Eisenbahn und Schiff nach Passau durch, von wo man uns nach langem zermürbendem Warten in die Umgebung Münchens leitete. Als wir hier eintrafen, waren wir nur noch 54 Frauen und Männer und Kinder aus Traunau. Die übrigen hatte der Wirbel der Flucht von uns getrennt und sonstwohin verschlagen.

Im Laufe der späteren Jahre erhielt ich Nachrichten aus Traunau, aus denen ich entnehmen kann, wie es dort heute ungefähr aussieht: Unsere Häuser standen nach der Evakuierung einige Zeit leer, dann wurden sie von Zigeunern und Kolonisten bezogen. Im Januar 1945 sind viele der zurückgebliebenen Deutschen nach Rußland verschleppt worden, im Frühjahr und Sommer 1945 enteignete die Regierung Groza den gesamten deutschen Hof- und Bodenbesitz. Die zurückgebliebenen Traunauer wohnen heute in einem Winkel in ihren Häusern zusammengedrängt und fristen ihr Leben als Kollektiv-Bauern.


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