Nr. 43: Die Ereignisse in und um Temeschburg in den Tagen und Wochen nach der Kapitulation Rumäniens; Besetzung der Heimatgemeinde durch deutsche und ungarische Truppen, planmäßige Evakuierung der Gemeinde nach mehrtägiger Vorbereitung; Treck über Szeged-Veszprém-Ödenburg nach Niederösterreich.

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Erlebnisbericht des K. L. aus G., Judeţ Timiş-Torontal im Banat.

Original, 26. April 1956, 11 Seiten, mschr.1

23. August 1944: Ich weilte zu dieser Zeit in Bukarest. Die Stadt, in der manche geheime Fäden gesponnen wurden, war ins Kochen und Fiebern geraten. Der Vormarsch der Russen, die schon bei Jassy standen, die fast täglichen Fliegerangriffe zermürbten die Widerstandskraft. Aus der Spannung, der man überall begegnete, fühlte man heraus, daß etwas Schicksalentscheidendes im Anzug war. Der Abend bringt auch die Lösung. Als der Rundfunk kurz vor 21 Uhr die Durchsage einer wichtigen Meldung ankündigte, war bereits die Siedehitze erreicht. Punkt 21 Uhr trägt der Sender die Proklamation König Michaels I. ins Land und in die Welt. Sie enthält die Kündigung des Bündnisses mit dem Dritten Reich und die Kapitulation der rumänischen Armee. Dieser schicksalsschwere Schritt löste in einem großen Kreise der rumänischen Bevölkerung Genugtuung aus. Nun war die Zeit der Bombennächte vorbei, und man wiegte sich im Gefühle des Erlöstseins, hoffend, durch eine englisch-amerikanische Besatzung dem Würgegriff aus dem Osten entgehen zu können. Mehr als ernüchternd wirkte die Proklamation auf den deutschen Bevölkerungsteil. Als Deutscher fühlte man aus der Atmosphäre der in letzter Zeit gewachsenen Deutschfeindlichkeit das Aufsteigen eines drohenden Gewitters. — Mit Herrn Dr. Be. saßen wir nachdenklich und überlegend, was für uns persönlich zu unternehmen als notwendig erscheint. Mitten in dieses Bangen und Planen schrillt die Hausglocke auf. Ich öffne. Vor mir steht Herr Ch. aus T., der mit seinem Auto in Bukarest weilt und von meiner Anwesenheit in der Hauptstadt Kenntnis hat. Er teilt mir mit, daß er mit dem Auto den Heimweg antreten will und ladet mich ein, mit ihm zu kommen. Ich überlege nicht lange und bin entschlossen, mitzufahren, da ja auch zu befürchten war, daß angesichts der Lage der Eisenbahnverkehr zum Erliegen kommt. Die Front ist durchbrochen, die rumänischen Truppen fallen aus, und es ist zu erwarten, daß die Rote Armee in kürzester Zeit die Hauptstadt erreicht haben wird. Auf der Straße bemerkt man Militärpatrouillen. Hie und da fallen die ersten Schüsse. Ein Wirrwarr liegt im Bereich der Möglichkeiten, liegen doch im Lande und [in] Bukarest selbst verschiedene deutsche Einheiten. Wir sind


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uns einig, daß eine Abfahrt aus der zu brodeln beginnenden Stadt in der Nacht nicht möglich ist. Wir entschließen uns, den Versuch am Morgen zu machen. Die kommenden Stunden der Ungewißheit geben reichlich Gelegenheit und Zeit, das Geschehen und die Konsequenzen zu überdenken.

24. August 1944: Herr Ch. holt mich mit seinem Wagen ab. Um etwa 7 Uhr fahren wir ab und versuchen, aus dem Trubel zu kommen. Das Bild, das sich uns auf der Straße präsentiert, ist mehr als merkwürdig. Freude herrscht. Es spricht sich herum, daß Rumänien von den Engländern und Amerikanern besetzt wird. Zwischendurch sind Schießereien hörbar. Doch die Menschen fallen sich einander um den Hals: „Vine Englezi!”, „Vine Americani!” (Es kommen die Engländer, es kommen die Amerikaner!) Wir aber kommen durch, können glücklich alle Sperren und Kontrollen passieren. Über Piteşti, Richtung Craiova, geht die Fahrt nun flott voran. Kaum 20 km außerhalb Bukarests merken wir den Aufstieg großer Rauchsäulen über der Stadt! Bomben fallen. Die Straße ist belebt von deutschen Fahrzeugen. Sie fahren ohne Störung westwärts, war doch in der Königsproklamation der freie Abzug zugesichert. Die Lage spitzt sich aber zu, und wir müssen bald Straßensperren, die durch rumänisches Militär gelegt wurden, passieren. Deutsche Militärfahrzeuge werden nicht mehr durchgelassen. Am Beginn der Fahrt sehen wir noch, wie sich da und dort deutsche und rumänische Soldaten und Offiziere voneinander herzlich verabschieden. Dieses Bild aber wechselt schon nach kurzer Zeit. An den Sperren herrscht dicke Luft. Zivilreisende und mit ihnen auch wir kommen verhältnismäßig schnell vorwärts. Am Nachmittag sollten wir ein seltsames Erlebnis haben. Einige Kilometer vor Craiova steht am Straßenrand eine lange Kolonne Militärlastwagen und Personenwagen (rumänische). Auf der Straße stehen kleine Trupps vollbewaffneter rumänischer Jäger und spazieren rumänische Offiziere mit ernster Miene auf und ab. Plötzlich sagt Herr Ch: „Schauen Sie, das ist doch der König!” Tatsächlich steht da, von Offizieren umringt, König Michael I. Wir können und wollen auch nicht halten und sind froh, an der Kolonne vorbeizukommen. Die Gesichter der Umherstehenden und das des Königs verraten, daß man mit schweren Sorgen beladen ist. Durch Craiova kommen wir gut durch und treffen ohne Zwischenfall spät in der Nacht in Orşova ein. Hier übernachten wir. Der Fahrer kann nicht weiter.

25. August 1944: Zeitlich in der Früh setzen wir die Reise fort. Am Nachmittag treffen wir in Temeschwar ein.

In den folgenden Tagen marschierten die russischen Truppen in Bukarest ein. Bald war jede Verbindung mit der Hauptstadt unterbrochen. Keine Nachrichten kamen, keine Zeitungen, kein Zugverkehr. Ich war im letzten Augenblick der Hölle entronnen. Es folgten turbulente Tage. Der Deutschenhaß schlug höhere und höhere Wellen. Bald war auch die erste deutschfeindliche Aktion gestiegen. Sie richtete sich hauptsächlich gegen die Amtsträger der Volksgruppe. Alle, deren man habhaft werden konnte, wurden festgenommen und im Hunyadi-Kastell interniert. Ihre Zahl ging in die Hunderte. Die Erregung stieg von Tag zu Tag, die Unsicherheit wuchs.

Eines Morgens erlebten wir eine Überraschung. Der 11. September 1944 etwa brachte sie uns: Die Straßen Temeschwars sind für diese Tageszeit (früh


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7—8 Uhr) außerordentlich belebt. Allenthalben sieht man bepackte LKW, Pferdefuhrwerke dahinfahren. An anderen Stellen sieht man fieberhaft packen und aufladen. Die Kunde geht von Mund zu Mund: „Es kommen die Deutschen!” Juden und Rumänen verlassen fluchtartig die Stadt. Sie wird immer stiller, die Straßen menschenleer. Die deutsche Bevölkerung bleibt und harrt der Dinge, die da kommen sollen. Tatsächlich ist eine kleine Einheit deutscher Truppen, aus Jugoslawien kommend, über Moravitza, bis an die Ziegelei in der Schager Straße vorgedrungen. Die Temeschwarer Garnison wurde ihnen entgegengeworfen. Kennzeichnend für die Panik, die auch an höchsten rumänischen Stellen herrschte, ist, daß der Schlüssel der Polizeipräfektur einer deutschen Persönlichkeit übergeben worden ist. 3 Uhr nachmittags: Der ganze Rummel ist vorbei, die Stadt wieder lebendig. Der „Sieg” wird in Aufmärschen und Trinkgelagen, unter Schmähung der Deutschen, tüchtig gefeiert.

Der angebliche Plan der Deutschen, das Banat zu besetzen und solange zu halten, bis die deutsche Zivilbevölkerung im Westen in Sicherheit gebracht wäre, war gescheitert. Dafür waren aber die Russen im Eilmarsch herangerückt und standen in den nächsten Tagen vor den Toren der Stadt. Mir gelang es noch mit dem letzten Zug zu meiner Familie nach G. zu kommen.

14. September: Der Zugverkehr nach Temeschwar ist eingestellt worden. Deutsche Einheiten versuchen abermals einen Vorstoß, um das Banat freizumachen. Es bildet sich eine Frontlinie, die das Eisenbahnnetz durchkreuzt.

In G. war noch alles verhältnismäßig ruhig. Deutsche Militärbehörden brachten Güterwagen herbei. (Die Arader Linie war noch frei.) Fieberhaft wurden Getreide und Vieh, besonders Schweine, verladen. Einige Tage vergingen.

17. September: Ungarische Truppen ziehen durch. Auf großen Plakaten wird kundgetan, daß wir unter ungarische Verwaltung kommen und alle Gewalt in den Händen des ungarischen Truppenkommandanten liegt. Ihre Parole, die sie stolz verkünden, lautet: „Wir haben die Aufgabe, die 1000-jährige Grenze des Königreiches Ungarn wieder herzustellen.” Am nächsten Tag ziehen sie weiter, angeblich um mit den deutschen Truppen die Verbindung aufzunehmen. An das Gelingen des Planes der Wiederherstellung der alten Königreichsgrenze glaubt kaum jemand.

19. September: Eine lange Kolonne leerer Wagen fährt durch das Dorf. Sie waren aus T. gekommen und hatten ungarische Truppen an die Grenze gebracht. Die Kämpfe an der Linie Betschkerek—Perjamosch werden lebhafter. Es treffen auch neue deutsche Truppen ein. Sie kommen aus Griechenland und sollen das Banat freikämpfen. Auch in unserer Gemeinde wird Quartier für sie bereitgestellt. Die ersten Todesopfer aus der Reihe der Zivilbevölkerung der Umgebung werden bekannt. Der Direktor der Lovriner Ziegelei ist samt seiner Familie von Partisanen ermordet worden. Auch die ersten Flüchtlinge aus den Gemeinden in der Kampflinie treffen ein. Auch sie bringen einen Toten mit sich, der auf der Flucht erschossen worden ist. Er wird unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zu Grabe getragen. Die Fieberkurve steigt, die Unsicherheit wächst! Eine


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Art Selbstschutz wird eingerichtet. Männer, soweit noch welche da sind, müssen Nachtwache halten. Als die deutschen Truppen sich eingerichtet haben, fällt dieser Dienst wieder aus, und es kehrt mehr Beruhigung ein. — Die Soldaten werden in den Quartieren wie Gäste gehalten, und der Koch der Einheit, der hier Gelegenheit bekam, sein Bestes herzugeben, hatte keine Abnehmer für Essen.

Ein „Hodajosch” (Arbeitsmann) von einer Bauernwirtschaft in der Nähe von W. trifft ein. Mit leerem Wagen ist er mit seiner Familie im wahrsten Sinne des Wortes geflohen. Ernst und tränenlos sind Vater und Mutter, erschüttert. Eines ihrer Kinder war tödlich getroffen. Sie berichten, daß sie in die Gemeinde W., wo der Besitzer wohnt, nicht mehr zurückkehren konnten, um dem Brotgeber über die Lage zu berichten. Die Maisfelder sind voller Partisanen. Ein Arbeiten auf dem Felde ist unmöglich. Sie wollen in ihre eigentliche Heimatgemeinde V. weiterziehen.

Zwischendurch kommen die Evakuierungsbefehle. Niemand weiß zunächst, wer anordnet. Es heißt nur: „Abziehen! Sofort! Morgen hat jeder die Gemeinde zu verlassen!” Niemand weiß wohin; jeder schüttelt den Kopf; niemand will weg. Um den Evakuierungsbefehlen Geltung zu verschaffen, erscheint eines Tages, aus Jugoslawien oder Hatzfeld kommend, ein Rollkommando. Prof. E. führt sie an. Eine Volksversammlung wird einberufen. Sie findet in der Schule statt. Zumeist Frauen sind anwesend. Sie wollen von einer Flucht nichts hören. Es wird herumdebattiert, geschimpft, aber weg will niemand. Die Volksseele ist aufgewühlt. Die Männer, die Buben in den Krieg gezogen, Frauen und Mütter stehen ratlos vor der Entscheidung. Es geht doch letztlich um alles, Hab und Gut, Familie und Leben. Wie in einem aufgescheuchten Bienenschwarm summt und brummt es auf den Straßen und Plätzen des Dorfes, und niemand weiß einen vernünftigen Ausweg. Was, wenn wir bleiben? Was, wenn wir ziehen? Wo landen wir? Wo finden wir unsere Männer und Buben? Werden die je wieder heimkönnen, wenn wir bleiben? Wer könnte die Not, in der sich Menschen in solcher Situation befinden, beschreiben!

Es folgen allgemeine Reflexionen über die Lage der deutschen Bevölkerung.

Ein Soldat, in Groß-Sankt Peter geboren, will heim, die Eltern noch mal besuchen. Er kommt aber nur bis knapp vor das Dorf. Er wird von Partisanen beschossen und muß unverrichteter Dinge zurückkehren. Er rät seinen hier lebenden Verwandten: „Bleibt, wo ihr seid! Ich war im Norden und Süden, im Westen und Osten, ein Banat gibt es nirgends.” — Um Klarheit zu schaffen, werden Beauftragte nach Kikinda, das im jugoslawischen Banat liegt, entsendet. Sie sollen in Erfahrung bringen, wer da die Evakuierung befiehlt und wohin es eigentlich geht. Sie kehren mit fast leeren Händen zurück. Kommandostellen wurden keine mehr vorgefunden, nur eine Verbindungsstelle. Hier gab man den Rat, wenn ein Weg noch frei ist und Befehl zur Evakuierung gegeben ist, diesem zu folgen. Die Partisanen sind unberechenbar, und es ist besser, man weicht einer eventuellen Katastrophe aus. Auch dieses Unternehmen konnte keine Klarheit schaffen. Die Situation wurde mehr und mehr verwirrter.


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1. Oktober 1944: Nahezu 40 Soldaten ruhen bereits auf dem Friedhof. Heldentod! In stiller Ergriffenheit gaben Priester und Volk ihnen das letzte Geleit. Das tägliche Sterben junger Menschen trug Schauer in das von Gefahr umtobte Dorf. — Die Soldaten ziehen ab. Andere kommen.

2. Oktober 1944: Es wird ernster. Es trommelt: „Alle Flüchtlinge haben den Ort morgen, Dienstag, zu verlassen. Freitag, den 6., früh sieben Uhr sind alle Einheimischen am Gemeindehaus versammelt, zwecks Abmarsch! Wer Wagen und Pferde hat, soll einspannen.” Die Unruhe wächst. Was nun?

5. Oktober 1944: Die Soldaten kommen nicht mehr ins Quartier. Das war für uns ein schlimmes Zeichen. 5—6 Familien machen sich bereits am Nachmittag auf den Weg. Sie wollen über Jugoslawien und fahren Richtung Kikinda. Die Wagen werden bepackt. Gegen Abend trifft mein Vetter ans Sch. mit Familie und noch einer bekannten Familie ein. Sie berichten über die Zustände in Sch., wo der Kampf tobt. „Sch. brennt!” Mit diesen Worten begrüßen sie uns und erzählen, wie der und der tödlich getroffen wurde und umkam und im Garten beerdigt werden mußte, weil eine ordnungsgemäße Bestattung unmöglich war. Den ganzen Tag über sind Schießereien. Ein Schock fährt uns durch die Knochen angesichts der näher und näher kommenden Gefahr.

Unter den Soldaten ist ein eiliges Packen zu beobachten. Dies erhöht in uns die Unruhe. Böses ahnend und sorgerfüllt gehen wir zu Bett mit dem Vorhaben, abzuwarten; dies umsomehr, da meine Frau gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe ist. — Die Truppen beginnen mit ihrem Abzug. Das Telefonkabel, das erst nachmittags gelegt worden ist, beginnt man aufzurollen. Das Geräusch der Demontage läßt uns ahnen, daß wir bald schutzlos dastehen werden. Meine Frau will sich vergewissern, geht zum Fenster und fragt den demontierenden Soldaten, was er tue, ob sie abhauen. Er murmelt nur ein Ja. Um 12 Uhr weckt mich meine Frau. Wir besprechen die Lage. Ich gehe zur Kommandantur, um Näheres zu erfahren. Im Dorf ist emsiges Treiben und Hasten. Bei der Kommandantur sagt mir der Adjutant: „Wenn Sie nicht in die Hände der Russen fallen wollen, müssen Sie noch in dieser Nacht weg, bis Tagesanbruch ist G. im Schußbereich des Feindes. Ein Wegkommen wird dann kaum mehr möglich sein. Wir halten noch, um den Rückzug zu decken, dann ziehen auch wir ab. Ein Weg über Groß-Sankt Nikolaus ist noch frei.” Diese Auskunft gibt uns den letzten Stoß. Ich schaue mich noch im Zentrum des Dorfes um. Hier ist schon alles auf den Beinen und marschbereit. Die Losung wird ausgegeben, daß um 3 Uhr früh Abmarsch ist. Ich gehe heim. Wir entschließen uns mitzuziehen.

6. Oktober 1944: In dieser Nacht ziehen über 20 Wagen aus der Gemeinde nordwärts. Die Gasse ist lebendig wie am Tag. Zwischen 2 und 3 Uhr verlassen wir in Gottes Namen unsere geliebte Heimat und empfehlen uns dem Schütze des göttlichen Herzens; es ist Herz-Jesu-Freitag. Was im Innern unser aller vorgeht zu beschreiben, geht nicht. Auch beim Abschied von Freunden ist es einem so, als kehrten wir bald zurück. Das Schreckliche aber ist, daß das Ende der Reise nicht zu übersehen ist. So sind wir heute, am 6. Oktober 1944 obdach- und heimatlos geworden. Die Landstraße wimmelt von Autos, Traktoren, Lastwagen, Menschen, Tieren, Handwagen. —


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L. brennt! — Von M. und Kikinda kommen Flüchtlinge; einige davon sind schon unter die Partisanen geraten, umgekehrt und glücklich davongekommen. Die Fahrt geht bis T. nur langsam voran, ist doch der Weg vom vielen Regen aufgeweicht und den LKW der Wehrmacht aufgewühlt, daß die Wagen stellenweise bis zur Achse einsinken. An unserem Wagen ist das eine Pferd ein 2jähriges Fohlen. Im tiefen Morast vor T. versinkt der Wagen, wir bleiben stecken. Ein Gespann kommt uns zu Hilfe und zieht uns nach. In T. ist die Stimmung eine andere. Hier ist man sich plötzlich des französischen Abstammes bewußt geworden. Sie tuen es in der Hoffnung, als Franzosen in der kommenden Zeit eine Vorzugsbehandlung erfahren zu können. In T. kommen wir auf die Schotterstraße. Die Fahrt geht glatter und flotter.

Vor Groß-Sankt Nikolaus, es ist etwa 8 Uhr früh, treffen wir auf die ersten Spuren eines Kampfes. Groß-Sankt Nikolaus war schon von Russen und Partisanen besetzt, ist aber wieder freigekämpft worden, um den letzten Truppen den Weg freizumachen. Ein toter Russe am Wegrand läßt uns erschauern. In Groß-Sankt Nikolaus sind die Straßen von Fuhrwerken der Flüchtlinge aus allen Gemeinden der Heide, mit LKW und Fahrzeugen der zurückströmenden Truppen verstopft. Hier bekommt unsere Kolonne den Befehl, Richtung T. weiterzufahren. Wir fahren los, obwohl wir gewarnt werden, daß T. bereits von Russen besetzt ist oder zumindest um den Besitz von T. schwer gekämpft werde. Eine Klosterfrau öffnet das Fenster und ruft uns verzweifelt zu: „Fahrt doch nicht über T., da sind ja die Russen!” Selbstherrlich führt unser Treckführer die Kolonne weiter in der eingeschlagenen Richtung. Er hat ja Befehl. Es müßte ihm aber zumindest auffallen, daß außer uns niemand auf dieser Straße fährt. Auf der Weiterfahrt kommen wir an einer deutschen Artillerie-Stellung vorbei, die über unsere Köpfe Richtung T. feuert. Wir machen den Treckführer auf den Irrtum aufmerksam. Er beruft sich auf den erhaltenen Befehl und führt die Kolonne weiter. Endlich überholt uns ein Kradmelder. Diesem gelingt es mit gezogener Pistole, den Treck zur Umkehr zu bringen. So entgehen wir einem wahrscheinlich verhängnisvollen Schicksal.

Bis zurück nach Groß-Sankt Nikolaus komme ich noch mit meinem Wagen. Da aber versagt der 2jährige. Über Keglevich stellt uns ein schwerer Weg bevor. Ich lade einiges vom Wagen ab, um die Last zu verkleinern und mache mich auf die Suche nach einem Pferd. Um 80 000 Lei kaufe ich dann den braven Fuxi. Fuhrwerk an Fuhrwerk verstopfen die Straße, die aufgeweicht ist. Es geht kaum einige Schritte vorwärts, dann heißt es: „Hoooha!”, dann wieder: „Je!” In Altbeschenowa treffen wir uns wieder mit den Landsleuten. Hier wird übernachtet. Im Massenquartier werden wir untergebracht. Die Pferde können nicht ausgespannt werden. Der 2jährige Braune war ganz von Kräften. Im Stehen schläft er und sackt plötzlich stöhnend zusammen. Ist es ein Vorspiel zu dem, was uns noch bevorsteht? Viele Tschanader und Groß-Sankt Nikolauser fahren durch. Sie haben nicht mehr soviel Zeit gehabt, um aufzupacken. Das Notdürftigste oder auch gar nichts ist auf den Wägen, es gilt ja das nackte Leben zu retten. Wir hatten im Ersten Weltkrieg aus Siebenbürgen Flüchtlinge. Die


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hatten uns ja erzählt, wie es auf einer solchen Flucht zugeht und daß man hauptsächlich für Futter und Verpflegung sorgen muß. Wir haben an sie gedacht, bevor wir uns auf den Weg begaben.

7. Oktober 1944: Zeitlich in der Frühe geht die Fahrt weiter in Richtung Keglevichhausen. Ein schier unfahrbarer Weg nimmt uns auf. Nichts als Dreck und Morast! Gut, daß wir den Fuxi gekauft haben. Auf dieser aufgewühlten Lehmstraße kämen wir ohne ihn nicht weiter. „Wenn wir da durchkommen”, heißt es immer wieder, „dann überall.” Und wir kommen durch. Daß auch hier die Organisation nicht klappt, wundert uns gar nicht mehr. Wer könnte auch in einen solchen Haufen Ordnung bringen und unter solchen Verhältnissen noch planen! Zuerst heißt es: Richtung Kiszombor! Kaum [hat man sich] einige Kilometer auf einem sumpfigen Wiesenweg durchgeplagt, heißt es wieder: Kehrt, Richtung Óbeb! Wieder geht es zurück bis fast zum Ortsausgang von Keglevich. Hier biegt der Weg in eine Schotterstraße. Alle sind wir froh, festeren Boden unter die Wägen zu bekommen. Aber beim Einbiegen in die Schotterstraße bricht der Backen an der hinteren Achse. Der Wagen zieht sich auseinander. Ein Weiterfahren ist unmöglich. Lange Überlegungszeit gibt es nicht. Wieder überholen uns Leute aus Tschanad, wo der Kampf tobt. Sie kommen ohne alles; barfuß, im Hemd, ohne Rock und Bluse sind Männer und Frauen buchstäblich davongelaufen. Aus der Panik und dem Bericht geht hervor, daß die Russen hart auf unseren Fersen sind. In dieser Situation ist auf eine Hilfe anderer nicht zu rechnen. Jeder hat mit sich selbst zu tun, um vorwärts zu kommen. Vielleicht geht es bis zum nächsten Dorf, wenn die Last verringert wird. Ein LKW ist bereit, einen Teil der Ladung zu übernehmen und in den nächsten Ort zu bringen. Großmutter und die Nachbarin mit ihren 2 Kindern fahren mit dem LKW und den Sachen. Meine Frau und ich bleiben. Wir versuchen die Weiterfahrt, doch vergeblich. Ich laufe ins Dorf nach Keglevich, um einen Wagen aufzutreiben. Kein Rad ist vorfindbar. In einem Ungarn, der zu Hause bleibt, begegne ich dem Retter in der Not. Er schenkt mir einen Strick und hilft mir die Vorder- und Hinterachse zusammenzuhängen. Ein Versuch — es geht. Wir fahren auf der Schotterstraße leichter. Wir fahren die Nacht durch. Vergeblich halten wir unter den am Wegrand Stehenden Umschau. Oma ist nicht zu sehen. Dagegen treffen wir auf einen Landsmann, dem es auch mit dem Wagen schief gegangen ist, nur mit dem Unterschied, daß er den entleerten Wagen im Graben liegen läßt.

8. Oktober: Über Kübekháza, Szöreg treffen wir um 6 Uhr früh in Szegedin ein. Vor, bei, um Szöreg haben wir l, 2, 3 Stunden gestanden? Die finstere Nacht hat uns geschützt. Das Kampfgetöse ist uns ganz nahe gerückt. Kenner klären uns auf: das sind Stalinorgeltöne! In Szegedin steht ein altes Ehepaar aus B. traurig vor dem Hause ihrer Tochter. Sie wollten sich hierher in Sicherheit bringen, nun ist sie samt Kindern schon fort. — Wir machen Rast. Der große Platz ist dicht besetzt mit Wagen und Fahrzeugen aller Art. Ich mache mich auf, um die Oma zu suchen, vielleicht könnte sie schon bis hierher gekommen sein. — Fliegeralarm. Der Platz leert sich. Die Großmutter kann ich nirgends finden. Alles rennt kopflos durcheinander. Am Bahnhof kann ich nur soviel erfahren, daß Transporte


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bereits abgegangen seien. Ist Mutter dabei gewesen? Auch von Landsleuten ist nichts mehr zu sehen. —- Entwarnung. Wir versorgen die Pferde mit Wasser. Freundliche Menschen reichen uns Eier zum Essen. Schweren Herzens ziehen wir weiter. Wo blieb die Mutter? Wo sind die anderen? — Wir schauen noch einmal zurück. — Da, ein Einschlag! Dort ein Treffer! — Allerhöchste Zeit! — Die Hauptstraße ist von Militär und hauptsächlich von der fliehenden Szegediner Polizei belegt. Wir werden auf eine Seitenstraße dirigiert. Hier treffen wir noch andere Nachzügler, zumeist T-er. Nur mühsam geht es hier vorwärts. Der Feldweg ist sandig, und die Räder schneiden tief ein, zudem ist unser Wagen defekt. Das eine Hinterrad steht schräg. Nach mehrstündiger Plage kommen wir endlich auf eine feste Straße. Hier zieht sich schon ein endloser Treck dahin. Wir treffen hier auf M-er, doch von unseren Leuten ist nichts zu erfahren. Wir fahren die ganze Nacht wieder durch.

9. Oktober: Das war eine Gewaltfahrt. Über 100 km in einem Zug! Nur an Brunnen etwas gehalten, die Pferde mit Wasser und Hafer gestärkt, wir gelbst haben im Wagen gegessen. Nachmittags um 3 Uhr treffen wir einen Teil der Landsleute, diese Freude! Mehr noch als wir freuen sich die Lieben, uns wieder bei sich zu wissen. Niemand will noch weiter. Auf einer Wiese machen wir alle Halt. Kalocsa ist schon sichtbar. Auf unser Drängen fahren wir doch noch weiter. Spät abends kommen wir an. Auf dem Platz vor einer Kirche schlagen wir unser Nachtlager auf. Die Frauen kochen auf offenem Feuer, die Großmütter beschäftigen sich mit den Kindern, die Männer versorgen die Pferde. Es ist echte Freilagerstimmung und auch eine wohltuende Atempause. Die Erlebnisse während der Trennungszeit werden ausgetauscht. Mutter und die Frau mit den Kindern ist von niemandem gesehen worden. Für Mehl, Speck, Zucker, Hausleinwand wird eingekauft. Unser Geld wird als Zahlungsmittel nicht angenommen. Der Abend ist lind, und wir sind alle müde.

10. Oktober: Frühzeitig, noch in der Dunkelheit brechen wir auf. Wir müssen heute noch bei Dunaföldvár über die Donau. Die Straße ist bereits überfüllt, es dauert eine gute Weile, bis wir uns in eine Lücke einreihen können. Und dicht bleibt Wagen hinter Wagen, sonst ist man aus der Reihe und voneinander wieder getrennt. — Bei Dunaföldvár stehen wir von 9 Uhr früh bis abends 8 kurz vor der Brücke. Ungarn und Soldaten haben das Vorfahrtrecht. Eine endlose Kolonne. Die Pferde können kein Wasser haben. Den Hafersack erhalten sie. Vom Wagen kann sich niemand entfernen. Schon wurde die Kunde laut, daß am Abend, nach Abzug der Deutschen, die Brücke gesprengt würde! — Eine nervöse Panik greift um sich, doch es geht nicht schneller. Endlich bewegt sich die Kolonne im Hahnenschritt. Abends zwischen 8 und 9 Uhr ist es endlich soweit, daß wir die Brücke hinter uns haben. Gott sei Dank! Angesichts der Russengefahr, die uns immer noch auf den Fersen folgt, ist Eile geboten, obwohl hinter uns die Donau liegt und ein rasches Vordringen der Russen unwahrscheinlich scheint. Wir fahren auch die dritte Nacht durch. Doch nur noch Zivilisten in der Kolonne. Einige Soldaten als Begleitpersonen. Die Gemüter beruhigen sich allmählich.


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11. Oktober: Gegen 11 Uhr vormittags treffen wir in Cece ein. Es regnet. Wieder treffen wir hier auf einen Landsmann, Kaufmann Th. Die Frau weint und jammert. Es geht die Sage, ihre Kinder und Enkel wären in die Hände der Russen gefallen. Wir trösten sie, weil wir die Kinder unterwegs einmal gesehen und mit ihnen gesprochen haben, Doch wo sie verblieben sind, wissen auch wir nicht. Hier wollen wir rasten, doch nach dem Mittagessen geht es schon wieder weiter. Auf großen Umwegen kommen wir in Mezözilas an, ein Wolkenbruch öffnet uns alle Tore. Rechts und links der Straßen biegen die Wagen ein. Wir sind 5 Wagen in diesem Hof, doch aus G. nur allein, die anderen sind aus Perjamosch und Tschanad. Hausherr und Nachbarn sind behilflich. Unsere Pferde werden in einen Nachbarstall geführt, da der Stall in diesem Hof schon überbelegt ist. Der Bauer reibt die Pferde tüchtig mit Strohwisch ab und versorgt sie reichlich mit Langfutter. Als wir zurückkommmen, sehen wir die Hausfrau emsig beschäftigt. Sie sprechen ungarisch mit uns. Bieten uns Waschgelegenheit. Während die Hausfrau mehrere Nudelflecke bereitet, interessiert sich der Hausherr lebhaft nach unserem Woher und Wohin. Es ist wohltuend, gütige Menschen gefunden zu haben, die an unserem Schicksal warmen Anteil nehmen. Die Käsnudel schmecken ausgezeichnet. Den Frauen und Kindern sind Betten zum Schlafen angeboten, was dankbar angenommen wird. Die Männer machen sich im Wagen breit. Zum erstenmal ein weiches Bett und für die Pferde ein warmer Stall. Das Vaterunser konnte keiner bis zu Ende beten. Der Schlaf war tief, tief und erquickend. Vergelťs euch Gott, ihr Guten!

12. Oktober: Weiter geht es in Richtung Veszprém. Der Zug ist noch immer ohne Anfang und ohne Ende. Bis wir da wieder eingereiht sind! — Auf der großen Wiese neben dem Friedhof in Veszprém finden wir die übrigen Wagen unserer Landsleute. Welches Glück und welche Freude! Die kleine Schar, die zusammen ausgezogen war, ist nun wieder beisammen. Doch wo sind die, die wegen Wagenbruch mit Soldatenfahrzeugen weiterbefördert wurden? — Es überrascht uns ein Tiefflieger. Im nahegelegenen Friedhof suchen wir Schutz. Die Toten haben uns gut beschützt, nicht der geringste Schaden ist enstanden. Noch eine große Freude! Ein Wagen, der nach der ersten Beschießung unseres Dorfes die Heimat verlassen hat, stößt zu uns. Sie wollten die Heimat eigentlich nicht verlassen, wurden jedoch, wie sie erzählen, von einem Ende des Dorfes an das andere zwangsevakuiert. So von ½7 bis 7 Uhr herum dauerte die erste Schießerei. Als nach einer Stunde noch nicht wieder geschossen wurde, begaben sie sich nach Hause um nach dem Vieh zu sehen, Doch wie erschrocken waren sie, als sie in ihrem Hof Maschinengewehre und Kanonen in Stellung vorfanden. Sie eilten zurück, bepackten schnell einen Wagen mit den Hausleuten und ergriffen die Flucht. Um kein Dorf zu berühren, fuhren sie querfeldein. Auf der Straße durften sie nicht fahren, weil die Soldaten keine Zivilisten mehr unter sich duldeten. Die Räder sperrten sich. Sie liefen neben dem Wagen her, um die Räder zu putzen, und verloren buchstäblich die Schuhsohlen. Wie froh sind auch sie, wieder mit Landsleuten Zusammensein zu können.

Es geht weiter über Jánosháza, Celldömölk, Hegyfalu in Richtung Öden-


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burg. Die Nächte 12.—13., 13.—14. Oktober verbringen wir im Freien. Bei Einbruch der Dunkelheit wird an geeigneter Stelle das Nachtlager aufgeschlagen. Schnell sind mit herbeigeholten Ziegelsteinen und alten Eisenstäben Feuerstellen errichtet. Das nötige Brennmaterial ist auch gleich gefunden. Die Frauen schälen Kartoffeln, und während sie mit Kochen beschäftigt sind, treiben die Männer Stroh auf, und der Straßengraben ist im Nu in viele Betten verwandelt. Den Kindern, die auch manchmal tagsüber im Wagen schlafen, macht das Spaß, sie werden fast übermütig. Überhaupt, nachdem das seit 2 Tagen wieder vermißte warme Essen so gut geschmeckt hat. Die Kinder haben nämlich immer gesegneten Appetit. Die Kleinsten im Wagen haben aber schon fast alle Durchfall. Da wird gewaschen. Ernstlich krank ist bis jetzt niemand.

Gegen Abend des 14. Oktober kommen wir bis vor Ödenburg. Da erreicht uns die Nachricht, daß die ungarische Regierung gestürzt und Ungarn vom Bündnis abgefallen sei. Es herrschte dicke Luft. Wir sind ganz nahe der österreichischen Grenze. Über einen holperigen Seitenweg nehmen wir den Weg Richtung Grenze ein. Große Sorge macht uns der defekte Wagen. Das Rad kommt immer mehr aus den Fugen. Aber es geht noch und geht weiter, bis wir in der Nacht 2 Uhr jenseits der Grenze in Deutschkreutz ankommen. Hui, wie der Wind kalt geht! Wir stehen im Städtchen auf offener Straße. Niemand verläßt den Wagen. Niemand schläft, außer den Kindern und vielleicht auch den ganz Alten. — Werden die es so machen wie Rumänien? — Was wird noch werden? — Die Männer stehen zu zweit, zu dritt und beratschlagen. Bei Tagesanbruch wird das Wagenrad notdürftig zurechtgerichtet. Es ist die Kunde gekommen, daß die Lage in Ungarn bereinigt sei. Alles ist wieder beim alten.

15. Oktober: Wir fahren wieder zurück, Richtung Ödenburg, um auf die Hauptstraße zu kommen. Es ist Sonntag, etwa 3 Uhr nachmittag. Wir sind in der Stadt. Die ganze Stadt scheint auf den Beinen zu sein. Viele reichen heißen Tee, Milch für kleine Kinder und alte Leute, teilen Zigaretten und sonstige Erfrischungen für die Erwachsenen aus. „Woher kommt Ihr?” fragen uns einige. Alles weint. Die Gebenden und die Nehmenden. Wir fühlen die Wahrheit des Spruches: „Geben ist seliger denn nehmen.” Zum erstenmal kommt es uns zum Bewußtsein: Wir sind Bettler geworden, Heimatlose. — Die Tränen kollern weiter über die Wangen. Geredet wird eigentlich kaum noch, um so deutlicher widerspiegelt sich Mitleid und Schmerz in den Augen. Langsam bewegt sich die Kolonne weiter. Einige scheiden aus dem Zug. Sie wollen in dieser Gegend verbleiben. Wir bleiben im Strom, wie die meisten.

Über Wiener-Neustadt fahren wir, so heißt es. Wir fahren ja nur noch bei Nacht. Auf einem Gutshof machen wir Rast. Es heißt auf einige Tage. Große Kessel stehen für uns bereit, uns mit Essen zu versorgen. Frauen halten Kinderwäsche. Näh- und Stopfnadeln werden hervorgeholt. Die Kinder spielen, größere bringen Wasser herbei. Heimische Regsamkeit erfüllt den ganzen Platz. Es ist alles so selbstverständlich. Ist das die Abgespanntheit — oder ein Traumzustand? Es wird Wurst und Brot ausgeteilt. Das ist für die Abendmahlzeit. Für Mittag gibt es Erbsensuppe mit Gelbenrüben und


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Wurst drinnen. Nachmittag sitzen einige Frauen im Kreise. Ihre Männer sind bei den Soldaten. Es kommt ein deutscher Soldat. Er gesellt sich zu ihnen. Es stellt sich heraus, daß er auch Banater ist, ganz aus dem Süden. Er sagt: „Es war schön, deutscher Soldat zu sein, es ist nicht mehr schön.” Wieso er denn noch Soldatenkleider trage, fragt ihn eine Frau, der er scheinbar verdächtig erscheint. „Was soll ich?” lautet seine Antwort. „Die Eltern, mein Vater und meine Mutter wurden umgebracht, Heimat habe ich keine mehr.” — Es klingt mir noch lange in den Ohren, dieser Ton, wie er das sagte. Er jammert nicht, er zürnt nicht, und doch ist ihm bitter weh dabei.

Der Treck wird organisiert. Marschroute wird vorgeschrieben. Ich werde zum Treckführer bestimmt. Etwa 100 Wagen soll ich bis zum Rehhof bringen. Wagen aus Neubeschenowa, Keglevich und die paar aus unserem Ort gehörten zum Treck. Ich mühte mich, die Wagen zusammenzuhalten, doch die Pferde waren abgeschlagen (müde) und das Ziel Rehhof erreichen nur unsere Leute. Spät in der Nacht kommen wir an, ist aber alles überfüllt. Eiskalter Wind weht. Nach einigen Stunden fahren wir weiter. Ich borge mir ein Fahrrad von einem Wagen und fahre zurück, die anderen nachzuholen.

Vf. beschreibt noch die Weiterfahrt über Wilhelmsburg nach St. Polten, die Unterbringung in der Gemeinde Pottenbrunn und die weiteren Erlebnisse bis zum Ende des Jahres 1944. In einem ztveiten Bericht (vom 14. Mai 1956, 6 Seiten, mschr.) wird die weitere Flucht vor den heranrückenden sowjetischen Truppen nach Vöcklabruck in Oberösterreich geschildert.