Nr. 31: Die Lebensverhältnisse der deutschen Bevölkerung von Iglau nach der Übernahme der Verwaltung durch den tschechischen Nationalausschuß; Zustände und Vorgänge im Internierungslager Obergoß bis Ende Juni 1945.

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Bericht des Bibliotheksdirektors i. R. Hans Krcal aus Iglau.

Original, 5. Mai 1955, 12 Seiten, mschr. Teilabdruck.

Bereits am 1. Mai 1945 erhielt ich von dem Bürgermeister der Stadt Iglau die Anordnung, den Betrieb der Deutschen Gemeindebücherei, deren Leiter ich war, einzustellen und mit den Angestellten der Bücherei bis auf weiteres einen Urlaub anzutreten. Ein Monat vorher, am 1. April, waren den Beamten, Angestellten und Arbeitern eigene „Dienstverhältnis-Ausweise” und die Dienstbezüge bis Ende Juni vorsorglich ausgehändigt. Ich führe dies deshalb an, weil ich damit andeuten will, daß man sich darüber bewußt war, daß [man] mit dem Vordringen der russischen Armee in Mähren außer mit den Gefahren des Krieges auch mit Staats- und nationalpolitischen Veränderungen in Iglau als dem Hauptort einer alten deutschen Volksinsel, die seit jeher den Tschechen ein Dorn im Auge war, zu rechnen haben wird, wohl aber nicht ahnend, in welcher barbarischen Art sich diese geschichtliche Entwicklung vollziehen wird. Als die Stadtverwaltung von dem damaligen kommissarischen Bürgermeister dem Národní Výbor übergeben wurde, erhielt ich am 7. Mai den Auftrag, die Bücherei als Eigentum der Stadt den neuen Machthabern zu übergeben. Das damals abgefaßte Übergabeprotokoll mit den Unterschriften der vier Vertreter des Národní Výbor spricht noch von Wahrung der Rechte der Angestellten und des in der Bücherei verwahrten Privateigentums. Die höfliche und juristisch sachliche Formulierung des Protokolls ist mir ein Beweis, daß damals die vier Vertreter des Národní Výbor selbst nicht wußten, welche Wege die Austreibung gehen wird.

Als am 9. Mai, einen Tag nach der Kapitulation Deutschlands, die Russen in den Abend- und Nachtstunden in Iglau einzogen, drangen in der Nacht sechs Russen mit vorgehaltenen Pistolen in meine Wohnung. Sie schrien „Gold” und „Wein”, sie nahmen uns die Ringe und Uhren ab, durchsuchten die Wohnung und verlangten schließlich zu essen. Mein im Vorzimmer hängender DRK-Mantel wäre mir fast zum Verhängnis geworden. Solche Besuche wiederholten sich im Laufe der nächsten Tage einige Male. Ich konnte feststellen, daß die Russen auf die Wohnungen der Deutschen gehetzt wurden. Einmal erschienen auch plündernde Mongolen, die aber von einem russischen Offizier hinausgejagt wurden. Dieser Offizier beabsichtigte, sich in mein Speisezimmer einzuquartieren und schrieb mit russischen Buchstaben seinen Namen und seine Abteilung auf die Haustür. Er ist aber nicht mehr gekommen, doch seine Aufschrift verscheuchte weitere ein Quartier Suchende. Nur einmal erschien wieder ein Offizier und verlaugte das Zimmer zu sehen. Auf den Hinweis auf die Aufschrift sagte er mir in fehlerlosem Deutsch: „Der wohnt ja wo anders, Sie wollen keine Einquartierung; nicht alle Russen sind schlecht.” Er salutierte und ging weg. In der Folgezeit bedauerte ich gar oft, daß er nicht geblieben ist. Da unsere


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Villa versteckt hinter Gärten lag und nur durch ein unscheinbares Gäßchen mit der Straße verbunden war, flüchteten gegen Abend bis 25 Nachbarsleute zu uns. Ich selbst blieb mit meinem damals 14jährigen Sohn die ganzen Nächte angezogen wach, um Eindringlinge abzuwehren.

Täglich wurden die Deutschen durch Lautsprecher zu irgendwelchen Ablieferungen aufgerufen, begonnen wurde mit Waffen und Uniformstücken, dann photographische und optische Apparate, ferner Pelze, Schreibmaschinen, Edelmetalle, Musikinstrumente usw. Bereits vom 10. Mai an mußten die Deutschen weiße Armbinden tragen. Das Gehen auf den Bürgersteigen war den Deutschen verboten. Für die Nichtbefolgung war eine Tracht Prügel die mindeste Strafe.

Am 16. Mai erschien eine siebengliederige Kommission des tschechischen Philatelistenvereines mit einer Vollmacht des Národní Výbor in meiner Wohnung und durchsuchten diese zwei Stunden lang vom Speicher bis zum Keller; sie nahmen die Briefmarkensammlungen meiner Söhne mit. — Die Bestätigung der Wegnahme mit der Unterschrift eines Konrad Weinzettel habe ich in Händen. — Am selben Tag erschienen wieder Russen, durchstöberten die Wohnung und nahmen unter anderem meinen Rundfunkapparat mit. Weil am selben Tag die Abgabe der Rundfunkgeräte von den Tschechen verlangt wurde, gab mir der russische Offizier auf meine Bitte eine Bestätigung über die Wegnahme, die ich heute noch besitze. Am 25. Mai erschien eine sechsköpfige Kommission der Finanzverwaltung unter Führung des Finanzkommissärs Dr. Lepold Soška in meiner Wohnung. Unter Berufung auf eine Hitler-Verordnung aus dem Jahre 1939 wurde eine mehrstündige Hausdurchsuchung vom Dachgeschoß bis in den Keller durchgeführt, unter jeden Teller und in jede Vorratstüte wurde hineingesehen. Ich selbst wurde einem hochpeinlichen Einvernehmen über die Besitz- und Vermögensverhältnisse meiner Schwiegermutter und meiner Familie unterzogen. Die Wahrheit habe ich ihnen doch nicht gesagt, ebenso erklärte ich, nichts von Verstecken, Vergrabungen und Unterbringung von Gegenständen bei dritten Personen zu wissen. Leider fiel ihnen ein genaues Verzeichnis meiner Sparbücher in die Hände, das meine Frau unter einem Teller versteckt hatte. Der Endeffekt war die Beschlagnahme von einigen silbernen Gegenständen (Besteckteile, Münzen u. a.). In meiner Gegenwart wurde auf einer mitgebrachten Schreibmaschine ein Protokoll abgefaßt. Den Durchschlag übergab man mir, ich besitze ihn heute noch. [Als] bezeichnend für die charakterlichen Eigenschaften einzelner Mitglieder dieser Kommission sei nur nebenbei angeführt, daß ich bemerkte, wie einer der Herren meinen versteckt gewesenen Reisewecker heimlich in die Tasche steckte. Bei der ständigen Aufregung und den wiederholten Ausplünderungen konnte ich gar nicht mehr übersehen, wann und von wem dies oder jenes mitgenommen wurde. Als juristisches Kuriosum sei die Begründung der Hausdurchsuchung und der Beschlagnahme aus der Einleitung des tschechischen Protokolls im Wortlaut wiedergegeben: „Předmětem jednání je provedení zajištovacích opatření podle § 23 devisového řádu čís. 155/1939 Sb. z. a. nař. Vedoucí komise vykázal se straně zmocněním přednosty berní správy v Jihlavě ze dne 19. května 1945 a vyzval ji, aby za účelem zajištění předložila úředním orgánům veškerá tuzemská i cizozemská platidla (valuty, resp. devisy),


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cenné papíry, zbírky známek, vkladní knížky a veškeré předměty ze zlata, stříbra, platiny jakož i jmenované kovy nespracované . . .”1

Gleich nach der Besetzung Iglaus durch die Russen kam der Befehl der Tschechen, daß sich sämtliche Männer und Frauen beim Arbeitsamt zu melden haben. Sie wurden zu Aufräumungsarbeiten, Niederlegung von Straßensperren und Hindernissen, Kohlenschaufeln u. a. kommandiert. Ich selbst meldete mich erst am 17. Mai. Meine Frau mußte schon einige Tage vorher täglich den langen Weg nach Helenenthal machen und dort ohne Verpflegung gemeinsam mit anderen Frauen in einem dreistöckigen Fabriksgebäude (einem Tuch- und Wollager) jahrealten Mist aufräumen und den Fußboden aufwaschen. — Schwierig war in diesen Tagen und bis zum Zeitpunkt der Internierung die Versorgung mit Lebensmitteln. Die deutschen Kaufleute hatten gesperrt und durften nichts verkaufen und die tschechischen verweigerten jede Abgabe an die Deutschen. Brot, Fleisch, Fettstoffe und Milch fehlten überall. Am schlechtesten hatten es die jungen Mütter, die für ihre Säuglinge nirgends eine Milch auftreiben konnten. Man lebte nur von den wenigen Vorräten, die man zu Hause hatte. Das lebende Vieh wurde von den Russen zusammengetrieben und auf dem Galgenberg oberhalb des Merforťschen Grundbesitzes in den angebauten Feldern geweidet.

Später, als ich schon im Obergoßer Lager war, wurde ich von einer Militärpatrouille am 14. Juni abgeholt und in mein gewesenes Wohnhaus geführt, wo mich im Garten abermals eine sechsgliedrige Kommission des Finanzamtes erwartete. Ein kurzer Blick genügte mir, um zu sehen, daß das Haus vollständig ausgeräumt war. Im Hof lagen Küchengeräte, Spielsachen, Bücher, Photographien, Schachteln, Erinnerungsstücke, Papiere, Kleinkram u. a. auf einem meterhohen Haufen beisammen, scheinbar für die Müllabfuhr oder zum Verbrennen. Höhnisch reichte mir einer der Herren von diesem Haufen die Schulzeugnisse meiner Frau. Wiederum wurde ich gefragt, wo ich im Garten etwas vergraben habe. Es war mir aus den Bodenverhältnissen eine Leichtigkeit festzustellen, wo man schon etwas gefunden hatte, so gab ich jetzt nur diese Stellen an. Man gab mir eine Schaufel in die Hand, und an drei Stellen, die ein tschechischer Nachbar, der dieser Kommission als Mitglied angehörte, angab, mußte ich graben, doch zu meinem Glück ergebnislos. Dann wurde ich gefragt, was ich außer Haus gebracht habe. Da ich verneinte, führte man mich zu einem tschechischen Schneidermeister in der Nähe, in diesem Haus wohnte der schon oben genannte tschechische Finanzbeamte. Ich hatte tatsächlich dem Schneidermeister meinen Pelz, die Schreibmaschine, den Gasbackofen, Bilder und andere Kleinigkeiten übergeben. In Anbetracht der Sachlage gestand ich jetzt, erklärte aber, daß ich ihm die Gegenstände noch vor der Besetzung durch die Russen geschenkt hätte. In auffallender Weise führte mich die Militärpatrouille nicht wie


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üblich zurück, sondern übergab mir einen Passierschein mit der Anordnung, sofort ins Lager zurückzukehren. Ich schöpfte Verdacht und ging tatsächlich den geraden Weg nach Obergoß. Hätte ich es nicht getan, so hätte ich, wie mir später von vertrauter Seite mitgeteilt wurde, die Handhabe zu einer schon damals geplanten Verhaftung und Einkerkerung gegeben.

Schon am 10. Mai wurde mir Nachricht gebracht, daß die Tschechen verschiedene deutsche Mitbürger verhaftet haben und im Gebäude des Polizeikommissariates, im Gefängnis des Kreisgerichtes und in der Jakobsschule festhalten. Es sickerten die Meldungen durch, daß sie dort unbarmherzig von den Tschechen geschlagen und gefoltert werden. Eines Tages hatte ich Gelegenheit, in das Gebäude der Deutschen Stadtbücherei zu kommen. Es war ein furchtbarer Anblick: Eine mühsame Lebensarbeit ging den Weg der Vernichtung. In Haufen lagen die Bücher am Fußboden und wurden von den Frauen in Kohlenkörben hinausgetragen ...

Eines Tages — das Datum weiß ich nicht mehr, ich glaube es war ein Sonntag1 — kamen bewaffnete Partisanen ins Haus und forderten uns auf, binnen einer Viertelstunde auf dem umzäunten Sportplatz beim Justizgebäude uns zu versammeln. Tausende von Männern, Frauen und Kindern wurden in diesen Sportplatz hineingetrieben und von Partisanen umkreist. Was der Zweck dieser Aktion war, ist dunkel. Zuerst ging das Gerücht umher, daß man die Durchreise des Präsidenten Beneš erwartete und aus Sicherheitsgründen die Deutschen festhielt, später aber wurde auch von tschechischer Seite zugegeben, daß man die Absicht hatte, ein Blutbad durchzuführen, das aber im letzten Augenblick durch den Eingriff des russischen Stadtkommandanten verhindert wurde2. — Übrigens hörte man öfters, daß die Russen, die wohl gemeinsam mit den Partisanen eifrig plünderten und Frauen und Mädchen schändeten, humaner waren als die Tschechen. — Ich sah mit eigenen Augen, wie ein Junge sich am Sportplatz dem Ausgang näherte und wie ein Partisan ihn kaltblütig erschoß. Alle Knaben über 14 Jahren wurden in die Mitte des Sportplatzes aufgestellt und zu „Auf” und „Nieder” bis zur vollsten Erschöpfung gezwungen. Wo es nicht mehr ging, hieben die Partisanen vor den Augen der Eltern mit Klopfpeitschen auf die Jugend, bis sie blutige Striemen hatten. „Wir werden euch die Hitler-Jugend austreiben!” schrien diese Unmenschen.

Um den 20. Mai herum, den genauen Tag weiß ich heute nicht mehr, kam der Befehl3, das Haus mit Gepäck binnen 20 Minuten zu verlassen (mit


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der Androhung, bei der Verweigerung totgeschossen zu werden) und uns am Sportplatz zu versammeln. Ich zog mir in der Erwägung, mich mit der strapazfähigsten Bekleidung auszurüsten, einen ganz neuen Anzug an. Kaum war ich fertig, erschienen schon die Partisanen wieder. „Herunter mit dem Anzug!” schrie mich der eine an; ja sogar meine neue Perlwäsche wurde mir vom Leib gerissen. Den Anzug hat der Kerl sofort selbst angezogen. Aus dem Schrank wurde mir meine alte Fischerkluft hingeworfen. Mit einem Holzwägelchen, beladen mit Betten, Mäntel, Wäsche, Schuhe, einigen Lebensmitteln und mit schnell und wahllos zusammengerafften Habseligkeiten, und einem Rucksack am Rücken zog ich in das unbekannte Schicksal. Am Sportplatz durchstöberten Tschechen und Russen das Gepäck; was ihnen brauchbar erschien, wurde weggenommen, vom Rasierapparat und der Füllfeder bis zur Wäsche und zu den Schuhen. Bei dieser Leibesvisitation wurden mir 25 000 Kč abgenommen. In einem endlosen Zug formiert, wurden wir unter Fluchen, Schimpfen, mit gelegentlichen Kolbenstößen und Peitschenhieben durch die Stadt nach Helenenthal getrieben. Auf Alte und Gebrechliche wurde nicht Rücksicht genommen. In einem einzigen dreistöckigen Fabriksgebäude, das der großen Tuchfabrik Carl Löw & Sohn als Lagerraum für Fertigware und Wolle diente, wurden etwa fünftausend Menschen hineingestopft. Eine einzige schmale Stiege verband die drei Stockwerke. Für den Warentransport stand der Tuchfabrik früher einmal ein Aufzug zur Verfügung, der infolge seiner Anlage und Altersschwäche für Personen verboten war. So kam es, daß während des Tages und in den Nachtstunden die schmalen Stiegen so verstopft waren, daß man von Glück sprechen konnte, wenn man in der Dauer einer halben Stunde diesen Engpaß passiert hatte. Geschlafen — wenn überhaupt sich ein Schlaf einstellte — wurde auf den bloßen Brettern. Aufregend und nervenzermürbend waren die Schreie und Hilferufe der Frauen und Mädchen, wenn sich die Russen ein Opfer holten. Aufgeregt horchten die Männer, ob es nicht ihre Frauen und Töchter sind. Vierzehnjährige Kinder wurden mißbraucht. Anfangs stand nur eine Latrine zur Verfügung, erst später zwei. Doch das größte Verbrechen war, daß in diesem Lager kein Wasser zur Verfügung stand. Von dem fast ein Kilometer entfernten Brunnen schleppten die Buben auf einem Wägelchen in einem großen Fasse mühsam das Wasser für die Kochkessel bis 11 Uhr nachts heran. Einmal im Tag gab es Suppe, in den ersten Tagen hergestellt von den von daheim mitgeschleppten Naturalien. Täglich mußten die Männer und die Jugend antreten, die dann in Arbeitskolonnen eingeteilt in die Stadt marschierten1.

Am 26. Mai erhielt ich vom Národní Výbor den Befehl, als „Vedoucí tábora”2 die Leitung des zu errichtenden Internierungslagers in Obergoß (Pracovní tábor internovaných němců v Horním Kosově)3 zu übernehmen. In Obergoß, ein Kilometer westlich von Iglau entfernt, war ein Barackenlager des gewesenen Reichsarbeitsdienstes. Seit der Besetzung Iglaus wurde es von den Russen als Sammellager für deutsche Kriegsgefangene benützt.


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Noch am selben Tag wurde ich von zwei tschechischen Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett in das Lager nach Obergoß eskortiert. Am Wege dorthin erlebte ich den gleichen Elendszug, wie ich ihn selbst nach Helenenthal mitmachen mußte. Wieder zogen 2000 bis 3000 Landsleute aus einem Stadtviertel, bepackt mit Koffern, Schachteln und Rucksäcken, mit Wägelchen, Schubkarren, Kinderwagen, weinend und verzweifelt, dem neuen Lager unter der üblichen Partisanenbegleitung zu. Das Lager stand damals noch unter russischer Bewachung. In einer Baracke waren noch kranke deutsche Kriegsgefangene untergebracht und in einer zweiten, dem Arrestlokal des Reichsarbeitsdienstes, befanden sich Kriegsgefangene in Haft. Im Lager selbst erwartete mich der gewesene Bankbeamte Meisel in tschechischer Offiziersuniform. Obzwar er Jude war, hatte er Iglau in der nationalsozialistischen Zeit nicht verlassen müssen, da er mit einer deutschen Christin verheiratet war. Er hatte als Kanzleikraft in dem Depot für beschlagnahmtes bewegliches jüdisches Eigentum gearbeitet. Ihm war vom Národní Výbor, beziehungsweise von der eigens aufgestellten tschechischen Evakuierungskommission, die Oberleitung über sämtliche deutsche Internierungslager in Iglau übertragen worden. Während meine Landsleute in das Lager einströmten, gab mir Meisel kurz einige Anweisungen über meine Pflichten als Lagerleiter. Schnell mußte ich organisieren und improvisieren. Die erste Aufgabe war die Verteilung der Familien auf die einzelnen Baracken und die Reinigung der Räume, die in dem Zustand waren, wie sie die Kriegsgefangenen zurückgelassen hatten. Nur durch die Hilfe und das volle Verständnis der Landsleute, denen ich heute noch zu großem Dank verpflichtet bin, war es möglich, alle bei den Unzulänglichkeiten einigermaßen unter Dach zu bringen und wenigstens für die Alten und Gebrechlichen eine Lagerstätte zu sichern. Das Lager war ein Bild des Jammers. Zugeteilte Verpflegung gab es für die ersten Tage überhaupt nicht, am schrecklichsten war dieser Zustand für die Kleinkinder, die dann im Laufe der weiteren Internierung auch vielfach starben. In der zweiten Woche wurde mir fast täglich der Tod von Kindern gemeldet, die ohne Totenschein und Formalität auf dem nahen Friedhof begraben wurden. Die Arbeitskolonne, die dort Totengräberdienste versah, führte die toten Kinder auf einem Wägelchen weg. Durch diese Landsleute erfuhr ich, wer begraben wurde, wer sich in Verzweiflung das Leben nahm. Sie brachten mir auch die Meldungen über die Erschießung der Landsleute beim Kugelfang der militärischen Schießstätte1.

Bereits am 28. Mai erwirkte ich mir durch Meisel die Bewilligung, einige mir für die Herrichtung des Lagers fehlende Handwerker und kochkundige Männer aus dem Helenenthaler Lager zu holen. Mit diesen Männern und mit einem Stab von opferbereiten Mitarbeitern war es mir möglich, die äußere Lage und Verhältnisse verwaltungsmäßig zu meistern. Die ersten Tage standen wir unter russischer Bewachung, der einige tschechische


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Partisanen zugeteilt waren. Tagsüber ließen uns die Russen in Ruhe, aber kaum waren die Abendstunden da, so kamen sie haufenweise aus der Stadt (das Obergoßer Lager lag der Stadt am nächsten) und holten sich die Frauen und Mädchen, ja sogar Kinder. Heute noch höre ich das Schreien und Wehklagen der Mütter und der Entführten. Erst später wurde die Bewilligung eingeführt, daß die Geschändeten am nächsten Morgen im Krankenhaus behandelt wurden. Wo ich nur konnte, verbarg ich so manches Mädel in meiner Dienstbaracke oder in der Krankenbaracke, die Russen drangen aber auch dort hinein. Es kam einige Male vor, daß die Russen Mädchen holten, sie kilometerweit wegführten, sie an einem Feldrain schändeten und sie dann halbnackt in das Lager zu Fuß zurückschickten. Eine Frau, auf die die Russen es durch die Angeberei und den Haß eines Tschechen besonders abgesehen hatten, wurde in einer Nacht viermal aus der Krankenbaracke herausgeholt. Als ich einmal ein Mädchen schützen wollte, setzte mir ein Russe die Maschinenpistole auf die Brust, nur das Eintreten eines russischen Offiziers rettete mir das Leben.

Nach einigen Tagen übernahmen tschechische Soldaten die Lagerwache. Sie stammten meist aus Trebitsch und Umgebung. Lagerkommandant war der Leutnant Hobza, ein Trebitscher Lehrer, der diese Stellung bis zu unserer Vertreibung innehatte. Er stand ganz unter dem Einfluß seiner Landsleute. Ich brauche wohl nicht erst zu betonen, daß die verantwortliche tschechische Befehlsstelle mit Absicht und planmäßig nur ausgesprochene Deutschenhasser, auf die sie sich verlassen konnte, als Wächter der Lager einsetzte, darunter brutale Gesellen, die vor keiner Grausamkeit und Schandtat zurückschreckten und ihren bestialischen Trieben und Rachegelüsten freien Lauf ließen. Der Wahrheit wegen sei aber gesagt, daß der eine oder andere Soldat mir abseits unter vier Augen andeutete, daß er so manches mißbillige. Ich hatte oft den Eindruck, daß diese Genossen sich gegenüber mißtrauten und fürchteten. Was der eine willensmäßig tat, machte der andere zur Wahrung der befohlenen Behandlungsmethode und zum Nachweis seiner Linientreue. Obzwar Hobza an den Prügeleien, Grausamkeiten und perversen Exzessen sich selbst nicht beteiligte, so verhinderte er sie nicht, und vieles geschah mit seinem Wissen und sicherlich auch auf seinen Befehl. Er war verheiratet, das hinderte ihn aber nicht, ein hübsches Mädel, die er sich als Maschinenschreiberin in seiner Baracke zulegte, zu zwingen, auch nachts bei ihm zu bleiben. Das Schänden deutscher Frauen und Mädchen hatte mancher Tscheche von den Russen bald gelernt. Hobza war, wenn keine tschechischen Zuhörer anwesend waren, manchen Bitten und Vorstellungen zugänglich, meist aber unbewegt und mitleidslos. Es kam des öfteren vor, daß die tschechische Wache mich hinderte, in seine Baracke zu gehen, wenn sie annahmen, daß ich wieder eine Beschwerde vorzubringen habe.

Mau muß sich nur vorstellen, in welcher seelischen Sìutation ich war. Auf der einen Seite kamen alle Landsleute vertrauensvoll und hilfesuchend zu mir, ihr ganzes Leid mußte ich mittragen, auf der anderen Seite aber war ich machtlos, konnte nichts ändern, nur bitten und vorstellig werden und meine Landsleute nur mit Worten trösten. Beim kleinsten Vergehen der Internierten gegen die Lagerordnung — menschlich gesehen waren es über-


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haupt keine Vergehen oder Übergriffe — wurde ich zur Verantwortung gezogen. Geohrfeigt wurde ich genauso wie die anderen, trotz des sogenannten „Vedoucí” und meiner damals 55 Jahre. Wenn jemand zum Rechtsanwalt gehen wollte, um sich ehelich scheiden zu lassen (die Ehescheidungen waren aus materiellen und nationalen Gründen an der Tagesordnung) oder wegen Schändung ins Krankenhaus geschickt wurde oder eine Vorladung zu einem Amte bekam oder als Spezialarbeiter und Handwerker und in ähnlichen Fällen von auswärts verlangt wurde, so hatte ich die Aufgabe, einen Passierschein auszustellen. Einmal wurde eine Frau, der ich für den Besuch des Rechtsanwaltes einen Passierschein ausgestellt hatte, von einer tschechischen Militärpatrouille in ihrer Wohnung angetroffen. Man stellte mich zur Rede, ich erklärte den Tatbestand, den man aber nicht anerkennen wollte. „Ich lüge nicht.” — „Jeder Deutsche lügt”, war die Antwort. Die ganze Wache fiel über mich her, schlug mit Gewehrkolben, Fausthieben und Fußtritten auf mich ein. Blutend aus Nase, Ohr und Mund, mit Kopfwunden und blauen Körperflecken blieb ich liegen. Als ich später mich mühsam in meine Baracke schleppte, erschien ein älterer intelligent aussehender Soldat mit der bekannten Armbinde der tschechischen Gestapo und tröstete mich mit teilnehmenden Worten. Er sagte mir: „Ich kann diesen Mißhandlungen nicht mehr zusehen, wenn es nicht anders wird, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich selbst zu erschießen.” Wie oft hatte ich selbst daran gedacht, diesem Elendsleben ein Ende zu machen, nur der Gedanke an meine Familie hielt mich aufrecht. Heute noch leide ich an den Folgen der damaligen Prügelszene. Ein anderes Mal kam ein etwa 17 bis I8jähriger Partisan und rief in die Dienstbaracke: „Wo ist der Vedoucí?” — „Hier!” rief ich und blieb sitzen. „Du deutsches Schwein, weißt Du nicht, daß Du vor jedem Tschechen aufzustehen hast!” Und schon fielen unter dem Gelächter der Soldaten die Ohrfeigen, bis ich blutete. Ich führe diese persönlichen Erlebnisse an, weil es vielen meiner mitleidenden Landsleute nicht besser ging. Prügel mit den Klopfpeitschen, die in den Lagern des Reichsarbeitsdienstes in Mengen gefunden wurden, waren an der Tagesordnung. Ganze Reihen von Männern mußten auf den Zehenspitzen mit erhobenen Händen mit dem Gesicht zur Wand stehen, und jeder vorbeigehende tschechische Soldat stieß sie an die Holzwand, bis die Nase blutete. Und der Grund war, daß sie nach Ansicht der Tschechen zu wenig gearbeitet hätten.

Der Vf. schildert hier noch ausführlich zwei Fälle drastischer Mißhandlungen, wobei ein Internierter offenbar zu Tode geprügelt worden ist, während die tschechische Lagerwache seinen Selbstmord vortäuschte, den in einem schon vorbereiteten Protokoll als Todesursache zu bestätigen der Vf. selbst und der deutsche Lagerarzt angesichts des herrschenden Terrors gezwungen waren.

In den Abendstunden, nach der Rückkehr der Internierten von der Arbeit, erschien immer die tschechische Gestapo, um Verhöre in der Offiziersbaracke durchzuführen und Verhaftungen vorzunehmen. Bis tief in die Nacht hörte man die Schmerzensschreie der Geprügelten. Es genügte, den gleichen Familiennamen einer gesuchten Person zu haben, um vorgeführt zu werden. Ich erinnere mich, daß man alle Iglauer, Männer wie Frauen, die


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den Namen Krebs, Siegl, Krautschneider u. a. hatten, aufrief und sie durch Martern zu Aussagen über Verwandte und Namensgleiche zwang. Angestellte deutscher Ämter und Firmen wurden zu Mitteilungen in rohester Weise gezwungen. Irgendeine Denunziation von tschechischer Seite genügte, um eingesperrt zu werden, und wie es sich in der Folge zeigte, jahrelang in Gefängnissen und in Arbeitslagern ein trauriges Los zu fristen. Welches Ausmaß diese Verhaftungen annahmen, möge eine Tatsache am Rande illustrieren. Drei Tage hintereinander wurden mir die Köche vom Kochkessel weg verhaftet, den vierten rettete ich nur dadurch, daß ich ihn mit seiner Familie als landwirtschaftlichen Arbeiter weit weg von Iglau abkommandieren ließ.

Der furchtbarste Mensch, ich möchte fast lieber sagen Bestie, war der Leiter der im Lager errichteten Nebenstelle des Arbeitsamtes, namens Cutka. Wo er konnte, prügelte er, schimpfte er und hetzte ständig die Lagerwache, die dann später öfters abgelöst wurde, zum Teil sogar täglich, zu allerhand Übergriffen auf. Einige Male wurden von den Soldaten eigenmächtig so unter der Hand Gepäckuntersuchungen nach Rauchwaren vorgenommen. Was diesen Herrschaften gefiel, ging mit. Cutka, ein charakterlich und moralisch gemeingefährlicher und perverser Mensch, drang mit einigen Soldaten in den Baderaum ein, in dem einige etwa 16 bis 18jährige Mädchen, die hinbefohlen wurden, badeten. Was diese Gesellschaft von den Mädchen verlangte und sie auch teilweise zu tun zwang, überschreitet jede Schilderung.

Um 4.15 Uhr wurde im Lager geweckt. Nach dem Reinigen der Baracken, Waschen und Frühstück gab es einen Morgenappell, bei dem die Arbeitskolonnen für die Arbeiten in der Stadt und im Lager auf Anordnung Cutkas eingeteilt wurden. Diejenigen Landsleute, die den ganzen Tag außerhalb des Lagers arbeiteten, bekamen kein Mittagessen und wurden nur abends einmal verköstigt. Meine Frau und mein damals 14jähriger Sohn waren bei den Aufräumungsarbeiten im Militärhospital eingeteilt. Der dort beaufsichtigende tschechische Unteroffizier benahm sich menschlich. Er duldete es, daß die Frauen zu Mittag versteckt Suppen kochten und stellte sogar heimlich Lebensmittel zur Verfügung. Meinem Sohn, der für das Kohlenschaufeln ungeeignete Beschuhung hatte, schenkte er ein Paar feste Militärschuhe. Abends fanden die allseits gefürchteten Abendappelle statt, die oft Stunden dauerten und zu denen auch die alten Leute antreten mußten. Die aus der Arbeit aus der Stadt kommenden Landsleute wurden beim Eingang ins Lager einer gründlichen Leibesvisitation nach mitgebrachten Lebensmitteln unterzogen. Diejenigen, bei denen etwas gefunden wurde, mußten bei der Wache zurückbleiben und wurden je nach Laune der Soldaten bestraft. Die tagsüber im Lager Verbliebenen wurden mit Küchen-, Aufräumungs- und handwerklichen Arbeiten beschäftigt. Die Jugend unter vierzehn Jahren und zurückgebliebene Mütter besorgten unter dem Kommando eines groben tschechischen Gärtners die Gartenarbeiten, das heißt den Anbau von Kartoffeln und Gemüse auf dem mit großer Mühe umgestürzten Rasenplatz im Inneren des Lagers. Um die Verpflegung zu sichern, wurden Arbeitskolonnen aufgestellt, die aus den von den Deutschen verlassenen Häusern die eingekellerten Kartoffel- und Gemüsevorräte auf Wägelchen ins Lager


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brachten. Von der tschechischen Verwaltung wurden Hülsenfrüchte, Mehl, Brot, Kaffee-Ersatz, Fettstoffe und Zucker zur Verfügung gestellt. Ich bestellte einen Wirtschaftsführer, dem die Verwaltung der Lebensmittel und die Oberaufsicht über die Küche zufiel. In der späteren Zeit wurde eine eigene Kinderküche bewilligt, in der die Mütter den Brei oder die Suppe für ihre Kleinkinder selbst und dann, die letzten Tage, unter einer bewährten einheitlichen Leitung einer deutschen Frau kochen durften. Die Krankenbaracke war in der Betreuung eines internierten deutschen Arztes, dem freiwillige Helferinnen zur Seite standen. Schwer Erkrankte und Todeskandidaten wurden durch Vermittlung des Roten Kreuzes in die gewesene Polizeikaserne auf dem Brünnerberg gebracht. Die Arzneien wurden etwa gegen Mitte Juni gegen Bezahlung aus den Mitteln der Erkrankten aus einer Apotheke geholt.

Nach 9 Uhr abends durfte niemand die Baracke verlassen, durch diese Anordnung ergaben sich wegen der Latrinenbenützung ständige Schwierigkeiten. Ich selbst mußte bis 11 Uhr nachts zur Verfügung stehen. Da ich auch in der Nacht einige Male aus der Baracke geholt wurde, gab es für mich oft nur zwei, höchstens vier Stunden Schlaf. Um mich wenigstens tagsüber zu entlasten, bat ich um die offizielle Bestellung eines Stellvertreters, die mir auch in den letzten Tagen zugestanden wurde. Für die Erledigung der schriftlichen Arbeiten hatte ich eine Lagerkanzlei eingerichtet und fand eine Reihe von verläßlichen Mitarbeitern, denen ich zu großem Dank verpflichtet bin. Passierscheine, Arbeitsnachweise, Präsenzlisten, Verpflegungsmeldungen, private schriftliche Angelegenheiten der Internierten usw. wurden in dieser Lagerkanzlei erledigt.

Am 23. Juni erschien eine russische Offiziersfrau im Lager mit dem Ausweis des russischen Stadtkommandanten, um sich ein deutsches blondes Kind zur Adoptierung auszusuchen. Bereits schon zweimal vorher war durch russische Offiziere dasselbe Ansinnen gestellt worden. Derjenige, der diese Szenen nicht miterlebt hat, kann sich gar nicht vorstellen, welche Angst und welche Panik unter den deutschen Müttern damals entstand. Trotz der Proteste, Bitten, Jammern und Weinen wurde doch das Kind weggeschleppt.

Am 24. Juni ging der erste große Transport aus dem Lager weg, nachdem am Vortag Listen jener Landsleute aufgestellt werden mußten, die angaben, nicht Mitglieder der gewesenen NSDAP gewesen zu sein. Ich selbst als Lagerführer war der Meinung, daß es sich um die Verschickung in ein anderes Arbeitslager oder um Landarbeiten handeln würde, zumal vorher kleinere Gruppen auf Dörfer der weiteren Umgebung abgingen. Doch schon am nächsten Tag sickerte die Meldung durch, daß dieser Transport über Stannern nach Österreich ging. Vor Abgang dieses Transportes wurde abermals eine genaue Durchsuchung des Gepäcks durch die tschechischen Soldaten durchgeführt.

Es folgt die Schilderung der Austreibung der noch im Lager verbliebenen Deutschen, die am folgenden Tag ebenfalls zur österreichischen Grenze in Marsch gesetzt wurden1.


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